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Nicht aufbaufähig

Nicht aufbaufähig

„Viere!“

Die Rufe in der Generali-Arena sind kurz, knackig und unüberhörbar. Es sind die nach Spektakel, nach Offensive, nach spielerischen Highlights.

„Viere!“

Nach vorne solle er, der Ball. Das Spiel der Austria solle doch bitte dort stattfinden, wo es für den Gegner brenzlig wird, wo das Herz des Zuschauers schneller schlägt.

Doch so einfach ist das nicht. Zumindest für die Veilchen nicht. Zumindest im Moment nicht. Denn der Spielaufbau der Violetten funktioniert nicht so richtig. Der FAK hat zwar jede Menge Ballbesitz, aber zumeist dort, wo es dem Gegner nicht wehtut.

Standardtore verdecken das Problem

„Wir müssen zeigen, dass wir die Wiener Austria sind, unserem Gegner das Spiel aufzwingen und zu Torchancen kommen. Das schaffen wir leider im Moment zu wenig“, sagt Richard Windbichler nach dem 1:0 gegen den WAC.

Wieder einmal war es eine Standardsituation, die es gerichtet hat. Freistoß von Raphael Holzhauser, zu kurze Kopfballabwehr der Wolfsberger, Vance Shikov per Kopf auf Alexander Grünwald und drin war der Ball.

Wenn du glaubst, es geht nichts mehr, kommt irgendwo ein Standard her. 13 der 19 Meisterschaftstore der Austria sind nach oder aus ruhenden Bällen erzielt worden. Das sind 68 Prozent. Die Austria hat unter Trainer Thorsten Fink eine echte Waffe. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch: Spielerisch geht wenig.

„Wir können uns nicht immer auf die Standards verlassen. Wir müssen daran arbeiten, dass wir präsenter und aktiver am Platz sind“, weiß Tormann Robert Almer. Der Keeper ist im Ballbesitz praktisch der erste Offensivmann. Was in der Regel danach folgt, ist nichts Neues für Mannschaften unter Fink.

Eine typische Holzhauser-Heatmap in dieser Saison (aus dem Spiel gegen Sturm) - der Niederösterreicher lässt sich zurückfallen und eröffnet das Spiel.

Einer der beiden Sechser, fast immer handelt es sich dabei um Raphael Holzhauser, lässt sich zwischen die beiden Innenverteidiger fallen und ist dort für die Spieleröffnung verantwortlich. Abkippende Sechs wird das im neudeutschen Fußballsprech genannt.

Die Konsequenz: Die Innenverteidiger rücken weit nach außen, die Flügel werden somit überladen, weil dort mit den hoch stehenden Außenverteidigern (Christoph Martschinko bzw. Fabian Koch) und den Offensivspielern (Lary Kayode bzw. Alexander Gorgon) noch weitere Akteure zu finden sind.

Martschinko profitiert

So will das Fink, so will das die Austria. Die Spielidee des Deutschen beruht darauf, über Flanken gefährlich zu werden. Weniger Tore bekommen, mehr Flanken schlagen, schnelleres Spiel aus der Abwehr heraus – das waren Finks Forderungen von seinem Team nach dem ersten Saisonviertel.

Christoph Martschinko ist einer der Profiteure dieser Spielweise. Der Neuzugang hat seine Qualitäten vor allem in der Offensive und kann diese durch die Anordnung in Ballbesitz gut ausspielen.

Herumgeschiebe aus Ratlosigkeit

Doch während das Spiel der Austria zum Saisonstart noch einen guten Eindruck hinterlassen hat, tun sich die Violetten mittlerweile Runde für Runde schwerer. Die Gegner haben sich gut auf den Spielaufbau der Wiener eingestellt. Die Passwege auf den Seiten werden zugestellt, in der Zentrale fehlt durch den zurückgezogenen Sechser eine Anspielstation, was in weiterer Folge oft zu Ratlosigkeit führt.

Also wird der Ball in der Dreierreihe vor Keeper Almer hin und hergeschoben. Dieses Problem ist deutlich an den folgenden Grafiken abzulesen, die zeigen, wohin die Innenverteidiger ihre Pässe spielen. Lukas Rotpuller, der rechte Innenverteidiger, spielt 34,8 Prozent seiner Pässe nach links, Shikov, der linke Innenverteidiger, schiebt das Leder in 41,9 Prozent der Fälle nach rechts.

Mit Shikov (56,0 Prozent), Rotpuller (54,0 Prozent) und Windbichler (53,3 Prozent) spielen alle drei hauptsächlich eingesetzten Innenverteidiger mehr als die Hälfte der Bälle auf die Seite. „Spieleröffner“ Holzhauser passt 64,5 Prozent seiner Zuspiele nicht nach vorne, bei Ognjen Vukojevic sind es sogar 74,7 Prozent.

Die Grafik zeigt, in welche Richtung der jeweilige Spieler den Ball passt:

Sowohl Rotpuller als auch Shikov spielen viele Pässe in die Breite

Auch Windbichler legt viel quer, Holzhauser spielt sogar 16,8 Prozent der Bälle nach hinten

Nur ein Viertel der Pässe von Vukojevic geht nach vorne, Grünwald zeigt sich risikofreudiger

Das Ergebnis ist logisch: Die Austria hält den Ball, aber in der eigenen Spielfeldhälfte. Insgesamt sind in den ersten zehn Runden 49,9 Prozent der Pässe aller Austrianer in der eigenen Hälfte gespielt worden. Dort ist die Erfolgsquote mit 88,7 Prozent angekommenen Pässen auch sehr hoch, in der gegnerischen Hälfte sieht es mit einer Passquote von 62,0 Prozent nicht mehr sonderlich gut aus.

Der Grund dafür ist leicht gefunden: Mittlerweile lassen die Gegner die Veilchen in deren Hälfte den Ball gerne hin und her schieben, die weiteren Passwege werden dann aber zugestellt. Dadurch wird auch Kayode seine große Stärke genommen. Durch die tiefstehenden Gegner kann der Nigerianer seine Schnelligkeit nicht mehr ausspielen.

Fink sind diese Probleme natürlich bewusst. Beim 0:2 auswärts gegen den SK Sturm kam deshalb Vukojevic erstmals in dieser Saison nicht von Beginn an zum Einsatz, an seiner Stelle durfte sich der weitaus risikofreudigere Roi Kehat im Zentrum versuchen. Der Erfolg war überschaubar.

Ein radikales Experiment

Im Heimspiel gegen den WAC griff Fink schließlich zu radikaleren Mitteln. Mit Windbichler wurde ein Innenverteidiger als Rechtsverteidiger aufgestellt, Vukojevic saß erneut auf der Bank, im Mittelfeld durfte Tarkan Serbest erstmals in dieser Saison ran.

„Ich glaube, ich habe bei der U20 schon einmal auf dieser Position gespielt“, ist sich Windbichler ob seiner Vorkenntnisse nicht einmal ganz sicher. Über seine Leistung sagt er: „Ein guter Spieler muss sich der Situation anpassen. Dass ich nicht wie ein Rechtsverteidiger in der Champions League gespielt habe, ist logisch, aber es gilt in erster Linie die Grundtugenden zu zeigen – defensiv kompakt stehen, die Zweikämpfe gewinnen.“

Fink erklärt den Hintergrund seiner Entscheidung: „Wir haben in den ersten 20 Minuten versucht, ein 4-1-4-1 zu spielen. Wir wollten mit den drei Innenverteidigern aufbauen.“ Soll heißen: Kein abkippender Sechser mehr, sondern Shikov als Spieleröffner in der Zentrale, links davon Rotpuller, rechts Windbichler. Dadurch sollte im Zentrum mit Holzhauser eine weitere Anspielstation geschaffen werden.

Die Außenverteidiger gegen den WAC - während Martschinko links einige Offensivaktionen hatte, hat sich Windbichler fast nie mit nach vorne gewagt

Eine weitere Konsequenz: Das Spiel der Austria wurde asymmetrisch. „Windbichler hat mehr defensiv gearbeitet und ich konnte dadurch mehr in die Offensive gehen. Die Idee war, dass wir rechts mehr die Positionen halten und dafür links mehr rotieren“, so Martschinko. Tatsächlich wurden sämtliche Offensivaktionen, die zu einem Torabschluss geführt haben, über die linke Seite aufgebaut. Die Anzahl hielt sich aber in überschaubaren Grenzen, der Plan ging nicht auf.

Fink resümiert: „Wir haben den Ball nicht über die erste Linie bekommen. Es hat zu lange gedauert. Wir haben falsche Entscheidungen getroffen und die falschen Pässe gespielt.  Nach der Anfangsphase haben wir auf ein 4-3-2-1 umgestellt, dann ist es etwas besser gelaufen. Grünwald hat sich dabei mehr die Bälle von hinten geholt. Summa summarum war es aber nicht gut. Es liegt viel Arbeit vor uns. Wir müssen die Spitzen besser einsetzen.“

Ab der 63. Minute wurde dann ganz radikal umgestellt. Angesichts des drohenden Punkteverlusts, nahm Fink Windbichler aus dem Spiel und brachte Marco Meilinger, wodurch Alexander Gorgon die Position des Rechtsverteidigers übernahm. „Es ist für mich eine gute Variante, einen Offensivmann rechts hinten spielen zu lassen“, sagt Fink dazu.

Ein ganz neues System kündigt sich an

Die neue Variante hat also auch nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Sie könnte aber ein Vorbote dessen sein, was im Frühjahr passieren wird. Es gibt nämlich gewisse Vorzeichen, die dafür sprechen, dass die Austria im neuen Jahr ein neues Spielsystem in ihr Repertoire aufnehmen wird.

Bei den Amateuren wurde in den vergangenen Wochen bereits ein 3-4-3 gespielt. Die Vorteile liegen auf der Hand: Im Spielaufbau bilden drei Innenverteidiger eine Dreierkette, der Sechser Holzhauser bleibt als zusätzliche Anspielstation im Zentrum, die Außenverteidiger stehen weiterhin hoch. Die Nachteile: Bei schneller Balleroberung des Gegners ist die Austria sehr verwundbar.

So könnte das 3-4-3 der Austria aussehen

Eine Schlüsselfigur in der Dreierkette wäre Shikov. Der Mazedonier, der nach der enttäuschenden Vorsaison schon als Fehlkauf abgestempelt wurde, ist am Verteilerkreis mittlerweile wieder salonfähig geworden.

Der 30-Jährige antizipiert gut, gewinnt wichtige Zweikämpfe und ist in der Spieleröffnung der beste Innenverteidiger der Austria. Seine große Schwäche, die immense Langsamkeit, wäre mit Rotpuller und Windbichler als Nebenleuten kein übermäßig großes Risiko mehr. Dafür könnte Shikov seine Stärken im Passspiel ausspielen. 52,8 Prozent seiner langen Pässe bringt er an den Mann – eine richtig starke Quote.

Shikov als Spieleröffner gegen den WAC - einige gute lange Bälle

Bislang konnte Fink das neue System noch nicht einstudieren, weil Shikov in den Länderspielpausen nicht zur Verfügung steht, da er beim mazedonischen Nationalteam weilt. Spätestens in der Vorbereitung auf das Frühjahr ist dann aber genug Zeit.

Bis dahin muss Fink weniger radikale, dafür aber trotzdem brauchbare Lösungen für das Spielaufbau-Problem der Austria finden. Denn das nächste „Viere!“ liegt den Fans schon auf den Lippen.

Harald Prantl/Martin Wechtl