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Nicolai Meyer: Der Olympiafahrer der Capitals

Wiener müssen im Februar auf den Dänen verzichten. Wie wichtig ist er wirklich?

Nicolai Meyer: Der Olympiafahrer der Capitals Foto: © GEPA

Mit 38 Punkten - 15 Tore und 23 Assists - aus 34 Spielen zählt Nicolai Meyer zu den Top-Scorern der bet-at-home ICE Hockey League.

Seine starken Leistungen brachten dem Flügelstürmer der Vienna Capitals eine Nominierung Dänemarks für das olympische Eishockey-Turnier in Peking ein. Ein absoluter Meilenstein in der Karriere des 28-Jährigen, zugleich aber auch ein herber Rückschlag in den Playoff-Ambitionen der Wiener. Sie müssen einen Großteil der verbleibenden Grunddurchgangsspiele ohne ihren Starspieler auskommen.

Aber: Ist Meyer tatsächlich die Lebensversicherung für die Vienna Capitals? Vielleicht sogar ein Liga-Star? Wieder reif für höhere Ligen? Oder ein Mann mit vielen Stärken, aber ebenso vielen Schwächen?

Ein Scouting Report von LAOLA1-Experte Bernd Freimüller:

"Was kannst du mir über Nicolai Meyer sagen?" – so eine Anfrage vor circa einem Monat aus der DEL. Relativ leicht zu beantworten, kenne ich ihn doch vom dänischen Nationalteam, dazu kamen viele Viewings in der heurigen Saison in Wien. Er bestätigt auch immer wieder die Informationen, die ich über ihn vor der Saison aus Schweden eingeholt habe. Seine offensiven Fähigkeiten sind auch für Laien schnell ersichtlich, aber wie sieht sein Gesamtpaket aus?

Seine Karriere

Wie für viele dänische Spieler war seine erste schwedische Anlaufstation Malmö (nur durch eine Brücke von seiner Heimat entfernt). Nach zwei Jahren im dortigen Nachwuchs kehrte er in seine Heimatstadt Fredrikshavn zurück. Nach einem Jahr in Aalborg folgte dann seine eigentliche Auslandskarriere: Vier Teams in der Allsvenskan innerhalb von drei Saisonen, eine ganz starke Spielzeit bei Södertälje (Liga-Forward des Jahres) brachte ihm einen SHL-Vertrag (wieder bei Malmö) ein.

Die gelang ihm aber nicht nach Wunsch (nur drei Tore), danach heuerte er in der finnischen Liiga bei Ässät Pori an, wo er wieder zum Scorer wurde. Ein großes Angebot im Sommer blieb aber aus. Erst sagte er den Vienna Capitals noch ab, nach dem Abgang von Jordan Caron kam dann aber doch noch eine Einigung zustande.

Seine Reputation

Die Informationen aus Schweden waren völlig zutreffend, stimmten auch mit dem Bild überein, das ich mir schon vor und vor allem während der Saison über ihn gemacht habe. Meyer ist ein offensiver Freigeist, der nicht leicht (oder gar nicht) in ein strenges taktisches Konzept zu zwingen ist.

Einige positive Aussagen über ihn: "Gut von der roten Linie an". "Kreativ, guter offensiver Hockey Sense". "Starke Hände, Scorer mit kontrolliertem Schuss". "Playmaker, dazu sehr stark bei Breakaways".

Die negativen Äquivalente dazu waren: "Kein Systemspieler, weiß im eigenen Drittel nicht, was zu tun ist". "Große Ups and Downs". "Defensiv unbrauchbar, dazu überhaupt nicht physisch".

Sein Wert für die Vienna Capitals

Selbst nach der späten Verpflichtung (eine Woche vor Saisonstart) von ihm und James Sheppard (der wesentlich komplettere Spieler, der aber zunehmend missmutiger wirkt) sind die Caps alles andere als mit großer Offensivpotenz bestückt. Man mag sich gar nicht ausmalen, wie sie dastünden, wenn Jordan Caron (wirkte in der Pre-Season ziemlich weggetreten) sich nicht aus Wien verabschiedet und so erst Platz für den Dänen geschaffen hätte.

Meyer gab den Fans, die im Sommer schon den Wegzug einiger Leistungsträger und eine desaströse Pre-Season mitansehen mussten, wenigstens etwas Freude am Hockey zurück. Er ist ein Spielertyp, der auch dem Laien sofort ins Auge sticht: Wenn er die Scheibe hat, geht es zügig nach vorne, er fordert sie auch offensiv ein, kann sie zirkulieren oder, wenn er Zeit hat, mit seinen Schüssen die Ecken auswählen. Seine Skills sind unverkennbar, in einer Liga, wo das Niveau heuer sehr überschaubar ist, stach er von Anfang an heraus. Der Unterschied zu einem Matt Neal, der fast immer unterhalb der Wahrnehmungsgrenze agiert, ist augenscheinlich.

Vor allem in der Anfangsphase der Saison war er die offensive Lebensversicherung der Capitals, mit einem Hattrick beim 3:2 in Innsbruck als Höhepunkt. Allerdings durchlebt er wieder heiße und kalte Phasen, derzeit wartet er bereits seit sechs Spielen auf einen Treffer und seine Pässe werden immer verkrampfter. Da außerhalb der Paradelinie mit ihm, Sheppard und Bradley wenig Offensive im Caps-Lineup steht, muss er wieder in die Spur finden, sonst droht das Glücksspiel der Pre-Playoffs. Vor allem im Powerplay - zuvor immens stark - ließ diese Reihe in den letzten Spielen total aus.

Seine Stärken und Schwächen

Meyer ist das, was ich einen "Zirkusspieler" nenne, mit allen positiven und negativen Assoziationen. Wie Andrew Yogan oder Anthony Luciani, die in der ICE bzw. EBEL über Jahre scorten, ist er ein reiner Offensivspieler ohne jegliches Defensiverhalten.

 

(Text wird unterhalb fortgesetzt)

Puck Retrieval kommt in seinem Wortschatz auch nicht vor. Er kommt zu seinen Chancen, in dem er sich vorzeitig aus der eigenen Zone mit oder ohne Scheibe absetzt bzw. in diese nur sehr langsam oder gar nicht zurückkommt und darauf wartet, dass das Spiel wieder in seine Richtung kommt. Er spekuliert aber sehr gut darauf, wann Scheiben aus dem Verkehr oder Zweikämpfen kommen könnten, skatet gerne um Zweikampf-Pärchen und stiehlt sich dann in deren Rücken mit dem Puck davon.

Im Forecheck agiert er mehr "sneaky" als energiegeladen, er wird immer mit dem Stock und nicht mit dem Körper vorangehen, tänzelt durch und um den Verkehr. Wenn die Scheibe zu ihm kommt, ist er dafür bereit, braucht keine lange Umdenkphase für seine Pässe und Schüsse, mit denen er, vor allem wenn man ihm Zeit gibt, Ecken gut anvisieren kann. Eine Phrase aus dem Scouting-Jargon passt perfekt auf ihn: Er überlässt seinen Linemates "the heavy lifting", also die schwere Lastenarbeit, was ihn nicht unbedingt populär macht.

Im Powerplay agiert er von der rechten Halfwall, zwischen dem Faceoff-Punkt und der Torlinie angesiedelt. Ab und zu kann er auch auf die andere Seite switchen, agiert also nicht ganz stationär. Zuletzt allerdings wirkte er in seinem Handlungsbereich eingefroren und seine Pässe (durch oder in die Box, zurück zu Wall oder zu Sheppard, der sich dann vors Tor drängt) wirkten manchmal erzwungen oder vorhersehbar. Wie bei ähnlichen PP-Spielertypen (John Hughes oder Raffi Rotter) kann es dann passieren, dass die Gegner die Passwege zustellen und er die dadurch eröffneten Freiräume für Schusschancen nicht genügend wahrnimmt.

Meyers offensive Fertigkeiten liegen über dem Ligaschnitt

Aber Meyers offensive Fertigkeiten liegen weit über dem Ligaschnitt. Interessant, dass man in Schweden vor allem seinen Speed kritisierte und diesen als Mitgrund dafür anführte, warum er in der SHL scheiterte. Meyer ist in der ICE nicht unbedingt einer der Top-Skater, aber mir erscheint er doch relativ leichtfüßig, kann mit und ohne Scheibe Speed aufnehmen und bewegt sich auch lateral gut.

Im Gegensatz dazu sind andere Schwächen auch in unserer Liga unübersehbar: In der eigenen Zone hat er überhaupt keinen Plan, skatet relativ hilflos durchs Drittel. Er würde dem Team schon helfen, wenn er einigermaßen seinen Platz hält und versucht, den rechten Defender am Aktivieren zu hindern. Sobald er nämlich quer durchs Drittel auf der Suche nach einer Aufgabe wandert, schadet er mehr als er hilft.

Im Penaltykilling ist er für Coach Dave Barr (natürlich) kein Thema, selbst wenn es darum geht, knapp vor Vollbestand noch einige Sekunden zu killen, kommt er nicht zum Einsatz, darf erst über die Bande hüpfen, wenn der bestrafte Spieler zurückkommt. Jüngere Caps-Cracks wie Fabio Artner oder Armin Preiser sind ihm im Defensivverhalten sicher nicht unterlegen.

Physisch ist der 28-jährige Flügel auch ein "Non-Factor". Zwar verkrallt er sich im Offensivbereich durchaus vor allem mit dem Stock auch einmal in den Gegner und versucht so, die Scheibe zu behaupten oder freizubekommen. Aber Checks einzustecken, um Plays zu machen, ist nicht seines. Da kann es schon zu Revanchefouls (wie gegen Bozen) und zu einer Szene wie gegen den KAC kommen, wo er die Scheibe angesichts eines drohenden Hits panikartig ans Hallendach schaufelte. Vor allem in den Playoffs, wenn die über die Jahre körperlich kastrierte ICE doch ab und an wieder etwas an Checks zulässt, wird es interessant zu sehen, wie sich Meyer schlagen wird.

Fazit: Meyer gehört offensiv sicherlich zu den höchstveranlagten ICE-Cracks, defensiv und physisch liegt er in der Rangliste aber weit hinten. 

Meyer wurde am 19. Jänner ins dänische Olympia-Team einberufen, was natürlich auch der Absage der NHL-Cracks geschuldet ist. Mit 28 Jahren absolvierte er erst drei Weltmeisterschaften, was auch seinen Status am internationalen Parkett beschreibt. Seine Scorerzahlen im dänischen Nationalteam (2 Tore, 4 Assists in 31 Spielen) sind eher die eines Defensivverteidigers und es wird interessant sein zu sehen, wie er sich unter Coach Heinz Ehlers in Peking schlagen wird. Ehlers gilt - wie Meyers einstiger Malmö-Coach Peter Andersson, mit dem er überhaupt nicht zurande kam - als ein Systemcoach, der für Freigeister wenig Verständnis aufbringt.

Es könne also leicht sein, das Meyer Olympia in einer Nebenrolle oder gar von der Tribüne aus sieht, den Capitals aber trotz seiner Schwächen während seiner Absenz sehr abgehen wird.

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