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Stöckl: "Hatte bis jetzt immer sicheres Gefühl"

Norwegens Skisprung-Trainer Alex Stöckl nimmt Sportler in die Verantwortung:

Stöckl: Foto: © GEPA

Der Skisprung-Tross ist in einer sogenannten Blase von den Wettkämpfen in Russland zu den Skiflug-Weltmeisterschaften nach Planica gereist.

In Jesenice wurden nach der Ankunft Coronatests gemacht, danach das für die Springer reservierte Hotel in Kranjska Gora bezogen.

Sicherheitspersonal achtet darauf, dass nur "Mitglieder der Skisprung-Familie" Einlass finden, erzählt Norwegens Cheftrainer Alexander Stöckl.

Der 46-jährige Tiroler fühlt sich trotz Rissen in der Coronablase sicher, sein starkes Flieger-Team um Shootingstar Halvor Egner Granerud stellt beim ersten Saisonhöhepunkt am Wochenende gleich mehrere Top-Favoriten.

Im APA-Interview spricht Stöckl über das Leben in der Blase, die starken Vorstellungen seiner Springer und er erklärt, warum Spitzensportler eine Verantwortung gegenüber der Bevölkerung haben.

Frage: Herr Stöckl, wie ist das Leben in einer Corona-"Blase"?

Stöckl: Es ist ruhiger als sonst. Ich empfinde die Ruhe aber als angenehm, sie erleichtert für mich das Arbeiten. Außer uns sind kaum Leute unterwegs. In Russland sind wir mit Shuttle-Bussen zum Flughafen gefahren, der noch geschlossen hatte, weil wir so früh dort waren. Im internationalen Wartebereich waren wir alleine, im Flieger waren vielleicht 120 Menschen. Jetzt sind wir viel im Hotel, aber das kennen wir.

Frage: Fühlen Sie sich in Ihrer Freiheit eingeschränkt?

Stöckl: Nein, wir können uns die Füße vertreten, nur einkaufen gehen oder an viel frequentierten Plätzen sollen wir nicht sein. Was hier in Kranjska Gora kein Problem ist, hier ist nicht allzu viel los. Auch Training auf der Großschanze in Planica wurde angeboten, wir haben das aber nicht genutzt. Unsere Jungs sind recht gut drauf. Es ist wichtiger, dass sie sich psychisch auf das Skifliegen vorbereiten.

Frage: Das klingt nach Understatement. Ihr Team hat zuletzt in Russland den ersten Dreifachsieg seit 1982 gefeiert. Woher kommt diese Frühform?

Stöckl: Wir haben anfangs gemerkt, dass uns noch Großschanzensprünge fehlen, waren gefühlsmäßig aber immer ganz gut drauf. Die Jungs haben das in Nischnij bei schwierigen Verhältnissen noch einmal bestätigt bekommen. Unten war ein ziemlicher Aufwind, das ging vom Gefühl her schon Richtung Skifliegen. Da hat man gesehen, dass unsere Athleten gut durchkommen. Sie wissen jetzt: Auch wenn ich offensiv bleibe, dann habe ich das unter Kontrolle. Aber man muss sagen: Die besten Österreicher, am Sonntag auch Huber, der ja am Vortag sehr gut gesprungen ist, die besten Polen oder Karl Geiger waren nicht dabei.

Frage: Trotzdem muss man die Chance erst verwerten. Kommt die Fliegernation Norwegen als Top-Favorit zur WM?

Stöckl: Angesichts der Leistungen muss man wohl sagen: Ja. Zumal die meisten, die in Russland gut gesprungen sind, routinierte Skiflieger sind und wir den (norwegischen) Weltrekordhalter (Robert Johansson, Anm.) und den amtierenden Weltmeister Daniel-Andre Tande dabei haben. Die Jungs fliegen gern, wir können die Ausgangslage nicht herunterspielen.

Frage: Wie reagiert die Medienöffentlichkeit in Norwegen darauf?

Stöckl: Skispringen ist eine kleine Sportart. Wir sind sehr dankbar für jede Aufmerksamkeit, die wir kriegen. Derzeit ist das Interesse groß, einerseits wegen unserer Erfolge, andererseits weil wir eine der Sportarten sind, die weitermachen. Die Langläufer haben ja beschlossen, dass sie wegen Corona vor Weihnachten keine Weltcups machen. Das schafft Raum für uns.

Frage: Warum ist ein Rückzug für Ihr Team kein Thema?

Stöckl: Es gibt mehrere Faktoren. Man weiß, dass bei einer gewissen Anzahl von Coronafällen die Lunge betroffen ist. Das kann für einen Ausdauersportler gravierende Auswirkungen haben, auf Spitzensport-Niveau ist die Sache damit erledigt - zumindest für einen gewissen Zeitraum. Wir haben einen WM-Winter, da geht es für die Langläufer um begehrte Medaillen. Der Kontakt bei der Ausübung ist ein anderer, wir laufen nicht in der Loipe nebeneinander, wir springen hintereinander. Und im Skispringen haben wir weniger Berührungspunkte, weil der Tross kleiner ist.

Frage: Sie vertrauen also dem Blasen-Konzept?

Stöckl: Ich hatte bis jetzt immer ein sicheres Gefühl. Ich lebe in Oslo in der Stadt, da ist die Zahl der Neuinfektionen recht hoch. Die Chance, dass in Planica in der Blase ein Infizierter neben mir steht, ist viel geringer.

Frage: Dass sie nicht gänzlich dicht ist, zeigen aber nicht zuletzt die Fälle im ÖSV.

Stöckl: Hundertprozentig eliminieren kann man das Risiko nicht, man hat Berührungspunkte nach außen. Leute fahren heim, neue kommen hinzu. Aber wir können es sicher schaffen, dass wir die Zahlen geringer halten als es der Schnitt in dem Land ist, in dem wir unterwegs sind. Davon bin ich überzeugt.

Dass die Langläufer ausgestiegen sind, ist einerseits verständlich, andererseits stehlen sie sich aus der Verantwortung.

Stöckl über die Verantwortung des Spitzensports

Frage: Sie haben zuletzt auf die Verantwortung des Spitzensports verwiesen, können Sie das konkretisieren?

Stöckl: Dass die Langläufer ausgestiegen sind, ist einerseits verständlich, andererseits stehlen sie sich aus der Verantwortung. Es ist fein, wenn man als Spitzensportler sagen kann: Ich gehe jetzt zwei Monate lang nicht arbeiten, weil es mir zu gefährlich ist. Das kann ein Bus-Chauffeur, ein Doktor oder die Leute in den Geschäften, die jetzt das Weihnachtsgeschäft betreuen, nicht sagen. Für all jene fahren wir auf die Schanze. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen hungrig nach Live-Erlebnissen sind, dass Spitzensport neben dem Unterhaltungselement auch Hoffnung geben kann. Mit uns sehen sie: Es geht weiter, man kann gewisse Dinge machen.

Frage: Halvor Granerud hat den Zuschauern mit seinen drei Siegen zuletzt Freude bereitet. Was macht ihn aus?

Stöckl: Halvor ist ein extrem gewissenhafter Athlet mit großen Zielen, die er dann wirklich stur verfolgt. Er ist ein kluger Bursche, der sehr reflektiert für seine 24 Jahre ist. Der Nachteil, wenn man etwas im Kopf hat, ist, dass man sich leichter verzettelt. Er war im letzten Jahr zu detailfokussiert, im Herbst hat er sich irgendwie verloren.

Frage: Ist es wahr, dass er Ihnen im Frühjahr eine E-Mail geschickt hat mit der Bitte, seine Schwachstellen noch mal genau darzulegen?

Stöckl: Das stimmt. Ich habe mich mit meinen Trainerteam zusammengesetzt und Magnus Brevig (Co-Trainer) hat einen Schrieb aufgesetzt.

Frage: Wie kam der wiederum beim Sportler an?

Stöckl: Er hat gesagt: Passt, jetzt kenne ich mich aus. Ich habe diese Selbstständigkeit gut gefunden.

Frage: Was ist Granerud in Planica zuzutrauen?

Stöckl: Hoffentlich weite Sprünge. Das Tolle war, obwohl es in Russland am Vorbau von allen Richtungen geblasen hat, hat er es trotzdem geschafft, seine Grundtechnik zu springen. Skifliegen ist noch einmal eine Klasse drüber. Wir werden sehen, ob sein System bei knapp über 100 km/h auch noch so stabil ist. Aber ich sehe keinen Grund, warum es nicht so sein sollte.

Frage: Die Österreicher kommen hingegen fast ohne Wettkampfpraxis nach Planica. Wie groß ist der Nachteil?

Stöckl: Wenn wir Kraft und Hayböck hernehmen: Die haben eine Riesenerfahrung! Die kennen die Schanze, sind beide richtig gute Skiflieger, die kommen da schnell wieder rein. Wir haben zwei Trainingssprünge, die Quali und dann noch einen Probesprung. Das sollte reichen.

Frage: Sie sind seit 2011 Cheftrainer in Norwegen. Manche reiben sich auf, andere wollen irgendwann nicht mehr.

Stöckl: Wenn es einem nur um die Erfolge und nicht um die Entwicklung der Athleten geht, dann reibt man sich vielleicht auf. Ich habe Vertrag bis 2022. Mir macht die Arbeit Riesenspaß, der Trainerstab und das Serviceteam sind ein seit Jahren eingespieltes Team, in dem die Wertschätzung hoch ist. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich ständig über die Schulter schauen muss, weil mir sonst einer das sprichwörtliche Messer in den Rücken stechen könnte.

Frage: Schließen Sie aus, dass Sie noch einmal in einer ÖSV-Funktion zu sehen sind?

Stöckl: Ich habe mein Leben lang noch nie etwas ausgeschlossen. Ich mache das, was mir Spaß macht und ich liebe Herausforderungen. Derzeit sehe ich da heroben noch genügend Herausforderungen, es kann noch vieles verbessert werden.

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