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Koller-Wutrede: Warum?

Dieser öffentliche Auftritt des ÖFB-Teamchefs bedeutet eine Zäsur.

Koller-Wutrede: Warum?

Die meisten Beobachter sind sich einig: So hat man Marcel Koller noch nie erlebt.

Gut, von so manchem legendären Pressekonferenz-Auftritt seiner Vorgänger war auch diese Wortspende des normalerweise in sich ruhenden Schweizers weit entfernt.

Kein Schreikrampf, wie ihn Hans Krankl bisweilen plagte.

Kein Sarkasmus, wie ihn Josef Hickersberger gerne pflegte.

Keine konfusen Gedankensprünge – und -spiele, wie sie Didi Constantini manchmal zum Besten gab.

Dennoch: Koller saß in seiner bald sechsjährigen Amtszeit als ÖFB-Chefcoach bislang einige hundert Male bei Medienterminen auf dem Podium, diese Brandrede bedeutet eine Art Zäsur.


Derart hat der Schweizer seine Schützlinge noch nie in die Pflicht genommen. Schon gar nicht ungefragt und proaktiv.

Relativ unnötig – und ebenso ungefragt und proaktiv - das Fass rund um Andreas Ulmer aufzumachen und hier den "Wedding-Crasher" zu spielen, rundet das Bild eines ungewohnt angriffigen Teamchefs nur noch ab. Diese Causa hätte man auch stillschweigend unter den Tisch fallen lassen können, denn dass der 56-Jährige gerne und ungezwungen auf den Salzburg-Routinier setzen würde, hat ohnehin niemand geglaubt.

Warum das Ganze?

Fakt ist nur, dass Koller mit dem sehr konkreten Plan zu dieser Kaderbekanntgabe gefahren ist, mal richtig auf den Tisch zu hauen. Wie gesagt: Ungefragt und proaktiv. So spontan ist er nicht, dass er aus einer Laune heraus auszuckt.

Nun konnte man schon im bisherigen Jahresverlauf den Eindruck gewinnen, dass sich Koller neu erfindet, indem er neue Reize setzt, mehr Konkurrenzkampf zulässt und taktisch variabler agiert.

Ein Erklärungsversuch daher: Diese Wutrede gehört zur neuen Strategie, mehr Reibung zuzulassen und dadurch neue und verloren geglaubte Energie zu gewinnen. Das endgültige Ende der Wohlfühloase.

Eine öffentliche Standpauke für seine Mannschaft hat nämlich eine neue Qualität. Koller - im Normalfall geradezu versessen darauf, dass Interna auch Interna bleiben – macht ungefragt und proaktiv öffentlich, dass einige Spieler seiner Einschätzung nach noch nicht die richtige Einstellung für das Irland-Spiel gefunden hätten und spricht von Jammerei und Raunzerei.

Dieser Eindruck sei in Telefonaten mit diversen Teamspielern entstanden.

Das Pech des Sebastian Prödl ist, dass er sich öffentlich kritisch über den Terminkalender der FIFA äußerte und nun ein wenig als Zielscheibe herhalten muss. Der Watford-Legionär ist jedoch als Musterprofi bekannt, der seit einem Jahrzehnt im Nationalteam dient. Es wäre auch mehr als verwunderlich, wenn eine einzelne Wortmeldung Koller derart in Rage bringt.

Das Thema Juni-Termin ist zudem auch kein neues. In ungeraden Jahren steht stets ein Quali-Spiel an. Die beiden bisherigen Versuche unter Koller? 2013: 2:1 gegen Schweden. 2015: 1:0 in Russland – beide Matches gehören zu den besten in der Ära Koller.

Darauf, dass es diesmal in Irland automatisch gleich laufen wird, kann man sich natürlich nicht verlassen. Kollers Grundvertrauen in sein Team war offenkundig auch schon einmal größer.

Und hier sind wir bei einem weiteren Punkt: So bitter es wäre, aber die Wahrscheinlichkeit, dass die Ära des Eidgenossen bei einer Niederlage in Irland vorbei sein könnte, ist nicht gerade gering.

Sich dann auf ein Kollektiv zu verlassen, dessen richtigen Fokus er zurzeit anzweifelt, fällt angesichts dieser Ausgangsposition natürlich schwer.

Dann lieber ein öffentlicher Weckruf. Er wäre nicht der Erste, der mit dem Rücken zur Wand die Krallen ausfährt.

Wobei man eines festhalten muss: Sollten die ÖFB-Kicker derzeit gedanklich wirklich mehr beim Urlaub als bei der Irland-Sache sein, wäre dies ein Rückfall in längst überwunden geglaubte Zeiten.

Auch dann müsste die Frage erlaubt sein: Warum?

Und zwar warum es Koller nicht gelingt, jahrelange Selbstverständlichkeiten innerhalb seines Kaders nicht nur aufrecht zu erhalten, sondern diese Tugenden sogar noch weiterzuentwickeln. Für diverse Kadermitglieder geht es um die letzte WM-Chance ihrer Karriere. Dem gilt es alles unterzuordnen, sollte man zumindest meinen.

Von Abnützungserscheinungen zu sprechen, mag übertrieben sein, aber dass der ÖFB-Wurm nun schon seit bald einem Jahr drinnen ist, ist nur allzu offenkundig. Zum sportlichen Rückschritt gesellen sich Rücktritte, welche die heile Nationalteam-Welt in einem anderen Licht erscheinen lassen.

Dazu kommen für Koller Baustellen durch Fremdverschulden – wie jene rund um die Wiederwahl seines Chefs (man darf sehr gespannt sein, wie es Leo Windtner gelungen ist, binnen weniger Wochen jene Vielzahl an Landespräsidenten auf seine Seite zu ziehen, die bis vor kurzem noch gegen ihn votiert haben).

Auch Vorgänge wie diese bekommt der Teamchef natürlich mit.

Von den Sperren und Verletzungen ganz zu schweigen, kombiniert mit einer veritablen Torhüter- und Linksverteidiger-Krise. Rund um das ÖFB-Team gibt es derzeit Problemfelder, wohin man nur schaut.

Vielleicht hat es Koller auch schlichtweg einfach einmal gereicht.




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