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NHL-Draft als Schuss ins Blaue?

LAOLA1-Scout Bernd Freimüller über die Probleme der Scouts in Corona-Zeiten:

NHL-Draft als Schuss ins Blaue? Foto: © getty

Am 22. und 23. Juli soll der heurige NHL-Draft steigen, damit ein Monat später als sonst, aber immer noch drei Monate vor dem letztjährigen Termin.

Nur: Wie und wo können Scouts die Kandidaten überhaupt beobachten? Die Corona-Pandemie verhindert den Spielbetrieb in Nachwuchs-Ligen und bereitet den reisenden Scouts zahlreiche Probleme. Wird der Draft zum Schuss ins Blaue oder gar verschoben?

LAOLA1-Scout Bernd Freimüller greift diese Frage auf und erörtert die Schwierigkeiten für Scouts und Nachwuchs-Cracks. Eine ungeliebte Lösung könnte in diesen turbulenten Zeiten jedenfalls Abhilfe schaffen.

Letztes Jahr um diese Zeit sah die Eishockey-Welt noch ganz normal aus. Die NHL-Scouts hatten die U20-WM in Tschechien hinter sich gebracht, machten Pläne für die Turniere im Februar.

Spontanität statt Routine

Für die zweite Saisonhälfte stand wie immer Cross-Over Scouting an. Auf gut Deutsch: Die Scouts verlassen ihre Heimligen und schauen sich die bereits von ihren Kollegen identifizierten Prospects zu Vergleichszwecken an.

Nur so kann jede Organisation nämlich eine Gesamtliste erstellen, denn die Fragen bleiben immer die gleichen: Wie steht z. B. der beste Spieler aus der QMJHL im Vergleich zu den besten Cracks aus den anderen nordamerikanischen und europäischen Ligen da? Vor ihnen, nach ihnen, ist sogar der zehntbeste Europäer noch besser als er?

Alles Routinefragen, die normalerweise nach unzähligen Matchbesuchen beantwortet werden können. Beim Abbruch der letzten Saison waren circa 80 % der Spiele schon absolviert – nicht optimal, noch fehlte etwa die U18-WM und alle Playoffs in Übersee, aber statt ihnen konnten die Scouts ältere Spiele per Video zu Hilfe nehmen.

Aber heuer? Wo wird denn überhaupt gespielt?

Das kanadische Junioreneishockey liegt in Trümmern

Die QMJHL hat zwar ihre Saison im Oktober begonnen, war aber dann bis zur letzten Woche unterbrochen: Die Bandbreite der absolvierten Spiele lag zur Unterbrechung zwischen fünf und fünfzehn. Drummondville, das eigentliche Team von Fabian Hochegger und Thimo Nickl, hat bis jetzt zehnmal gespielt. Weitergehen soll es diese Woche, teilweise turnierartig an wenigen Orten, teilweise mit normalen Spielen. Die Teams der Maritimes Division (darunter mit Halifax die Mannschaft von Senna Peeters) haben aber weiter Spielverbot.

Alles noch Gold gegen die anderen kanadischen Juniorenligen: Die OHL und WHL warten immer noch auf eine Spielerlaubnis, beide hoffen noch auf eine Kurzsaison mit jeweils 24 (!) Spielen pro Team.

Nur zur Verständlichung: Diese drei Ligen produzieren jedes Jahr weit mehr als ein Drittel aller Draftpicks!

Sowohl im US-College-Hockey als auch in der Zubringerliga USHL haben sich einige Teams abgemeldet, andere spielen eine verkürzte Saison – im Allgemeinen sind die Richtlinien in den USA weit weniger strikt als in Kanada. Ob Scouts in die Hallen dürfen, ist von Ort zu Ort, oft auch Spiel zu Spiel verschieden – auf gut Glück loszufahren ist nicht anzuraten.

Statt in den Hallen auf der Couch

Nur: Viele Teams haben ihren Scouts teils aus Kosten-, teils aus Gesundheitsgründen Livebesuche schon seit längerem untersagt. Videoscouting – früher nur als Unterstützung angesehen – ist nun angesagt.

Live-Streams laufen über die verschiedensten Ligaseiten oder onhockey.tv. Als Alternative haben die NHL-Teams haufenweise Lizenzen von "In Stat" angekauft – eine Scouting Software, mit der man sich ganze Spiele, aber auch einzelne Spieler-Shifts zeitversetzt ansehen kann.

Mit anderen Worten: Beim NHL-Draft im Juli sollen die Teams Spieler auswählen, die sie heuer nur sehr selten oder vielleicht gar nicht live gesehen haben - wenn diese denn überhaupt gespielt haben! Spieler wie Dylan Guenther (WHL) oder Mason McTavish (OHL), die auch bei der Junioren-WM nicht dabei waren, warten als potentielle Top-5-Picks immer noch auf ihr erstes Saisonspiel! Andere wie Owen Power (US-College) konnten sich immerhin bis jetzt in 16 Spielen präsentieren und das sogar vor Zuschauern.

Nur: Wie will man denn um Gotteswillen eben solche Spieler mit einem William Eklund vergleichen, der in einer relativ normalen Saison (Covid kostete ihm allerdings die Junioren-WM) bei Djurgardens seine Aktien erheblich gesteigert hat und im normalen Spielbetrieb steht?

Flucht nach Europa?

Fast einmalig ist auch der Fall von Brandt Clarke: Ein Free-wheeling Defender, der sogar ein Kandidat für den Nr.1-Pick ist. Er hatte das Warten auf eine OHL-Saison satt, wollte in die schwedische Allsvenskan. Väsby kündigte ihn schon per Presseaussendung an, bevor der schwedische Verband darauf hinwies, dass nur NHL-Leihgaben zugelassen wären. Jetzt spielt Clarke in der (heuer besonders jämmerlichen) Slowakischen Extraliga nahe der ungarischen Grenze in Nove Zamky. Ein Szenario, das vor Monaten noch als Ausgeburt eines kranken Geistes angesehen worden wäre. Brandt ist nach Auston Matthews vor Jahren der einzige nordamerikanische Top-Prospect, der sich in seinem Draftjahr in Europa präsentiert.

Selbst die AlpsHL wird zu einem Refugium für kanadische Juniorenspieler: Franceso Arcuri (OHL) – kein Top-Prospect, aber auch nicht uninteressant - verstärkt in seinem Draftjahr den bisherigen Ligaprügelknaben aus Linz und punktet dort seit seinem Amtsantritt.

Wie soll man den Draft angehen?

Ein (anonymer) Scout sprach sich gegen den Draft-Termin im Juli aus: "Wie können nur draften, wen wir sehen." Da sich die Corona-Lage auch in den nächsten Wochen eher nicht verbessern dürfte, müssen 32 NHL-Teams (inklusive der neuzugelassenen Seattle Kraken) vielleicht ihre Wahl nur aufgrund von Videos oder gar Berichten aus der Vorsaison treffen.

Auch wenn die Scouts gute Miene zum bösen Spiel machen: Video-Scouting sollte weiter nur eine Krücke denn der alleinige Zugang sein. Flames-GM Brad Treliving brachte es auf den Punkt: "Wir alle sind Sklaven des Bildmaterials." Und das kann wie bei der Junioren-WM sehr gut, in anderen Ligen sehr schlecht sein.

In einem normalen Jahr würde der Eislaufstil von Clarke – sehr X-beinig – für stundenlange Diskussionen bei den Meetings sorgen. Und jetzt muss man das aufgrund von grieseligen Videos beurteilen und dann eine Entscheidung fällen, die eine Organisation über Jahre hinweg in die eine oder andere Richtung stoßen kann. Dass er statt vielleicht einem Punkt pro OHL-Spiel nach zehn Spielen in der Slowakei mit zwei Punkten dasteht, beweist, wie schwer es für Junioren sein kann, selbst in einer schlechten Seniorenliga zu reüssieren.

Die Problematik des Video-Scoutings hat auch der deutsche Nationaltrainer Toni Söderholm sehr gut auf den Punkt gebracht: "Ein Spieler ist vielleicht 40 Sekunden auf dem Eis, im Bild vielleicht 15. Und die Kamera folgt immer dem Puck. War der Pass schlecht oder hat sich der Stürmer, der nicht im Bild war, falsch platziert?"

Doch die Scouts haben natürlich keine andere Wahl, sind froh, dass sie ihre Jobs noch haben. Zwar gab es keine Massenkündigungen, doch ihre Gehälter wurden teilweise gekürzt – in einigen Organisationen zuerst um fünf, dann zehn, dann 25 Prozent. Eine nordamerikanische Kombination von Kurzarbeit und Home Office offenbar, immerhin sparen sich die Scouts die kräftezehrenden Trips zu den Spielen, können sich dafür am eigenen Sofa mehrere Spiele pro Tag reinziehen.

Folgt ein Notfall-Szenario?

In einem Monat sollten wir wissen, welche Ligen ihren Betrieb wiederaufnehmen oder beibehalten können. Immerhin ist die U18-A-WM in den USA Mitte April gesichert. Central Scouting, die NHL-Scouting-Behörde, plant auch als Notfall-Szenario einige Spiele bzw. Turniere, zu denen die aussichtsreichsten Prospects eingeladen werden. Dafür wäre ja noch bis Juli Zeit. Einige NHL-Teams hatten schon vor Wochen darauf gedrängt, den Draft Richtung Dezember zu schieben, fanden aber (bis jetzt) kein Gehör, doch die Stimmen werden immer lauter.

Es sieht ganz danach so aus, als ob die Teams zum Draft 2021 vor folgendem Dilemma stehen könnten: Draften wir Spieler X, den wir oft auf Video gesehen haben? Spieler Y, den wir immerhin heuer dreimal live gesehen haben? Spieler Z fast ohne Spielpraxis, den wir aus dem Vorjahr gut kennen? In den späteren Runden wird mangels Vergleichsmöglichkeit sicher noch mehr auf die Ratschläge der Regional-Scouts gehört als sonst.

Werden wir in zehn Jahren auf den 2021-Draft zurückschauen und sagen: "Die Scouts haben da oft danebengehauen"? Oder ist die heurige Saison ein Vorbote auf die Zukunft, wo auch aus Kostengründen Video-Scouting immer wichtiger wird? Central-Scouting-Boss Dan Marr gibt sich da eher vorsichtig: "Video-Scouting hat ungefähr zehn Prozent der Berichte ausgemacht. An mehr als ca. 20 Prozent glaube ich auch in Zukunft nicht." Sein Wort in das Ohr der NHL-Klubbesitzer und GMs…

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