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Szilagyi: "Habe Österreich nie allein getragen"

Viktor Szilagyi über seinen neuen Posten in Kiel, Nikola Bilyk und EM-Chancen.

Szilagyi: Foto: © GEPA

Erstmals seit der Weltmeisterschaft 1993 wird das ÖHB-Nationalteam ein Großereignis ohne Viktor Szilagyi bestreiten.

Eines der prägendsten Gesichter des heimischen Handballs hat vor einem Jahr seine aktive Karriere mit einer schweren Verletzung (Kreuz- und Innenbandriss sowie Schienbeinkopf-Bruch) beenden müssen.

Der Wechsel des mittlerweile 39-Jährigen in die sportliche Leitung war aber einer von Null auf Hundert: Seit Jahreswechsel ist die ÖHB-Legende als sportlicher Leiter beim deutschen Rekordmeister und dreifachen Champions-League-Sieger THW Kiel engagiert, nachdem er diese Rolle beim Bergischen HC bekleidete.

Im LAOLA1-Interview spricht Viktor Szilagyi über seine neue Karriere nach der Karriere, Österreichs größte Zukunftshoffnung Nikola Bilyk und die ÖHB-Chancen bei der anstehenden Europameisterschaft 2018.

LAOLA1: Wie ist die Rehabilitation nach der schweren Verletzung verlaufen?

Viktor Szilagyi: Eigentlich gut! Ich habe in den ersten Monaten die Möglichkeit gehabt, eine vernünftige Reha zu machen, wie ich sie als noch aktiver Spieler gemacht hätte. Aktuell geht der Alltag gut, aber an Sport ist leider nicht zu denken. Dem Körper geht es generell besser, manche Dinge betrachtet man während der Karriere einfach als normal, etwa Schulterschmerzen. Nun fällt vieles leichter. 17 Jahre auf höchster Ebene Leistungssport zu betreiben, hinterlässt Spuren. Unabhängig von den schweren Verletzungen, die ich hin und wieder hatte – die enorme Belastung, etwa für die Gelenke, ist weggefallen.

LAOLA1: Mit einem Jahr Abstand zur eigenen Karriere – worauf blickt man am liebsten zurück?

Szilagyi: Auf die Titel, die emotionalen Momente, da gehören auch die schweren sportlichen und persönlichen Niederlagen, wie eben die Verletzungen, dazu. Grundsätzlich bin ich aber froh, dass ich immer noch einen Job im aktiven Handball habe, mit dem man nach vorne schauen muss und nicht zu viel mit der Vergangenheit beschäftigt sein kann. Wie überall geht es weiter, man hat eine neue Rolle im ganzen System. Es hilft natürlich, dass ich mir als Spieler einen Namen gemacht habe, aber ich versuche, so wenige alte Geschichten herauszuhauen, wie möglich. Ich kann mich noch gut an meine jungen Jahre als Spieler erinnern und wie es für mich war, als das ältere Spieler gemacht haben (lacht). Das hat aber nichts damit zu tun, dass man trotzdem versucht, jungen Spielern mit Erfahrungen zu helfen, vielleicht ein wenig zu warnen. Aber bin ich der Meinung, dass jeder die Möglichkeit bekommen muss, seine Fehler zu machen. Aus denen lernt man am meisten, das kann ich auch über meine Karriere sagen.


VIDEO - Die Achse Bilyk-Jelink funktioniert:

(Interview wird unterhalb fortgesetzt)


LAOLA1: Die ersten zwei Jahre als sportlicher Leiter sind absolviert – wie schwer ist der Umstieg gefallen?

Szilagyi: Es ist mir leicht gefallen, diese tägliche Belastung nicht mehr zu haben, dass der Alltag nicht mehr von einem Trainingsplan bestimmt wird. Das war auch für die Familie eine Belastung. Es hat etwas Positives in mein Leben gebracht, auch einmal andere Pläne machen zu können. Selbst an Spieltagen, da muss man als Spieler voll fokussiert sein. Das Schwierigste für mich ist, nicht mehr alles selbst in der Hand zu halten. Als Spieler hat man immer das Gefühl, die Dinge selbst beeinflussen zu können. Es ist eine große Umstellung, untätig daneben zu sitzen und nur hoffen zu können. Das ist als Sportler einfacher. Außerdem kann man kurzfristige Ziele viel einfacher erreichen, als sportlicher Leiter trägt die Arbeit manchmal erst nach Jahren Früchte.

LAOLA1: Ist man als ehemaliger Spieler automatisch ein guter sportlicher Leiter?

Szilagyi: Besonders im Umgang mit Spielern ist es schon wichtig, vieles selbst einmal erlebt zu haben, weil man sich auf einem anderen Level mit ihnen unterhalten kann. Sie nehmen es auch besser auf. Ich habe es schon gegen Ende meiner Karriere gemerkt, dass viele Spieler Fragen gestellt haben, weil ihnen meine Meinung wichtig war. Man respektiert meine Karriere.

LAOLA1: Der Name Viktor Szilagyi ist eben keine schlechte Visitenkarte.

Szilagyi: So ewas entwickelt sich. Ich war nirgends auf Knopfdruck Führungsspieler, musste mir das immer mit Leistung und Einsatz erarbeiten. Als sportlicher Leiter ist es auch wichtig, sich auf Augenhöhe mit dem Trainer über den Sport unterhalten zu können.

LAOLA1: Erst eineinhalb Jahre als sportlicher Leiter beim Bergischen HC, dann direkt zum THW Kiel, eine der Top-Adressen im deutschen Handball – ohne die aktive Karriere ist so ein rasanter Aufstieg wohl nicht möglich...

Szilagyi: Auch die Vergangenheit beim THW Kiel wird eine Rolle gespielt haben. Ich bin in die Tätigkeit als sportlicher Leiter überhaupt ein bisschen hineingerutscht, mir war gegen Ende meiner Karriere nicht ganz klar, wie es weitergeht. Als ich 2012 zum Bergischen HC kam, war mein Plan, noch zwei Jahre weiterzuspielen, mich danach in Richtung Trainer oder Manager umzuorientieren. Dann wurden es vier Jahre als Spieler, ein oder zwei Jahre vor Ende meiner Laufbahn hatte ich bereits einen anknüpfenden Vertrag als sportlicher Leiter. Die Position war beim BHC noch nicht besetzt, aber man hat erkannt, dass sie immer wichtiger wird, weil auf alle Profi-Vereine größere Aufgaben zukommen. Je mehr Leute sich um die Dinge kümmern, umso erfolgreicher wird das Projekt, wenn sie Qualität reinbringen. Der THW Kiel hat sich recht bald gemeldet, weil auch dort erkannt wurde, dass in diesem Bereich etwas fehlt und eine Umstrukturierungsmaßnahme gestartet wurde. Es macht mich stolz, dass man direkt an mich gedacht hat. Gerade diese neuen Strukturen ergeben wahnsinnig viele neue Möglichkeiten, für mich und den gesamten Verein. Das hat mich motiviert.

LAOLA1: Die grundsätzliche Arbeit in Kiel wird sich nicht so stark unterscheiden, dass man von einer wesentlich größeren Hürde für Viktor Szilagyi sprechen könnte, oder?

Szilagyi: Das glaube ich nicht. Beim Scouting sind es etwa andere Spieler, die für den THW infrage kommen. Die Konkurrenz ist viel größer, wirtschaftlich wie sportlich. Der THW Kiel ist da sicher ein bisschen anders, bei Spielern mit Perspektive muss man früher dran sein als die Konkurrenz. Es gibt mittlerweile Vereine, die wirtschaftlich mindestens mithalten können. Für mich kommt das Thema Champions League dazu, es geht um andere Summen, auch die Erwartungshaltung ist größer. Aber da hilft mir, das alles hier schon als Spieler erlebt zu haben.

LAOLA1: Mit Nikola Bilyk und Raul Santos gibt es zwei ÖHB-Spieler in den Reihen des THW Kiel. Haben sie einen besonderen Fürsprecher dazubekommen?

Szilagyi: Das würde ich so nicht sagen. Unabhängig davon ist es mir nicht unwichtig, was aus ihnen wird. Nikola Bilyk hat seinen Vertrag langfristig verlängert. Das zeigt seine Rolle in Kiel. Bei Raul Santos offenbart sich eine ganz andere Situation: Er ist schon verletzt gekommen, ist danach längerfristig ausgefallen und der THW hat im Sommer entschieden, nachzuverpflichten. Der Situation muss sich Raul jetzt stellen: Da sind jetzt zwei Spieler vor ihm, die auch gute Leistungen gebracht haben. Er muss wieder fit werden und körperlich sowie mental bereit sein. Im Sport ist es oft so, dass man plötzlich wieder eine Chance bekommt. Innerhalb der nächsten Monate werden wir uns zusammensetzen und eine Lösung finden, die für den Verein und für Raul die richtige ist. Aber ich bin weit weg davon, die Österreicher speziell zu behandeln. Im Sport geht es immer um Leistung. Sicher sind Sympathien da, ich habe mit beiden schon einige Spiele in der Nationalmannschaft absolviert.

LAOLA1: Ist Nikola Bilyk der neue Viktor Szilagyi?

Szilagyi: Man kann einen 21-jährigen Nikola Bilyk nicht mit einem fast 40-jährigen Viktor Szilagyi vergleichen. Ich glaube, er mag den Vergleich genau so wenig wie ich. Es ist wichtig, dass wir in Österreich einen Spieler haben, der in so einem jungen Alter bei einem der besten Vereine der Welt schon so eine Rolle spielt. Man muss Niko die Zeit geben, sich zu entwickeln. Auch er muss sich die Führungsrolle in der Nationalmannschaft erarbeiten. Es wird für die Europameisterschaft wichtig sein, ihm die Chance zu geben, sich auf seine Leistung zu konzentrieren, dann wird er Österreich am meisten bringen. Man kann nicht erwarten, dass er das Team über ein ganzes Turnier trägt. Das war in Österreich nie so, das habe auch ich nicht gemacht, selbst wenn es im Nachhinein gerne so dargestellt wird. Ich hatte genauso schlechte Spiele. Man darf ihn nicht mit irgendwelchen Nebenschauplätzen belasten. Es gibt andere erfahrene Spieler, die schon Stress-Situationen – auch in dieser Mannschaft – bewältigt haben.


VIDEO - Weber ballert sich aus der Krise:

(Interview wird unterhalb fortgesetzt)


LAOLA1: Das EM-Los mit Weltmeister Frankreich, Vizeweltmeister Norwegen und Weißrussland ist nicht unbedingt das, was man unter einem Traumlos versteht. Wie stehen die Chancen?

Szilagyi: Ich glaube schon, dass man mit der Auslosung zufrieden sein kann. Man hat mit Weißrussland einen Gegner auf Augenhöhe bekommen. Es wird direkt das erste Spiel sein, beide Teams werden keine Möglichkeit haben, sich großartig in das Turnier einzuspielen – und es wird auch das Spiel sein, welches über das Weiterkommen entscheidet. Da hat die Mannschaft den Fokus voll darauf gelegt, und ich bin sehr zuversichtlich, dass man das schaffen kann. Aber es war in Österreich in entscheidenden Spielen schon immer wie folgt: Die Leistungsträger müssen ihre Leistung bringen, die Mannschaft muss gut vorbereitet sein, und diese Sachen werden auch passen. Aber wenn alles von einem Spiel abhängt, ist auch die Tagesform entscheidend. Das Weiterkommen wäre auch für die Heim-Europameisterschaft 2020 sehr entscheidend, weil viele Spieler der jetzigen Mannschaft auch dann eine große Rolle spielen werden, und sie jetzt viel Erfahrung sammeln sollten.

LAOLA1: Wie hat sich das ÖHB-Nationalteam nach dem persönlichen Abschied entwickelt?

Szilagyi: Sehr positiv! Die Krönung ist die Teilnahme an der EM. Es war eine sehr schwierige Qualifikationsgruppe, besonders wenn man bedenkt, dass es mit einer Heimniederlage gegen Finnland losgegangen ist und früh niemand mehr daran geglaubt hätte. Da muss man auch dem Trainerteam ein Lob aussprechen, das es geschafft hat, den Glauben in der Mannschaft zu halten. Nach dem letzten Turnier hat eine ganze Generation an Spielern ihre Karriere beendet, darunter auch ich. Es gab viele Leute, die gesagt haben, dass die Mannschaft nur aus dem einen oder anderen Spieler bestanden hätte. Die Qualifikation zeigt, dass dem nicht so war. Es war eine große Leistung von Patrekur Johannesson, junge Spieler mit Perspektive schon sehr früh dazu zu nehmen, die von der Qualität und Erfahrung vielleicht noch nicht so weit waren. Aber er hat in die Zukunft geblickt, ihnen auch in stressigen Situationen, wie bei der Weltmeisterschaft 2015 in Katar, viel Spielzeit gegeben.

LAOLA1: Man hatte die Handball-EM 2010 im eigenen Land, ist 2020 wieder Mit-Ausrichter, aber der große Handball-Boom ist bislang ausgeblieben.

Szilagyi: Wie es in Österreich wirklich ist, kann ich schwer einzuschätzen. Ich lebe seit 17 Jahren in Deutschland. Mit dem ÖHB-Nationalteam habe ich aber eine sehr positive Entwicklung gesehen, wir hatten immer volle Hallen und tolle Unterstützung. Wenn ich bedenke, dass wir früher sogar Schwierigkeiten hatten, passende Hallen für Länderspiele zu finden… seit dem Heimturnier hat zumindest die Nationalmannschaft schon einen gewissen Stellenwert erlangt. Wir waren lange Zeit auch die einzigen Vertreter einer Mannschaftssportart, die sich regelmäßig für Großereignisse qualifizieren konnten. Die spusu HLA steht noch nicht dermaßen im Fokus, aber das ist in Österreich eben schwierig. Wir sind eine Wintersportnation. Fußball hat es etwas leichter, aber selbst dort ist die Bundesliga, international gesehen, auch nicht oben dabei. Das österreichische Sport-Publikum ist ein Highlight-Publikum.

LAOLA1: Wie ist das Standing von Handball einzuschätzen?

Szilagyi: Ich würde Handball hinter Wintersport und Fußball gemeinsam mit Eishockey an dritter Stelle sehen. Es wird wichtig sein, wie die Nationalmannschaft jetzt und noch viel wichtiger 2020 abschneidet, sie kann das Aushängeschild sein. Wenn man bei Großveranstaltungen dabei ist, muss man Werbung machen, dann wird es für die lokalen Vereine einfacher, Kinder zu begeistern. Wenn diese Begeisterung da ist, muss man sie auch nachhaltig fördern. Speziell im Bereich der Fördergelder ist viel Luft nach oben, das gilt für viele Sommersportarten. Aber was Handball betrifft, ist grundsätzlich viel Potenzial in Österreich, es sind auch viele gute Leute da, wie etwa Conny Wilczynski, der tolle repräsentative Arbeit macht.

LAOLA1: Irgendwann einmal, vielleicht schon 2020, als Mitglied im ÖHB-Betreuerstab zu wirken – wäre das eine Idee?

Szilagyi: Das kann sein, da bin ich für alles offen. Ich habe einen großen Bezug und verfolge alles, bin mit dem ÖHB und der Nationalmannschaft auch emotional sehr verbunden. Da schließe ich nichts aus, aber aktuell habe ich sehr viele andere Aufgaben. Da wüsste ich gar nicht, wie ich das alles unter einen Hut bringen sollte. Falls ich einmal gefragt werde, bin ich natürlich jederzeit mit Rat zur Stelle.

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