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VAR: "Minimaler Eingriff - maximaler Nutzen!"

Ex-Schiri Fritz Stuchlik erklärt, warum Video-Schiri bei WM so sinnvoll ist:

VAR: Foto: © GEPA

Fritz Stuchlik war 15 Jahre lang FIFA-Schiedsrichter. Für Schlagzeilen sorgte der 52-jährige Wiener zuletzt mit der einvernehmlichen Trennung vom ÖFB.

Stuchlik war als Referee stets für seine harte Linie bekannt, verteilte in 316 Bundesliga-Partien nicht weniger als 1.211 gelbe Karten, schickte 58 Spieler mit Gelb-Rot vom Platz und zeigte 64 Mal Rot.

Als langjähriger Schiri-Beobachter (national und international) äußert Stuchlik im LAOLA1-Interview seine Meinung zum Video Assistent Referee (VAR).

Fritz Stuchlik (im Bild mit Italiens "Glatze Gnadenlos" Pierluigi Collina) sieht sich rückblickend als einen Schiedsrichter, "der immer seiner Linie treu blieb". Stuchlik über sein einstiges Image als ein arroganter Regel-Experte ohne Fingerspitzengefühl: "Ich war ein Referee, bei dem die Spieler ganz genau gewusst haben, wie sie dran sind. Es war mir wichtig, die Spiele immer gleich konsequent zu leiten und stets berechenbar zu sein."

LAOLA1: Bei der WM in Russland kommt erstmals bei einem derartigen Ereignis bei allen Spielen der "Video-Schiedsrichter" zum Einsatz. Wird es zu einem Fiasko werden?

Fritz Stuchlik: Die Verantwortlichen der FIFA haben mit Sicherheit die WM-Schiedsrichter gut vorbereitet. Die meisten Referees haben zudem Erfahrung aus ihren eigenen Ligen, Cup-Bewerben oder internationalen Veranstaltungen und die nominierten Video-Schiedsrichter kommen ausschließlich aus Ländern, in denen der VAR bereits Einzug gehalten hat.

LAOLA1: Da ja fast bei jedem Spiel strittige Situationen vorkommen, müssen wir uns daher auf längere Spielzeiten einstellen?

Stuchlik: Die Häufigkeit der Eingriffe wird sehr überschaubar sein. Der Slogan, der hinter dem VAR-System steht, lautet "Minimaler Eingriff – maximaler Nutzen!". Das bedeutet, dass die Zuschauer nicht erwarten dürfen, dass es am Ende des Spieles keine Diskussionen mehr über einzelne Entscheidungen geben wird. Es ist keine hundertprozentige Korrektheit bei der Entscheidung möglich, andernfalls wären durch ständige Unterbrechungen sowohl der Spielfluss wie auch die im Fußballsport geliebten Emotionen weg.

LAOLA1: In welchen Fällen wird dann ein Eingriff von außen erfolgen?

Stuchlik: Zunächst muss klargestellt werden, dass nur der Schiedsrichter eine Videoprüfung anordnen kann, der VAR kann diese nur empfehlen. Bevor der VAR die Empfehlung abgibt, muss er sich die Frage stellen, ob die Entscheidung eindeutig unrichtig war. Wir wissen, dass es viele Ermessens-Entscheidungen oder auch sogenannte Graubereiche gibt, wo im Nachhinein gesagt wird, dass zum Beispiel ein Strafstoß die bessere Entscheidung gewesen wäre. Oder man spricht davon, dass es beispielsweise zu 70 Prozent Strafstoß gewesen wäre. Das ist jedoch nicht damit gemeint, ob eine Entscheidung eindeutig unrichtig war.

LAOLA1: In der deutschen Bundesliga wird oft kritisiert, wie lange das "Überprüfungs-Verfahren" dauert...

Stuchlik: Auch da gibt es vom IFAB - dem internationalen Regelkomitee, das die Bestimmungen erlassen hat - eine klare Aussage: Es herrscht kein Zeitdruck – Genauigkeit ist wichtiger als Schnelligkeit. Aber ich kann verstehen, wenn alle im Stadion es lähmend finden, bis ein Resultat bekanntgegeben wird.

LAOLA1: Kann durch den Video-Beweis ausgeschlossen werden, dass aus einer unrichtigen Corner-Entscheidung (wie z.B. bei Salzburg gegen Marseille) ein Treffer ein Spiel entscheiden kann.

Stuchlik: Dieser Fall wäre keine Situation für einen Eingriff des VAR gewesen. Würde ein Eckstoß überprüft werden, müsste man ja dann auch einen Abstoß überprüfen können usw., da würde das Spiel gnadenlos zerhackt werden. Es gibt nur vier Kategorien, die eine Videoüberprüfung rechtfertigen: Tor-Erzielung, Entscheidung Strafstoß oder kein Strafstoß, direkte rote Karte (keine gelb-rote Karte!) sowie Spieler-Verwechslungen (bei einer gelben oder roten Karte für den unrichtigen Spieler).

LAOLA1: Warum keine Überprüfung bei Gelb-Rot?

Stuchlik: Deswegen nicht, da im Falle der Überprüfung der zweiten gelben Karte für einen Spieler ja auch im Sinne der Gerechtigkeit seine erste gelbe Karte überprüft werden müsste und dies würde dann für alle Spieler gelten. Darüber hinaus müsste noch überprüft werden, ob es Situationen gab, wo zu Unrecht keine gelbe Karte gegeben wurde. Das alles würde zu weit führen und das Spiel unattraktiv machen. Bei Vergehen, die mit einer roten Karte - ausgenommen die Verhinderung einer offensichtlichen Torchance - geahndet werden, wird lediglich der Vorfall geprüft. Bei Treffern, Strafraum-Situationen und "Torchancen-Verhinderung" kann der Schiedsrichter den Spielverlauf bis zum Beginn des Spielzugs, der zu dem Vorfall führte, sichten und falls relevant prüfen, wie der Ballbesitz zu Beginn der Spiel-Szene zustande kam.

LAOLA1: Trotzdem hat es in Deutschland immer wieder Diskussionen über die Einbeziehung des VAR und der nachfolgenden Entscheidungen gegeben. Wie ist das möglich, wenn scheinbar ohnehin alles so klar reglementiert ist.

Stuchlik: Weil jeder, der ein Spiel sieht, trotz Zeitlupen-Wiederholungen aus verschiedenen Blickwinkeln eine subjektive Wahrnehmung besitzt. Was für mich vielleicht eine 70:30-Entscheidung ist, wird für jemanden anderen eine eindeutig unrichtige Entscheidung sein, die es zu überprüfen gilt. Gerade beim Handspiel, wo ja nur die Absicht zu bestrafen ist, wird dies vielfach vorkommen.

LAOLA1: Was ist mit jenen Vergehen, die abseits der Wahrnehmungen des Schiri-Teams passieren? In der Vergangenheit mussten dann immer Liga oder Verband über die nachträgliche Einleitung eines Verfahrens entscheiden.

Stuchlik: Da droht den Spielern bei der WM unmittelbare Gefahr, denn falls ein schwerwiegender Vorfall von den Schiedsrichtern am Spielfeld selbst nicht wahrgenommen wird, so wird dies nun auch zu einer Video-Überprüfung führen, falls der VAR den Vorfall während des Spieles wahrnimmt. Dies kann durchaus auch zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen, nachdem das Spiel bereits fortgesetzt wurde. Konkret bedeutet dies, dass wenn das Spiel zwischenzeitlich unterbrochen und wieder fortgesetzt wurde, so darf der Schiedsrichter nur im Fall von Spieler-Verwechslungen oder möglichen feldverweiswürdigen Vergehen (z. B. wegen einer Tätlichkeit, Anspuckens oder Beißens des Gegners oder einer anstößigen, beleidigenden und/oder demütigenden Gebärde) ein Video-Überprüfung vornehmen und entsprechende Disziplinarmaßnahmen ergreifen.

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