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KTM-Chef Pit Beirer: "Die Saison war ein Rollercoaster"

Der KTM-Motorsportdirektor zieht eine gemischte Saisonbilanz, spricht über einen "Leuchtturm" und warum man zuversichtlich auf die Saison 2023 blickt.

KTM-Chef Pit Beirer: Foto: © GEPA

Vor rund zwei Wochen ging für KTM ein turbulentes MotoGP-Jahr in Valencia versöhnlich zu Ende. Brad Binder heimste mit dem zweiten Rang nochmal einen Podestplatz ein.

Da Abkömmling Miguel Oliveira auf einen ebenfalls starken fünften Platz fuhr, beendeten die Mattighofener die Wertung der Team-Weltmeisterschaft sogar noch vor Aprilia auf dem zweiten Platz. Nur das übermächtige Ducati-Werksteam rund um Weltmeister Francesco Bagnaia und dem nächstjährigen KTM-Piloten Jack Miller war in der Endabrechnung stärker.

In der Konstrukteurs-WM wurde es dagegen nur Rang vier hinter Ducati, Yamaha und Aprilia. Dort fließen nämlich die Punkte des jeweils bestplatzierten Piloten im Rennen ein - doch auch hier betrug der Rückstand auf Yamaha nur 16 Punkte.

Trotz des starken Abschneidens in der Team-WM, zweier Siege durch Oliveira (Indonesien, Thailand) und drei zweiten Plätze von Binder (Katar, Japan, Valencia) zog KTM-Motorsportdirektor Pit Beirer ein nicht zur Gänze zufriedenes Saisonresümee. "Die Saison war schon ein bisschen ein Rollercoaster", blickt er zurück.

Handicap durch Qualifying-Schwäche

Der Auftakt in Katar und Indonesien sei grandios gewesen, "dann kamen aber schon relativ schwierige Zeiten auf uns zu", sagt der ehemalige Motocross-Fahrer.

Besonders die verheerende Qualifiying-Schwäche machte dem Fabrikat schon früh ordentlich zu schaffen. "Die bricht uns das Genick im Kampf um Podiumsplätze", muss Beirer resignierend anerkennen.

"Wenn du beim Heim-GP keine Performance abliefern kannst und ein Rennen hast, wo du Siebter und Zwölfter wirst, das tut dann weh."

KTM-Chef Pit Beirer

In elf von 20 Grand Prix schaffte es zumindest ein KTM-Pilot in Q2, zwischen Jerez und Assen gelang es gar keinem Fahrer, sein Bike auf eine der ersten zwölf Startpositonen zu stellen. Damit startete man im Schnitt in jedem zweiten Rennen mit einem gewaltigen Handicap.

Eine mögliche Erklärung findet der Deutsche im letzten Winter. "Da haben wir viel umgestellt, viele Dinge neu angefangen - wie wir ein Motorrad entwickeln, Daten analysieren, was wir daraus machen", erklärt Beirer. Doch Fortschritte oder Ergebnisse der technischen Umstellungen blieben lange aus.

"Die haben wir auch im Sommer nicht gesehen und wir haben einen relativ harten Spielberg-GP hinter uns", betont der KTM-Chef. "Wenn du beim Heim-GP keine Performance abliefern kannst und ein Rennen hast, wo du Siebter und Zwölfter wirst, das tut dann weh."

Dafür werde zu hart gearbeitet, stecke zu viel Geld im Projekt "von uns und unseren Partnern, um Siebter und Zwölfter zu werden. Da sind wir dann nicht zufrieden", so Beirer.

Ein Leuchtturm überstrahlte alle

Die Tech3-Rookies Raul Fernandez und Remy Gardner platzierten sich in der Steiermark, wie noch etliche weitere Mal in diesem Jahr, außerhalb der Punkteränge. Dass beide sich letztendlich als Fehl-Konstellation herausstellten, musste sich KTM bereits mehrmals eingestehen.

"Wir haben von den zwei Rookies, wo vielleicht das Motorrad nicht ganz so einfach zu 'handeln' und immer noch Entwicklung notwendig war, wenig Unterstützung für das Projekt bekommen, weil sie mit sich und dem Bike beschäftigt waren", würde Beirer diesen Fehler nicht nochmal machen.

"Man muss Brad Binder als absolutes Highlight bezeichnen."

Da der keineswegs perfekt abgelaufene Abschied von Miguel Oliveira ebenfalls deutliche Spuren am Portugiesen hinterließ, "haben wir von vier Fahrern ganz oft einen Leuchtturm gehabt, der uns da durchgepusht hat", streicht Beirer die Leistungen von Brad Binder hervor.

Der 27-jährige Südafrikaner fuhr außer in Portugal, wo er ausschied, in sämtlichen Rennen in die Punkte. "Man muss ihn als absolutes Highlight bezeichnen", schwärmt Beirer. "Wir hatten einen harten Sommer, hatten schwierige Zeiten, aber der Brad war einer, der einfach gnadenlos durchgezogen hat."

"Immer wieder hat er, auch wenn uns die Qualifying-Schwäche zurückgehalten hat, gesagt: 'Mach dir keine Sorgen Boss, morgen werde ich das wieder gutmachen.' Das war sein Lieblingssatz", lacht der 50-Jährige.

"Er hat immer wieder gesagt, wir schaffen das. Wir haben eine Rennpace, Qualifying war wieder nix, aber er kennt die Rennpace, weiß, wir sind die besten am Start. Er kann relativ gut überholen, was er mit 95 Überholmanövern bewiesen hat", lobt Beirer seinen Schützling. "Somit hat er uns schon über die schwierige Zeit drübergeholfen."

Für Binder werden Regeln gebrochen

Dafür wurde der zweifache MotoGP-Sieger auch "belohnt".

Entgegen der eigenen Ankündigungen, keine Teile mehr an die Rennstrecke zu bringen, erhielt Binder in Valencia nochmal ein neues Chassis. "Wir haben wieder unsere eigene Regel gebrochen", lächelt Beirer. "Warum? Weil wir für das 23er-Bike Dinge entdeckt haben, wo wir wussten, die würden am 22er-Bike auch noch helfen."

Man sei "verrückt genug gewesen, dem Brad für ein Rennen noch so ein Chassis zu bauen, das dann wieder anders ist, weil das 23er-Bike insgesamt anders ist – vom Motor, von den Aufhängungen", gewährt der Motosportdirektor schon einen kleinen Einblick auf das nächstjährige Bike. "Aber die Vorteile wollten wir reinpacken."

"Unser bester Fahrer in der Weltmeisterschaft ist Sechster, da haben wir uns einfach ein bisschen mehr vorgenommen."

Und das hat sich mit dem Podestplatz richtig ausgezahlt. Dem damit errungenen zweiten Team-WM-Platz misst der ehemalige Motorradrennfahrer gar keinen großen Wert bei. Dieser würde ihn am allermeisten für das Team selbst freuen. "Ich glaube, wir haben ein Team an der Rennstrecke, das sogar verdient hat, Weltmeister zu werden", lobt er die Mannschaft.

Aber man brauche dann auch ein gutes Bike und Fahrer, "um den letzten Schritt zu machen. Messen werden wir an der Fahrer-WM. Natürlich schauen wir auf die Hersteller- und die Team-WM. Es ist fast schon eine Überraschung oder Freude. Am Schluss schaust du auf den Zettel und siehst, als Team sind wir Zweiter", so Beirer.

Der ergänzt: "Also hat das Team mit den zwei Fahrern, die das erreicht haben, einen tollen Job gemacht und haben das mehr als verdient. Aber unser bester Fahrer in der Weltmeisterschaft ist Sechster, da haben wir uns einfach ein bisschen mehr vorgenommen", erhoffte man sich bei KTM ein besseres Endresultat.

"Du bist es schon gewohnt, von allen Seiten Prügel zu bekommen"

Doch der Deutsche will die gebrachten Leistungen keineswegs schlecht reden, streicht die engen Kräfteverhältnisse in der Motorrad-Königsklasse hervor. "Wenn du ein Rennen hast, wo du Sechster oder Fünfter wirst, dann darfst du in der MotoGP gar nicht unzufrieden sein, weil das sind unglaubliche Leistungen."

Immer wieder musste man sich selbst klarmachen, "wie gut die Jungs gearbeitet haben und das Motorrad eigentlich schon ist." Beirer führt die Rennen in Assen und Silverstone an, in denen man zeitenmäßig nur zwei bis drei Sekunden hinter dem Sieger ins Ziel kam, aber trotzdem nicht am Podest stand.

"Das sind Momente, wo die Leute sagen: 'Naja, ihr seid schon wieder nicht am Podium gewesen'", kann er die aufkommende Kritik nicht nachvollziehen. Auch nach dem Grand Prix von Aragon, in dem Binder nur zwei Zehntel auf den dritten Platz fehlten, sei ein ähnliches Phänomen aufgetreten.

Beirer erzählt: "Da haben die Leute zu mir gesagt, da wart ihr so gut, weil es in Aragon wenig Grip gab und es ein langsames Rennen war. Das nimmst du dann auch noch so mit, weil du bist es ja schon gewohnt, von allen Seiten Prügel zu bekommen und das Negative zu hören." Dabei sei der Grand Prix im Vergleich zu 2021 um zehn Sekunden schneller geworden.

"Das sind die Momente, wo du in der Analyse ehrlich sein musst. Natürlich suchst du was, aber du musst einmal akzeptieren, was für ein großer Schritt gemacht wurde. Aber das Paddock verändert sich die ganze Zeit weiter. Die anderen schlafen auch nicht. Und wir haben immer noch aufgeholt, der Rückstand wird kleiner und ist greifbar", freut sich Beirer über die Fortschritte.

Mit großer Zuversicht in die Saison 2023

Jack Miller saß beim Valencia-Test schon im KTM-Sattel
Foto: © Gold & Goose / Red Bull Content Pool

Dass es zum Saisonende hin für KTM wieder rosigere Zeiten gab, "wir Ergebnisse liefern konnten, die wir erklären können", stimmt den Deutschen in Hinblick auf die kommende Saison zuversichtlich.

"Ich habe das Gefühl, dass wir speziell in der zweiten Saisonhälfte durch die Umstellungen im letzten Winter einige kleine Teile in das Puzzle MotoGP reingedrückt haben. Wir sind besser vorbereitet denn je, um in die neue Saison zu gehen", strahlt Beirer.

Man habe nun eine fundierte Basis, müsse weniger nach dem Prinzip "Try and Error" arbeiten. Auch die Fakten und das Wissen, warum man was tue, sei vorhanden.

Dabei verweist Beirer auf den vor der Saison von Ducati geholten Technikdirektor Fabiano Sterlacchini, der "hier wirklich viel mitgebracht hat und eine Datenbank an Wissen aufgebaut hat, aus der wir jetzt profitieren und in Zukunft bessere Bikes bauen werden."

Außerdem kommen 2023 mit den Rückkehrern Jack Miller, "der auf ein Motorrad wechseln darf, das ihn am Rennsonntag in Valencia noch überholt hat, bevor er gestürzt ist", und Pol Espargaro zwei MotoGP-Routiniers ins Team, das Quartett ergänzt der amtierende Moto2-Weltmeister Augusto Fernandez.

Deswegen blicken Pit Beirer und KTM "mit sehr viel Motivation in die Zukunft."


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