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Jogi Löw und sein Leben in der Kritik

Jogi Löw und sein Leben in der Kritik

Ein Prophet gilt nichts im eigenen Land. Joachim Löw muss das nur allzu bekannt vorkommen.

Der 54-jährige Bundestrainer steht eigentlich ständig in der Kritik. Der gemeine Deutsche meckert gerne, besonders wenn es um Fußball geht, bestätigte auch Nationalspieler Thomas Müller.

Löw bekommt das seit seiner Amtsübernahme nach der WM 2006 im eigenen Land in regelmäßigen Abständen zu spüren.

Der sture Bundestrainer

Obwohl es dem im Schwarzwald geborenen Deutschen gelang, die Mannschaft nach dem dritten Platz 2006 weiter zu verjüngen und in die absolute Weltspitze zu führen, blies ihm außerhalb der DFB-Führungsriege von Beginn an ein rauer Wind entgegen. Medien, Fans, ehemalige Spieler und sogenannte Experten haben es sich zur Aufgabe gemacht, jede Entscheidung des Bundestrainers auf die Goldwaage zu legen und im Zweifel als negativ zu befinden.

Doch woher kommt diese Skepsis gegenüber dem Bundestrainer? Die Erklärung dafür ist schnell gefunden. Löw ist stur. Die öffentliche Meinung zu seiner Person tangiert ihn nur peripher. Löw will keinen Image-Preis gewinnen, sondern Titel. Doch genau da liegt der Hund begraben. Der Bundestrainer hat keinen Erfolg. Zumindest keinen zählbaren.

Großer Coup noch nicht geglückt

Er führte sein Team bei der EM 2008 bis ins Finale, wo man aber Spanien 0:1 unterlag. 2010 in Südafrika überzeugte seine Mannschaft mit begeisterndem Fußball gegen England (Achtelfinale/4:1) und Argentinien (Viertelfinale/4:0), am Ende scheiterte man aber im Halbfinale wieder an Spanien (0:1).

Bei der Europameisterschaft 2012 ging man als großer Favorit ins Turnier, Italien bzw. Mario Balotelli erwiesen sich aber als Sargnagel für die deutschen Titelträume (1:2). Deutschland überzeugte bei allen Turnieren mit tollem Fußball, für den ganz großen Coup reichte es aber nie.

Dieser Umstand macht Löw angreifbar. Er schreckt vor unpopulären Entscheidungen nicht zurück, kann sie im Endeffekt aufgrund des fehlenden Erfolgs aber nicht vollends rechtfertigen.

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Wie sieht die Zukunft aus?

Untypisch für den Schöngeist, doch Löw weiß, dass er liefern muss. Beim vierten Turnier unter der Führung des Baden-Württembergers muss der Titel her. Die Chancen gegen eine bisher durchwachsen aufgetretene argentinische Mannschaft stehen sicherlich gut.

Doch was kommt danach? Wird Löw seinen eigentlich bis zur WM 2016 laufenden Vertrag vorzeitig auflösen und sich mit dem größten Erfolg seiner Laufbahn von der Nationalmannschaftsbühne verabschieden? Oder würde das Erreichen des großen Ziels nur seinen Durst nach mehr fördern?

Zum Thema Zukunft schweigt Löw bisher, sagt selbst, er wolle keine unnötige Diskussion entfachen. Die Anzeichen sprechen aber für einen Verbleib als Bundestrainer, egal wie das Finale am Sonntag enden wird.

Bei einer vor der WM durchgeführte Studie der Internet-Plattform „Fanorakel“ sprachen sich 72 Prozent der User für eine Ablösung Löws aus, sollte die DFB-Elf nicht Weltmeister werden. Während des Turniers hat sich das Verhältnis trotz des historischen 7:1-Sieges über Brasilien und den Einzug ins Finale nur marginal verändert.

Obwohl Löw eine Mannschaft geformt hat, die sich seit 2008 immer unter den besten Vier platzierte, würden es viele Fans begrüßen, den Baumeister der deutschen Spielkultur in Zukunft nicht mehr auf der Bank zu sehen.

Für Löw nichts Neues. Ein Prophet gilt bekanntlich nichts im eigenen Land.

Sebastian Rauch

Viele unpopuläre Entscheidungen

Egal ob die Posse um den ehemaligen Kapitän Michael Ballack, die Ausbootung von Stefan Kießling oder die Nichtberücksichtigung sogenannter Problemfälle gepaart mit dem Wunsch nach einer flachen Hierarchie – Löw machte es eigentlich meist entgegengesetzt jener Meinung, die als die allgemeine galt. Teilweise hatte es den Anschein, er machte es aus Trotz.

Die letzten Episoden der Geschichte „Löw gegen den Rest Deutschlands“ waren der Verzicht weiterer Alternativen zum einzigen gelernten Stürmer Miro Klose im aktuellen WM-Kader und die Startaufstellung mit vier gelernten Innenverteidigern in der Abwehr. Auch für die Nachnominierung des Innenverteidigers Shkodran Mustafi für den verletzten Offensiv-Akteur Marco Reus erntete er in sämtlichen Experten-Runden nur unverständliches Kopfschütteln.

Doch Löw hatte die Kritiker schnell überzeugt, fegte die DFB-Truppe doch im ersten Spiel über Portugal (4:0) hinweg. Der Boulevard, der den Bundestrainer zuerst verspottet hatte, lag ihm plötzlich zu Füßen. Es folgte ein durchwachsener Auftritt gegen Ghana (2:2) und ein unspektakulärer Sieg gegen die USA (1:0) und die Stimmung im Land war bereits wieder am Kippen.

Als die Partie gegen Algerien zum absoluten Kraftakt mutierte und man mit Müh' und Not gerade noch einen 2:1-Sieg nach Verlängerung einfahren konnte, stand der DFB-Coach bereits wieder am Pranger und wurde für seine Aufstellung und taktische Ausrichtung ordentlich unter Beschuss genommen.

Neues taktisches Verhalten

Doch dann änderte Löw plötzlich seine Taktik. Nicht nur jene auf dem Spielfeld, sondern auch seine persönliche.

Löw legte seine Sturheit ab und richtete seine Mannschaft neu aus. Nach der öffentlichen Meinung. Philipp Lahm, zunächst im defensiven Mittelfeld aufgeboten, rückte wieder in die Verteidigung und der als zu langsam befundene Per Mertesacker fand sich auf der Bank wieder. Miro Klose bekam seine Chance von Beginn an im Sturm und auch Mario Götze verlor seinen Stammplatz. Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira bildeten die Doppel-Sechs und die Aufstellung kam jener sehr nahe, die zahlreiche Experten und Journalisten von Beginn an gefordert hatten.

Aber es wäre nicht Deutschland, hätte man nicht auch in der Kursänderung Löws etwas Schlechtes gesehen. Er habe dem Druck nachgegeben, war zu lesen. Er hätte somit Fehler in den vorangegangenen Spielen zugegeben.

Doch der 54-Jährige zeigte damit viel eher, dass er aus der Vergangenheit gelernt hat. Er hat sich als Trainer weiterentwickelt und ist sich nicht mehr zu stolz, auch populäre Entscheidungen zu treffen. So komisch das klingen mag.

"Es geht nicht darum, fantastischen Fußball zu spielen. Es geht ums Gewinnen“, sagte er während der WM.