Aktuell ist Lilli Tagger in der Frauen-Weltrangliste auf einer Position um 500 zu finden.
Das ist für ein gerade einmal 17-jähriges Mädchen schon durchaus beachtlich. Freilich ist es nicht das, wo die ehrgeizige Osttirolerin einmal hin will.
Unter den Fittichen der ehemaligen French-Open-Gewinnerin Francesca Schiavone und beraten von Jannik-Sinner-Manager Alex Vittur arbeitet Tagger täglich stundenlang, um sich einmal den Traum zu erfüllen, den Sprung in die Topregionen des Welttennis zu schaffen.
LAOLA1 zu Besuch in Lienz
So durchgeplant das angesichts der prominenten Rundum-Betreuung alles klingt: "Wir haben nie das Ziel gehabt, dass Lilli ins Profi-Tennis geht. Das ist einfach Step-by-step gegangen und hat sich dann irgendwann verselbständigt", erzählt Mutter Sabine Tagger im Gespräch mit LAOLA1.
Im passenden Rahmen. Wir haben Lillis Heimatstadt Lienz einen Besuch abgestattet und uns mir der Familie im Tennisclub Lienz getroffen, um über den bisherigen Werdegang von Lilli zu plaudern. An jener Stelle, wo die kleine Lilli bereits im zarten Alter von vier Jahren erstmals zum Tennisschläger griff.
In die Wiege gelegt wurde ihr der Tennis-Sport freilich schon. Papa Stephan und Mama Sabine spielten beide in der Tennis-Bundesliga und auch ihre älteren Geschwister Ben (20 Jahre) und Emma (18 Jahre) greifen in der Landesliga regelmäßig zum Schläger.
"Tennis-Familie" Tagger
"Wir sind eine richtige Tennis-Familie", lacht Mutter Tagger. "Wobei Ben, unser Ältester, am Anfang lieber Fußball gespielt hat. Das hat für uns auch gepasst und es war auch schön, einmal andere Sachen zu sehen."
Als die kleinen Schwestern mit den ersten Turnieren begonnen haben, sei aber auch Ben "auf einmal aufgesprungen".

Wodurch Familie Tagger schon bald zahlreiche Kilometer auf Österreichs Autobahnen abspulen durfte. Denn die meisten Nachwuchs-Turniere finden im Osten des Landes statt.
"Wir sind zu dieser Zeit dann schon extrem viel herumgefahren. Als die Lilli U10 war, war die Emma U12 und der Ben U14. Da sind wir quer durch Österreich gefahren", erinnert sich Sabine Tagger zurück. Hinzu kamen die immer zeitintensiveren Trainingseinheiten.
Zwei Mal in der Woche nach Kitzbühel
"Als Lilli in die erste oder zweite Gymnasium-Klasse gegangen ist, hat sie angefangen, nach Kitzbühel zu einem australischen Trainer in der Nähe von Kitzbühel zu pendeln." Eineinhalb Stunden betrug die Fahrtzeit von Lienz nach Kirchberg, wo Mark Carruthers die beiden Schwestern auf das nächste Level hob.
"Rückblickend stelle ich mir schon die Frage, wie wir das eigentlich gemacht haben. Sie sind ja auch noch alle in die Schule gegangen", erinnert sich Sabine Tagger an den damals stressigen Alltag zurück.
Frühe Umstellung auf einhändige Rückhand
Bereits in dieser Zeit stellte die 11-jährige Lilli auf ihre in der heutigen Zeit so ungewohnte einhändige Rückhand um. "Sie wollte das schon immer und Mark hat das voll unterstützt." Die Umstellung hatte übrigens nichts mit Dominic Thiem zu tun.
"Sie fand es bewegungstechnisch einfach schöner. Ihr war auch klar, dass das ergebnistechnisch am Anfang ein Rückschritt sein wird. Welches Kind hat schon die Weitsicht, zu sagen, dass es langfristig für einen der bessere Schlag ist? Sie hat aber viel geübt und ist immer dabei geblieben, sie hat nie mehr die zweite Hand zur beidhändigen Rückhand benutzt."

Vor allem Papa Stephan, der der Idee anfangs eher kritisch gegenüberstand, habe in dieser Zeit viel mit ihr an der einhändigen Rückhand gefeilt. Die Umstellung wurde am heimischen Familientisch nicht nur einmal diskutiert. "Beim Blocken beim Return ist es mit beiden Händen natürlich leichter, aber die Beschleunigung und der Schwung sind mit einer Hand besser. Mit der zweiten Hand sperrst du dich ja auch ein bisschen."
Beidhändig war keine Option
Viele Experten, wie auch vor Kurzem Barbara Schett, gaben zuletzt ihre Sorgen kund, ob sich in der heutigen Zeit überhaupt noch eine Spielerin mit einer einhändigen Rückhand in die Weltklasse spielen kann. Aktuell stehen gerade einmal zwei Spielerinnen mit einer einhändigen Rückhand in den Top 100. Eine davon ist die schon 37-jährige Tatjana Maria aus Deutschland.
Ob es nicht besser gewesen wäre, ganz klassisch auf die beidhändige Variante zu setzen? "Für mich stellt sich diese Frage nicht. Für Lilli war das einfach die natürlichere Bewegung und sie wäre mit einer beidhändigen Rückhand sicher nicht die bessere Tennis-Spielerin", will sich Mama Tagger diesbezüglich auf kein "Was-wäre-wenn"-Spielchen einlassen.
Auf den Spuren von Jannik Sinner
Die Zusammenarbeit mit Carruthers lief zwar gut, ging aber nach zwei Jahren zu Ende, nachdem die langen Pendelzeiten kaum mehr machbar waren für die Familie.
"Deshalb haben wir uns dann neu umschauen müssen. Ben hat dann im Fernsehen den Jannik Sinner beim Stadthallen-Turnier gesehen und mir erzählt, dass der aus Innichen (Anm.: Südtirol und nicht weit weg von Lienz) kommt."
Auf diesen Frauen ruhen Österreichs Tennis-Hoffnungen 2025
Vater Stephan begab sich daraufhin auf Recherche und stieß schon bald auf auf den ersten Trainer von Sinner, der die Familie nach Bruneck zur Tennis-Schule Andrea Spizzica verwies. Der dortige Coach Heribert Mayr avancierte zum Entdecker des jungen Jannik Sinner. Über Mayr kamen die Taggers schließlich zu keinem Geringeren als Alex Vittur – dem heutigen Manager und Mastermind des Projekts "Jannik Sinner".
Italien statt Mouratoglou-Akademie
"Wir hatten damals schon eine Homepage und Alex hat uns dann kontaktiert. Lilli war damals knapp 13 Jahre alt. Damals hatten wir eigentlich schon einen fertigen Vertrag mit der Mouratoglou-Akademie vor uns liegen", erinnert sich Tagger zurück. "Wir waren drauf und dran, das zu unterschreiben, waren auch schon zwei Mal mit allen in Nizza."
Rückblickend sei Sabine Tagger allerdings froh gewesen, dass dieser Plan wieder verworfen wurde. "Es wäre der Anfang vom Ende gewesen – das ist eine Riesenmaschinerie dort", sagt sie über die Akademie des ehemaligen Coaches von Serena Williams, die als eine der größten und bekanntesten der Welt gilt.
"Es ist sicher eine tolle Infrastruktur mit tollen Trainern, aber du bist dort halt eine Nummer. Wir haben den ganzen Sommer überlegt. Am Ende haben wir uns dann aber entschieden, dass wir noch einmal mit Vittur reden. Der hat uns dann auch auf einige Dinge in diesem Vertrag aufmerksam gemacht, die zwischen den Zeilen stehen und die du als Eltern gar nicht fassen kannst. Das sind ziemliche Knebelverträge, die man dort zu erfüllen hat."
Mit 13 Jahren nach Italien
In Folge wurde aus Nizza Vicenza. Vittur vermittelte Lilli in die Tennis-Schule von Massimo "Max" Sartori, quasi lebenslanger Betreuer von Andreas Seppi und auch ehemaliger Coach von Karin Knapp, Simone Vagnozzi und Marco Cecchinato.

"Ab ihrem 13. Geburtstag hat Lilli immer wieder wochenweise bei Max trainiert. Eigentlich hätte sie die Unterstufe hier noch fertig machen sollen. Max hat uns damals aber gesagt, dass Lilli vom Niveau ein Jahr hinter den Weltbesten ist, aber ungemeines Potenzial hat. Aus seiner Sicht solle sie so früh wie möglich zu ihm kommen."
Doch wie sollte das funktionieren? Ein 13-jähriges Mädchen alleine in einem fremden Land mit einer fremden Sprache? Außerdem gab es in Sartoris Akademie kein Internat, wo auswärtige Spieler wohnen hätten können.
Trainer-Familie nimmt Lilli Tagger auf
Die etwas unorthodoxe Lösung: Trainer Sartori nahm die kleine Lilli in die eigene Familie auf. Nach der dritten Gymnasium-Klasse zog Lilli bei den Sartoris ein und wechselte auf einen Online-Unterricht.
Oma Sartori, die Mutter des heute 58-jährigen Sartoris, spricht als Südtirolerin deutsch und kümmerte sich fortan um das kleine – wenn auch großgewachsene – Mädchen aus Lienz.
"Das war super und die perfekte Lösung. Wir werden Max dafür ewig dankbar sein. Sonst hätte das ganze Projekt nicht funktioniert. Mit 13 bist du ja doch noch sehr jung", ist Sabine Tagger dem italienischen Top-Trainer auch heute noch dankbar.
Wobei die geografische Trennung von der Tochter alles andere als leicht war. "Als wir sie zum ersten Mal nach Vicenza gebracht haben, waren wir auch gespannt, ob sie nicht noch auf unserem Heimweg anruft und wir wieder umdrehen sollen, um sie wieder abzuholen", erinnert sich Mama Sabine zurück.
"Es gibt natürlich nicht nur tolle Tage und sie hatte sicher großes Heimweh, als sie noch so klein war. Sie hat aber gewusst, dass sie das grundsätzlich will und dazu muss sie das andere mitnehmen", verweist Mutter Tagger auf die damals schon beeindruckende Konsequenz ihrer Tochter.
Im Herbst 2023 folgte Wechsel zu Schiavone
Das Projekt "Tennisprofi" lief also weiter und auch ganz nach Plan. Lilli entwickelte sich prächtig und zog auch international immer mehr Aufmerksamkeit auf sich. Freilich kam sie schon im Herbst 2023 zur nächsten entscheidenden Wegkreuzung.
Denn schön langsam rief die weite Welt – sprich die internationale Turnierlandschaft - nach Lilli. Rufe, die eine potenzielle Profi-Tennis-Spielerin freilich erhören sollte.
Während Lilli dies auch gerne tun wollte, sah die Lebenssituation für Trainer Sartori nach vielen Jahrzehnten auf der Tour anders aus: "Max war in seiner Karriere extrem viel unterwegs. Er hätte die Lilli zwar gerne betreut, aber er wollte einfach nicht mehr soviel reisen. Außerdem wollte er auch auf seine Mama schauen, die mittlerweile um die 80 ist."

Es stand also erneut der nächste Schritt auf dem Programm. Manager Vittur sah sich nach Optionen um und fand Francesca Schiavone – ihres Zeichens French-Open-Siegerin von 2010 und ehemalige Nummer vier der Welt.
"Eigentlich standen wir kurz davor, uns die Tennis-Akademie von Michael Geserer (Anm.: Ex-Coach von Julia Görges und Petra Martic) anzuschauen, dann hat Alex angerufen und gefragt, ob wir nicht am 1. November 2023 vier Tage bei Schiavone schnuppern wollen."
Liebe zur italienischen Mentalität
Aus vier Tagen wurden drei Wochen und das Thema "Deutschland" war schnell abgehakt. Für Mama Tagger die richtige Entscheidung: "In Deutschland wär es sicher ein Quantensprung von der ganzen Mentalität gewesen. Lilli kommt mit der italienischen Mentalität extrem gut zurecht. Zudem spricht sie mittlerweile ja fließend italienisch. Das Leben da unten passt jetzt einfach für sie."
Lilli wohnt mittlerweile in einer eigenen Wohnung in Mailand und absolviert eine Online-Schule in Bozen, die früher bereits Andrea Seppi besuchte. Alle paar Wochen ist sie selbst vor Ort, abseits ihrer schulischen Verpflichtungen dominiert der Sport den Alltag.
"Der ganze Tag ist ausgefüllt mit Fitness und Tennis. Seitdem sie in einer eigenen Wohnung wohnt, selbst kocht und Schläger bespannt, hat sie eigentlich kaum Luft für andere Sachen. Pro Tag reißen Lilli zwei bis drei Schläger. Da hat sie schon viel zu tun."
Schiavone attestiert Tagger schon jetzt Top-150-Niveau
Das tägliche Training findet in Schiavones Tennis-Akademie in Varese, etwas außerhalb von Mailand, statt. 12 bis 15 Spieler schwitzen dort, um sich ihren Lebenstraum vom Tennis-Profi zu erfüllen. Der ehemalige ATP-Spieler Lorenzo Frigerio agiert als rechte Hand Schiavones, die sich Lilli Tagger mittlerweile aber vollumfänglich widmet.
"Sie macht mittlerweile das ganze Training und ist auch bei fast jedem Turnier dabei. Francesca sagt, dass Lilli schon jetzt Top-150-Niveau hat. Es fehlt einfach noch ein bisschen die Konstanz. Dabei ist aber auch noch soviel Potenzial da", so Tagger.
Eine Aussage, die sich auch leicht mit nackten Zahlen bestätigen lässt. Obwohl sie erst elf Turniere auf der großen WTA-Tour bestritt, steht Tagger in der Frauen-Weltrangliste bereits auf Position 545. Ende März gewann sie beim W35-Event im spanischen Terrassa ihr erstes Turnier auf der Erwachsenen-Tour. Auf ihrer Abschussliste stehen bereits einige Top 200-Spielerinnen.
"Die Partien werden aber auch immer konstanter, sonst hätten sie auch das 35er nicht gewonnen. Früher war es so, dass sie mal eine gute Partie gespielt hat und dann lief es nicht so gut. Das ist aber auch eine körperliche Frage. Lilli ist 1,85 Meter groß, ihre Beine sind super trainiert. Im Oberkörper ist sie aber noch etwas zart. Wenn du so groß bist, brauchst du schon eine große Stabilität.“
Schiavone "legt ungemeines Engagement an den Tag"
Mit Schiavone scheint Tagger so etwas wie ein "perfect match" erwischt zu haben. Alleine schon deshalb, weil Schiavone selbst eine der wenigen Weltklasse-"Einhänder" in diesem Jahrtausend war.

"Das ist aber nur Zufall. Francesca sieht bei Lilli sicher das gesamte Paket. Wenn du selbst einhändig gespielt hast, kannst du aber sicher die Möglichkeiten wie mit dem Slice besser abschätzen."
Über elf Millionen Dollar Preisgeld hat Schiavone in ihrer Profi-Karriere erspielt. An Ehrgeiz und Einsatz mangelt es bei der 44-jährigen Italienerin aber nicht – ganz im Gegenteil!
"Francesca legt ein ungemeines Engagement an den Tag. Auch privat kümmert sie sich um Lilli, wenn sie mal an einem Wochenende alleine ist", so Tagger. Die Expertise von Schiavone sei sowieso bemerkenswert: "Sie hat ein ungemeines Spielverständnis. Da ist sie unheimlich intelligent. Auch diese mentale Einstellungssache. Da kann Lilli extrem viel lernen. Wie verhalte ich mich? Was zeige ich dem Gegner und was nicht? Da ist Francesca extrem gut."
Fokus liegt auf Entwicklung, nicht am Ranking
Den Fokus legt Schiavone weiterhin in erster Linie auf die spielerische und körperliche Weiterentwicklung. Ergebnisse sind vorerst noch sekundär. "Spezielle Zielvorgaben gibt es nicht. Sie darf sich jetzt einfach mal die nächsten zwei Jahre weiterentwickeln. Sie braucht die Ruhe. Den Druck macht man sich dann eh selbst."
Dementsprechend hat auch das Junioren-Tennis keinen hohen Stellenwert mehr. Tagger wird wahrscheinlich nach den Grand-Slam-Turnieren in Roland Garros und Wimbledon endgültig auf die Erwachsenen-Tour wechseln.
"Für Francesca macht es keinen Unterschied, ob sie Top 10 oder Top 20 steht. Es gibt dann zwar Wild Cards für manche Turniere, aber das Niveau muss sie ja sowieso spielen können."
Kein Hype wie bei Joel Schwärzler
Davon kann auch Joel Schwärzler ein Lied singen. Der ehemalige Junioren-Weltranglisten-Erste tut sich nach seinem gelungenen Einstand auf der ATP-Tour im Vorjahr mittlerweile immer schwerer auf Challenger-Ebene. Für viele Experten wurde der junge Vorarlberger etwas zu früh hoch gehypt. Schwärzler hätte mit dem großen Erwartungsdruck an seine Person so seine Probleme.
Ein ähnliches Schicksal soll Lilli Tagger nicht erleiden. Hilfreich sei dabei, dass sie schon seit einigen Jahren im Ausland trainiert. "Sie ist schon ein bisschen weit weg vom Schuss. Das ist, glaub ich, ganz gut für sie, dass sie da unten ist."
Grundsätzlich sei sie aber sowieso nicht der Typ, der schnell mit den Füßen den Boden verlässt. "Ihre Normalität ist sicher ihre Stärke. Sie ist extrem geerdet und bescheiden in ihrer Art. In den sozialen Medien sieht sie natürlich, was über sie geschrieben wird." Davon lasse sie sich aber nicht verrückt machen.
"Erfolge genießen, um Rückschläge auszuhalten"
"Ich glaube, dass es nicht schlecht ist, dass sie außerhalb von Österreich ist. In Italien ist sie nicht niemand, aber es gibt natürlich keinen Hype. Wir versuchen auch, da nicht alles zu zelebrieren. Wir haben natürlich eine Mordsfreude, wissen aber auch, dass der Weg noch sehr weit ist."
Wobei aber die Freude am Sport nicht verloren gehen darf. "Sie muss Erfolge auch genießen, Rückschläge gibt’s ja schließlich auch. Tennis ist hart. Am Ende des Tages wird man wahrscheinlich immer mehr verlieren als gewinnen. Deshalb muss sie das Positive mitnehmen, um die Rückschläge auszuhalten."
Ein Lebensmotto, das sich auf ihrem bisherigen Werdegang bislang rentiert hat – und das hoffentlich auch in Zukunft tun wird.