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Spaniens neue "Furia Roja": Eine titelreife Mischung

Im März 2023 war noch vom großen Absturz die Rede. In Deutschland sind die Spanier aber definitiv ein Titelkandidat. Eine Bestandsaufnahme:

Spaniens neue Foto: © getty

"Spanien ist dem Letzten unbewusst viel näher als dem Ersten", schrieb die "Marca" am 29. März 2023. Nicht einmal 15 Monate vor Beginn der Europameisterschaft war vom endgültigen Absturz der spanischen Nationalmannschaft die Rede.

Nach dem enttäuschenden Achtelfinal-Aus bei der WM in Katar übernahm Luis de la Fuente das Teamchef-Amt, startete mit einem 3:0 gegen Norwegen ordentlich.

Es folgte eine 0:2-Pleite in Schottland, die die "Marca" mit den Worten "Der Rückschlag in Glasgow geht auf das Konto von Luis de la Fuente, aber es wäre unfair, nur auf den aktuellen Trainer zu schauen, um zu verstehen, wohin sich die Nationalmannschaft bewegt" beschreibt.

Der Mannschaft wird schlicht die fehlende Klasse abgeschrieben, sogar Rechenspiele werden gestartet, ob die Quali zur EM überhaupt klappt.

Was folgt, ist durchaus bemerkenswert. Direkt im nächsten Lehrgang bezwingen die Iberer Europameister Italien im Halbfinale der Nations League, schnappen sich im Finale gegen Kroatien nach Elfmeterschießen den letzten europäischen Nationalteam-Titel vor der EURO 2024.

Die restlichen sechs EM-Quali-Partien beendet die "Furia Roja" mit jeweils drei Punkten. Plötzlich gehört Spanien wieder zu den heißesten Titelanwärtern. LAOLA1 ordnet den Kader der Iberer samt Trainer ein und gibt einen Ausblick auf das anstehende Turnier.

Nur ein Europameister

Jesus Navas ist der einzige Spieler aus dem Kader aus der goldenen Generation, welche Ende der 00er- und Anfang der 10er-Jahre praktisch dominierte. Der 38-Jährige wurde 2010 in Südafrika Weltmeister und 2012 in Polen und der Ukraine Europameister.

Dennoch: Dem spanischen Kader fehlende Erfahrung abzusprechen, wäre falsch. Mit einem Altersschnitt von 27,0 ist die "Furia Roja" eher im Durchschnitt der EM-Teilnehmer. Eine gute Mischung macht das Aufgebot aus. Während sich viele Akteure im perfekten Fußballalter befinden, ist das Mega-Talent Lamine Yamal erst 16 Jahre alt. 

Torwart der Saison aus LaLiga als Rückhalt

Im Tor dürfte der Teamchef auf Unai Simon von Athletic Bilbao setzen. Der langjährige "Einser" bestritt mit einer Ausnahme alle Spiele der EM-Qualifikation.

Mit Arsenals David Raya (28) steht ein weiterer Top-Goalie im Kader. Sociedad-Goalie Alex Remiro (29) komplettiert das Trio.

Sowohl Simon als auch Raya haben sich international bewiesen. Simon wurde 2023/24 in LaLiga sogar zum Torwart der Saison gekürt. Ein Schwachpunkt ist hier nicht auszumachen.

Titelerprobte Abwehr

Als routiniert kann auch die Abwehr bezeichnet werden.

Rechts dürfte Dani Carvajal (32) den Vorzug vor Jesus Navas (38) erhalten. Der Real-Kicker kommt mit jeder Menge Rückenwind nach Deutschland, im Champions-League-Finale gegen Borussia Dortmund erzielte er das 1:0.

Innen stehen mit Aymeric Laporte (30) und Nacho (34) weitere Henkelpott-Gewinner der vergangenen beiden Jahre im Aufgebot. 

Mit Carvajal und Nacho laufen zwei amtierende CL-Sieger in der Abwehr auf.
Foto: © getty

Auf links könnte mit Alejandro Grimaldo (28) von Bayer Leverkusen ein deutscher Meister auflaufen. Marc Cucurella (25) fungiert wohl als Back-Up.

Aber auch die anderen Defensiv-Leute haben einiges zu bieten. Sociedads Robin Le Normand (27) und Bilbaos Dani Vivian (24) haben eine starke Saison hinter sich. Vivian holte mit Bilbao die Copa del Rey.

Diese gezielte Mischung macht den Kader gefährlich. Bitter ist hingegen der Ausfall von Alejandro Balde (20), für links hinten wäre er eine gute Alternative zu Grimaldo gewesen. Im Frühjahr konnte er allerdings kein Comeback mehr geben.

Und auch für die Zukunft kann sich Spanien neben Balde auf viele Talente freuen. Barcelonas Pau Cubarsi (17) fiel erst dem letzten Kader-Cut zum Opfer.

Rodri als zentrale Figur im Mittelfeld

Im Mittelfeld ist das Fehlen von Gavi (19) bitter. Die Qualität ist dennoch bemerkenswert.

"Für mich ist er der beste zentrale Mittelfeldspieler der Welt. Er ist der kompletteste Sechser. Er sticht in jedem Aspekt des Spiels hervor."

Luis de la Fuente über Rodri

Fabian Ruiz (28), Rodri (27) und Pedri (21) könnten die neue Achse bilden. Mikel Merino (27), Martin Zubimendi (25), Fermin Lopez (22) und Alex Baena (22) sind weiters mit an Bord.

Vor allem bei Rodri kommt Teamchef De la Fuente ins Schwärmen. "Für mich ist er der beste zentrale Mittelfeldspieler der Welt. Er ist der kompletteste Sechser. Er sticht in jedem Aspekt des Spiels hervor. Er versteht es, anzugreifen, zu verteidigen, ist selbstlos, ist fleißig, weiß, wie man das Spiel orchestriert", verrät im Interview der UEFA

Mit Dani Olmo (26) befindet sich ein Mann an Bord, der jede Menge Qualität für das Mittelfeld als auch den Flügel mitbringt. Offensiv sind Youngsters wie Nico Williams (21) und Lamine Yamal (16) am Flügel einsetzbar.

"Unglaublicher" Youngster Yamal

Vor allem Yamal sorgt für Schlagzeilen. Bei der EURO könnte er zum jüngsten eingesetzten Spieler der Turnier-Geschichte werden.

Bei seinem Nationalteam-Debüt im September 2023 gegen Georgien (7:1) stellte er sich gleich mit einem Treffer vor. "Er ist unglaublich", staunte de la Fuente nach der Partie. Lamine Yamal im LAOLA1-Portrait >>>

Mit Kapitän Alvaro Morata (31) verfügen die Spanier über einen der weltbesten Spieler im Bereich Laufwege. Joselu (34) wurde von De la Fuente schon vor seinem Real-Wechsel berücksichtigt und ist zumindest als Joker eine mehr als brauchbare Option.

Das konnte er im Halbfinale der UEFA Champions League unter Beweis stellen. Nach seiner Einwechslung (81.) schickte er die Bayern mit einem späten Doppelpack (88./90.+1) nach Hause.

Damit aber noch nicht genug: Mikel Oyarzabal (27) ist eine weitere Option. Als interessante Spieler für die Breite sind zudem Ferran Torres (24) und Ayoze Perez (30) dabei.

Zweifacher Nachwuchs-Europameister auf der Bank

Insgesamt verfügt der Teamchef über einen guten Mix, viele Spieler in Hochform sind mit dabei.

Der Coach selbst verfügt ebenfalls über Turniererfahrung. Ab 2013 betreute der 62-Jährige diverse Nachwuchs-Auswahlen der Iberer. 2015 wurde er U19-Europameister, 2019 U21-Europameister. 2023 folgte die Nations League mit dem A-Team.

Aus dem U21-Team von 2019 sind mit Oyarzabal, Merino, Olmo und Simon gleich vier Spieler im aktuellen EM-Aufgebot. Rodri, Merino und Simon spielten 2015 im U19-Europameister-Team. Goalie Simon drückte indes bei beiden Turnieren die Bank.

Technik und hohe Pressingresistenz im Kader

Wer auf den Kader blickt, sieht viele technisch gut ausgebildete Spieler. Kreativität ist ein weiterer Faktor.

Aber ist das spanische Tiki-Taka noch zeitgemäß? Jein! Der Fußball entwickelt sich weiter, aber genau für diesen Fall ist De la Fuente der richtige Mann.

Spieler wie Pedri glänzen mit ihrer Technik
Foto: © getty

Spanien ist eine durchaus sinnvolle Antwort auf das von vielen Teams verwendete Offensiv-Pressing.

Als pressingresistent zeigt sich beispielsweise Aston Villa unter spanischen Coach Unai Emery und schaltet damit des Öfteren pressingstarke Teams aus. Ähnlich agiert die spanische Nationalmannschaft. Die hohe Qualität der spanischen Kicker im Spiel mit dem Ball wäre für ein hoch anpressendes Österreich zum Beispiel nicht unbedingt von Vorteil.

Probleme gibt es eher gegen Umschaltmannschaften mit hoher Qualität im taktischen Defensivverhalten. Frankreich oder England können hier beispielsweise herangezogen werden. Für diesen Fall braucht es weitere taktische Mittel, die auch in der Konterabsicherung liegen.

Ein weiterer Kritikpunkt, den sich die Spanier in der Vergangenheit immer wieder anhören mussten, war, dass sie kaum in Umschaltsituationen kommen. Zu lange halte das Team den Ball, suche zu selten nach Ballgewinn mutig den Weg nach vorne, hieß es. Gut stehende Abwehrreihen waren so oft nur schwer knackbar.

Genau das hat De la Fuente geändert. Die Spanier fahren die Angriffe gegen defensiv denkende Gegner immer direkter. "Schneller spielen, mehr Lösungen finden und dabei defensiv kompakt sein", seien wichtige Punkte, erklärte der Coach.

Spanien ist variabler geworden

In der Quali präsentierte sich die "Furia Roja" taktisch als äußerst variabel. Dass der Teamchef dies seiner Mannschaft beibringen kann, hat er bereits in der Vergangenheit unter Beweis gestellt.

Den U21-EM-Titel 2019 eroberte der Coach im Finale gegen Deutschland durch perfekt praktiziertes Konterspiel. "Wir haben gezeigt, dass wir eine eingeschworene Einheit sind. Und wir haben im Konter unsere Nadelstiche gesetzt", erklärte der Erfolgstrainer später bei "The Coaches Voice".

Mit schnellen Flügelstürmern wie Nico Williams oder Lamine Yamal könnte das über einzelne Spielphasen durchaus ein Erfolgsrezept werden.

Teamchef lobt Zusammenhalt

Die Mannschaftsführung ist zudem eine der großen Stärken des Übungsleiters. Der Coach gilt als detailverliebt, muss sich in Ansprachen manchmal zusammenreißen, nicht zu übertreiben, denn "Spieler verlieren nach 20 Minuten die Konzentration".

"Ich bin überzeugt, dass wir eine Chance haben werden, um den Titel mitzuspielen."

Luis de la Fuente

In seiner Kommunikation will er klar sein. "Ich werde immer direkt zu meinen Spielern sein", offenbarte er bei "The Coaches Voice".

Das Teamgefüge streicht De la Fuente immer wieder hervor. Nach dem 7:1 gegen Georgien im September 2023 lobte er die Veteranen, welche die jungen Spieler ideal ins Team integrieren würden. In der Nationalmannschaft gebe es ein "familiäres Grundkonzept".

De la Fuente kennt den spanischen Fußball genau

Luis de la Fuente kennt den spanischen Verband genau, lobt des Öfteren dessen Philosophie.

"Ich bin seit elf Jahren beim spanischen Fußballverband und vom ersten Tag an habe ich gesehen, dass es ein sehr klares Modell und eine Idee gab. Wir Trainer haben sie alle akzeptiert und uns damit identifiziert und haben dieses Konzept mit unseren eigenen Ideen verstärkt, um es weiterzuentwickeln", so der Trainer im UEFA-Interview.

Er erläuterte: Das Wichtigste ist, dass diese Philosophie vollständig in das Modell des Verbandes integriert ist, sodass jede Nationalmannschaft dieselbe Idee verfolgt."

Der 62-Jährige sprach zudem von einer "hervorragenden Ausbildung" in den Vereinen. Auf diese Arbeit kann das Konzept aufbauen.

Ins Länderspieljahr 2024 starteten die Spanier mit einer 0:1-Pleite gegen Kolumbien und einem 3:3 gegen Brasilien. In der EM-Vorbereitung folgten klare Siege gegen Andorra (5:0) und Nordirland (5:1).

Hammer-Gruppe erwischt

Mit dem WM-Dritten Kroatien und Titelverteidiger Italien warten bereits in der Gruppe zwei Hammerlose, Albanien ist Außenseiter.

"Wir haben bereits in der Nations League gegen Italien und Kroatien gespielt, aber es sind so gute Nationalmannschaften. Man muss nur ihre Bilanz, ihre Geschichte oder ihre Spieler betrachten, um das zu erkennen. Aber wir dürfen Albanien nicht vergessen. Albanien hat wirklich gute Spieler, die sich sehr gut entwickelt haben", schätzt de la Fuente die Gruppe ein.

Spanien darf seit der Pleite in Schottland getrost von einem ordentlichen Jahr sprechen. Sind die Iberer aber bereits titelreif? Zuzutrauen ist es ihnen allemal. Groß ist die individuelle Qualität der Spieler, zudem ist genügend Titelerfahrung vorhanden. De la Fuente wirkt weiters wie zugeschnitten für diesen Job. 

Den Titel traut er seiner Truppe auf jeden Fall zu. "Ich bin überzeugt, dass wir eine Chance haben werden, um den Titel mitzuspielen. Ich denke, wir sind bereit und haben noch Zeit zu wachsen und uns zu verbessern, um das Team zu werden, das nötig ist, um weitere Titel zu holen", meint der Teamchef.

Mit dem vierten EM-Titel würde er Spanien zum alleinigen Rekordhalter machen.

Der EURO-Tabellenrechner:

Was spricht für...? Die EM-Tipps der LAOLA1-Redaktion



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