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Wer ist hier der Boss?

Wer ist hier der Boss?

Alejandro Sabella wirkt müde und besorgt. Die Anspannungen bei der Weltmeisterschaft in Brasilien sind dem argentinischen Nationaltrainer im wahrsten Sinne ins Gesicht geschrieben.

Lachen sah man den 59-Jährigen bei seinen öffentlichen Auftritten eigentlich noch nie. Im Gegenteil: meist wird über ihn gelacht.

Stürmer Ezequiel Lavezzi bespritzte seinen Trainer, während dieser ihm bei der Einwechslung in der Vorrunde gegen Nigeria die letzten taktischen Anweisungen mitgab, respektlos mit Wasser. Die Szene verbreitete sich in Windeseile in den sozialen Netzwerken und Sabella wurde zum Gespött der Öffentlichkeit. Ebenso bei seiner „Fast-Ohnmacht“  als er nach der vergebenen Chance von Gonzalo Higuain im Viertelfinale gegen Belgien nach hinten kippte und nur durch höchste Anstrengung einen Sturz verhindern konnte.

Witzfigur statt Autorität

Argentiniens Nationaltrainer belustigt die Welt, gilt in der Meinung der breiten Öffentlichkeit mehr als trauriger Clown denn als Trainer. Diese Ansicht rührt auch daher, dass den unscheinbaren Ex-Kicker vor allem in Europa bis zu dieser WM so gut wie keiner kannte.

Gerade einmal fünf Jahre ist es her, als der damals bereits 54-Jährige seinen ersten Job als Cheftrainer antrat. Als Übungsleiter bei Estudiantes de La Plata sicherte er sich aber gleich in seinem ersten Jahr den Titel in der Copa Libertadors. Böse Zungen behaupteten bereits damals, Sabella hätte die Aufstellungen nicht selbst gemacht, sondern dies Juan Sebastian Veron, dem absoluten Star des Teams, überlassen.

Für viele Experten in Argentinien ist dies keine große Überraschung, fristete er bis zu seinem ersten Engagement als Cheftrainer ein Schattendasein sowohl als Coach aber auch als Spieler.

Nicht weniger als 13 Jahre begleitete er Daniel Passarella als dessen Assistent als dieser Argentinien, Uruguay, Parma, Monterrey, Corinthians and River Plate betreute.

Hört Sabella eigentlich jemand zu?

Nicht die erste Wahl

Als Spieler ein ähnliches Bild. Norberto Alonso war in den 70er-Jahren der große Star bei River Plate, während Sabella auch aufgrund seiner Jugend noch nicht zu den Führungsspielern im Team gehörte. Doch als Alonso den südamerikanischen Traditionsklub in Richtung Europa (Olympique Lyon) verließ, sollte die große Stunde des Mittelfeldspielers gekommen sein.

Mit starken Auftritten führte er River Plate zum Gewinn der Torneo Metropolitano und wurde als Held gefeiert. Doch der Ruhm währte nicht lange, denn nur ein Jahr nach seinem Abgang kehrte Alonso aus Europa zurück und verdrängte seinen „Nachfolger“ wieder auf die Bank.

Sabella sollte daraufhin selbst nach Europa wechseln und wieder war er nur zweite Wahl. Ursprünglich wollte Sheffield United den damals 18-jährigen Diego Maradona verpflichten, doch dieser war ein wenig teurer als der nunmehrige Coach der „Gauchos“.

Harry Haslam, der Manager des englischen Zweitligisten, entschied sich 1978 für die günstigere Variante. Und wird sich in den Jahren danach wohl nicht nur einmal ordentlich geärgert haben.

 

Der Werdegang Maradonas ist bekannt, Pachorra (das Phlegma), wie Sabella wegen seiner Spielweise genannt wurde, wechselte später noch zu Leeds und beendete seine Spielerkarriere 1989 in seiner Heimat.

Alles für Messi

Ein Schelm wer böses denkt, doch genau dieser Werdegang dürfte den mittlerweile 59-Jährigen für den Posten des argentinischen Nationaltrainers qualifiziert haben.

Die Hauptaufgabe des Übungsleiters der „Albiceleste“ besteht nämlich darin, Superstar Lionel Messi bei Laune zu halten und ihm die Freiheiten einzuräumen, die dieser fordert und braucht.

Sabella scheint dies zu gelingen, denn erstmals in der Nationalmannschafts-Karriere des viermaligen Weltfußballers spielt „La Pulga“ seine komplette Klasse auch für sein Heimatland aus.  

Da kann es aber auch mal vorkommen, dass der „kleine Diktator“, wie Messi oftmals aufgrund seiner Einflussnahme im Nationalteam und beim FC Barcelona genannt wird, in der Halbzeit die Taktik ändert. Verschiedenen Medienberichten zufolge passte dem Superstar die Ausrichtung des Teams im Eröffnungsspiel gegen Bosnien-Herzegowina nicht, worauf er diese einfach über den Haufen warf und seinen Mitspielern seine eigene Philosophie aufs Auge drückte.

Sabella habe es angeblich hingenommen und sich wieder einmal hinten angestellt.

Insider haben bereits in der Qualifikation verraten, Sabella habe höchsten Wert darauf gelegt, eine Mannschaft zusammenzustellen, die nicht nur seinen, sondern auch den Ansprüchen seines Superstars entspräche. Carlos Tevez soll das prominenteste Opfer dieser Philosophie gewesen sein.

Messi dankte es ihm mit Leistung und war in 30 Spielen unter Sabella an 34 Toren direkt beteiligt.

Teamspirit als Schlüssel

Harmonie innerhalb des Teams sind dem Teamchef wichtiger als sein eigenes Standing innerhalb der Mannschaft oder der Öffentlichkeit.

„Wenn die Psyche ein Muskel wäre, dann wäre sie der wichtigste. Oder wie ein Philosoph einmal sagte: Ein Gramm Neuronen wiegt mehr als ein Kilo Muskeln“, sagte Sabella während der WM bei einer Pressekonferenz und tadelte einen Journalisten, der partout nicht aufhören wollte, ihn mit Fragen über Taktik und Ballbesitz zu löchern.

„Wissen Sie, es geht nicht immer nur um Mathematik. Der Charakter eines Teams ist äußerst wichtig. Ein starker Geist und eine emotionale Balance sind lebenswichtige Faktoren.“

Der bisherige Turnierverlauf gibt ihm Recht. Zum ersten Mal seit 24 Jahren steht Argentinien wieder in einem WM-Halbfinale. Ob dies wegen Sabella oder trotz Sabella der Fall ist, darüber sind sich die Kritiker noch nicht einig geworden. Dem Coach kann es egal sein. Am Ende zählt nur der Erfolg.

Auf ein zufriedenes Lächeln wird man beim argentinischen Trainer aber dennoch vergeblich warten. Es scheint, als wäre das sonnige Gemüt Sabellas nach den vielen Jahren im Schatten der anderen abhanden gekommen.

Sebastian Rauch