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Krönt Bagnaia die größte Aufholjagd der MotoGP-Geschichte?

Zur Saisonhälfte lag der Ducati-Pilot noch 91 Punkte hinter Fabio Quartararo. Nun steht er in Valencia kurz davor, den amtierenden Weltmeister zu entthronen.

Krönt Bagnaia die größte Aufholjagd der MotoGP-Geschichte? Foto: © getty

"Im Moment bin ich nicht sehr zuversichtlich. Es wird fast unmöglich sein, aber wir werden es versuchen", meinte Francesco Bagnaia nach seinem Ausfall beim Grand Prix von Deutschland hinsichtlich des WM-Kampfs mit Fabio Quartararo.

Nach dem zehnten Rennen des Jahres 2022, also genau zur Saisonhälfte, schien die Situation des Ducati-Piloten bereits aussichtslos zu sein. Satte 91 Punkte betrug sein Rückstand auf den bis dahin dominanten Quartararo, der mit einem Sieg am Sachsenring seiner Titelverteidigung als amtierender Weltmeister entgegensteuerte.

Knapp fünf Monate später stehen die Vorzeichen vor dem allerletzten Grand Prix der Saison in Valencia aber völlig anders: Bagnaia führt die Weltmeisterschaft mit 23 Zählern klar an und muss auf dem Circuit Ricardo Tormo keinerlei Risiken mehr eingehen.

Denn Quartararo ist zum Siegen verdammt, muss seinen ersten Rennsieg seit eben jenem in Deutschland einfahren, um überhaupt eine Chance auf den WM-Titel zu haben. Und selbst dann reicht dem siebenfachen Saisontriumphator bereits ein 14. Platz, um seinen Namen in den Annalen der MotoGP-Geschichte zu verewigen.

Noch viel mehr: Bagnaia würde damit eine historische Aufholjagd krönen, seit der Einführung des aktuellen Punktesystems 1993 hat kein Fahrer ein größeres Defizit gutgemacht. Den Rekord hielt bislang der baldige Honda-Fahrer Joan Mir, der 2020 48 Punkte auf Quartararo aufholte und sich die WM-Krone aufsetzte.

"Wir müssen den Job zu Ende bringen"

Obwohl die Konstellation eindeutig für ihn spricht, ist Bagnaia vor dem anstehenden Wochenende überhaupt nicht entspannt. "Wir müssen uns weiter anstrengen", betont der 25-jährige Turiner auf der Pressekonferenz am Donnerstag.

Es sei wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren, gleichzeitig "intelligent und sehr klug zu sein", so Bagnaia. "Es ist wahr, dass wir in einer besseren Position sind als Fabio. Aber wir müssen den Job mit maximaler Konzentration zu Ende bringen."

Er selbst versuche, sich ausschließlich auf das Wochenende zu konzentrieren "und das Maximum herauszuholen", sagt der Italiener. Der Ducati nach dem Konstrukteurs-Titel auch den ersten Fahrer-Titel seit Casey Stoner 2007 schenken will. Er könnte sich außerdem zum ersten italienischen Weltmeister auf einem Bike des Teams aus Bologna küren.

Bagnaia hatte in dieser Saison schon viele Gründe zum Jubeln
Foto: © getty

Mit all dem will sich der bodenständige Werksfahrer jedoch nicht beschäftigen. Auch nicht damit, dass letztes Jahr in Valencia zum ersten Mal in der Historie drei Ducatis die Top 3 bildeten.

Bagnaia weiß aber, dass "diese Strecke uns sehr gut liegt. Das diesjährige Bike ist so konkurrenzfähig, was das Handling angeht. Wir haben uns im Vergleich zum letzten Jahr verbessert", deutet er an, dass Quartararo eine noch schwierigere Aufgabe bevorsteht.

"Aber unser Hauptziel wird sein, wie immer hart zu arbeiten, konkurrenzfähig zu sein und um eine Spitzenposition zu kämpfen, wenn wir die Möglichkeit dazu haben", führt Bagnaia aus.

Kein Risiko wie in Japan oder Malaysia nötig

Liest man zwischen den Zeilen, dann darf man durchaus die Vermutung anstellen, dass der WM-Leader - ganz im Gegensatz zu Malaysia - kein großes Risiko eingehen wird.

Denn vor zwei Wochen in Sepang wollte sich Bagnaia die bestmögliche Ausgangsposition für den Grand Prix im Südosten Spaniens herausfahren, tat dies nach einem harten Fight - nicht dem ersten in dieser Saison - mit seinem nächstjährigen Werkskollegen Enea Bastianini mit einem Rennsieg auch.

Den WM-Titel konnte er jedoch auch aufgrund einer fantastischen Leistung von Quartararo, der sich von Startplatz zwölf bis auf Rang drei vorarbeitete, aber noch nicht fixieren. Auch weil er sich Ende September in Japan einen ziemlich unnötigen Patzer leistete.

Dort hatten sowohl Quartararo, der zu diesem Zeitpunkt die WM noch anführte, als auch Bagnaia mit Problemen zu kämpfen. Auf den Rängen acht und neun liegend setzte Bagnaia in der letzten Runde zum Überholmanöver gegen den Yamaha-Fahrer an, rutschte beim Versuch jedoch ins Kiesbett und nahm den Franzosen nur um Haaresbreite nicht mit.

"In Japan war ich zu ehrgeizig", gesteht Bagnaia zurückblickend. "Ich hatte dort zweimal Glück: Dass ich Fabio beim Sturz nicht berührt habe, und zweitens, dass Fabio nur knapp vor mir war und er nicht viele Punkte gutmachen konnte."

Umso besser lief es für den letztjährigen Vizeweltmeister in den folgenden Rennen, die er zweimal auf Platz drei (Thailand und Australien) sowie auf dem obersten Treppchen (Malaysia) beendete.

Quartararos Wunsch nach einem "normalen Finger"

In dieser Zeit hatte der Noch-Weltmeister weitaus weniger zu lachen. Bei nassen Bedingungen in Buriram wurde Quartararo nur 17., auf Phillip Island schied der 23-Jährige sogar aus. Und als wäre dem nicht bereits genug, verletzte er sich vor dem Rennen in Sepang bei einem Sturz am Mittelfinger.

Zu diesem gibt der Mann aus Nizza auch ein Update: "Es ist nicht so schmerzhaft. Selbst in Malaysia war es kein großes Problem, ich habe einige Schmerzmittel genommen. Aber es war kein Problem, hier wird es noch weniger eines sein", freut sich Quartararo auf den weniger anspruchsvollen Kurs in Valencia.

Trotzdem werde er sich im Winter operieren lassen, "nur um einen normalen Finger zu haben, denn er sieht ziemlich seltsam aus", kann er darüber lachen.

Ein lachendes und ein weinendes Auge

"Ich werde All-In gehen."

Quartararo über seine Herangehensweise am Rennsonntag

Dass der Weltmeister heuer überhaupt um den WM-Titel fährt, gleicht angesichts der drückenden Ducati-Dominanz einem kleinen Wunder.

In jeder Session, jedem Rennen muss Quartararo höchstes Risiko eingehen, um überhaupt eine Chance auf einen Podestplatz zu haben. Die Yamaha YZR-M1 ist schlichtweg zu schwach, wie unter anderem die mageren 36 WM-Pünktchen von Teamkollege Franco Morbidelli eindrucksvoll untermauern.

Umso höher sind Quartararos Leistungen in der zu Ende gehenden Saison einzuschätzen, die er bis zur Sommerpause auch beherrschte. Rennsiege in Portugal, Katalonien und Deutschland standen zu Buche, hinzu kamen drei zweite Plätze in Indonesien, Spanien und Italien.

Doch mit dem allerersten Fehler des Jahres in Assen, wo Quartararo nach einer Kollision mit Aleix Espargaro punktelos blieb, begann das Pendel plötzlich in die Richtung des Italieners zu schwingen. Seitdem stand der Franzose neben Sepang nur in Spielberg am Stockerl und büßte seinen Riesenvorsprung ein.

"Der erste Teil der Saison war wirklich toll", blickt er mit einem strahlenden Lächeln zurück. "Im zweiten Teil blieben wir auf dem gleichen Niveau, während viele Fahrer und Hersteller einen großen Schritt nach vorne machten", muss Quartararo zerknirscht feststellen.

"Wir haben einen Fehler gemacht, aber im Allgemeinen lernt man, wenn man eine harte Saison hat. Es war nicht die beste, aber wir kämpfen immer noch um die Meisterschaft", streicht er das Positive heraus. Außerdem werden er und sein Team "viel Erfahrung aus dieser Saison mitnehmen, die uns in Zukunft helfen wird."

Vorerst gilt es aber noch, einen letzten großen Fight in dieser Saison hinzulegen. Für diesen ist das Ziel klar: Der Sieg. "Ich habe nichts zu verlieren und werden mein Bestes geben, damit ich um den Sieg kämpfen kann", gibt Quartararo nicht auf und fügt an: "Ich werde All-In gehen."

"Lasst uns einen letzten großen Kampf im Jahr 2022 haben"

Der Respekt vor seinem WM-Kontrahenten ist groß: "Wir reden immer darüber, wie stark die Ducatis sind. Aber er ist immer derjenige an der Spitze. Er ist ein Top-Fahrer, es ist toll, mit ihm um die Meisterschaft zu kämpfen", streut Quartararo Bagnaia Rosen.

Auch abseits der Strecke respektieren sich die WM-Kontrahenten
Foto: © GEPA

Der Ducati-Fahrer tut es dem Yamaha-Konkurrenten gleich: "Fabio ist einer der Größten. Es ist großartig, mich mit ihm zu messen." Das machen die beiden im Rahmen der Motorrad-Weltmeisterschaft schon seit 2015. Bei den Erinnerungen an das erste Aufeinandertreffen auf der Strecke, beginnen beide zu lachen.

"Das war damals in Katar", erzählt Bagnaia. "Es war sein erstes Rennen, und es war das erste Mal, dass ich die Möglichkeit hatte, auf das Podium zu kommen. In der letzten Runde versuchte er, mich zu überholen. Wir waren etwa an dritter und vierter Stelle, er war auf der Innenseite etwas zu spät und wir berührten uns."

Bagnaia wurde schlussendlich nur Neunter, Quartararo Siebter, "aber es war das erste Mal, dass wir gegeneinander kämpften. Und bei allen Kämpfen, die wir in den nächsten Jahren hatten, haben wir uns berührt. Es war immer ein guter Kampf", lächelt Bagnaia.

Quartararo ergänzt: "Ich hoffe, dass wir dieses Wochenende wieder einen schönen Fight haben werden. Lasst uns einen letzten großen Kampf im Jahr 2022 haben und dann den Sonntagabend genießen."


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