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Kommentar: Die Sache mit den "Heldentaten"

Am ersten ÖFB-Arbeitstag formulierte Rangnick einige interessante Gedanken. Kurz vor dem erhofften Erreichen eines Zwischenziels lohnt sich ein Blick zurück.

Kommentar: Die Sache mit den Foto: © GEPA

Ralf Rangnick hat schon an seinem ersten Arbeitstag als ÖFB-Teamchef viel Interessantes gesagt, gut 16 Monate später ist ein Blick darauf recht spannend.

"Nur kein Understatement: Ralf Rangnick startet mit mutigen Ansagen", habe ich damals nach seiner Antritts-Pressekonferenz in Bad Tatzmannsdorf getitelt.

Mit dem heutigen Wissenstand ist "mutig" vielleicht nicht das richtige Wort, "selbstbewusst" ist passender. Letztlich ging es wohl auch darum, Fußball-Österreich aus der damaligen Lethargie aufzuwecken.

Am Tag des möglichen Erreichens des Ziels EURO-Teilnahme – oder nennen wir es lieber Zwischenziel – lohnt es sich in meinen Augen, hier noch einmal drei Kernaussagen vom 29. Mai 2022 zu zitieren.

  • "Fußball hat immer auch mit Unterhaltung zu tun. Das heißt Spiele sollten unterhaltsam und nie langweilig sein. Sie sollten die Zuschauer im Stadion im wahrsten Sinne des Wortes unterhalten und im besten Sinne des Wortes begeistern."

  • "Marko Arnautovic ist 33. Es ist nicht mehr so viel Zeit, wenn Marko in der Nationalmannschaft neben dem 100. Länderspiel, das er in den nächsten Spielen vielleicht machen wird, noch etwas gewinnen will. Dann müssen wir uns beeilen, dann muss er sich beeilen."

Bei Nummer drei macht es in Sachen Kontext Sinn, die komplette Passage aus dem damaligen Text wiederzugeben:

  • Stellt sich die Frage, wie man den Erfolg bemisst?

    Nachdem das ÖFB-Wording seit dem Achtelfinal-Aus gegen Italien bei der EURO offenkundig vorsah, dies als historischen Erfolg zu würdigen, stellt Rangnick fest, dass es "eine Weile her" sei, dass "die Fußball-Nationalmannschaft Österreichs durch irgendwelche Heldentaten auf sich aufmerksam gemacht hat."

    Als ob es eine absichtliche Provokation wäre, fällt dem 63-Jährigen "Cordoba" ein.

Die Euphorie bewegt sich in einem guten Mittelmaß

Schauen wir uns die mutmaßliche dahinterliegende Botschaft und den Zwischenstand ihrer Umsetzung kurz an.

Nicht alle Darbietungen sind am Punkt, speziell gegen kleinere Gegner. Aber trotzdem nehme ich an, es gibt keine zwei Meinungen, dass das ÖFB-Publikum derzeit im Schnitt besser unterhalten wird als in den Jahren davor unter Franco Foda, oder?

Das soll kein billiges Foda-Bashing sein. Auch mit seiner passiveren Herangehensweise gelangen mitunter gute Ergebnisse. Letztlich wurden damit jedoch viel zu wenige Fans ins ÖFB-Boot geholt. Zu viele Leute, die klares Zielpublikum sein sollten, wendeten sich vom Nationalteam-Geschehen ab.

Es ist bestimmt keine neue Erkenntnis, dass sich die Mannschaft mit bedingungsloser Rückendeckung der Fans wesentlich leichter tut. Meinem Empfinden nach ist die Euphorie derzeit auch in einem guten Mittelmaß.

Darauf, dass die blinde Euphorie nach der Quali für die EURO 2016, die kaum mehr Raum für Kritik ließ, unterm Strich kontraproduktiv war, kann man sich wohl einigen. Die vielerorts negative Stimmung, die das Team zur EURO 2021 begleitete, war auch keine Hilfe, entfaltete ihre Wucht jedoch weniger beim Turnier selbst, sondern darin, wie das Team in der Folge implodierte.

Fußball-Österreich hat die Chance, es diesmal besser zu machen, was nahtlos zu den Zitaten zwei und drei führt, die viel mit dem Anspruchsdenken zu tun haben.

Viel Zeit bleibt nicht mehr für Alaba und Arnautovic

Beim zweiten Zitat steht Arnautovic natürlich stellvertretend für diverse routinierte Kadermitglieder. David Alaba wird nächstes Jahr auch schon 32, Marcel Sabitzer 30.

So viel Zeit für Erfolg mit dem Nationalteam bleibt nicht mehr.

Nun klingt dies zugegeben ein wenig komisch, wenn es um Protagonisten der besten ÖFB-Phase seit einigen Jahrzehnten geht. Aber kann man mit dem bisherigen Output wirklich zufrieden sein? Ein EM-Achtelfinale, eine weitere EM-Teilnahme und keine geschaffte WM-Quali? 

Diese Belgier stellen sich Österreichs EM-Träumen in den Weg


Die Botschaft, die Rangnick nicht nur in diesem Satz, sondern auch seither immer wieder mitgibt, ist auch jene, am eigenen Anspruchsdenken zu schrauben.

Nein, zu einem 1:1 gegen Weltmeister Frankreich lässt man sich nicht gratulieren, wenn man soeben den Sieg aus der Hand gegeben hat.

Oder ganz aktuell: Viel österreichischer als der Gedanke, ob vor dem Belgien-Spiel der Druck nicht mehr so groß sei, weil man quasi eh schon durch ist und es nur noch um den Gruppensieg gehe, geht es kaum mehr. Rangnicks Klarstellung, dass natürlich der Gruppensieg angepeilt werde, alleine schon wegen der Setzung für die EM-Auslosung, ist ebenso richtig wie wichtig.

Und ja, auch im Falle eines Siegs gegen Belgien sind aus genau diesem Grund die Gastspiele bei den Underdogs Aserbaidschan und Estland wichtig, so lange Platz eins nicht fixiert ist.

Wie definiert man Heldentaten?

Wenn wir Zitat zwei und drei miteinander verknüpfen, ist kaum eine andere Interpretation ableitbar, als dass die Generation Arnautovic/Alaba bislang durch keine wirklichen Heldentaten aufgefallen ist.

Rückblickend betrachtet hat Rangnick damit knapp ein Jahr nach dem Achtelfinal-Einzug bei der EURO 2021 das immer wiederkehrende ÖFB-Gerede, wie historisch das nicht war, ziemlich gekonnt abgewürgt.

Wie definiert man Heldentaten?

Die Qualifikation für eine EURO ist keine Heldentat mehr. Dieses Stadium hat das ÖFB-Team hinter sich gelassen. Deswegen erscheint mir auch "Zwischenziel" passender als "Ziel", denn nach der fixierten Quali geht die "Mission Heldentat" erst so richtig los.

Dies kann man so formulieren, ohne gleich vom EM-Titel zu träumen und zu vergessen, dass auch der aktuelle Prozess schrittweise erfolgt.

Ich persönlich würde einen weiteren Spielraum der Bemessung abhängig von Gegnern und Leistung als zulässig empfinden. Aber da es dem Zeitgeist entspricht, klar messbare Ziele festzuschreiben, wiederhole ich gerne, was ich eh schon mehrmals als schönes Vorhaben formuliert habe:

Es wird höchste Zeit, endlich wieder einmal ein K.o.-Spiel zu gewinnen. Dies sehen wahrscheinlich alle Fans, die sich an den dritten Platz bei der WM 1954 nicht mehr ganz bewusst erinnern können, auch so.

Ein inspirierender Gedanke

Wie auch immer: Der Heldentaten-Gedanke ist ein durchaus inspirierender für die kommenden Monate.

In diesem Zusammenhang war an Rangnicks erstem Arbeitstag übrigens noch ein in einem Halbsatz formulierter Gedanke nicht uninteressant – hier wieder im damaligen Kontext zitiert:

Bei Real Madrid habe man in der Champions League etwa gesehen, dass man "etwas für die Ewigkeit erreichen möchte. Darum geht es letztlich."


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