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Bernhard Raimann: Österreicher im NFL-Rampenlicht

Wie es Bernhard Raimann schaffte, zu den heißesten Kandidaten im NFL-Draft zu zählen.

Bernhard Raimann: Österreicher im NFL-Rampenlicht Foto: © Instagram

Läuft alles nach Plan, wird Super Bowl LVI das vorerst letzte NFL-Wochenende ohne österreichische Beteiligung sein.

Läuft alles ideal, wird es sich auch nicht um einen Mitläufer handeln, der froh sein muss, es irgendwie in einen der 32 Roster zu schaffen.

Denn Bernhard Raimann hat Stand jetzt beste Chancen, in der ersten Runde des NFL-Drafts 2022 gezogen zu werden.

Die Parallelen zur NBA sind hier kaum zu verkennen, in der besten Basketballliga der Welt heißt Österreichs "Einhorn" seit 2016 eben Jakob Pöltl.

Als Offensive Tackle spielt der 24-Jährige vielleicht nicht auf der prestigereichsten Position, dafür aber auf einer umso wichtigeren als "bester Freund" schutzbedürftiger Quarterbacks.

Ob Raimann tatsächlich in der ersten Draft-Runde seinen Namen hören wird, ist natürlich noch offen. Der Draft-Prozess ist ein langwieriger, bis Ende April kann sich noch viel tun.

Wie sehr die Aktie Raimann gestiegen ist, verdeutlicht jedoch ein Blick auf diverse Mock-Drafts - viele, viele, viele der relevanten Draft-Experten ranken Raimann zunehmend verlässlich in Runde eins.

 

Stammgast in Mock-Drafts

Eine kleine Auswahl: Daniel Jeremiah von nfl.com "mockt" ihn sogar an #17 zu den Los Angeles Chargers und schreibt:

"I’m higher on Raimann than most evaluators, but I believe in his play strength (his hands and core strength jump off the screen) and instincts. He starts Day 1 at right tackle and would team with 2021 first-rounder Rashawn Slater to give the Chargers excellent bookends to protect Justin Herbert."

Seine Kollegin Cynthia Frelund, Analystin beim NFL-Network, sieht Raimann an #20 bei den Pittsburgh Steelers. Lance Zierlein reiht ihn an #24 zu den Dallas Cowboys und verweist darauf, dass es schwer sei, Tackles mit dem Potenzial Raimanns zu finden.

Andere Medienhäuser sehen es nicht anders. In CBS-Mock-Drafts ist Raimann bei den meisten Experten Stammgast in Runde eins - als potenzielle Destinationen gelten an #26 die Tennessee Titans, an #29 die Miami Dolphins oder an #30 die Kansas City Chiefs.

One of the best in the country

Auf NBC sieht man ihn beim - offenbar angehenden Super-Bowl-Verlierer - an #31, und in der Tat ist es kein Geheimnis, wie dringend die Cincinnati Bengals Hilfe in der O-Line brauchen, um Jungstar Joe Burrow besser zu beschützen. Zudem haben die Kollegen ihre helle Freude mit Raimanns ungewöhnlichem Karriere- und Lebensweg, dem wir uns in Kürze intensiver widmen:

"Raimann is an intriguing prospect, due in part to the unusual journey which brought him to the doorsteps of the NFL Draft. A former exchange student from Austria, Raimann is a bit older than his peers, having spent time fulfilling military duties back in his homeland. A converted offensive lineman (formerly a receiver/tight end), Raimann utilizes his above-average athleticism to defeat his opponents. Raimann's agility (33-inch vertical), quickness and explosive blocking style have him on many scouts' radars."

Auch das Fachportal Pro Football Focus schwärmt und sagt voraus, dass dies Pittsburgh an #20 ebenso tun wird - egal, welchen QB es nach dem Karriereende von Ben Roethlisberger zu beschützen gilt:

"The Steelers desperately need their offensive line to get better in a hurry no matter who is playing quarterback. Their tackle play has been awful, but hopefully, Raimann can change that. The big Austrian converted to tackle from tight end a few years ago but blossomed into one of the best in the country in 2021. His stock continues to skyrocket."

Sporthistorisch

Im Talente-Ranking von Todd McShay, einem der Draft-Gurus bei ESPN, taucht der Österreicher auf Platz 32 auf - eine aussagekräftige Einschätzung, denn nicht alle Positionen sind im Draft gleich begehrt. O-Liner gehören allerdings normal zu den gefragteren Kandidaten.

McShays Analyse: "Raimann is a converted tight end who moved to left tackle in 2020. He has 18 starts there and recorded only three blown run blocks this past season on 418 such snaps. He has long arms and good quickness for his size. Raimann has a powerful upper body and shuts down pass-rushers when he gets his hands inside. He is a mauler in the run game and consistently gets into good positioning. Raimann still has some work to do with his balance at the point of attack, but he has a really good motor and plays with an edge."

All diese Einschätzungen klingen natürlich fantastisch, sollten jedoch nicht zu viel Gier auslösen. Selbst wenn Raimann "erst" in Runde 2 oder 3 gezogen werden würde, wäre dies historisch für den österreichischen Sport.

Es ist aber jedenfalls ungewohnt, dass sich Expertisen der wichtigsten Talente für den Draft um einen Österreicher drehen. Genauer gesagt ist das bislang noch gar nicht vorgekommen, wenngleich rot-weiß-rote Footballer der NFL in den vergangenen Jahren wieder näher gekommen sind.

Eine Underdog-Story, wie sie das US-Publikum liebt

Nach der Kicker-Ära um Toni Fritsch im vergangenen Jahrtausend klopften zuletzt Sandro Platzgummer (New York Giants) und Bernhard Seikovits (Arizona Cardinals) dank des International Pathway Programs in der NFL an - die Wahrscheinlichkeit, dass es über diesen Weg tatsächlich demnächst ein Österreicher zu Regular-Season-Einsätzen schafft, scheint gegeben.

Mit Thomas Schaffer ging ein anderer Österreicher den Weg über die Ausbildung in den USA, nach der College-Zeit in Stanford bekam er 2021 einen Vertrag bei den Chicago Bears, konnte sich dort jedoch nicht durchsetzen.

Raimann wählte einen ähnlichen Weg. Als sein Sprungbrett in die USA diente Central Michigan, wo er seine College-Karriere absolviert hat. Selbige führte ihn bis zur am vergangenen Wochenende ausgetragenen Senior Bowl, einem College-All-Star-Game.

Schon der Weg dahin erschien unwahrscheinlich. Zumindest besagen dies seine Anfänge im Football-Sport - eine Geschichte, die geradezu maßgeschneidert ist für das US-Publikum, das solche Underdog-Storys liebt.

Mit 13 das Ei für sich entdeckt

Mit 13 sah er laut eigener Aussage erstmals jenes Ei-förmige Spielgerät, das von da an seine Welt bedeutete, auch wenn er es in seinem aktuellen Job-Profil nicht mehr berühren muss.

"Wie die meisten Kinder in Europa habe ich Fußball gespielt, aber das wurde mir bald zu langweilig. Es war nicht physisch genug für mich, also habe ich nach etwas Neuem gesucht", erzählt Raimann.

Mit Freunden habe er im Park versucht, besagtes Ei zu werfen. Schönheitspreis habe man damit keinen gewonnen, aber Spaß hat es gemacht.

Raimann, inzwischen 2,01 Meter groß und 138 Kilogramm schwer, ist definitiv physisch genug für diesen Sport und hat sich positionstechnisch Schritt für Schritt entwickelt.

Die Fazination von "Friday Night Lights"

Einstieg bei den Vienna Vikings
Foto: © GEPA

Bei den Vienna Vikings, denen er sich in der Jugend anschloss, agierte er noch als Wide Receiver. An der Delton-Kellog High School in Michigan wurde aus ihm ein Tight End. Als solcher startete nach einem Heimat-Abstecher beim Bundesheer auch seine College-Karriere.

Dass er überhaupt eine Football-Ausbildung in den USA anstrebte, habe auch mit der Serie "Friday Night Lights" zu tun, die ihm Highschool-Football schmackhaft machte.

Einmal näher dran am US-Football-Geschehen entdeckte er, dass ja auch eine College-Laufbahn etwas für sich habe. "Als ich hergekommen bin und mir College-Spiele angeschaut habe, dachte ich mir: 'Wow, das ist ja noch besser als Highschool-Football. Okay, jetzt ist es das, was ich tun möchte.'"

Der Sprung zu Central Michigan klappte. In den ersten zwei Jahren als Blocking Tight End eingesetzt, kam den Coaches dort jene Idee, welche die NFL-Chancen Raimanns im Nachhinein so richtig beflügeln sollte: Die Transformation zum Left Tackle.

Das riesige Potenzial auf der neuen Position

Auf der Vikings-Homepage erzählt Raimann, dass ihn im Frühjahr 2020 die Coaches erstmals auf dieses Thema angesprochen hätten, weil andere Tackles verletzungsbedingt fehlten:

"Nach langem Hin und Her habe ich mich dann entschieden, dem Team auszuhelfen und meine Position zu wechseln. Mit dem ersten Training hat mir die neue Position gleich viel besser gefallen. Allerdings konnte ich dann nur zwei oder drei Spring Practices durchmachen, bevor wir durch Covid-19 in einen Lockdown geschickt wurden. Danach war ich dann mehr oder weniger auf mich allein gestellt."

Dies ist wirklich bemerkenswert: Im Vergleich zu anderen NFL-Anwärtern, die ihr Leben bis dahin kaum etwas anderes gemacht haben, ist Raimann auf seiner Position noch denkbar unerfahren - auch wenn er mit 24 Lebensjahren zu den älteren Draft-Prospects gehört. Dennoch erkennen viele Experten eben besagtes riesiges Entwicklungs-Potenzial.

Dazu kommt die Arbeitsmoral, die in den Bewertungen der Scouts keine unwesentliche Rolle spielt. Der Österreicher musste auf der neuen Position erst mal richtig an Gewicht zulegen.

Joel Welsh, der Strength Coach an der Central Michigan, ist heute noch beeindruckt: "Er ist eine Rarität. Ich habe noch keinen anderen getroffen, der derart selbst-motiviert und unabhängig ist. Dafür gibt es nur ein Wort: Profi."

Mehr und mehr

Diese Einstellung, kombiniert mit den richtigen Maßen und offenkundigem Talent, könnte ihn nun auch tatsächlich zum NFL-Profi werden lassen.

Als er früher die NFL gesehen habe, sei sie im Prinzip unerreichbar gewesen. Erst als er es ans College geschafft habe, sei der Gedanke gereift, mehr zu wollen:

"Ich bin offenkundig nicht mit dem Traum aufgewachsen, in der NFL Football zu spielen, aber ich liebe diesen Sport, habe viel Arbeit investiert und meine Ziele immer wieder erweitert. Ich wollte mehr und mehr."

Mehr als NFL ginge letztlich nicht mehr.

Gute Chancen auf ein konkurrenzfähiges Team

Die Arbeit geht jetzt erst richtig los, denn das Business in der amerikanischen Football-Liga ist bekanntlich ein knallhartes.

Aber der Traum von einem Österreicher in der NFL könnte sich schon 2022 erfüllen, auch wenn Raimann selbst vor nicht allzu langer Zeit noch nicht davon zu träumen gewagt hätte.

Und wird er tatsächlich in der zweiten Hälfte der ersten Runde gedraftet, wäre ein angenehmer Nebeneffekt, dass er gute Chancen hätte, bei einem sehr konkurrenzfähigen Team zu landen.

Wobei: Eigentlich ist es egal, wo es ein Österreicher schafft, bei NFL-Spielen auf dem Feld zu stehen. Hauptsache es passiert.

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