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ÖFB-Unzufriedenheit ist das positivste Signal

Mentalität und Siegeswille als höchstes Gut! Das steckt dahinter. Kommentar:

ÖFB-Unzufriedenheit ist das positivste Signal Foto: © GEPA

1:1 gegen Weltmeister Frankreich! Na und?

ÖFB-Teamchef Ralf Rangnick stellte unmittelbar nach dem Schlusspfiff des Nations-League-Heimspiels Österreichs gegen das Team von Didier Deschamps klar, dass es "nichts zu gratulieren gibt."

Man gratuliert zu einem Sieg gegen Kroatien, okay. Man gratuliert aber nicht zu einer knappen Niederlage gegen Dänemark und auch nicht zu einem Punkt gegen die "Equipe Tricolore" - schon gar nicht, wenn er so zustande kommt wie am Freitag.

Gratulationen für einen Sieg gegen Karim Benzema, Kylian Mbappe und Co. hätte der 63-jährige Deutsche mit Sicherheit gerne entgegengenommen. Stattdessen ließ er seiner Enttäuschung freien Lauf, denn in der Wettbewerbsgesellschaft ist ein Punkt zwei Punkte zu wenig.

Das deutlichste Signal für Mentalitätsschub im ÖFB-Team

Während sich viele Außenstehende möglicherweise im ersten Moment denken, "wie kann er sich nur nicht freuen", macht genau diese Einstellung die derzeitige Entwicklung im ÖFB-Team sichtbar. Denn selten gab es ein positiveres Signal, als über ein Remis gegen Frankreich unzufrieden zu sein.

Vorbei scheinen die Zeiten der Ausreden, wo sich viele Spieler einen Strohhalm suchten, um die eigene Leistung zu rechtfertigen. Vorbei jene, wo die Schuld bei anderen gesucht oder eigene Fehler kaschiert wurden.

Das lässt der Ex-Red-Bull-Mastermind nicht zu. In wenigen Tagen im ersten Teamcamp hat er es geschafft, der ganzen Truppe einen Mentalitätsschub vom Feinsten zu verpassen, der weit über das Sportliche hinausgeht.

Die Einstellung, immer nach dem Besten zu streben, setzt sich scheinbar durch - und alle ziehen mit. Jahre ist es her, dass die Mannschaft so homogen und eingeschworen wirkte wie zum aktuellen Zeitpunkt, und das soll auch so bleiben.

Rangnicks Unzufriedenheit muss richtig gedeutet werden

Vor allem aber muss die Unzufriedenheit richtig gedeutet werden. Rangnick ist mit Sicherheit ein Trainer, der seine Worte weise wählt und sich der Auswirkungen nach jahrelanger medialer Erfahrung bewusst ist. Das kommt auch bei den Spielern an.

Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass der Teamchef sehr wohl auch "ein sehr gutes Spiel in der ersten Halbzeit" gelobt hat, "mutige Angriffe", "ein fantastisch herausgespieltes Tor, das man nicht viel besser herausspielen kann". Deshalb wäre auch gegen den haushohen Favoriten mehr drin gewesen, und das ist der Punkt.

Am Spiel selbst hatte Rangnick wenig auszusetzen, außer dass bei eigenem Ballbesitz noch Luft nach oben sei. Auch die Tatsache, dass die Franzosen Druck erzeugen können, torgefährlich sind und man gegen diese geballte Qualität nicht alles verteidigen kann, auch wenn das bis zum Gegentor gut gelungen ist, wird akzeptiert, aber:

"Am Ende fühlt sich das Ergebnis für uns alle, auch im Trainerstab, nicht gut an. Wenn du bis zur 83. Minute 1:0 führst und einen Freistoß in der gegnerischen Hälfte hast, dann sechs Sekunden später einen Konter zulässt, dann ist das einfach ein Stück weit naiv", spricht Rangnick an, was ihn wirklich stört.

Naivität wiederholte sich

Denn alles, was zuvor lobenswert war - vom Einsatz jedes Einzelnen bis zur trotz Kräfteverzehr anhaltenden Gegenwehr mit spielerischen Ausrufezeichen - ist schlussendlich weniger wert, weil man sich binnen weniger Sekunden mit einer einzigen Unaufmerksamkeit und Naivität die Butter vom Brot nehmen lässt.

Dabei wiederholte sich die Geschichte, denn schon gegen Dänemark wurde die ÖFB-Auswahl bitterböse bestraft. Vor wenigen Tagen war es ein gegnerischer Freistoß, der das Spiel kippen ließ und wo man unachtsam agierte, ehe das 1:2 sehenswert besiegelt wurde.

Nun auch gegen Frankreich. "Wir haben danach noch Matchball in der letzten Minute des Spiels, eine Riesenchance 2-gegen-1, wo wir das zweite Tor machen müssen. Der eine oder andere hat schon versucht, mir zu gratulieren, aber es fühlt sich nicht so an, als ob man dazu gratulieren müsste."

Rangnick gibt auch zu, dass der Gegner überlegen war, dieser anders als in den Partien gegen Dänemark und Kroatien taktisch ganz anders aufgetreten sei, knackiger, aggressiver war und früher gestört habe. Das will auch keiner verhehlen. Aber zum Glück werden Fehler ab sofort in den eigenen Reihen und nicht beim übermächtigen Gegenüber gesucht.

"Es ist ganz einfach: Warum spielen wir Fußball?"

Die Spieler wirken gelöst, von den Fesseln befreit, können sich unter dem neuen Teamchef innerhalb dessen abgesteckter Grenzen entfalten. Das sieht man und das stößt auf viel Respekt, Freude und Bestätigung.

Auch Rangnick wird mit Sicherheit eine gewisse Genugtuung empfinden, wie schnell er die Spieler erreicht hat und wie diese binnen kürzester Zeit seine Ideen und seine Philosophie inhalierten und umsetzen.

Doch am Ende des Tages geht es immer noch ums Siegen, um Zählbares. Tritt dies in Kombination mit attraktivem Spiel ganz nach den Vorstellungen des Trainer-Routiniers, dann sind wir bei jener Unterhaltung angelangt, die Rangnick bei seinem Antritt ankündigte.

"Es ist ganz einfach: Warum spielen wir Fußball? Schon früher als kleiner Bub auf dem Bolzplatz hat man nicht nur gespielt, weil man Spaß dran hat, aber in erster Linie hat man Spaß daran, weil man gewinnen will", versuchte der Ex-Manchester-United-Coach ein genaueres Bild zu zeichnen, worum es ihm geht.

"Nicht einreden lassen, dass wir zufrieden sein können"

Dabei holte der Foda-Nachfolger nach dem Remis gegen Frankreich weiter aus, um die Tragweite dieser falschen Einschätzung in der Außendarstellung zu verdeutlichen.

"Wir waren so nah dran am Sieg. Wir haben gegen Dänemark durch ein dämliches Verhalten bei einem Freistoß gegen uns einen Punkt weggegeben. Gegen Frankreich haben wir durch ein dämliches Verhalten bei eigenem Freistoß zwei Punkte hergegeben. Ich weiß, dass wir ein gutes Spiel gemacht haben, ich weiß, dass wir gegen einen hervorragenden Gegner gespielt haben. Aber am Ende geht es trotzdem darum, Spiele zu gewinnen."

Hatte Rangnick vor wenigen Tagen noch erwähnt, dass der uneingeschränkte Siegeswille auch im kleinsten Wettbewerb David Alaba zum perfekten Kapitän für ihn macht, so dürfte diese Mentalität auch auf das gesamte Team übergegriffen haben.

"Deswegen bin ich nicht zufrieden mit diesem Ergebnis und ich glaube, die meisten meiner Spieler auch nicht. Und die sollen sich auch nicht von irgendjemandem einreden lassen, dass wir zufrieden sein können. Wir können mit dem Spiel über weite Strecken zufrieden sein, aber bei dem Ergebnis kann mir keiner suggerieren, dass wir damit zufrieden sein sollen."

Zufriedenheit bedeutet oftmals Stillstand

Mit einem Sieg und zwei Punkten mehr wäre Österreich punktegleich mit Tabellenführer Dänemark, was laut Rangnick alles aussagt. Stattdessen muss das ÖFB-Team nun aufpassen, dass nicht das Abrutschen Richtung Abstiegsplatz droht, denn Kroatien hat dem Nationalteam durch den Sieg gegen Dänemark nicht unbedingt geholfen.

Das Beste am dichten Nations-League-Spielplan im Juni ist jedoch, dass es Marko Arnautovic und Co. schon am Montag in Kopenhagen aus eigener Kraft wieder richten können. Der Hunger ist mit Sicherheit vorhanden, auch das Selbstvertrauen, was alles möglich wäre - das hat man gegen Top-Gegner wie Kroatien, Dänemark und Frankreich gesehen.

Mit der Kritik an spielentscheidenden Szenen legt Rangnick nur den Finger in die Wunde, auch wenn es wehtut. Am Ende sollte es aber so sein, dass die zwischenzeitliche Unzufriedenheit für das positivste Signal für die Weiterentwicklung im ÖFB-Team steht. Denn Zufriedenheit bedeutet oftmals Stillstand.


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