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Augenhöhe durch Goldgriff

Die Befassung mit dem Nationalteam macht Spaß, in vielerlei Hinsicht.

Wenn die österreichische Nationalmannschaft am Sonntag in Moskau zumindest einen Punkt mitnimmt, kann Teamchef Marcel Koller wohl seinen diesjährigen Sommerurlaub schon in Frankreich buchen – um ein Camp für die Europameisterschaft nächstes Jahr auszuwählen. Ein Meilenstein natürlich, würde die erste sportliche Qualifikation für eine Endrunde seit 1998 gelingen, auch damals für Frankreich. Die Qualifikation für das Turnier wäre zwar der messbare Erfolg, noch schwerer wiegt rund um das rot-weiß-rote Team aber die vielfältige Begleitmusik.

Erstmals seit einer gefühlten Ewigkeit gibt es heute wieder eine Nationalmannschaft aus Österreich, die auf Augenhöhe mit einer Vielzahl von Gegnern durch die Gegend reist. Die Weltranglistenplatzierung in den Top 20 ist da nur eine logische Folgeerscheinung, im Prinzip aber belanglos. Das Team fährt am Sonntag nach Russland und weiß, es hat eine realistische Chance dort zu punkten und gut abzuschneiden. Und, noch wichtiger, Russland weiß das auch.

In jedem Fall hat sich mittlerweile ein sportlicher Paradigmenwechsel vollzogen. Von „wir können dort mit viel Glück bestehen“ zu „wir wollen dort erfolgreich sein“. Und dieses Selbstbewusstsein kommt nicht wie eine Hans-Krankl-Motivationsrede seinerzeit daher, wo im Grunde insgeheim eh jeder weiß, dass man wahrscheinlich wieder nix reißen wird. Es kommt fundiert, überzeugt und mit der richtigen Portion Wissen um die eigenen Fähigkeiten.

Dieses neue Selbstbewusstsein mit Augenmaß funktioniert auch immer besser umgekehrt, gegen die sogenannten „kleinen Mannschaften“. Allzu oft ist in den früheren Ären im Vorfeld mit einer gewissen Überheblichkeit von den Pflichtpunkten gesprochen worden, die man dann selten wirklich konsequent einfahren konnte. Weil es keinen Plan gab, weil die „Spielts-euer-Spiel“-Mentalität die am liebsten und am regelmäßigsten angewandte Taktik war. Damit reicht es eben oft auch mit höherer individueller Klasse selten für volle Erfolge gegen Litauen oder Kasachstan. Maximal ermurkste man sich knappe Zittersiege. Mittlerweile fährt diese Mannschaft nach Liechtenstein und spult ihr Programm genauso professionell ab wie gegen Schweden.

Das überträgt sich auch auf das Umfeld. Vorbei scheinen die Zeiten, wo sich selbst zu Quali-Spielen oft nur 10.000 Fans ins Happel-Stadion verirrt haben. 2015 ist sogar ein Testspiel gegen Bosnien ausverkauft. Nationalteam schauen ist en vogue. Auch das bedeutet mehr und mehr Augenhöhe mit den „großen“ Fußballländern, wo es eine Selbstverständlichkeit darstellt, sich die einigen wenigen Länderspiele im Jahr anzusehen. Die international üblichen Fairplay-Regeln wird das österreichische Publikum auch noch lernen. Aber man ist hier ja ein wenig der Emporkömmling und es dauert immer ein bisschen, bis sich auch die Manieren dem neuen Stand anpassen.

Dieser Zustand macht Spaß. Die Befassung mit dem Nationalteam hat als Fan und als Journalist ein komplett neues Level erreicht, auch wenn der eine oder andere Kollege über die weitgehend fehlenden Wuchteln früherer Tage traurig sein dürfte. Der ORF und einige Revolverblätter sind dagegen zwar weitgehend resistent, wer aber unlängst den Taktik-Austausch zum anstehenden Russland-Match der Herren Jakob Faber und Daniel Mandl auf Servus TV gesehen hat, weiß, was ich meine. Ein weiterer Schritt in Richtung europäische Augenhöhe, diesmal hinsichtlich Rezeption des Spiels durch die medialen Begleiter. Hier hat es vor einigen Jahren noch mindestens genauso viel Aufholbedarf gegeben wie auf dem Feld selbst.

Schlussendlich ist es egal, wie sich die Mannschaft bei der sehr wahrscheinlichen Teilnahme an der EURO schlagen wird oder wie lange Marcel Koller danach noch Teamchef bleibt: Für seinen wesentlichen Beitrag, das Nationalteam aus der Krankl-Constantini'schen Vorhölle herausgeführt zu haben und die damit verbundenen oben beschriebenen Begleiterscheinungen, gebührt ihm lebenslanger, uneingeschränkter Dank. Allen, die 2011 nach einer österreichischen Lösung gekräht haben, sei ein für alle Mal hinter die Ohren geschrieben: Es gab keine adäquate heimische Lösung zum damaligen Zeitpunkt, auch wenn manche geglaubt haben, Andi Ogris könnte auch den FC Barcelona trainieren.

Allen, die den Erfolg ausschließlich auf den mittlerweile natürlich auch stärkeren Kader zurückführen möchten, sei gesagt: Ich kenne eine Reihe von Trainern, die schon einmal als mögliche Teamchefs genannt wurden, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch mit der aktuellen Mannschaft die Quali verbockt hätten. Einem Österreicher wäre es vor vier Jahren außerdem wohl kaum gelungen, sich der medialen Vereinnahmung so zu entziehen, wie es Koller getan hat und tut. Fazit: Das Wort Goldgriff für den besonnenen Schweizer hatte im österreichischen Fußball selten mehr Berechtigung.


 

Jürgen Pucher war Gründungsmitglied der Plattform „sturm12.at“ und hat dort über Jahre hinweg mit seiner Kolumne „12 Meter“ die Diskussionen rund um den Grazer Verein und den österreichischen Fußball extrem bereichert. Ab sofort wird er in regelmäßigen Abständen bei LAOLA1 Gastkommentare zum Geschehen im heimischen Kick verfassen.