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Das große Chaos am Eishockey-Transfermarkt

Freimüller über die momentanen Zustände - und wie die ICE profitieren könnte:

Das große Chaos am Eishockey-Transfermarkt Foto: © GEPA

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Ist die Kuh endgültig vom Eis?

Es schaut danach aus, wenn man die Aktivitäten der Bet-at-Home ICE Hockey League richtig deutet. Nach unglaublichen 121 Tagen, also vier Monaten, beendete die Liga nämlich den selbst auferlegten Transferstopp.

LAOLA1-Experte Bernd Freimüller wirft vor der großen Verkündigungswelle der Neuzugänge einen Blick auf die letzten Wochen und auf die Marktlage:

Der Transferstopp

Am 7. April kamen die Teams bei einer der bis heute fast 40 Telekonferenzen zur Übereinkunft, keine Transfers zuzulassen. Alles natürlich nur ein "Gentlemen's Agreement", trotzdem rechtlich sehr haarig. Ein finnischer Klubvertreter zu diesem Konzept: "Da hätten wir innerhalb von Stunden das Kartellamt vor der Türe stehen."

Aber bitte, lange bildete das nur die Realität ab, im April und auch im Mai hatte kaum ein Team aufgrund der Corona-Imponderabilien so recht Appetit auf Spielerverpflichtungen.

Mit Fortdauer wurde das Ganze aber immer fragwürdiger – schließlich zwang ja niemand die Teams, Spieler zu verpflichten. Diejenigen, die immer an eine Spielzeit 2020/21 glaubten, wurden so allerdings in ihren Aktivitäten gestoppt, einzig nach der scheinbar letzten Verlängerung Anfang Juli setzte das eine oder andere Team konkretere Aktivitäten. Danach folgten aber noch zwei Aufschübe, andere Ligen wie die Schweiz oder die DEL hatten ihre Transferstopps schon längst beendet.

Jetzt kommen die "Breaking News"

Jetzt müssen die Sportmanager aber wieder an ihre ureigensten Aufgaben gehen, nämlich Teams zusammenzustellen. Vorbei sind die Zeiten, wo sie Anrufe der Agenten gar nicht beantworteten. Und Spieler, die über Monate nicht einmal ein "Wie geht's dir?" hörten, sollen jetzt davon überzeugt werden, wie wichtig sie doch für ihr altes Team seien. Mangels Alternativen (auch durch den ewigen Transferstopp) werden sie wohl auch bei niedrigeren Angeboten bleiben (müssen), doch Vereinstreue sollte bei ihnen nicht mehr eingemahnt werden.

Der Transferstopp wurde weit strikter eingehalten, als sich das der Außenstehende vorstellt. Sowohl in- als auch ausländische Agenten stöhnten seit Wochen, wie inhaltsleer die wenigen Gespräche waren, lose Gespräche glichen oft Schattenboxen ohne konkrete Zahlen.

Die Teams haben allerdings seit April knapp 100 Aktivitäten auf Halde liegen – seien es Verlängerungen per Optionen, Vertragsabschlüsse vor Corona oder ursprüngliche Zweijahresverträge, die jetzt als "Breaking News" ans Volk gebracht werden müssen. Müßig darüber zu diskutieren, wann und zu welchen Bedingungen Matt MacKenzie (Dornbirn), Sam Herr (Innsbruck) oder Ty Loney (Vienna Capitals) verpflichtet wurden. Das kann Wochen, Monate, aber auch über ein Jahr zurückgehen und spielt auch letztlich gar keine Rolle...

Gehaltskürzungen

Parallel zum Transferstopp lief das Projekt der Gehaltskürzungen für längerfristige bzw. vor Corona abgeschlossene Verträge. Nach dem Vorbild der DEL setzte die Ligaleitung mit den Teams ein Schreiben auf, das Gehaltskürzungen zwischen ca. sechs und 33 Prozent vorsah. Geringverdiener (unter 20.000 Euro netto) wären von diesen Kürzungen nicht betroffen, danach steigen diese linear an.

 

(Text wird unterhalb fortgesetzt)

Woran sich die Spieler, die größtenteils natürlich für die durch Corona bedingten Schwierigkeiten Verständnis haben, stießen: Die Cashback-Möglichkeit – sprich die Kürzungen bei einem positiveren Saisonverlauf wettmachen zu können – waren im Gegensatz zur DEL nur angedeutet. Eh scho wurscht, würde Lukas Resetarits sagen, denn die tatsächliche Auslegung bleib den Teams vorbehalten und die können eigentlich nach eigenem Gutdünken vorgehen, mehr als eine Vorlage kann dieses Papier nicht darstellen.

Für KAC-Manager Oliver Pilloni – neben Red Bull Salzburg das einzige Team mit 12-Monats-Verträgen - kam eine Kombination von Kurzarbeit und Kürzungen nicht in Frage, auch in Salzburg gibt man den Cracks die Chance, etwaige Kürzungen wieder aufzuholen. Andere Teams bekamen mehr oder weniger gutes Feedback von ihren Arbeitnehmern, aber natürlich springt nicht jeder Crack vor Freude, wenn er auf Geld verzichten soll.

Die Vorgangsweise kennt man aus der DEL (wo es allerdings allgemein gültige Vertragsvorlagen gibt):

Das Team schlägt dem Spieler bzw. dem Agenten die Gehaltskürzung bzw. den Einbau der Corona-Klauseln für die nächste Saison vor.

Wenn der Spieler einwilligt, ist alles klar.

Wenn der Spieler ablehnt, wird ihm die Auflösung des Vertrags und die Freigabe für alle Teams angeboten.

Falls er das annimmt, kann er sofort überall unterschreiben. Ein Gentlemen's Agreement darüber, dass der Spieler in der gleichen Liga kein Angebot bekommt, hält nur so lange, bis es bricht und kann natürlich nicht schriftlich festgehalten werden.

Falls der Spieler an der Auflösung des Vertrags kein Interesse hat, wird es diffiziler. Grundsätzlich ist der Kontrakt weiter aufrecht. Im schlimmsten Fall geht der Spieler ein Jahr spazieren und der Streit wird vor Gericht ausgefochten. Solche Szenarien zeichnen sich in der DEL bereits ab. Den Crack in der Öffentlichkeit anzuschwärzen ist das eine, vor Gericht rechtzubekommen jedoch das andere.

Der Großteil der Cracks wird sich zähneknirschend fügen, doch wie in der DEL wird es Ausreißer geben. Jamie Fraser ist dem Vernehmen nach nicht der einzige Crack, der sich gegen eine Auflösung gestemmt hat, wie in Deutschland handelt es sich dabei um ältere, ihren Teams langdienende Spieler. Einbehaltene Gehälter bzw. Streitereien über die Playoff-Prämien der letzten Saison können hier schon einen Keil zwischen Team und Spieler getrieben haben.

Sollten also in den nächsten Tagen einige Cracks in der Aufzählung der Grundkader fehlen, bedeutet das nicht, dass sie keinen Vertrag haben, sondern dass sie sich gegen eine Aufdröselung desselben wehrten...

Die Marktlage

Corona hat die ICE natürlich ins Mark getroffen, vor allem die Teams, die sich ohnehin nur von einer Saison zur andern hangeln. Noch ist nicht ganz klar, wieviel Zuschauer zugelassen werden bzw. in welcher Höhe vergangene und zukünftige Einnahmenverluste vom Staat Österreich übernommen werden. Österreich deswegen, weil die drei ausländischen Teams (HCB Bozen, Fehervar und Liga-Neuling Bratislava Capitals) natürlich unter anderen Regeln segeln und eigentlich schon seit Wochen startbereit waren.

Aber als durchschnittliche Budgetreduktion pro Team wird eine Million Euro angenommen – eine Menge Holz vor allem für die kleineren Teams. Dementsprechend müssen die Spielerverträge angepasst werden, sowohl die der Österreicher als auch die der Legionäre – zwei komplett divergente Gruppen.

Bei den inländischen Cracks kann es passieren, dass die Gehaltskürzungen noch krasser ausfallen als die für langfristige Verträge vorgeschlagenen. Der ewige Transferstopp hat es den Agenten verunmöglicht, einen Markt für ihre Spieler aufzubauen. Was folgen wird sind "Friss-Vogel-oder-stirb"-Angebote, die den einen oder anderen Mitläufer in die Privatwirtschaft oder das Studium drängen werden. Die Frage ist, wie sehr Teams wie Dornbirn, Innsbruck, Villach oder Graz, die sicher in Richtung der Maximal-Legionärsanzahl gehen werden, für ihre altbewährten Cracks bzw. etwaige Neuzugänge ausgeben wollen.

Zu den besseren vertragslosen Österreichern gehören Emil Romig, Raphael Wolf, Ali Wukovits, Markus Schlacher, Patrick Peter, Benjamin Nissner oder Michi Schiechl – die Frage bleibt nur (außer bei Schiechl, der natürlich mit einer gewichtigen Kürzung vorlieb nehmen muss), ob sie mit besseren Angeboten von anderen Teams rechnen können. Erwarte außer bei den Spitzenteams ein noch gesteigerteres Drei-Linien-Spiel, daher bleibt die Frage, wer sich wie viele Österreicher zu den 12 oder 13 Legionären leisten will. Bei Teams wie Salzburg, dem KAC oder den Vienna Capitals soll vermehrt auf Farmteam-Spieler gesetzt werden.

Wo die Sportmanager (bzw. Coaches, die als solche agieren) jetzt glänzen können, ist der Legionärsmarkt. Corona hat es möglich gemacht, dass eine Unzahl an vertragslosen Cracks (vor allem aus Übersee) einer kleinen Anzahl an aufnahmewilligen Teams gegenübersteht.

Ein Blick in die ausländischen Ligen

Die Schweiz hat wie immer nur vier Legionärsplätze und die sind für Spitzencracks reserviert, die hierzulande sowieso unerschwinglich wären. Allerdings muss am 12. August erst einmal beschlossen werden, wie viele Fans zu den Spielen kommen dürfen.

In der KHL saugen normalerweise Teams wie Dinamo Riga (der neue Klub von Konstantin Komarek), Kunlun Red Star oder Dinamo Minsk Spieler vom mitteleuropäischen Markt ab. Doch heuer rauft Riga, stets ein säumiger Zahler, noch mehr mit dem Rotz als sonst, Kunlun hat nach der Übersiedlung nach Moskau andere Sorgen und in Minsk fließen die Lukashenko-Millionen auch nicht mehr so wie früher. Matt White bzw. Brandon Kozun kamen gestern noch in Riga bzw. Minsk unter, weitere, aber nicht unzählige, werden folgen.

Schweden und Tschechien weisen Parallelen, aber auch große Unterschiede auf. Beide sind Selbstversorger, die heuer schon früh ihre Kader mit einheimischen Cracks aufgefüllt haben. Die tschechischen Teams heben sich aber noch einige Plätze für ihre lokalen Heros auf, die per Leihe aus der NHL zumindest bis November zurückkehren werden. Die schwedischen Teams sprachen sich gegen diese NHL-Teilzeitarbeiter aus. Sicher wird noch der eine oder andere reguläre Legionär kommen, aber in einer überschaubaren Anzahl.

In Finnland haben schon seit Jahren nur eine Handvoll Teams (Tappara Tampere, Kärpät Oulu, Lukko Rauma und eventuell IFK Helsinki) brauchbare Mittel. Ein Beispiel für die finanzielle Schieflage: Die Pelicans Lahti untersagten ihren Cracks eine Trainingsteilnahme bis September, der Staat soll bis dahin für sie aufkommen. Strenge Einreisebestimmungen – der Kalifornier Austin Ortega, der zu seinem neuen Team TPS Turku stoßen sollte, wurde an der finnischen Grenze zurückgewiesen – ermuntern die Teams auch nicht dazu, vermehrt nach Nordamerika zu schielen.

Bleibt von den größeren Ligen noch die DEL, von jeher der größte Konkurrent für einheimische Teams im Rennen um nordamerikanische Cracks. Vor 13. November wird dort nicht gespielt (wenn überhaupt), der ICE-Starttermin 25. September wird dort ungefähr der Trainingsbeginn sein. Immer mehr nordamerikanische Spieler schauen Richtung Mitteleuropa – wie mir ein deutscher Agent bestätigte, zeigen sich auch AHL-Veteranen von den abgesackten Gehältern nicht abgeschreckt.

Die Frage bleibt: Warten diese Spieler auf ein 60.000-Euro-Angebot aus der DEL oder ziehen sie ein um 10 oder 20.000 niedrigeres Offert aus Österreich vor, das ihnen Wochen des inaktiven Wartens erspart? Capitals-Defender Brenden Kichton dürfte diese Frage zugunsten der DEL beantwortet haben.

Auch ohne etwaige AHL- oder ECHL-Cracks, deren Saison frühestens im Dezember beginnt, gibt es unzählige Imports mit langjähriger Europa-Erfahrung. Anfang August ist der Markt normalerweise schon ausgedörrt, Corona allerdings macht alles anders. VSV-Manager Gerhard Unterluggauer, der schon vor Monaten große Qualität zu kleinen Preisen auf sich zukommen sah, könnte recht behalten, muss dies aber nach dem elendslangen Transferstopp in Windeseile bis zum Trainingsstart umsetzen – trotz Vorgesprächen sicher nicht einfach.

Nur ein willkürliches Beispiel für den proppenvollen Legionärsmarkt: Ich habe in den letzten Monaten eine Liste von 125 Spielern erstellt, die für europäische Teams von Interesse wären. Davon haben 31 Cracks in den letzten Wochen einen Job gefunden, nicht einmal ein Viertel. In normalen Jahren wäre das Verhältnis umgekehrt bzw. noch weit geringer ausgefallen.

Ein AHL-Topscorer wie Sam Anas wird natürlich weiterhin nicht in der ICE aufschlagen, auch einen Ben Street oder Brandon McMillan halte ich für äußerst unrealistisch. Aber langgediente AHLer wie Kevin Porter, Chris Conner, Zac Leslie oder Andrew MacWilliam könnten schon eher drinnen sein, und das zu weit geringeren Preisen als in vergangenen Sommern. Und aus der DEL könnte hierzulande bessere und jüngere Qualität als sonst zu haben sein – schnelles Handeln vorausgesetzt…

Ein Vereinsvertreter sagte mir Ende Juni: "Schön langsam müssen wir wieder in die Gänge kommen." Schön langsam bedeutete fünf Wochen. Linz und Bozen müssen knapp sechs Wochen vor dem Saisonstart auch noch die Trainerfrage lösen (auch das ein Unikum), der Rest der Liga kann sich wenigstens dem Spielermarkt widmen.

Bessere Legionärsqualität zu geringeren Preisen bei verkleinerten Kadern kann in der ersten ICE-Saison erhofft bzw. erwartet werden. Parallel zu den weiteren Verhandlungen mit der Regierung gilt es auch alle Spieler ins Land zu finden, vollständige Kader zu Trainingsbeginn wären aber ein Wunder…

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