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Hirscher für Holland? "Wäre besser gewesen"

Legende Marc Girardelli im Interview über Hirscher für Holland, zu viel Luxus und ÖSV-Krise:

Hirscher für Holland?

Noch ist Marc Girardelli alleiniger Rekordhalter in Sachen Gesamtweltcupsiege.

Noch. Denn wenn Marcel Hirscher am Sonntag offiziell zum fünften Mal in Folge den "depperten Glasbecher" in die Höhe stemmt, zieht er mit dem Vorarlberger gleich. Groll hegt Girardelli deswegen nicht. "Ich fühle mich geehrt, dass ich mit ihm verglichen werde. Er ist ein fantastischer Sportler", streut der 52-Jährige dem Salzburger im LAOLA1-Interview Rosen.

Girardelli sorgt dabei für Aufsehen und behaputet, es "wäre besser gewesen", wenn Hirscher seine Siege für Holland und nicht für den ÖSV geholt hätte.

Weiters spricht der 46-fache Weltcupsieger über ein lustiges Treffen mit Hirscher, was er ihm in der Abfahrt zutraut, warum er ihn an Stenmark erinnert, die Jungen zu wenig abgehärtet werden und er es nie bereut hat, für Luxemburg gestartet zu sein. Marc Girardelli im großen LAOLA1-Interview:

LAOLA1: Sie haben zuletzt behauptet, dass Sie aktuell mehr Interviews geben müssen als zu ihrer besten aktiven Zeit. Stört Sie der erneute Rummel um Ihre Person?

Marc Girardelli: Zehnmal mehr als damals! Das war sehr überraschend. Medienrummel ist insofern gut, da ich über diesen Weg auch andere Themen anschneiden kann. Ich bin nach wie vor sehr aktiv im Skisport tätig - sei es mit meinen Ski-Events oder meinem Tourismus-Magazin mit 250.000 Stück Auflage. Dazu bin ich bei Bemer Therapiesystemen tätig. Sport und Medien gehen wie ein Zahnrad ineinander. Sie leben von mir und ich lebe von ihnen.

LAOLA1: Marcel Hirscher gewinnt heuer seinen fünften Gesamtweltcup und hält damit bei gleichvielen großen Kugeln wie Sie. Immer wieder werden Vergleiche gezogen, sehen Sie ebenfalls die Ähnlichkeiten?

Girardelli: Ich fühle mich geehrt, dass ich mit ihm verglichen werde. Er ist ein fantastischer Sportler. Es scheint so, als wäre er in der Lage immer noch etwas besser zu fahren und noch mehr Leistung zu bringen, wenn es eng wird. Das haben vor ihm nur ganz wenige über so eine lange Periode geschafft, das ist wirklich bewundernswert. Ein toller Sportler!

LAOLA1: Hätten Sie es jemals für möglich gehalten, dass ein Läufer den Gesamtweltcup fünfmal in Folge gewinnen kann?

Girardelli: Es gibt nichts, was es nicht gibt. Fünf Kugeln, im Prinzip geht es um die Zahl. Ob Eddy Merckx oder Miguel Indurain – beide haben die Tour de France fünfmal gewonnen, nur einer hintereinander. Schlussendlich haben beide den selben Stellenwert im Radsport. Ich denke nicht, dass die Leute viel Unterschied machen, ob es innerhalb von acht oder fünf Jahren geschieht. Es ist so oder so eine unglaubliche Leistung.

LAOLA1: Bei Spitzensportlerin wie Marcel Hirscher oder wie Sie es waren, wie viel Prozent macht Talent und wie viel harte Arbeit aus?

Girardelli: Es ist schwer, das in Prozent auszudrücken. Mit Talent alleine ist noch lange nichts gewonnen, das ist aber nicht nur im Skisport so. Wenn man sich seinen Körperbau ansieht, sollte jeder wissen, was auf einen zukommt, wenn man in der Sportart Weltklasse sein möchte. Das heißt sechs bis acht Stunden intensive Arbeit in die verschiedensten Richtungen jeden Tag über Jahre oder Jahrzehnte. Das ist aber noch lange keine Garantie, so gut zu werden. Es braucht schon etwas Besonderes, um so einen Weltklasse-Athleten zu formen. Es sind mehrere Faktoren. Es ist sicher die genetische Veranlagung da, nicht jeder Sportler verkraftet das Tempo. Marcel verkraftet es, deswegen denke ich, dass er auch in der Abfahrt erfolgreich sein kann. Neben den körperlichen Voraussetzungen ist der Kopf ganz wichtig. Sei es im Rennen, bei wirklich kritischen Situationen instinktiv die richtigen Sachen zu machen, auf die antrainierten Reflexe zu vertrauen und diese umzusetzen. Genauso ist die Psyche notwendig, um das harte Training überhaupt zu verkraften. Es spielen sehr viele Sachen eine Rolle, Marcel ist bei allen Details einer der Besten.

LAOLA1: Eine seiner großen Stärken ist auch der Umgang mit der Erwartungshaltung und dem Druck. Wie macht er das?

Girardelli: Er hat da eine eigene Methode gefunden. Ich habe ein Beispiel parat: Im Oktober habe ich ihn vor dem Rennen in Sölden zufällig getroffen, weil ich in seinem Hotel Gäste einquartiert hatte. Er kam auf mich zu, ich habe ihn gar nicht bemerkt. Er ist mir nachgegangen, bis vor das Hotel. Er hat mich begrüßt, sehr freundlich und zuvorkommend. Wir haben ein paar Worte ausgetauscht und ich habe ihm für die Saison Glück gewünscht. Ein paar Wochen später habe ich ihn in Alta Badia nach der Siegerehrung wieder getroffen, wo er gewonnen hat. Ich wollte ihn wieder grüßen, er hat mich gar nicht bemerkt! Er war in einem Tunnel, nach dem Rennen wohlgemerkt. Bei ihm endet die Konzentration nie. Das habe ich in der Form vielleicht einmal bei Stenmark bemerkt, sonst bei keinem.

Girardelli Hirscher (nach 15/16)
Weltupsiege 46 39
Gesamtweltcupsiege 5 5
Weltcup-Kugeln 15 11
WM-Medaillen 11 6
WM-Gold 4 4
Olympische Spiele 2x Silber 1x Silber

LAOLA1: Wie Sie vorher schon kurz erwähnt haben, trauen Sie Marcel auch im Speed-Bereich viel zu. Warum?

Girardelli: Natürlich, das hat er ja schon mit seinem Sieg im Super-G bewiesen. Er hat absolut keine Angst vor der Geschwindigkeit, das einzige Manko scheint die Statur zu sein. Im Slalom und Riesentorlauf macht sie ihn übermächtig, in der Abfahrt sind um die 80 Kilogramm gegenüber anderen Läufern, die um die 100 Kilogramm wiegen, im Flachstück einfach ein Nachteil. Er kann technische Passagen sicher schnell fahren, in den Gleitstücken wird er sicher ein Handicap haben. Didier Cuche war auch nicht der Größte und hat trotzdem hervorragende Abfahrtsresultate eingefahren.

LAOLA1: Werden wir Marcel jemals auf der Hahnenkamm-Abfahrt in Kitzbühel triumphieren sehen?

Girardelli: Ich würde es mir wünschen! Das wäre etwas, das ihm noch auf der Vita fehlt. Ich wäre der Erste, der ihm dazu gratuliert.

LAOLA1: Ihr Vater hat in ihrer Karriere eine große Rolle gespielt, bei Marcel ist es genauso. Wie wichtig ist dieser Faktor?

Girardelli: Ferdinand scheint für seinen Sohn eine große Vertrauensperson zu sein, wie könnte es anders sein? Er ist intelligent genug und hält sich eher im Hintergrund. Das ist taktisch sehr klug. Ich denke, sie sind ein ideales Team und erkämpfen die Erfolge gemeinsam.

LAOLA1: Ihr Geschichte ist bekannt: Nach dem Streit mit dem ÖSV sind Sie für Luxemburg gestartet. Inzwischen sollen Sie in einem Interview gesagt haben, sie bereuen diese Entscheidung. Rein sportlich gesehen: Hätten Sie für Österreich vielleicht noch mehr Siege feiern können?

Girardelli: Die Aussage, dass ich es bereut habe, war eine Fehlinterpretation. Das habe ich mehrmals revidiert. Ich habe den Wechsel zu Luxemburg niemals bereut. Ich wollte sagen, dass es eigenartig ist, dass ein Nationalverband sich über Jahre einen Streit mit einer Familie liefert, wie es bei uns der Fall war. Wegen eines zwölfjährigen Kindes, das Rennen fahren will. Dass so etwas dazu führt, dass ich den Verband wechseln musste. Ich weiß heute noch nicht, was die genaue Ursache ist, wegen eines Zwölfjährigen so einen Zirkus zu veranstalten. Ich habe den Wechsel niemals bereut, im Gegenteil. Zur Kernfrage: Das steht in den Sternen. Glauben Sie mir, ich habe in meiner Karriere so viele Lösungen für Probleme gefunden, ich hätte sicher auch eine Lösung gefunden, in einer Mannschaft genau die selben Leistungen zu bringen. Vielleicht wäre es mir sogar einfacher gefallen.

"Für den internationalen Skisport wäre ein Marcel Hirscher, der für Holland fährt, ein ordentlicher Wirbelsturm gewesen. Die Leistungen des ÖSV wären dann in den letzten fünf Jahren ziemlich karg gewesen."

LAOLA1: Bei Marcel stand ja ein Antreten für Holland auch im Raum. Wäre es für ihn möglich gewesen, die zahlreichen Erfolge auch für Holland zu feiern?

Girardelli: Ich denke schon. Für den internationalen Skisport wäre ein Marcel Hirscher, der für Holland fährt, ein ordentlicher Wirbelsturm gewesen. Die Leistungen des ÖSV wären dann in den letzten fünf Jahren ziemlich karg gewesen (lacht). Es wäre ähnlich wie bei mir, obwohl Luxemburg keine Skination ist und nur 500.000 Einwohner zählt. Für den Skisport selber wäre es viel besser gewesen, wenn Marcel für Holland gefahren wäre, für den Tourismus sowieso.

LAOLA1: Sie haben schon eine nette Geschichte über ein Treffen mit Marcel erzählt. Wie ist die Beziehung generell?

Girardelli: In Kranjska Gora gab es die Idee, dass ich im Fernsehen über Skype zugeschaltet werde. Ich fand das originell, Marcel wusste nichts davon. Ich war froh, dass es technisch funktioniert hat, weil ich mit meiner Familie unterwegs war und das über das Handy gemacht habe. Ich würde mich freuen, wenn ich öfter Kontakt mit Marcel hätte. Er ist ein bodenständiger, junger Mann, der weiß, was er will. Dazu ist er höchst intelligent und absolut normal. Das ist in seiner Liga nicht selbstverständlich sondern eher die Ausnahme.

LAOLA1: Marcel erzählt immer wieder vom ersten Treffen mit Ihnen. Sie haben ihm bei einem Kinderrennen einen Pokal überreicht.

Girardelli: Das habe ich zufälligerweise mitbekommen. Ich wusste das nicht. Ich war früher im Kaunertal und habe dort trainiert. Es ist lustig, dass er sich daran erinnert. Ich habe damals viele Preisverleihungen durchgeführt, weil ich der einzige Läufer war, der dort trainiert hat. Dem Kaunertal bin ich bis heute tief verbunden. Ich habe solche Veranstaltungen immer sehr genossen, ich wollte die Kinder motivieren. Dass Marcel darunter war, ist wirklich lustig. Vor allem, dass er sich daran erinnert. Er soll ja gefragt haben, wer der Alte denn ist. Ich nehme es einmal so zur Kenntnis (lacht).

LAOLA1: Ein weiteres bestimmendes Thema neben Marcel Hischer ist die Speed-Krise des ÖSV. Woran könnten die schlechten Resultate liegen?

Girardelli: Schnelle Lösungen gibt es dafür sicher nicht. Wir als Außenstehende wissen nicht, wie im Verband trainiert wird. Wir sind nicht beim Training dabei. Man kann als Betrachter und jemand, der jahrelang in dem Job tätig war, Mutmaßungen anstellen, was der Unterschied zwischen dem kleinen Verband Norwegen und dem riesigen ÖSV sein könnte. Heuer kommt das Verletzungspech dazu, das muss man sagen. Ich kann mir aber schon vorstellen, dass der ganze Luxus, den ein Rennläufer im ÖSV genießt, nicht förderlich für die harten Entscheidungen im Rennsport ist. Vielleicht sollte man dem Rennläufer im Training und über das ganze Jahr gesehen mehr Verantwortung geben. Man sagt nicht umsonst, dass sich Boxer in einem dunklen Keller auf einen WM-Kampf vorbereiten müssen, und nicht in der Lobby eines Luxushotels. Da muss man den Geist kultivieren. Es müssen nicht jeden Tag die besten Trainingsbedingungen herrschen. Auch schwere Bedingungen gehören dazu, wo der Läufer kämpfen muss, überhaupt trainieren zu können. Das bringt ihn vielleicht auch geistig auf eine andere Ebene, dann kann er möglicherweise im Rennen besser mit schweren Situationen umgehen. Ich kann es nur von meiner Warte aus beurteilen, ich musste immer um gute Trainingsbedingungen kämpfen. Es war schon ein Erfolg, wenn wir ein gutes Training auf die Beine stellen konnten. Ich bin als Berater beim bulgarischen Verband tätig. Der Luxus, den diese jungen Rennläufer jetzt schon genießen, war für mich damals illusorisch.

LAOLA1: Welchen Luxus sprechen Sie damit an? Die guten Trainingsbedingungen?

Girardelli: Es ist ein Unterschied, ob du als Rennläufer nach einer 15-stündigen Flugreise gleich ins Hotel auf die Massagebank kannst, oder 17 geschlagene Stunden am Flughafen warten musst, bis deine eigenen Skisachen ankommen. Aus Angst, dass man deine Skier beschädigt oder verschwinden lässt. Oder du musst dir einen Keller suchen, um deine Skier zu präparieren, weil die Organisation dem winzigen Luxemburgischen Team keinen zur Verfügung stellt, wie den großen Mannschaften.

"Die Jungen können mit gewissen Härtefällen nicht so gut umgehen, wie andere. Ich denke da an Ivica Kostelic, der jahrelang sehr erfolgreich war. Ich kann mir vorstellen, dass so jemand mit kritischen Situationen besser umgeht, als jemand der nie damit konfrontiert wurde. Aber das führt jetzt zu weit. Zu viel Luxus könnte am Ende schädlich sein."

LAOLA1: Sie meinen also, dass die Jungen zu wenig abgehärtet werden?

Girardelli: Darauf könnte es hinauslaufen. Die Jungen können mit gewissen Härtefällen nicht so gut umgehen, wie andere. Ich denke da an Ivica Kostelic, der jahrelang sehr erfolgreich war. Ich kann mir vorstellen, dass so jemand mit kritischen Situationen besser umgeht, als jemand der nie damit konfrontiert wurde. Aber das führt jetzt zu weit. Zu viel Luxus könnte am Ende schädlich sein.

LAOLA1: Was auch auffällig ist: Österreichische Trainer wandern ins Ausland und feiern dort große Erfolge. Zum Beispiel Christian Mitter in Norwegen. Kann man dem ÖSV in dieser Hinsicht einen Vorwurf machen?

Girardelli: Die Deutschen haben Rehhagel auch abgeschoben und dann ist er mit Griechenland Europameister geworden. Da kann man auch nicht sagen, dass das ein Fehler Deutschlands war. Ein Trainer entwickelt sich genauso mit der Mannschaft wie eine Mannschaft mit dem Trainer. Es muss nicht sein, dass ein Trainer, der in der Schweiz erfolgreich ist, auch in Österreich erfolgreich ist. Das ist so individuell. Es braucht mehr als technisches Wissen und menschlichen Umgang. Es braucht zwei Hände, um einen Händedruck zu machen. Nicht alle Hände passen zueinander. Es kann sein, dass ein Trainer ideal für die deutsche Mannschaft ist, aber mit den Österreichern nicht auskommt. Das hat nichts mit der Qualität des Trainers zu tun. Es gibt in Österreich sicher gute Leute, Männer und Frauen, die einen hervorragenden Job machen würden. Vielleicht besser als die, die man jetzt hat.

LAOLA1: Wie ist Ihr Verhältnis zum ÖSV? Spielt der Vorfall von damals noch immer eine Rolle?

Girardelli: Super! Mein Verhältnis mit dem ÖSV war nie schlecht, nicht einmal zu meiner aktiven Zeit. Es kann sein, dass der ÖSV mit mir ein schlechtes Verhältnis hatte. Ich mit dem ÖSV aber nie.

Matthias Nemetz

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