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OIympia-Gold! Bejubelt, aber nicht gefördert

"Gold-Anna" hat es allen gezeigt. In Sportart, die bei uns zu Tode getragen wurde. Kommentar:

OIympia-Gold! Bejubelt, aber nicht gefördert Foto: © getty

"Alle sagten: Das geht nicht. Dann kam eine, die wusste das nicht und hat’s einfach gemacht."

Diese Redewendung dürfte sich "Gold-Anna" Kiesenhofer zu Herzen genommen haben, frei nach dem Motto "Geht nicht, gibt’s nicht." Gold im Rad-Straßenrennen der Frauen – davor unvorstellbar, aus unterschiedlichen Gründen.

Die Niederösterreicherin aus Niederkreuzstetten hat wie keine andere den olympischen Gedanken hochgehalten – als Amateurin hat sie die Profis auf die falsche Fährte geführt, aufgrund des fehlenden Funkverkehrs hatte keiner mit ihr gerechnet, geschweige denn sie gekannt. So wie die Silber-Gewinnerin Annemiek Van Vleuten, die bei ihrer Zieleinfahrt dachte, Gold gewonnen zu haben.

Dabei sein ist alles, ist für viele das entscheidende Motto. Auch für Kiesenhofer, die zwar immer gewinnen will, doch dass sie plötzlich zum rot-weiß-roten Star avanciert, war selbst für die 30-Jährige nur ein Wunschgedanke.

Alle Welt will plötzlich was von ihr, damit hatte die promovierte Mathematikerin - um den Wortwitz zu bemühen - nicht gerechnet. Obwohl sie ihre Liebe zu Zahlen auch dafür einsetzt, ihr eigenes Rad zu verbessern, Kräfte und Wattwerte zu berechnen, wie sie am besten voran kommt. In Tokio ist diese Rechnung aufgegangen.

Und plötzlich drängen die Politiker ins Rampenlicht – von Bundespräsident Alexander van der Bellen über Bundeskanzler Sebastian Kurz, Sportminister Werner Kogler bis hin zur niederösterreichischen Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. Die Gratulationen trudelten ein, ein Wettrennen um die schnellsten Pressemittelungen wurde losgetreten und keine Kamera ausgelassen, um der ersten Goldmedaillengewinnerin bei Sommerspielen seit Kate Allen und Hagara/Steinacher aus dem Jahr 2004 in Athen die Ehre zu erweisen.

Umso trauriger ist es jedoch, dass sich davor so keiner der nunmehrigen Olympionikin annahm, der Radsport generell immer stiefmütterlicher behandelt wurde und vor allem der Damen-Radsport in Österreich überhaupt keine Platfform genießt. Wobei  erwähnt werden muss, dass der Radsport in diesem Beispiel nur stellvertretend für viele, viele, viele Sportarten steht, die ebenso links liegen gelassen werden und keine Rückendeckung seitens der Politik haben. Sport genießt in der Öffentlichkeit scheinbar nicht diesen Stellenwert, um sich als Politiker damit zu rühmen - egal welcher Couleur.

Förderungs-Offensive nach den medaillenlosen Sommerspielen 2012 hin oder her – wer auf zwei Rädern Erfolg haben wollte, musste sich großteils alleine durchschlagen, ein ambitioniertes Team oder Förderer haben, welche die nötige Leidenschaft mitbringen, um Athleten zu Medaillenanwärtern zu formen. System aufgrund von Sportförderungen hatte der Erfolg von Kiesenhofer aber keineswegs.

Viel mehr kommt wieder einmal die typisch österreichische Mentalität zum Tragen. Gejubelt wird zusammen, denn dann ist plötzlich Interesse vorhanden, dann will man einen Teil vom Kuchen abhaben. Davor will man nichts davon wissen, wenn Verbände um Euros betteln, um ihre Sportart wieder salonfähig zu machen.

Radsport war es in den vergangenen Jahren defintiv nicht, im Gegenteil. Der Sport wurde in unseren Breiten teilweise zu Grabe getragen. Die beiden besten Beispiele dafür sind ein Armutszeugnis für ein Sportlerland wie Österreich. Die traditionelle Österreich-Radrundfahrt – das jährliche Highlight im Herren-Kalender - wurde seit 2019 nicht mehr ausgetragen, zwei Mal in Folge abgesagt und es entwickelte sich fast zum Ding der Unmöglichkeit, Sponsoren für so ein geschichtsträchtiges Event quer durch die Alpenrepublik zu finden.

Zum anderen fehlt die Infrastruktur in allen Bereichen – oder man beraubt sich auch noch selbst der einzigen Möglichkeit, das Bahnradfahren in Österreich zu fördern. Was im Allgemeinen als Startpunkt einer Radkarriere dient, hat in Wien keinen Platz mehr. Das Ferry-Dusika-Stadion muss einer modernen Sportarena weichen, die Bahn wird aber nicht mehr neu errichtet. Wer sich in dieser Disziplin beweisen will, muss ins Ausland ausweichen, in Österreich fehlen die Trainingsmöglichkeiten – wie in so vielen Sportarten.

Dass Kiesenhofer auch ihre wissenschaftliche Karriere im Ausland in die richtigen Bahnen lenken musste, ist eine weitere Baustelle, woran es in Österreich hakt. So musste es eine Amateurin allen beweisen, um die Diskussionen über Sportförderungen im Lande neu aufzurollen.

Die Niederösterreicherin ist zwar vierfache österreichische Meisterin, eine angehende Profi-Karriere beendete sie aber nach nur einem Jahr – das war nichts für sie. Zudem fühlt sie sich im Peloton nicht wohl, weshalb sie auch auf der Olympiastrecke den Ausreißversuch startete und damit alle überraschte.

Alle, die plötzlich vor den TV-Bildschirmen saßen und ihren Augen nicht trauten. 137 Kilometer veränderten Kiesenhofers Leben. Als Amateurin zu Olympia-Gold zu radeln, ist eine der größten Sensationen überhaupt. Der Applaus für die harte Arbeit als Einzelsportlerin in einer Sportart ohne große Förderungen gebührt ihr, und nur ihr und ihren Weggefährten alleine und nicht jenen, die nun im Moment des Erfolgs in die Kameras lächeln und liebe Grüße ausrichten.

So schön es auch ist, dass aus dem Nichts ein Star geboren wurde: Mit System und Förderungen wäre mehreren geholfen, vor allem Sportarten, die auf dem Zahnfleisch gehen.

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