LAOLA1: Wird das nicht grundsätzlich schon praktiziert, dass man diesen Freigeistern etwas mehr Freiraum lässt?

Stadler: Ja, schon. Oft heißt es über solche Spieler aber immer noch: „Der dribbelt zu viel, der macht nichts in der Defensive, der arbeitet nicht für die Mannschaft.“ Als Trainer muss man da abwiegen können. Was bringt er für meine Mannschaft? Kann ich akzeptieren, dass er sich in der Defensive ab und zu zwei, drei Meter spart? Es ist eine Gratwanderung. Ich glaube aber, jede Mannschaft verträgt einen Freigeist.

LAOLA1: Was auch immer wieder ein Thema ist: Im Nachwuchs sind die Erfolge größer als im A-Team…

Stadler: Das ist aber logisch. Im Nachwuchsfußball sind die Spieler bei weitem noch nicht so konstant. Der Eine spielt schon bei den Profis, der Andere noch im Akademie-Bereich – das sind teilweise vier Klassen Unterschied. Im Ausland ist das nicht anders, auch dort ist das Gefälle sehr groß. Deswegen glaube ich, dass es im Nachwuchs-Bereich leichter ist. Dann werden die Burschen halt gefordert. Bei den Profis gibt es zum ersten Mal Verträge, da lehnt sich so mancher zurück, wenn er als 17-Jähriger 2.000 Euro verdient. Andere geben sich damit nicht zufrieden. Es sind noch nicht alle Jungen bereit. Zu viele sagen, dass es für sie schon passt und sie setzen nicht den nächsten Schritt.

LAOLA1: Hängt das mit der österreichischen Mentalität, mit diesem „Passt schon“ zusammen?

Stadler: Zum Teil, ja. Da sind die Betreuer gefragt. Außerdem bin ich der Meinung, dass in der Ersten Liga immer noch zu wenig Junge spielen. Obwohl das schon besser ist als früher. Ich glaube, dass ein 17-Jähriger dort spielen kann. Und wenn sie spielen, ist das immer noch nicht das Niveau wie in Deutschland oder Holland. Wenn ich mir Deutschland ansehe, sind die Talente dort Woche für Woche gefordert. Meiner Meinung nach ist das in Österreich in der Ersten Liga und auch in der Bundesliga noch nicht so.

LAOLA1: Gibt es Trainer, die Sie bewundern?

Stadler: Man kann sich bei jedem Trainer etwas abschauen. Mir imponiert Jürgen Klopp – von Mainz bis Dortmund, er hat seine Philosophie durchgezogen. Oder Pep Guardiola – er steht auf der Linie wie ein Sir und lebt trotzdem mit. Aber auch die junge Trainer-Generation in Österreich: Was Peter Stöger bei der Austria geleistet hat, ist top. Adi Hütter sorgt mit Grödig in der Bundesliga für Furore. Gerald Baumgartner macht Schritt für Schritt - von den Red-Bull-Amateuren zu Pasching und nun zu St. Pölten. Da sieht man, dass wir in Österreich auch gute Trainer haben.

LAOLA1: Reizt es Sie eigentlich, nach zehn Jahren wieder einmal tagtäglich auf dem Platz zu stehen?

Stadler: Ich würde lügen, würde ich behaupten, es reizt mich nicht. Aber ich habe beim ÖFB ein super Umfeld, hier herrschen tolle Bedingungen. Mir taugt das irrsinnig. Dinge wie die Eliterunden, die EM, die WM – ich erwerbe hier ein riesiges Know-how. Wenn aber ein Bundesliga-Klub käme, der eine Mannschaft mit vielen Jungen aufbauen will und die Rahmenbedingungen passen, würde mich das schon reizen. Ich bin aber nicht auf der Suche. Es waren auch schon Anfragen da, aber das war nichts, was mir getaugt hätte.

LAOLA1: Ein Vorteil beim ÖFB ist auch, dass die Planungs- und Jobsicherheit im Vergleich zum Klub-Fußball wesentlich größer ist.

Stadler: Das ist unumstritten. Wobei man nirgends die Garantie hat. Wenn ich hier drei, vier Mal verliere, bin ich nicht gleich angezählt. Wenn du dir beim ÖFB nichts zu Schulden kommen lässt, nicht jedes Spiel verlierst und das Feedback von den Spielern und Akademie-Trainern gut ist, ist es bei weitem nicht so ein Schleudersitz wie im Profi-Bereich.

LAOLA1: Außerdem heißt es ja immer, dass wir die besten Trainer im Nachwuchs brauchen, oder?

Stadler: (lacht) Ja. Für mich ist es wirklich keine Abwertung, wenn man sagt, ich sei ein Nachwuchstrainer. Was gibt es Schöneres, als mit den besten Talenten des Landes arbeiten zu können?

Das Gespräch führte Harald Prantl

LAOLA1: Das könnte man ändern, indem man die Amateur-Teams in der Ersten Liga wieder zulässt. Oder indem man junge Spieler an Konkurrenten verleiht.

Stadler: Das stimmt. Aber das ist nicht meine Aufgabe, dafür gibt es Gremien, die das entscheiden müssen. Ich hoffe, dass sie irgendwann eine passende Lösung finden. Aber wie gesagt: Es ist besser geworden. Das sieht man auch im A-Team. In der Mannschaft spielen fast nur noch Legionäre. Das ist der richtige Weg. Österreich muss sich als Ausbildungsland begreifen. Den Spieler ausbilden und sobald er bei Salzburg, Austria oder Rapid mit 19, 20 Jahren spielt und ein deutscher oder englischer Klub will ihn: Abgeben und das nächste Talent forcieren. So sollte es sein.

LAOLA1: Kommen wir zu Ihnen persönlich. Wie haben Sie sich als Trainer in diesen zehn Jahren beim ÖFB entwickelt?

Stadler: Am Anfang war für mich alles Neuland, ich war es gewohnt, jeden Tag am Platz zu stehen, es war eine extreme Umstellung. Ich musste meinen Stil erst finden. Bin ich der Beinharte oder lasse ich die Spieler an mich heran? Ich denke, dass ich mich von Jahr zu Jahr weiterentwickelt habe. Auch durch die Zusammenarbeit mit unserem Psychologen, der mir ständig Feedback gibt.

LAOLA1: Ich fasse mal kurz zusammen, was Ihre Spieler über Sie sagen: Sie sind eine Vertrauensperson mit der man sehr viel Spaß haben kann, die aber auch sehr direkt anspricht, wenn etwas nicht passt.

Stadler: Wenn mich dir Burschen so beschreiben, haben sie mich gut charakterisiert. Ich sage bei den Meetings immer: „Burschen, der Fokus muss natürlich auf dem Sportlichen liegen, wir wollen jedes Spiel gewinnen. Wir wollen eine gewisse Siegermentalität entwickeln. Zum Fußball gehören aber auch Spaß, Stimmung, Freude, Kameradschaft und Teamgeist dazu. Bei uns muss gelacht werden.“ Der Schmäh muss außerhalb des Platzes rennen. Das fordere ich extrem ein. Nicht nur innerhalb der Mannschaft, sondern auch innerhalb des Betreuerteams.