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Herbst: "Keiner geht mehr auf ein Bier"

Unverständnis über Kritik, Bier im Ski-Zirkus, Marcel Hirscher. Reinfried Herbst im Abschieds-Interview:

Herbst:

Der Letzte einer Generation beendet am Sonntag seine Karriere.

Reinfried Herbst bestreitet in Kranjska Gora das letzte Weltcup-Rennen seiner Laufbahn. Mit 37 Jahren zieht er einen Schlussstrich unter seine höchst erfolgreiche Slalom-Ära.

"Ich verspüre keine Wehmut. Ich stand letztes Jahr beim Weltcup-Finale am Start und bin davon ausgegangen, dass es der letzte Durchgang meiner Karriere sein würde. Damit konnte ich mich auch sehr gut anfreunden", beschreibt er im LAOLA1-Interview seine Gefühlslage vor dem letzten Slalom-Start.

Sein Werdegang ist bemerkenswert: Aufgrund zahlreicher Verletzungen schaffte er erst spät den Sprung in den Weltcup. Da die Ergebnisse ausblieben, wurde er 2005 aus allen Kadern gestrichen und musste das Sommertraining auf eigene Kosten absolvieren. Kurz vor Saisonbeginn qualifizierte sich der Salzburger für den Weltcup und etablierte sich binnen wenigen Wochen in der Weltspitze.

Seinen kometenhaften Aufstieg krönte er mit der Silbermedaille bei den Olympischen Spielen 2006 in Turin. Mit 27 Jahren feierte er im Winter 2005/06 noch seinen ersten Weltcupsieg - acht weitere sollten folgen. Trotz vieler Blessuren und Operationen heimste Herbst in der Saison 2009/10 zudem die kleine Kristallkugel für den Slalom-Weltcup ein.

"Es war cool, was ich erreichen konnte. Im Slalom gibt es gar nicht so viele, die mehr gewonnen haben", blickt er nicht ohne Stolz zurück.

Klingt alles nach Freude, Friede, Eierkuchen. Ist aber nicht so. Denn vor allem die Kritik gewisser Ex-Läufer, heutzutage gehe es den jungen Läufern zu gut, teilt er nicht: "Das ist Schwachsinn!"

Warum im Weltcup kein Läufer mehr auf ein Bier geht, er zu perfekt sein wollte und was er von Marcel Hirscher hält, verrät Reinfried Herbst im großen LAOLA1-Abschieds-Interview:

LAOLA1: Du stehst vor deinem letzten Weltcup-Rennen. Wie geht es dir damit?

Reinfried Herbst: Mir geht es gut, ich verspüre keine Wehmut. Genau deshalb war es wichtig, die Saison noch zu fahren. Für Außenstehende ist das vielleicht schwer zu verstehen, weil die Ergebnisse nicht gepasst haben. Natürlich hätte ich mir mehr erhofft, ich bin aber nicht davon ausgegangen. Ich habe mir keinen Druck gemacht. Ich weiß jetzt, dass der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Damit geht es mir gut, ich freue mich auf mein letztes Rennen am Sonntag und die Zeit danach.

LAOLA1: Der Gedanke „Hätte ich es doch noch ein Jahr drauf gehabt“ fällt bei dir also weg?

Herbst: Man kennt genug Kollegen, die aufgehört haben und sich danach mit diesen Gedanken auseinandersetzen mussten. Ich habe letztes Jahr auch überlegt, bin aber zu dem Schluss gekommen, dass es noch nicht alles war. Viele können das nicht verstehen. Wenn du etwas liebst und zehn Jahre lang richtig gut in etwas warst, ist die Leidenschaft größer als das eine oder andere Training. Da schaut man nicht nur auf die Ergebnisse. Ich hatte zehn Jahre lang ein sehr hohes Niveau, war stets unter den 25 besten Slalomläufern der Welt. Man muss erst einmal so lange in dem Zirkus durchhalten, vor allem mit meinen Verletzungen. Ich habe letztes Jahr gemerkt, dass mir noch zu viel am Slalomfahren liegt und es mir noch zu sehr taugt. Deshalb habe ich noch ein Jahr angehängt. Die Voraussetzungen waren – auch mit meinem Knie – nicht einfach. Ob ich es bereue? Zu hundert Prozent nein! Im Gegenteil – es hat genau gepasst.

LAOLA1: Wird selbst am Sonntag bei deinem letzten Start kein Funken Wehmut aufkommen?

Herbst: Der Ski-Zirkus, die Kollegen sind ein Teil meiner Familie. Bei mir hat sich von klein auf alles ums Skifahren gedreht. Deshalb wird es am Sonntag ein einschneidendes Erlebnis. Ich stand letztes Jahr beim Weltcup-Finale am Start und bin davon ausgegangen, dass es der letzte Durchgang meiner Karriere sein würde. Damit konnte ich mich auch sehr gut anfreunden. Eine gewisse Wehmut kann schon dabei sein, die Dankbarkeit für das, was ich erreicht habe, ist aber größer. Vor allem, weil ich mit den vielen Verletzungen nicht die besten Voraussetzungen hatte. Es ist wichtig, nicht auf die Saison, sondern auf die Karriere zurückzublicken. Es war cool, was ich erreichen konnte. Im Slalom gibt es gar nicht so viele, die mehr gewonnen haben. Ich glaube es waren genau fünf Fahrer, die mehr gewonnen haben. Der Slalom war immer eine große Disziplin, das muss man sich vor Augen halten. Es war eine coole Karriere mit vielen Höhen und Tiefen. Ich bin happy, dass alles so gelaufen ist. Mal sehen, wie die Gefühlsebene am Sonntag ist. Ich freue mich aber auch schon auf einen neuen Lebensabschnitt.

LAOLA1: Gibt es einen besonderen Moment, an den du denkst, wenn du zurückblickst?

Herbst: Die Olympischen Spiele in Turin. Da bin ich als kompletter Außenseiter in die Medaillenränge gefahren. Ich hatte eben so etwas um den Hals hängen, wusste aber nicht, welchen Stellenwert das hat. Zu diesem Zeitpunkt habe ich nicht verstanden, wie besonders so etwas ist. Das war ein Wahnsinn, weil es so überraschend war. Die Siege in Schladming und die kleine Kristallkugel waren weitere große Momente.

LAOLA1: Gibt es auch Dinge, die du anders machen würdest?

Herbst: Natürlich kommst du auf Sachen, die du anders oder besser machen hättest können. Ich hatte aber einige Jahre, in denen ich viele Chancen erhalten habe. Man merkt eines: Skifahren ist eine komplexe Geschichte, mit so vielen Faktoren, die über den Erfolg entscheiden. Du kannst nicht sagen, dass der Erfolgreichste ist, der die Hausaufgaben am besten erledigt. Das ist definitiv nicht der Fall. Da spielen viele andere Faktoren mit. Ein Tennisspieler hat es in der eigenen Hand, ob er gut ist. Der Tennisplatz ist immer gleich groß. Beim Skifahren ist die Kurssetzung und die Schneebeschaffenheit immer anders, dazu kommt das Material. Diese Faktoren hast du nicht selbst im Griff. Du kannst Geländestufen trainieren, wenn der Kurs anders gesetzt ist, nützt dir das gar nichts. Du kannst kein Rennen eins zu eins simulieren. Beim Tennisspielen sehr wohl. Deshalb ist es in unserem Sport brutal zach. Du tust alles dafür, weißt aber nie, ob du alles richtig gemacht hast. Mir fällt aber jetzt nichts ein, was ich großartig anders machen hätte sollen. Das einzige ist vielleicht, dass ich in meiner besten Phase mit Seriensiegen noch mehr gewinnen hätte müssen und können. Ich bin mir aber selbst im Weg gestanden, ich wollte zu perfekt sein. Ich habe immer an mir gearbeitet und gedacht, da und da ist noch mehr möglich. Dieser Hang zum Perfektionismus hat mir auf der einen Seite viel gebracht, auf der anderen Seite auch etwas gekostet.

LAOLA1: Du hast zahlreiche Erfolge gefeiert, warst aber nie der Star, wie es andere vielleicht waren. Fühlst du dich ungerecht behandelt?

Herbst: Ich habe immer das Gegenteil gehört. Ich wurde immer gefragt, warum ich medial so gut ankomme, obwohl ich nur den Slalom fahre. Alle möglichen Leute haben gemeint, dass sich viel um meine Person dreht, obwohl ich ja nur diese Disziplin habe. Ich sehe mich überhaupt nicht ungerecht behandelt. Ich war nie der Lehrschüler, nicht von klein auf gut. Es gibt wenige, die mit zehn Operationen – neun davon am Knie – noch immer herumfahren. Jene, die sich intensiv mit mir beschäftigt haben, werden einsehen, dass es ein Wahnsinn war, wie es gelaufen ist. So sehe ich das auch. Es war nicht selbstverständlich, dass alles so möglich war. Auch die Geschichte, dass ich in keinem Kader gestanden bin und dann eine Olympia-Medaille holte. So etwas hat es noch nie gegeben. Ich war beim historischen Olympia-Slalom mit Dreifachsieg dabei. Ich darf mich nicht beschweren, auch nicht bezüglich der Berichterstattung um meine Person.

"Das stimmt einfach nicht. Es ist eine andere Zeit, es wird viel mehr Aufwand betrieben. Früher sind sie wirklich noch auf ein Bier gegangen und es hat alles gepasst – heute geht kein Läufer mehr auf ein Bier!"

LAOLA1: Du hast bereits angesprochen, dass du es zu Beginn deiner Karriere schwer hattest. Wie frisch sind die Erinnerungen an diese harte Zeit aktuell?

Herbst: Im Schülerbereich war ich sehr gut, war österreichischer Meister. Da habe ich mit den anderen gekämpft, auch mit Benjamin Raich. In jungen Jahren war ich top, auch im Super-G. Im Jugendalter war ich richtig gut. Beim Sprung zu den FIS-Rennen war ich richtig gut, hatte dann aber meinen ersten Kreuzbandriss. Der Übergang von FIS-Rennen zum Europacup und Weltcup ist ohnehin schon schwer, genau da musste ich mich erst auf mein altes Niveau zurückkämpfen. Selbst wenn du einmal im Weltcup bist, heißt es nicht, dass du vorne landest. Es ist ein brutal langer Weg, ich erinnere mich gerne zurück. Ich würde diese Erfahrungen für keinen Sieg eintauschen. Die Erfahrungen sind für das Leben wichtiger. Ich habe immer gesagt, dass die eine oder andere Lebenserfahrung wichtiger ist, als der eine oder andere Sieg. Der Erfolg war wichtig und Bestätigung für mich selbst – aber er ist nicht alles im Leben. Den Spagat zwischen Karriere und normalem Leben habe ich gut gemeistert, damit bin ich sehr zufrieden.

LAOLA1: Der ÖSV steht immer wieder in der Kritik. Die Ergebnisse fehlen, es kommen keine jungen Läufer nach, usw. Kannst du die Kritik verstehen und teilst du sie?

Herbst: Ich verstehe Kritik von gewissen Leuten. Ich verstehe aber nicht, wenn ein Ex-Läufer Kritik übt. Ich gehe auch nicht her und vergleiche mich mit Läufern, die vor ein paar Jahren gefahren sind. Der Skisport ist so schnelllebig. Das Niveau ist viel höher geworden, es erfordert viel mehr Betreuung. Aussagen gewisser Ex-Kollegen, die jetzt oftmals behaupten, dass die Burschen heutzutage nichts mehr tun müssen und einfach ihre Rennen fahren, lasse ich nicht gelten. Das stimmt einfach nicht. Es ist eine andere Zeit, es wird viel mehr Aufwand betrieben. Früher sind sie wirklich noch auf ein Bier gegangen und es hat alles gepasst – heute geht kein Läufer mehr auf ein Bier! Es ist alles professionell – wenn jemand behauptet, es wird zu wenig professionell gearbeitet, muss er genauer hinsehen. Fakt ist, dass da und dort die Ergebnisse nicht stimmen. Wenn ich aber in die Slalom-Mannschaft schauen: Diesen Ruck hat niemand erwartet oder erhofft. Das war unglaublich. Feller, Schwarz, Digruber, der mit 27 noch einen Sprung nach vorne macht. Es gibt Jahre, wo es mannschaftlich besser läuft und welche, wo es nicht ganz so gut läuft. Am Ende des Tages nehme ich selbst mir es nicht heraus, meine Leistungen von 2010 mit jenen von heute zu vergleichen. Wenn ich heute so fahren würde wie in meiner besten Zeit, als ich Siegläufer war, könnte ich nicht mehr mithalten. Das kann man nicht mehr vergleichen. Der Tor-Abstand ist enger geworden, das Material hat sich massiv verändert. Ich kann diese Vergleiche nicht ziehen. Deshalb finde ich es krass, wenn mit früher verglichen wird. Was früher war, interessiert keinen mehr. Es zählt, was jetzt ist. Und jetzt wird viel mehr Aufwand betrieben. Vielleicht stimmen die Ergebnisse nicht, die Läufer lassen sich aber bestimmt nicht gehen. Auch wenn immer von Komfortzone gesprochen wird. Früher sind viele Leute mit dem Porsche zum Rennen angereist, heute kommen nur die Top-10 der Welt mit einem Audi. Alle anderen fahren einen Golf oder ein anderes Auto, das er sich selbst gekauft hat. Früher hat so gut wie jeder ein Auto bekommen. Auch Gelder für den Kopfsponsor sind deutlich geringer als früher. Jetzt soll mir einer erklären, dass es den Jungen besser geht als früher. Das ist Schwachsinn!

"Den Aufwand, den er betreibt, ist unglaublich. Ihm wird auch nichts in den Schoß gelegt, das ist alles richtig intensive Arbeit. Er betreibt das 24 Stunden am Tag, und das über Jahre. Respekt! Für mich sind seine Leistungen fast unmenschlich."

Über Marcel Hirscher

LAOLA1: Einer der sicher einen Audi bekommt, ist Marcel Hirscher. Er steht vor seinem fünften Gesamtweltcupsieg, kann man seine Leistungen noch in Worte fassen?

Herbst: Da gibt es nicht viel zu sagen, außer: Hochachtung und höchster Respekt! Sein Niveau über so viele Jahre zu halten. Er steht unter dem Druck, den er sich selbst macht und unter jenem von außen. Am Ende des Tages müssen der ganze ÖSV und alle anderen Leute froh sein, dass er die Kohlen aus dem Feuer holt. Der Aufwand, den er betreibt, ist unglaublich. Ihm wird auch nichts in den Schoß gelegt, das ist alles richtig intensive Arbeit. Er betreibt das 24 Stunden am Tag, und das über Jahre. Respekt! Für mich sind seine Leistungen fast unmenschlich. Bei ihm sieht man auch den Aufwand rundherum. Was es alles braucht, um erfolgreich zu sein. Der Aufwand würde sich bei dem ein oder anderen Jungen auch bezahlt machen. Den kann aber nicht jeder in dieser Art und Weise betreiben, das hält nicht jeder aus. Was Marcel an Umfang fährt und Material testet, da ist er den anderen weit voraus. Die Jungen bräuchten aber genauso diese Betreuung bei jedem Rennen und jedem Training. Es ist so ausgereizt und bis ins letzte Detail erarbeitet. Hut ab!

LAOLA1: Abschließend wollen wir noch in die Zukunft blicken. Hast du schon konkrete Pläne für die Karriere nach der Karriere?

Herbst: Es gibt mehrere Gespräche, ich habe einige Möglichkeiten. Ich werde aber sicher nichts machen, um einen Job zu haben. Ich muss mich ausleben können und Spaß haben. Ich möchte mich damit identifizieren können. Am Sonntag startet meine Ski-Pension, danach gebe ich mir einige Monate und sortiere meine Möglichkeiten. Ich will nichts überstürzen. Konkret kann und will ich aber nichts nennen, weil ich mir viel offen lassen will.

LAOLA1: Könnte es sich dabei auch um eine Funktion im Ski-Zirkus handeln?

Herbst: Als Trainer eher weniger. Ich will nie etwas ausschließen – wenn man seine Ski-Karriere beendet, dann denkt man aber nicht gleich wieder ans Skifahren (lacht). Es ist schon so, dass die Begeisterung zum Skisport da ist und immer da sein wird. Momentan bin ich eher der Meinung, dass ich auch ohne den Skisport auskomme. Aber wer weiß…

Das Gespräch führte Matthias Nemetz

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