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IAAF vertuschte Russlands Doping

Funktionäre wussten laut Bericht schon 2009 über schockierende Machenschaften Bescheid.

IAAF vertuschte Russlands Doping

Der Internationale Leichtathletik-Verband steht wegen seiner Doping-Vertuschungen weiter massiv im Kreuzfeuer der Kritik. Laut einem AP-Bericht, der sich auf interne Verbandsdokumente beruft, soll die IAAF schon 2009 von der gängigen Blut-Doping-Praxis in Russland gewusst haben.

IAAF-Funktionäre hätten aber offensichtlich mit dem russischen Verband zusammengearbeitet, um dies zu vertuschen.

2009 wurden neue, genauere Bluttest eingeführt, durch die die IAAF die Machenschaften Einblicke erhielt.

"Schockierende Einsichten"

Im Jahr 2009 hätten Untersuchungen der IAAF schon "schockierende Einsichten in den Umfang und die Schwere des russischen Dopings" ermöglicht, schrieb die US-Nachrichtenagentur AP am Dienstag.

AP berief sich auf E-Mails, Briefe und Berichte einer Quelle, die Zugang zum Anti-Doping-Programm des Weltverbandes habe, namentlich aber nicht genannt werden will.

Beispielhaft zitierte AP aus einem Brief des damaligen IAAF-Generalsekretärs Pierre Weiss an den erst am 7. Jänner lebenslang gesperrten Ex-Verbandspräsidenten Russlands, Valentin Balachnitschew. Der war zugleich langjähriger IAAF-Finanzchef.

"Leider habe ich keine guten Nachrichten bezüglich der Blutwerte von russischen Athleten (bei der WM 2009, Anm.) in Berlin. Sie waren wieder extrem hoch, und wieder hat es viel mehr Athleten betroffen als in jeder anderen teilnehmenden Nation. Von den zehn Athleten mit den höchsten Blutwerten kamen in Berlin gleich acht aus Russland", schrieb Weiss am 14. Oktober 2009.

Rekordwerte und Lebensgefahr

Sieben russische Athleten, darunter zwei Goldmedaillengewinner, hätten laut Weiss deshalb an der WM in Berlin gar nicht teilnehmen dürfen. Russland hatte 2009 insgesamt 13 WM-Medaillen in der deutschen Hauptstadt geholt, vier davon in Gold, darunter drei im Gehen.

Dabei hatte Weiss Balachnitschew bereits am 6. Juli 2009 darüber informiert, dass vor allem die Blutwerte der russischen Geher "problematisch" und alarmierend seien.

Weiters schrieb der Franzose in seiner E-Mail vom 14. Oktober 2009, in der er "sofortige und drastische Maßnahmen" forderte, von "Rekordwerten" zweier russischer Athleten bei der Halbmarathon-WM in Birmingham im selben Jahr. Sie hätten die "mitunter höchsten Werte seit Einführung der Bluttests" aufgewiesen.

"Nicht nur, dass diese Athleten ihre Konkurrenten betrügen, mit diesen Werten setzen sie ihre Gesundheit, ja sogar ihr eigenes Leben aufs Spiel", betonte Weiss. Alle Tests zeigten laut der Dokumente von Weiss, dass Russland systematisch Blutdoping mit dem Hormon EPO betrieben habe.

42 Prozent gedopt

Daran änderte sich auch in den Folgejahren nichts, denn im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele 2012 in London waren gleich 23 russische Athleten mit "abnormalen" Blutprofilen aufgefallen, wie aus einem IAAF-Dokument vom 3. November 2011 laut AP hervorgeht.

In London holte Russland als zweitbeste Leichtathletik-Nation hinter den USA 17 Medaillen, acht davon in Gold.

Ein internes Verbandsdokument an den damaligen IAAF-Präsidenten Lamine Diack, datiert mit 28. September 2012, lieferte dann einen weiteren Beweis für die gängige Doping-Praxis im größten Land der Welt: Gleich 42 Prozent der russischen Topathleten, die getestet wurden, seien "zu 99 Prozent" gedopt gewesen, hieß es darin.

Die Türkei, Spanien, Marokko und die Ukraine hätten ebenfalls ein "besonders beunruhigendes" Doping-Problem im Bereich der Lang- und Mitteldistanzen.

IAAF noch uneinsichtig

Für die IAAF sind solche Dokumente aber weiterhin kein Beweis dafür, dass im Weltverband der olympischen Kernsportart etwas falsch gelaufen sei. In einer ersten Reaktion auf den AP-Bericht wurde neuerlich festgehalten, dass alle Fälle korrekt verfolgt worden seien.

Alle betroffenen Athleten seien entweder bereits bestraft worden oder erwarten noch entsprechende Sanktionen, hieß es auf Reuters-Anfrage.

Man darf gespannt sein, wie die IAAF-Stellungnahmen nun am Donnerstag ausfallen werden, wenn die unabhängige Kommission der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) in München den zweiten Teil ihres Ermittlungsberichtes vorstellen wird.

Den ersten Teil hatte die Kommission am 9. November präsentiert, der vier Tage später zur Suspendierung von Russlands Leichtathletik-Verband (ARAF) geführt hatte. Den russischen Leichtathleten droht damit, von den Olympischen Sommerspielen in Rio de Janeiro (5. bis 21. August 2016) ausgeschlossen zu werden.

Auch Coe in der Schusslinie

Bei der Verkündung der Sperre gegen Russland hatte der neue IAAF-Präsident Sebastian Coe, selbst zweifacher Olympiasieger über 1.500 m (1980 und 1984), gesagt: "Das war ein beschämender Weckruf, und wir sind uns einig, dass Betrug auf keiner Ebene toleriert werden wird."

Der Brite, seit 19. August 2015 im höchsten Amt, war jedoch schon seit 2007 Vizepräsident des IAAF und dürfte damit selbst in der Schusslinie stehen, weil auch er als langjähriger Spitzenfunktionär von der Vertuschungspraxis gewusst haben könnte.

Der ehemalige IAAF-Pressechef und heutige Büroleiter von Coe, Nick Davies, hat sein Amt im Zuge des Dopingskandals mittlerweile provisorisch niedergelegt. Eine E-Mail hatte den Briten belastet, vor der WM 2013 in Moskau versucht zu haben, die Ausmaße des Dopingproblems in Russland zu verschleiern.

Und auch die Tatsache, dass Coe viele Jahre eng mit seinem Vorgänger Diack zusammengearbeitet hat, werten Experten als Indiz dafür, dass der neue IAAF-Präsident mehr gewusst haben müsse, als er bisher zugegeben hat. Dem früheren Verbandsboss Diack wird vorgeworfen, Dopingfälle gegen Geld vertuscht zu haben.

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