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"Auch die Liga profitiert davon"

„Der Weg ist deshalb noch lange nicht zu Ende. Er hat gerade erst begonnen.“

Dietrich Mateschitz zeigt sich stolz auf die Red Bull Salzburg Fußball- und Eishockey-Akademie, die nach nur 21 Monaten Bauzeit am Samstag feierlich eröffnet und jeweils 200 Talente ausbilden wird.

„Es ist eines jener Projekte, das mich besonders bewegt. Vom ersten Gedanken an war es unser Ziel, hier etwas Außergewöhnliches entstehen zu lassen. Für ebenso außergewöhnliche Eishockey- und Fußball-Talente. Und für die Zukunft“, sagt der Red-Bull-Boss über das Prunkstück in Liefering.

Auf dem Areal der ehemaligen Trabrennbahn befindet sich nun auf einem 100.000 Quadratmeter großen Gelände ein Hauptgebäude, das 180 Fußball- und Eishockeyspieler beheimatet. Jeweils acht Jugendmannschaften und drei Akademieteams werden von 30 Trainern und zwölf Erziehern betreut.

Es gibt etwa eine 15.000 Quadratmeter große Sporthalle samt Indoor-Kunstrasenplatz, die Fußballer toben sich zudem auf sieben Fußballplätzen - teilweise mit Rasenheizungen - aus. Die Kosten bleiben geheim, klar ist jedoch, es ist die nun größte Nachwuchs-Akademie in Europa.

Im LAOLA1-Interview spricht Ernst Tanner (47), früher Nachwuchsleiter von 1860 sowie Hoffenheim und seit Beginn der Ralf-Rangnick-Ära (2012) in selber Position in Salzburg tätig, über die neue Akademie.

LAOLA1: Die Nachwuchs-Akademie ist die größte Europas, warum ist sie die beste?

Ernst Tanner: Wenn man etwas neu baut und den entsprechenden Anspruch hat, dann kann man schon sagen, dass das zunächst zweifellos State of the Art ist. Ich bin weit umher gekommen, weiß, wo was steht und habe Vergleichbares noch nie gesehen. Viel wichtiger sind aber die Philosophie und der Ausbildungsansatz, die dahinter stehen. Wir sehen das ganzheitlich und haben etwa auch ganz tolle Möglichkeiten mit der Medizin, die einen wesentlichen Stellenwert einnimmt. Das liefert tolle Erkenntnisse für die Trainingsbegleitung. Solche Möglichkeiten gibt es sonst einfach nirgends.

LAOLA1: Was hat Liefering in Salzburg was beispielsweise La Masia in Barcelona nicht hat?

Tanner: Ich habe auch schon in Barcelona hospitiert und dort konzentriert man sich schon sehr auf Fußball allein. Da spielen viele Bereiche, die wir in unseren Breitengraden als wichtig betrachten, nicht unbedingt eine große Rolle. Was sie aber schon machen und wir auch für uns in Anspruch nehmen, sind die vielen psychologischen Aspekte des Lernens zu betrachten. Da ähneln wir uns, aber etwa medizinisch bietet alleine unser Ableger des Trainings- und Diagnostikzentrums aus Thalgau viel mehr.

LAOLA1: Angenommen, ich wäre ein junger Fußballer: Wie sieht mein Weg in der Akademie aus?

Tanner: Es kommt darauf an, wann Sie einsteigen und woher Sie kommen. Wenn Sie aus der näheren Umgebung sind, dann würden Sie in der U7 hier zum Fußballspielen beginnen. Das sehen wir aber noch als Breitensport, da geht es noch nicht um Leistungssport. Ab der U11 holen wir die Kinder schon nach der Schule hierher, geben ihnen die Möglichkeit, ein Mittagessen zu bekommen und die Schulaufgaben zu erledigen. Sie kriegen dazu qualifizierte Betreuung, um sich sportlich zu betätigen, etwa im Motorikpark. Nachdem sie gelernt haben, können sie dann in ihr Training gehen. Und in der Zwischenzeit können sie spielen, sich bewegen. Das ist uns einfach auch wichtig, dass wir die Kinder wieder zu mehr Bewegung anleiten. Wenn diese noch qualitativ hochwertig ist, ist es umso besser.

Ernst Tanner ist seit 2012 Nachwuchs-Chef bei Red Bull Salzburg

LAOLA1: Ist das Stärken der Ligen ein Effekt, den man erreichen will oder der sich einfach ergibt?

Tanner: Langfristig gesehen kann es nur so gehen, dass die Ligen mit top-ausgebildeten Athleten besser werden. Damit machen wir den Fußball attraktiver und wir wissen alle, dass das notwendig ist.

LAOLA1: Kann sich die Akademie im Kampf um Spieler gegen große europäische Klubs durchsetzen?

Tanner: Wir haben schon den einen oder anderen Top-Spieler bekommen, an dem auch andere Klubs interessiert waren. Der ließ sich dadurch überzeugen, weil er ein solides Konzept gesehen hat. Das inkludiert die Spielweise und die Möglichkeiten der Ausbildung. Manch ein Lieferinger Spieler aus dem Ausland hat sich auch gegen Ajax und für Salzburg entschieden. Wir haben einen jungen polnischen Torhüter geholt, den Arsenal auch wollte. Es wird mittlerweile schon wertgeschätzt, was Red Bull mit jungen Spielern in der Ausbildung macht und dass Spieler da hinwollen.

LAOLA1: Die Red-Bull-Fußball-Abteilung wird aber gerne auch als steril bezeichnet.

Tanner: Das Wichtige ist nicht die Infrastruktur, das ist eine Grundvoraussetzung. Viel wichtiger sind die Menschen, die vor allem mit den Kindern arbeiten. Da haben wir wirklich ein herausragendes Team, das hochqualifiziert ist. Wir haben einen guten Mix aus früheren Spielern und aus Sportwissenschaftlern. Dadurch schaffen wir eine gute Atmosphäre und das schlägt sich auch in der Entwicklung der Jugendlichen, im Wohlfühlfaktor nieder, das ist auch das A und O. Wir wollen den Mannschaftsspieler ausbilden und exponieren nicht den Einzelnen, dem wir 15 andere unterordnen. Nach meiner Erfahrung wird aus dem dann in den meisten Fällen ohnehin nichts.

LAOLA1: Wie sehen Sie dann das Talenteförderungs-Projekt des ÖFB?

Tanner: Das ist sicherlich ein Streitpunkt. Wir forcieren den Mannschaftsspieler und legen damit nicht so viel Wert auf eine isolierte, individuelle Ausbildung. Ausgenommen der athletische Teil, wo jeder sich in unterschiedlichen Bereichen verbessern muss. Aber ich finde das, was die Projekt12-Spieler bekommen, soll jeder unserer Jungs bekommen. Dann werden wir auch unserem Anspruch gerecht, auf jeden zu schauen und gemäß der Möglichkeiten zu entwickeln. Ich halte auch nicht viel davon, im Leistungsbereich irgendwen irgendwo im Technikbereich zu verbessern. Weil das erfahrungsgemäß nichts bringt, weil es nicht spielgemäß trainiert wird. Es ist effektiver, wenn man in der Spielsituation gewisse Dinge individualisiert betrachtet und den Spieler darauf sensibilisiert.

LAOLA1: Würden Sie sich wünschen, dass es viele Nachahmer-Effekte gäbe?

Tanner: Absolut, weil das die Qualität in der Breite heben würde und davon profitieren auch wiederum alle. Der Fußball in unserem Ausbildungssektor ist nicht der schlechteste, auch weil es positive Nebeneffekte gibt. Etwa die physische Komponente. Als wir hier angefangen haben, die Spielphilosophie zu installieren, sind die Spieler zum Trainer gegangen und meinten, sie können es nicht spielen, weil sie nach zehn Minuten völlig kaputt wären. Wir haben am Anfang auch alles verloren. Klar, weil wir etwas vollkommen anderes gemacht haben. Gleichzeitig hat es gezeigt, wie schlecht sie über das individuell geprägte Positionsspiel körperlich ausgebildet waren. Jetzt haben wir eine ganz andere Situation. 15-jährige Spieler sind in der Lage ein enormes Laufpensum abzuspulen. Es steckt zudem eine große Sprintintensität dahinter. Wenn wir das mit den Profis abgleichen, dann sind wir gar nicht mehr so weit weg davon. Das gibt uns schon Hinweise, dass wir da nicht falsch liegen.

LAOLA1: Ab wann wohnen die Kinder in der Akademie?

Tanner: Es gibt ein paar aus der U14, die schon in der Akademie wohnen, in der Regel steigt man in der U15 ein. Ab da sind es auch die Akademie-Mannschaften. Da wird dann Hochleistungssport betrieben. In der Regel wird sechs bis sieben Mal die Woche trainiert und am Wochenende gibt es Spiele in den Ligen oder internationale Turniere, an denen wir teilnehmen. Die schulischen Richtlinien gelten freilich auch für die Spieler, hierfür haben wir schulische Kooperationen.

LAOLA1: Wie sieht die Ausbildung für den Red-Bull-Fußballer aus?

Tanner: Wir sprechen von einer dualen Ausbildung. Die schulische Ausbildung ist uns zumindest gleich wichtig wie die fußballerische. Wir können freilich nicht jedem versprechen, dass er nach Ende der Akademiezeit eine hochprofessionelle Karriere einschlagen kann. Obwohl die meisten nach der U18 schon zumindest auf der höchsten Amateurebene spielen. Uns ist wichtig, dass wir auch über die Schule die Persönlichkeit der Spieler ausbilden und natürlich kommen wir auch dem Auftrag der Eltern, dass wir uns auch um die schulische bzw. berufliche Ausbildung kümmern, nach. So dass wir hier sicher keinen Sozialfall produzieren. Fußballerisch haben wir eine klare Philosophie, wir wollen relativ stringent danach ausbilden. An der ersten Mannschaft sieht man, wohin die Jungs kommen müssen.

LAOLA1: Wie jung werden Kinder nach Salzburg geholt und wo wird gescoutet?

Tanner: Das, was wir früher gemacht haben, Kinder mit zehn, elf Jahren zu holen, das machen wir explizit nicht mehr. Ich halte davon nichts und die Prognose-Sicherheit ist nicht gegeben. Bis 14 Jahren sprechen wir wirklich nur von potentiellen Talenten, da tut sich noch sehr viel im weiteren Verlauf. Wir versuchen im jüngeren Segment, uns an den Kindern im Raum Salzburg zu orientieren. In die Akademie kommen Spieler aus ganz Österreich und ab der U18 schauen wir uns im EU-Bereich, so wie es den Richtlinien konform ist, um. Da gibt es auch keine Familienumzüge mehr. Das ist nicht sinnvoll und rentiert sich auch nicht. Gemeinsam mit Leipzig haben wir ein sehr gutes Scoutingsystem, da orientieren wir uns auch an der örtlichen Lage. Salzburg kümmert sich mehr um den Süden Europas, Leipzig um den Norden. Darüber hinaus haben wir unsere internationalen Akademien, deren Spieler dann auch bei Liefering spielen. Die Hälfte aus der Mannschaft kommt aus dem eigenen Jugendbereich. Das ist ein ganz guter Mix und leistungsfördernd. Da zeichnet sich schon ab, dass nicht nur der eine oder andere, sondern wahrscheinlich relativ viele für die erste Mannschaft überbleiben.

LAOLA1: Ist es auch Ziel, von Red Bull ausgebildete Spieler in ganz Europa spielen zu sehen?

Tanner: In erster Linie wollen wir sie natürlich für unsere Mannschaften ausbilden. Aber man darf auch die Marktprinzipien nicht verkennen. Wenn wir für einen extrem guten Spieler nicht mehr die Plattform bieten können, wo er sich adäquat beweisen kann, dann ist es umso schöner, wenn wir irgendwann den Top-Spieler aus Salzburg hätten, der hier ausgebildet wurde und sozusagen als Testimonial in der Champions League spielt. Das wäre durchaus auch ein Beweis guter Arbeit. Wenn wir die Gegenwart hernehmen, dann sind fünf Spieler aus der letztjährigen Lieferinger Mannschaft nun in der Bundesliga. Und unser aktueller Top-Torjäger Nikola Dovedan ist zum LASK, einem der Aufstiegsaspiranten, gewechselt. Auch die Liga profitiert davon.

LAOLA1: Zuletzt hat die U15 Platz fünf belegt, die U16 drei und U18 eins. Ist der Weg das Ziel?

Tanner: Erfolge sind natürlich wichtig, aber es ist nicht wichtig, dass wir jetzt in jeder Altersstufe Meister werden. Wir haben damit zu kämpfen, dass wir in manchen Altersgruppen nicht die Qualität haben, die wir uns vorstellen. Ein Beispiel: Der 98er-Jahrgang, vor zwei Jahren die U15. So einen schlechten Jahrgang habe ich im Nachwuchs-Leistungsbereich noch nie gehabt. Wir haben extrem umschichten müssen, aber eine super Entwicklung hingelegt. Da waren wir meilenweit hinter Rapid und zum Schluss der letzten Saison haben wir sie klar geschlagen und sie hinsichtlich der sportlichen Entwicklung fast schon überflügelt. Beim 99er-Jahrgang haben wir auch Korrekturen vorgenommen und da werden wir auch konkurrenzfähig sein. Der 2000er Jahrgang ist der erste, der über unser neues Scouting sauber aufgebaut worden ist. Für diesen Jahrgang haben wir Talente aus ganz Österreich geholt. Wir werden nicht in jedem Jahrgang die Meisterschaft holen, das ist nicht realistisch, weil die Wiener Klubs auch da sind. Die haben einen anderen Sichtungsbereich, andere Möglichkeiten. Auch die Steirer haben einen super Nährboden. Unser Anspruch muss sein, dass wir unter den ersten drei sind. Auch wenn der Jahrgang einmal schlechter ist und Verletzungen dazukommen, wie beim 99er-Jahrgang das schon der Fall war, dann muss es trotzdem mindestens Rang drei sein.

LAOLA1: Ist der Westen hinsichtlich Talenten nicht sonderlich gesegnet?

Tanner: Wir haben einfach weniger Fußballer hier. Dennoch müssen wir versuchen, aus ihnen gute Fußballer zu machen. Ich kann es mir nicht leisten, Teams von der U11 bis zur U18 drei Mal auszutauschen. Salzburg hat mit dem Umland 300.000 Menschen, da haben Wien und auch Graz eindeutig mehr Leute herum. Das sind andere Voraussetzungen.

LAOLA1: Hat Salzburg irgendwann nur Akademie-Spieler in den Reihen?

Tanner: Nein, das geht nie. Für den Profi-Bereich ist das vollkommen unrealistisch. Wenn es uns aber gelingt, irgendwann die Hälfte der Mannschaft aus Akademie-Spielern zusammenzusetzen, dann haben wir einen super Job gemacht. Das ist eine Vision. Es ist ja auch im Nachwuchs so, dass man die Qualität dadurch sichert, dass man Spieler durch gutes Scouting in den Kader bringt und das Level alleine schon im Training höchstmöglich gehalten wird. Darüber verbessern sich alle anderen auch. Wir setzen keinem anderen gezielt einen Spieler vor die Nase, man verstärkt sich gezielt, um auch die Konkurrenzsituationen zu schaffen. Das schadet nicht, im Gegenteil das fördert das System.

LAOLA1: Wie ist es von den Talenten her um den österreichischen Fußball bestellt?

Tanner: Ich hoffe schon, dass wir mit dem, was wir in Salzburg machen, eine Initialzündung hervorgerufen haben. Wenn das der Fall ist, dann glaube ich schon, dass wir mit unserem Beitrag mittelfristig besser werden können. Trotzdem wird man nicht herumkommen, gewisse Reformen einzuleiten. Man sieht ja im Europacup, dass nur noch eine Mannschaft aus Österreich dabei ist. Damit sind wir ja auch nicht glücklich. Ich denke, man muss flächendeckend im Jugendbereich sauber arbeiten. Ich kenne das aus Deutschland. 2001 wurden die Strukturen neu geschaffen, das muss man hier gar nicht, dann hat man an den Inhalten gearbeitet und wenn man flächendeckend arbeitet, dann kommt irgendwann etwas heraus. Auch in Österreich ist das möglich.

LAOLA1: Salzburg verpasste die CL, der Nachwuchs die Youth League. Tat das auch weh?

Tanner: Das hat uns richtig weh getan, zumal wir in den 96er- und 97er-Jahrgängen richtig gut aufgestellt wären. Wir haben mit diesen Jungs zu Ostern in Düsseldorf ein internationales Top-Turnier gewonnen, wo wir sogar ein Jahr jünger waren. Wir hätten eine Bombentruppe gehabt. Da spielen viele in Liefering, was auch eine tolle Geschichte ist. Aber wir hätten den österreichischen Fußball hier richtig gut vertreten können.

 

Das Interview führte Bernhard Kastler