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Wolff: "Anschluss an die Spitze ist 2023 nicht gegeben"

Der Mercedes-Teamchef spricht am Ende eines schwierigen Jahres über den Status quo und die Zukunft des einstigen Platzhirsches.

Wolff: Foto: © GEPA

Für den Wiener Toto Wolff (50) ging am Wochenende die schwierigste Saison seit seinem Amtsantritt als Mercedes-Sportchef zur Saison 2013 zu Ende.

Außer dem Startjahr und heuer gelang immer zumindest ein WM-Titel. Und diesmal nur ein Sieg für den kommenden Mann George Russell, während Altmeister Lewis Hamilton erstmals überhaupt eine Formel-1-Saison sieglos abschließen musste.

Eine Bestandsaufnahme mit Ausblick und ein Seitenblick zur Fußball-WM von LAOLA1-Kolumnist Gerhard Kuntschik: 

LAOLA1: Abu Dhabi, ein Jahr nach dem kontroversiellen Finale: Welche Emotionen wurden da wieder wach?

Toto Wolff: Ich habe das alles gut verarbeitet, auch weil man aufhören muss, sich selbst zu malträtieren. Allerdings kann ich mir das Video dieser letzten Runde nicht anschauen. Dabei kann man keine Freude haben, da kann niemand stolz darauf sein.

LAOLA1: Konntest Du Dir vor dieser Saison vorstellen, dass sie – zumindest in der ersten Hälfte – so schwierig werden würde? Dass Mercedes erstmals seit acht Jahren aufholen muss und nicht an der Spitze fährt?

Wolff: Ja. Ich hatte immer die Sorge, dass wir und einmal im Mittelfeld oder noch weiter hinten wiederfinden werden. Wir haben uns in der Entwicklungsrichtung verhaut. Es kam dann tatsächlich so, wir kämpften im Mittelfeld. Das war eine Ernüchterung.

LAOLA1: Was erwartest Du nun, da Mercedes in Brasilien doch noch siegte, für 2023?

Wolff: Da das Reglement im Wesentlichen gleichbleibt, wissen wir, wo wir in der Rangordnung stehen. Wir verstehen auch, wo wir die Fehler machten und an Leistung zulegen müssen. Deshalb hoffen wir, den Anschluss an die Spitze herstellen zu können. Das ist aber nicht gegeben, wir müssen uns weiter strecken, denn wir sind weiter nur dritte Kraft, auch wenn es zuletzt vielleicht nicht so aussah. Aber die Zielrichtung ist definitiv klar.

LAOLA1: Ist Lewis Hamilton noch immer der erfolgsorientierte Fahrer oder lässt der Kampfgeist bei ihm langsam nach?

Wolff: Ich sehe den Lewis absolut motiviert und voller Energie. Er hat noch eine Rechnung offen, auch wenn er im Jänner 38 wird. Wenn ich mir Tom Brady anschaue, der ist mit 45 noch mitten im Spiel, wird niedergeworfen, wirft Bälle – da hat der Lewis noch viel Potenzial, schnell Auto zu fahren. Und Alonso zeigt das auch mit 41.

LAOLA1: Hat sich George Russell so entwickelt, wie Du es erwartest hast?

Wolff: Genau so. Du kannst als Neuer im Team, bei Mercedes und mit Hamilton als Kollegen, nicht alles in Grund und Boden fahren, vor allem nicht anfangs heuer, als das Auto ein Ei war! Aber George hatte eine ausgezeichnete Saison mit stetiger Entwicklung nach oben.

LAOLA1: Hat er Weltmeister-Potenzial?

Wolff: Ja, auf jeden Fall. Er braucht nur Geduld.

LAOLA1: Kannst Du Dir später einmal eine Geschäftspartnerschaft mit Hamilton vorstellen?

Wolff: Absolut. Wir haben schon oberflächlich darüber gesprochen. Nicht detailliert, weil unsere Aufmerksamkeit dem Rennsport jetzt gilt. Wir vertrauen einander, kennen einander, sind sehr eng, kennen die jeweiligen Stärken und Schwächen.

LAOLA1: Wie lang wird Hamilton noch aktiv bleiben?

Wolff: Einige Jahre. Es kann aber plötzlich passieren, dass er aufhört, wenn er eigenen Ansprüchen nicht gerecht wird. Das könnte bei ihm sein, wie es bei Niki (Lauda) war.

LAOLA1: Werden wir Mick Schumacher 2023 als dritten Mann bei Euch sehen (Anm.: Im Yas-Marina-Fahrerlager trippelte Managerin Sabine Kehm nur in und vor der Mercedes-Hospitality herum)?

Wolff: Das würde mich freuen, wir haben uns aber noch nicht zusammengesetzt und Bedingungen aussortiert.

"Das Wichtigste ist für uns, die Sport betreiben, uns aus diesen politischen Themen rauszuhalten. Es gibt den Rechteinhaber in der F1, es gibt die FIFA im Fußball. Wir müssen im Dialog mit den Organisationen bleiben und unsere Standpunkte vertreten."

Wolff über den Umgang mit Katar und Co.

LAOLA1: Wie groß wird der Rückschlag für Red Bull durch die Strafe von minus zehn Prozent Entwicklungszeit wegen der Budgetüberschreitung 2023 sein?

Wolff: Wir glauben ein bis zwei Zehntel über den Saisonschnitt.

LAOLA1: Auch Du sprachst von einer "milden" Strafe. In der Begründung der FIA werden die einzelnen "Sünden" aufgeführt, die da Essen für Mitarbeiter, Sozialleistungen usw. sind, aber kein einziger technischer Punkt. Ist das nicht absurd, soziales Verhalten zu bestrafen?

Wolff: Wir haben die gleichen Sozialleistungen, von der Kantine über Mutterschutz, Versicherungen usw., die weit über den üblichen Standard hinausgehen. Wenn du zwei Millionen mehr hast, gibst du sie aus, für die Technik. Die Sozialleistungen sind bei uns allen gleich. Wir hatten heuer in Silverstone das letzte Technik-Update, Red Bull danach noch vier.

LAOLA1: Das Regulativ der Budgetgrenze wurde für 2022 präzisiert, die Beurteilung soll schneller passieren. Wird es wieder Überschreitungen geben?

Wolff: Das kann ich nicht beurteilen. Wir sind im Rahmen. Das wird intern stets überprüft.

LAOLA1: Reicht dafür die bisherige Buchhalter-Truppe oder musste da aufgestockt werden?

Wolff: Die Finanzabteilung wuchs wegen des Cost Caps von 16 auf 45 Mitarbeiter...

LAOLA1: Die Pleite von FTX, Eurem bisherigen Partner im Bereich der Kryptofinanzen, ist eine wirtschaftliche Bombe. Wie sehr träfe ein Platzen der Kryptoblase auch die F1-Teams, die allesamt dort Partner fanden?

Wolff: Jedes Team hat solche Sponsoren und die F1-Organisation als solche auch. Da wären alle betroffen. FTX galt als solides Unternehmen, dessen Insolvenz nicht nur für uns, sondern für die ganze Kryptoindustrie ein gewaltiger Dämpfer ist. Es zeigt sich an dieser Insolvenz mit acht Milliarden Dollar Fehlbetrag, dass die ganze Branche unkontrolliert ist.

LAOLA1: Wird es bei Mercedes AMG F1 Weihnachtsferien geben?

Wolff: Nein, aber wir wollen das Werk im Winter 2023/24 einmal schließen. Diesmal haben einige Abteilungen frei, andere wie Design und Chassis arbeiten außer 24./25.12. und 31.12./1.1. durch.

LAOLA1: Wie viele Mitarbeiter beschäftigt das Team in Brackley aktuell?

Wolff: 1.300, sogar mehr als vor der Budgetgrenze. Neben den zusätzlichen Finanzern fünf neue Juristen und insgesamt 100 nur im Marketing. Dazu kommen 800 der 1.000 Beschäftigten im Motorenwerk in Brixworth, die für die Formel 1 arbeiten. Wir haben bei unserer Weihnachtsparty, zu der alle Mitarbeiter den Partner oder die Partnerin mitbringen können, 4.300 Menschen. Das ist wohl mehr als bei einem nicht so bedeutenden Fußballspiel in Österreich?

LAOLA1: Nächstes Jahr soll es 24 Rennen geben. Lässt sich das ohne Schichtbetrieb mit einer Mannschaft vor Ort bewältigen?

Wolff: Wir diskutieren das gerade. Ich würde 20 als Obergrenze einführen, dann müsste in jeder Abteilung gleichwertiger Ersatz hochgezogen werden. Aber es gibt auch Mitarbeiter, die den Lifestyle des ständigen Reisens mögen, die immer dabei sein wollen. Da muss man differenzieren.

LAOLA1: Es steht auch wieder der China-GP in Shanghai im Kalender. Was passiert, wenn an diesem Wochenende fünf Covid-Fälle auftreten und die Behörden Millionen in Quarantäne schicken? Sitzt die Formel 1 dann wochenlang in Shanghai eingesperrt fest?

Wolff: Die Quarantänebedingungen müssen bis dahin so sein, dass wir wieder rauskommen. Schauen wir mal, wie sich die Bestimmungen der Chinesen bis dahin entwickeln. Ich würde gern wieder nach China kommen.

LAOLA1: Noch zum aktuellen Schlagzeilenlieferanten. Nach der Formel-1-WM ist heuer vor der Fußball-WM. Hast Du nun Zeit, Fußball zu schauen?

Wolff: Ich halte große Fußballturniere für eine sehr gute Unterhaltung. Teams, die bei der WM dabei sind, haben sich auf hohem Niveau qualifiziert. Ein Kampf um eine WM-Krone ist immer attraktiv, ist große Unterhaltung.

LAOLA1: Du wirst, nehme ich an, mit Katar als Schauplatz kein Problem haben, wenn auch die Formel 1 und die MotoGP dort auftreten?

Wolff: Das Wichtigste ist für uns, die Sport betreiben, uns aus diesen politischen Themen rauszuhalten. Es gibt den Rechteinhaber in der F1, es gibt die FIFA im Fußball. Wir müssen im Dialog mit den Organisationen bleiben und unsere Standpunkte vertreten. Wenn wir dort fahren, müssen wir positive Energie mitbringen und Themen ansprechen. Es wird wohl mehr über Menschenrechte in Katar gesprochen, weil dort Fußball gespielt wird, als wenn dort nicht gespielt wird. Auch wenn diese schrecklichen Unfälle beim Bau der Stadien passierten, wurde doch Tausenden Menschen Arbeit gegeben. In den Arbeitsbedingungen liegen diese Länder sicher weit hinten, was unsere Standards betrifft. Aber es brauchte in Europa auch 100 oder 150 Jahre, bis sich Bedingungen veränderten. Es wird auch in diesen Ländern vorangehen, aber nicht so schnell, dass wir sofort die Veränderungen sehen.

LAOLA1: Österreich ist der Auftritt in Katar erspart geblieben, drückst Du also England als Berufsstandort oder Deutschland als Konzernheimat die Daumen?

Wolff: Wenn Österreich nicht dabei ist, drücke ich niemanden die Daumen. Ich schau mir in Ruhe an, wer sich am Ende durchsetzt. Da bin ich völlig neutral.

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