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These: Einen wie Thiem bekommen wir lange nicht mehr

Naht der Rücktritt von Dominic Thiem? Und wie stehen die Chancen auf den nächsten österreichischen Grand-Slam-Sieger? LAOLA1 debattiert:

These: Einen wie Thiem bekommen wir lange nicht mehr Foto: © GEPA

In unserem neuen Format "Ansichtssache" versuchen wir, Meinungen, Stimmungen, Überreaktionen oder sonstige Ansichten jeglicher Art in eine These zu packen und zu analysieren.

Das kann mal provokant sein, mal eine oft gehörte Meinung. Mal sehr strittig, mal weniger. Mal eine Prognose, mal eine simple Einordnung.

Dieses Mal geht es um den Status quo rund um Dominic Thiem: Kommt unser Tennis-Star nach einer folgenschweren Handgelenksverletzung, die in den letzten Wochen erneut Probleme bereitet hat, noch einmal in die Spur? Und wie kann das gelingen? Werden wir so einen wie ihn in absehbarer Zeit noch einmal bekommen?

In Zukunft wollen wir auch User-Thesen debattieren. Diesmal waren unsere Redaktions-Kollegen aufgerufen, drei Ansagen zu liefern, die in weiterer Folge von den LAOLA1-Redakteuren Johannes Bauer und Christian Frühwald eingeordnet wurden.

1. Geht es in dieser Tonart weiter, werden wir Dominic Thiem nächstes Jahr nicht mehr auf der ATP-Tour sehen.

Johannes Bauer

Das fürchte ich auch. So sehr ich Dominic Thiems Durchhaltevermögen schätze, können die aktuellen Ergebnisse weder Ziel noch Anspruch sein.

Kombiniert mit dem strapaziösen Leben auf der ATP-Tour und dem überschrittenen 30er muss er sich die Sinnfrage irgendwann stellen. Und die käme drei Jahre nach der folgenschweren Handgelenksverletzung nicht mehr zu früh.

Ich habe Thiem die Rückkehr an die Weltspitze immer zugetraut. Auch nach den mäßigen Ergebnissen der ersten Comeback-Monate. Aber der Turnaround hätte viel früher stattfinden müssen, um diese Hoffnung am Leben zu erhalten.

Diesen Zug sehe ich mittlerweile abgefahren. Und fürs Mitläufertum ist der Lichtenwörther nicht auf die ATP-Tour zurückgekehrt. Trotz zweckmäßiger, kleinerer Saisonziele. Er ist ein Grand-Slam-Sieger, der vor seiner Verletzung auf Kurs zu mehr war.

Dass selbst diese kleinen Behelfsziele aktuell wieder einmal weit außer Reichweite erscheinen, ist für mich der eine Warnschuss zuviel.

Tennis ist eine Kopfsache. Und gerade mental scheint in den letzten drei Jahren einfach zu viel kaputtgegangen zu sein. Weit mehr als im restlichen Körper. Ein weiteres Jahr voller Tiefschläge könnte zu viel des Schlechten sein. Wenn jetzt auch das Handgelenk wieder vermehrt Probleme machen sollte, kommt schon einiges zusammen...

 

Christian Frühwald

Ich gebe dem Kollegen Bauer großteils recht: Für diese These muss man sich nicht allzuweit aus dem Fenster lehnen.

Schließlich hat Dominic Thiem bereits in den letzten Wochen schon zwei Mal angekündigt, dass er keine Lust mehr darauf habe, sein Dasein als Tennis-Profi weiterhin an der Top-100-Grenze fristen zu wollen.

Kein Wunder: Wer jahrelang bei Grand-Slam-Turnieren vor Tausenden von Zuschauern um den Titel mitgespielt hat (vier Major-Finali!), kann auf Challenger-Ebene vor spärlich besetzten Rängen seine Motivationskurve wohl nur schwer auf dem höchsten Level halten.

"In jedem Job musst du dich wohl fühlen, sonst ist es an der Zeit, etwas zu ändern", meinte der 30-jährige Lichtenwörther kürzlich in einem Ö3-Interview. Dass sich Thiem am Tennisplatz aktuell nicht wohl fühlt, konnte man an seinen letzten Auftritte  erkennen.

Aus österreichischer Fan-Sicht wäre es natürlich erfreulich, wenn Thiem weiter dranbleiben würde. Selbst wenn er nur vereinzelt an frühere Top-Leistungen anknüpfen kann, hat er es drauf, für Begeisterung zu sorgen. Man denke an den letztjährigen Final-Einzug in Kitzbühel.

Es muss allerdings auch der Körper mitspielen. Erst am Mittwoch hat Thiem bekanntgegeben, dass ihm seit einigen Wochen erneut sein lädiertes Handgelenk Probleme bereitet. Unter diesem Blickwinkel sind auch die Challenger-Niederlagen in Ungarn und Kroatien im Rückblick gänzlich anders zu bewerten.

2. Wenn Dominic Thiem nochmal zurück an die Spitze will, muss er Günter Bresnik als Trainer zurückholen.

Christian Frühwald

Klingt in der Theorie vernünftig, wird in der Praxis aber nicht umsetzbar sein. Auch wenn man sich nach der Trennung schließlich doch noch außergerichtlich einigen konnte und Bresnik sogar in seiner "SN-Kolumne" diesbezüglich Bereitschaft signalisierte: Es ist dabei einfach zu viel Porzellan zerbrochen worden.

Es ist auch müßig, über eventuelle Schuldfragen diesbezüglich zu diskutieren. Beide Seiten hatten damals nachvollziehbare Positionen, beide haben in der Kommunikation nach innen und außen ihre Fehler gemacht. Über vergossene Milch soll man nicht weinen. Das Kapitel ist abgeschlossen.

Das Rad der Zeit können beide Parteien jedenfalls nicht mehr zurückdrehen. Abgesehen davon gäbe es auch bei einer Rückkehr zu Günter Bresnik keine Garantie auf einen Trendumschwung. Für jede derartige erfolgreiche Heimkehrer-Geschichte gibt es mindestens eine, bei der es dann doch wieder nicht geklappt hat.

Nur weil vor zehn Jahren die richtigen Personen zur richtigen Zeit am richtigen Ort richtig zusammengearbeitet haben, heißt es nicht, dass man diese Konstellation so leicht wiederholen könnte.

 

Johannes Bauer

Prinzipiell kann ich dieser Idee schon etwas abgewinnen. Vielleicht wäre eine Wiederbelebung dieser alten Erfolgspartnerschaft gerade in Thiems aktueller Situation ein tauglicher Schlüssel, um wieder in die Spur zu finden.

Andererseits gilt in zwischenmenschlichen Beziehungen jeder Art meist die Prämisse: Es gibt schon Gründe, warum es zu Ende ging. Aufgewärmtes Gulasch und so.

Das könnten letztlich nur die beteiligten Personen beurteilen, wie gut dieser Bruch zu kitten ist. Und welcher Output aus einer neuen Zusammenarbeit herauskommen könnte.

Grundsätzlich: Dominic Thiem hat nach der Trennung von seinem alten Schirmherren auf der Coaching-Ebene genügend Ansätze probiert, die allesamt keine nachhaltige Leistungsexplosion zur Folge hatten. Es hätte daher ein bisschen was von "alle Register ziehen", diesen Schritt zu wagen. Die bevorzugte Variante, bevor das Szenario aus der ersten These wirklich eintritt.

Ein Erfolgsgarant? Nein. 

3. Die letzten Jahre hin oder her: Eine Karriere wie Dominic Thiem wird in den nächsten 20 Jahren kein anderer österreichischer Tennisspieler hinlegen.

Johannes Bauer

Mir fehlen auf die Alterskohorte, die das mit Gewissheit sagen kann, pi mal Daumen fünf Lebensjahre - vielleicht kann Kollege Frühwald da unterstützen.

Aber: Nach der Blüte von Thomas Muster wurde doch bestimmt ähnliches behauptet. Sehr viel länger hat es nicht gedauert, ehe wieder ein Österreicher an ihn herankam.

20 Jahre sind ein viel zu großer Zeitraum für solche Ansagen. Grand-Slam-Sieger unter 20 gab es schon genug. Theoretisch wäre die Wiederholung von Thiems größtem Erfolg in diesem Zeitraum sogar einem Spieler möglich, der dem Filzball noch auf allen Vieren nachkrabbelt.

Die Betonung auf "österreichischer" macht dem keinen Abbruch. Klar sind die Voraussetzungen für eine Fließbandproduktion von Spielern seines Kalibers anderswo besser.

Aber gerade umgekehrt sind Ausnahmeerscheinungen wie Thiem doch der Beweis: Möglich ist auch in einem kleinen Tennis-Land wie Österreich grundsätzlich einmal alles. Es braucht nur ein (als solches auch erkanntes) Riesen-Talent und das richtige individuelle Umfeld.

Da bleibe ich Optimist, wenn ich diese Ansichtssache doch so pessimistisch eingeleitet habe.

Aber bitte nicht darauf zu vergessen, die Voraussetzungen für eine breite Basis zu verbessern. Das Know-how, Spieler an die Weltklasse heranzubringen, scheint ja durchaus im Lande vorhanden zu sein. Das muss besser genutzt werden.

 

Christian Frühwald

Auch wenn man es im direkten Vergleich kaum glauben mag, trennen mich mehr als fünf Lebensjahre vom Kollegen Bauer und diese zusätzliche Lebenserfahrung lässt mich leider deutlich pessimistischere Töne anstimmen.

Denn ganz ehrlich und ohne aktuelle Nachwuchsspieler (die im internationalen Vergleich sogar recht gut dastehen) schlechtreden zu wollen: Tennis-Österreich kann froh sein, wenn wir in den nächsten 40 Jahren wieder einen Tennis-Spieler bekommen, der auf dem Erfolgslevel (Grand-Slam-Sieger und Top 3 der Welt) von Dominic Thiem agieren kann.

Um diese Aussage mit nackten Zahlen zu untermauern: Auf der "GOAT-Liste" von "ultimatetennisstatistics" rangiert der Niederösterreicher aktuell auf Rang 47. Die steirische Tennis-Legende Thomas Muster nimmt dank seiner Erfolge Platz 30 ein.  Für ein kleines Land wie Österreich ist es schon eine tolle Sache, dass wir in über 50 Jahren Tennis-Geschichte bereits zwei ÖTV-Akteure in dieser illustren Runde der Top 50 dabeihaben.

Kleiner Vergleich: Das Vorzeige-Tennis-Ausbildungsland Frankreich hat mit Yannick Noah (Rang 44) nur einen einzigen Spieler in den ersten 50 vorzuweisen. Selbst wenn es ein Verband also schafft, reihenweise gut ausgebildete Athleten auf die Tour schicken zu können (was schwierig genug ist), heißt es nämlich noch lange nicht, dass einer aus dieser Gruppe tatsächlich auch den Sprung in die absolute Weltspitze schafft.

Einen echten Topstar kann man nicht auf dem Reißbrett planen, der muss "passieren". Eine "Fließbandproduktion", wie Kollege Bauer meint, von solchen Spielern gibt es auch in anderen Ländern nicht.

Thiem hatte das Talent, den Willen, den familiären Background und den passenden Trainer an seiner Seite – zudem spielte bis zu seiner folgenschweren Handgelenksverletzung auch sein Körper mit. Es sind viele Mosaiksteinchen, die bei einer derartigen Karriere zusammen kommen müssen.

Der Begriff "one in a million" passt also ganz gut. Wobei natürlich nichts zwingend dagegen spricht, dass es auch schneller gehen könnte. Die Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Tennis-Karriere sind in Österreich durchaus gegeben.

Der Sport ist im ganzen Land (auch dank Thiem!) so beliebt wie nie zuvor, die Dichte im rot-weiß-roten Nachwuchstennis ist extrem hoch und der Verband hat in den letzten Jahren an einigen Stellschrauben gedreht (beispielsweise die Zahl der Future- und Challenger-Turniere gesteigert), um die Chancen auf ein erfolgreiches Profitum zu erhöhen.

Und wer weiß? Schließlich kann man auch im Casino zwei Mal in Folge gewinnen. Bei Jannik Sinner haben nur wenige Kilometer auf den nächsten Tennis-Jackpot gefehlt. Der Südtiroler wuchs gleich neben der österreichischen Grenze auf. Der Storch hätte nur ein bisschen weiter fliegen müssen.

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