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Alcaraz - vom "Spaghetti" zum Paris-Sieger?

Der Hype um Carlos Alcaraz wird immer größer. Zurecht?

Alcaraz - vom Foto: © getty

Die French Open 2022 warteten schon vor dem ersten Ballwechsel mit einer bemerkenswerten Premiere auf: Erstmals seit fast 20 Jahren heißt der Top-Favorit bei einem Grand-Slam-Turnier nicht Roger Federer, Rafael Nadal oder Novak Djokovic.

Carlos Alcaraz hat die Herzen der Tennis-Welt in den letzten Monaten im Sturm erobert und ist für viele Experten und vor allem Fans trotz seiner gerade erst 19 Jahre nicht nur reif für seinen ersten Major-Titel, sondern sogar bereits der erste Anwärter auf den Triumph in Roland Garros.

Dass der junge Mann aus der spanischen Kleinstadt El Palmar in der südspanischen Provinz Murcia das Zeug zum künftigen Grand-Slam-Sieger hat, stand für die meisten Fachleute schon länger fest.

Raketenartiger Aufstieg in die Weltspitze

Der raketenartige Aufstieg in den vergangenen Monaten überraschte aber dann doch viele.

Schon sein erstmaliger Triumph bei einem ATP-1000-Turnier im März in Miami auf Hartplatz war beeindruckend. Was Alcaraz dann aber in Madrid auf Sand hinlegte, fällt einfach nur in die Kategorie "außergewöhnlich".

Zunächst rang er den bislang unumstrittenen Sandplatz-König und sein Kindheitsidol Rafael Nadal im Viertelfinale in die Knie. Danach folgte ein harterkämpfer Drei-Satz-Sieg über Marathon-Mann Novak Djokovic, ehe er im Endspiel den Weltranglisten-Dritten und Titelverteidiger Alex Zverev vom Platz schoss.

Alcaraz ist damit der jüngste Spieler überhaupt, der auf dem Weg zu einem 1000er-Titel drei Top-5-Spieler schlug. Zudem war er der erste Spieler überhaupt, der Nadal und Djokovic auf Sand beim gleichen Turnier schlagen konnte.

Auch der Auftakt in seine ersten French Open überhaupt verlief recht vielsprechend für Alcaraz, der am Sonntag gegen den Argentinier Londero insgesamt gerade einmal sechs Games abgab und nun am Mittwoch auf seinen spanischen Landsmann Albert Ramos Vinolas trifft.

Ist der nunmehrige Weltranglisten-Sechste also wirklich schon bereit für den ganz großen Wurf bei einem Grand-Slam-Turnier?

Viel Lob von Djokovic und Nadal

Für Djokovic, der sich eine Woche nach Madrid in Abwesenheit von Alcaraz den 1000er-Titel in Rom sichern konnte, bestehe daran "kein Zweifel. Er ist derzeit der beste Spieler der Welt und definitiv etwas ganz Besonderes."

Auch für Nadal ist der erste Major-Titel seines Landsmannes nur mehr eine Frage der Zeit. "Madrid war der Start der Zepter-Übergabe. Ob sie heute schon vollzogen wird oder erst in ein paar Monaten, werden wir sehen", erkennt der 35-jährige Mallorquiner den 16 Jahre jüngeren Alcaraz als seinen offiziellen Nachfolger an.

Alcaraz punktet vor allem mit seiner starken Topspin-Vorhand

Alcaraz nimmt die Lobkundgebungen der Konkurrenz cool auf. Druck verspüre er deshalb keinen. "Für viele Leute bin ich nun einer der Favoriten in Roland Garros. Aber deshalb verspüre ich keinen Druck. Ganz im Gegenteil: Für mich ist das eine Motivation, mein bestes Tennis zu spielen."

In Bescheidenheit aufgewachsen

Bemerkenswert: Obwohl der Youngster sein in den vergangenen Monaten erspieltes Selbstvertrauen offen an den Tag legt, kommt er bei seinen Interviews nicht überheblich rüber. "Er ist ein fantastischer Spieler und noch dazu ein sehr netter und bescheidener Typ mit guten Werten", beschreibt ihn beispielsweise Djokovic. Das könnte auch an der familiären Umgebung liegen, in der er als Kind aufwachsen durfte.

Murcia ist stark landwirtschaftlich geprägt. Die Menschen arbeiten hart und diszipliniert, versprühen aber auch viel Lebensfreude. Eigenschaften, die auch den ehrgeizigen Alcaraz auszeichnen, der mit seinen drei Brüdern quasi am Tennisplatz aufwuchs. Sein Vater Carlos ist Chef einer Tennis-Akademie in Murcia.

Ferrero erkannte das große Potenzial schnell

Dort trainierte er auch bis zum Alter von 15 Jahren, ehe er in die nur eine Stunde entfernte Tennis-Akademie des ehemaligen Weltranglisten-Ersten Juan Carlos Ferrero wechselte.

Der Paris-Sieger von 2003 wurde schon vier Jahre davor auf das Mega-Talent aufmerksam gemacht und erkannte schnell das in ihm schlummernde Potenzial. "Er hat bei uns schon ein paar Kinder-Turniere gespielt", erinnert sich Ferrero in einem BBC-Interview zurück.

"Er spielte schon mit elf Jahren auf einem großartigen Level und war einfach anders als die anderen. Seine Vorhand war schon damals etwas Besonderes." 

Wir haben viel an seiner Fitness gearbeitet. Manchmal sage ich immer noch scherzhaft zu ihm, dass er früher einfach nur ein Stück Spaghetti war

Coach Ferrero über Alcaraz' körperliche Entwicklung

Während heutzutage sehr viele Vergleiche zu Nadal gezogen werden, erinnerte vor einigen Jahren allerdings noch recht wenig an das mallorquinische Muskelpaket.

"Einfach nur ein Stück Spaghetti"

"Wir haben viel an seiner Fitness gearbeitet. Manchmal sage ich immer noch scherzhaft zu ihm, dass er früher einfach nur ein Stück Spaghetti war", schmunzelt Ferrero über die körperliche Entwicklung seines Schützlings.

Diese sei mittlerweile allerdings auch eine zwingend notwendige Grundlage, um dauerhaft im Spitzentennis bestehen und vor allem, um um Grand-Slam-Titel mitspielen zu können.

"Einen Grand-Slam-Titel zu gewinnen, ist richtig schwierig", weiß Ferrero, der selbst "nur" seinen French-Open-Sieg von 2003 vorweisen kann. "Man muss gegen die Besten der Welt in ziemlich langen Matches bestehen."

Ferrero legt Wert auf Bodenständigkeit und Disziplin

Dementsprechend gebe es auch noch viel zu tun. "Wir müssen weiter hart arbeiten und uns voll auf unsere Arbeit konzentrieren. Das ganze Rundherum darf ihn nicht ablenken. Ich sage ihm immer: Er hat bis jetzt keine großen Errungenschaften erreicht", legt Ferrero viel Wert auf Bodenständigkeit und Disziplin.

Bislang fällt dieser ausgestreute Samen auf fruchtbaren Boden. Wie Vorbild Nadal scheint auch Alcaraz das große Verlangen danach zu haben, sich selbst und sein Spiel immer weiter zu verbessern. "Ich glaube, dass ich mich immer weiter verbessern muss und dass man sich immer weiter verbessern kann. Du wirst niemals deine Grenze erreichen können", so Alcaraz, der diesbezüglich auf die "Big Three" verweist.

Alcaraz: "Will mich immer weiter verbessern"

"Schau dir Rafa, Djokovic, Federer an. Die verbessern sich seit vielen, vielen Jahren laufend und finden immer wieder neue Dinge, die sie noch besser machen können. Deshalb sind sie auch so gut und deshalb sind sie auch schon so lange ganz oben an der Spitze zu finden – weil sie einfach nicht aufhören. Sie arbeiten weiter und werden besser."

"Und genau das will ich auch machen. Ich will weiter Fortschritte erzielen. Ich habe schon richtig gute Schläge. Ich sag nicht, dass ich diese Schläge nicht habe – aber ich immer noch mehr daran arbeiten und sie noch besser machen", formuliert Alcaraz beinahe schon eine Drohung an seine Spieler-Kollegen.

Einzigartiges Spiel

Denn das Spiel des Youngsters stellt die meisten Konkurrenten schon jetzt vor viele scheinbar unlösbare Aufgaben.

Gefürchtet: Der Vorhand-Stop von Alcaraz
Foto: © getty

Mit seinen schnellen und einem extremen Topspin ausgestatten Vorhandschlägen dominiert Alcaraz das Spiel von der Grundlinie, drängt seine Gegner weit aus dem Spielfeld, um sie am Ende mit einem seiner schon gefürchteten - weil kaum lesbaren - Stoppbälle zu überraschen.

Da der Youngster auch dazu in der Lage ist, Spielsituationen gut lesen und analysieren zu können, macht ihn diese Grundausstattung allein schon zu seinem extrem gefährlichen Spieler.

Großes Schlagrepertoire als Herausforderung

Hinzu kommt eine nicht minder schwächere beidhändige Rückhand, sowie ein starker Aufschlag, der ihn auch in engen Situationen nicht im Stich lässt. Alcaraz bietet kaum Angriffsflächen, die sie attackieren könnten, während er selbst mit seinen Waffen massig Schaden anrichten kann.

"Wir haben an allen Schlägen gearbeitet und viel Wert auf die Schlagwahl gelegt", erklärt Ferrero die Herausforderung bei einem großen Schlagrepertoire. "Er hat viele Talente und deshalb muss er im Kopf auch immer alle Optionen parat haben, während er sich gerade im Ballwechsel befindet."

Das Kopfzerbrechen soll am Ende allerdings seinen Gegnern vorbehalten bleiben. Auch in Paris.

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