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Der normalsterbliche Basketball-Gott

Stephen Curry ist der Beste der Welt. Und jeder kann sein wie er.

Der normalsterbliche Basketball-Gott

Während Kobe Bryant im Staples Center seine Karriere beendete, vollendete Stephen Curry in Oakland sein Meisterstück.

Currys Golden State Warriors gewannen gegen die Memphis Grizzlies ihr 73. Saisonspiel, so viele Siege gelangen zuvor keinem Team. Bisher gehörte die Bestmarke mit 72 Siegen den Chicago Bulls der Saison 1995/96.

Natürlich ist ein solcher Erfolg eine Teamleistung. 73 Siege wären ohne Mastermind Steve Kerr nicht möglich. 73 Siege wären ohne die einzigartige Versatilität von Draymond Green nicht möglich. 73 Siege wären ohne den sechsten Mann Andre Iguodala, ohne Currys "Splash Brother" Klay Thompson, ohne den brillanten Interims-Coach Luke Walton, ohne die Big Men Andrew Bogut, Festus Ezeli oder Marreese Speights nicht möglich.

Aber ohne Curry? Die Kunstform des Basketball, die die Warriors täglich praktizieren, wäre nicht möglich. Deshalb wurde er zum ersten einstimmigen MVP der NBA-Geschichte gewählt. Seine Wichtigkeit bewies nicht zuletzt seine Verletzung in den Playoffs, die die Dominatoren aus der Bay Area gegen die Rockets und Trail Blazers plötzlich anfällig wirken ließen - ehe Curry sein Comebackspiel im Alleingang entschied.

Auf der Autobahn

Doch zurück zum 13. April 2016. Bevor Kobe zum letzten Mal das violett-gelbe Jersey der Lakers abstreifte, das der frühere Teambesitzer Jack Kent Cooke einst als "blau und gold" bezeichnete, schrieb Curry 550 Kilometer von ihm entfernt Geschichte. In einem Jersey, das - neben weiß - wirklich blau und gold war.

Will man von der Warriors-Heimat Oakland nach Los Angeles, von der Oracle Arena zum Staples Center, kann man die Westküste entlang über den legendären Highway 1 fahren. Es ist eine der schönsten Straßen der Welt. Buckelwale im Wasser, Bucht für Bucht neue Fotomotive. Die Fahrt dauert netto etwa zehn Stunden, dank zwingender Fotopausen sind es in der Praxis zwei Tage.

Man kann auch über den Highway I-5 fahren. Beton links und rechts, dafür ist man in fünfeinhalb Stunden am Ziel.

Wardell Stephen Curry II war lange auf dem Highway 1: Es sah nett aus, was er tat; ein schöner Wurf, gute Quoten, vielversprechende Anlagen. Aber MVP-Votes? Niemals.

Vor zwei Jahren bog er sinngemäß auf die I-5 ab und wurde unaufhaltsam: MVP 2015, die meisten getroffenen Dreipunkter in einer Saison. Im darauffolgenden Jahr pulverisierte er seinen erst aufgestellten Rekord, knackte als Erster die 400-Dreier-Marke und war wieder der wertvollste Spieler der Saison. Und wurde nebenbei zum besten Basketballer der Welt.

Curry wäre gerne schon länger am Highway unterwegs, sein rechter Knöchel verhinderte das aber. 2011 und 2012 warfen ihn Verletzungen regelmäßig zurück. So oft, dass die Warriors-Führungsetage für seinen 2012 unterzeichneten Vierjahres-Vertrag zu 44 Millionen US-Dollar sogar Kritik einsteckte. Heute ist Currys Vertrag das größte Schnäppchen der Liga.

Komet ab 2014

Aber woher kam Currys Leistungs-Explosion ab 2014?

Die Bedingung: Gesundheit. Der Grund: Beinhartes Training auf allen Ebenen. Der Katalysator: Steve Kerr. Im Sommer 2014 wurde der damals 48-Jährige als neuer Head Coach engagiert. Der Rookie-Trainer sprengte die Ketten, die die Offense seines Vorgängers Mark Jackson hinterlassen hatte. Raus mit den unzähligen Post-Ups, rein mit der Freiheit zu werfen. Raus mit Schnecken-Basketball, rein mit Hochgeschwindigkeit.

Keiner profitierte davon mehr als Curry. Er etablierte sich in zwei Saisonen als bester Werfer aller Zeiten, wie mit Scottie Pippen auch ein Vertreter der sonst oft überkritischen alten Garde bestätigt. Niemand warf je so viele Dreier, niemand traf je so viele Dreier, niemand war für seine Effizienz weniger auf seine Mitspieler angewiesen. Gleichzeitig hatte Curry in der aktuellen Saison auch bei Korblegern den Spitzenwert. Der Point Guard brilliert nicht nur aus der zweiten Reihe, er trifft alles, immer und überall. Das ist eigentlich nichts Neues, schon als Rookie hatte Curry herausragende Quoten. Der Unterschied ist schlicht, dass er immer öfter wirft.

Saison

Minuten/Spiel Würfe aus dem Feld Wurfquote Dreier Dreierquote Punkte/Spiel
09/10 36.2 6.6/14.3 .462 2.1-4.8 .437 17.5
10/11 33.6 6.8/14.2 .480 2.0-4.6 .442 18.6
11/12 28.2 5.6/11.4 .490 2.1-4.7 .455 14.7
12/13 38.2 8.0/17.8 .451 3.5-7.7 .453 22.9
13/14 36.5 8.4/17.7 .471 3.3-7.9 .424 24.0
14/15 32.7 8.2/16.8 .487 3.6-8.1 .443 23.8
15/16 34.2 10.2/20.2 .504 5.1-11.2 .454 30.1

Diese nie dagewesene Gefährlichkeit macht ihn zum Magneten für gegnerische Verteidiger. Die Angst vor dem menschlichen Flammenwerfer verbiegt jede Defense und verschafft Currys Teamkollegen gewaltige Freiräume.

All das würde den 28-Jährigen aber noch nicht zu dem globalen Star machen, der er ist. Der Grund hat mit Basketball gar nicht so viel zu tun.

Als Babyface zum Superstar

Curry sieht nicht aus wie der beste Basketballer der Welt. Für NBA-Verhältnisse ist er schmächtig und wenig muskulös, dazu kommt ein klassisches Babyface. "Er sieht aus als wäre er 13. Aber er ist ein Killer, vertraut mir", sagt Steve Kerr.

Stephen Curry ist kein LeBron James. Was ihn zur Nummer eins macht, kann jeder lernen. Da wäre seine schnelle Wurfbewegung, hunderttausendfach geübt und perfektioniert. Da wären seine gefinkelten Dribblingmoves, die schon Achtjährige zu kopieren beginnen. Ja, da ist auch noch seine große Übersicht, die wohl teilweise in die Kategorie "angeborener Instinkt" fällt. Mit 1,91 Metern Körpergröße ist der MVP aber kein genetischer Übermensch, der für das durchschnittliche Kind auf den Streetcourts von Chicago bis Manila außer Reichweite ist. Jedes Kind kann Steph Curry werden.

Und derzeit will jedes Kind Steph Curry werden, sagt ein Jugend-Trainer aus Kalifornien: "Sie glauben, er ist Superman." Dem Vorbild gefällt das: "Wenn sie mich am Court kopieren wollen finde ich das toll - so lange sie die Arbeit investieren um sich zu verbessern.

Elfjährige tragen wegen Steph nun Mundschutz

Seine "Sterblichkeit" ist für den Warriors-Star lukrativ. Currys Signatur-Schuhe verkaufen sich besser als die Treter von LBJ, Kevin Durant und Co. - einzig Michael Jordan bleibt hier unantastbar. Die Curry-Linie dürfte 2016 für 160 Millionen US-Dollar Umsatz sorgen, dank des Lobbyings von Ex-Teamkollegen Kent Bazemore übrigens für Under Armour statt Nike.

Kritik von den Traditionalisten

Mit seiner theoretisch kopierbaren Einzigartigkeit löste der Sohn von Dreier-Spezialist Dell Curry eine Revolution aus - das brachte ihm nicht nur Fans. "Zu einem gewissen Grad hat er dem Spiel geschadet. Wenn ich in High-School-Hallen gehe und diesen Kids zusehe, laufen sie als erstes zur Dreier-Linie. Du bist nicht Steph Curry. Arbeite an den anderen Aspekten deines Spiels!", sagte beispielsweise Ex-Warriors-Coach Mark Jackson vergangene Weihnachten.

Auf der Jagd nach den 73 Siegen erlebten die Warriors einige Respektlosigkeiten älterer Semester, oftmals war Curry sogar spezifisch im Visier der Kritiker. So meinten Oscar Robertson, Kareem Abdul-Jabbar oder Walt Frazier, dass sein Erfolg nur an dem weniger physischen Stil der heutigen NBA läge.

Basketball-Pensionisten wie Stephen Jackson von den "We Believe"-Warriors 2006/07 behaupteten, dass ihre Teams die aktuelle Feuerwerk-Fabrik um Curry und Thompson geschlagen hätten. Steve Kerr kommentiert das so: "Kein Spieler aus keiner Ära könnte Steph Curry verteidigen. Völlig egal, wer. Er ist zu schnell, zu geschickt, zu gut. Sachen ändern sich, aber ich sehe nicht ein, wie jemand behaupten kann, dass Steph vor 30 oder 20 Jahren zu verteidigen gewesen wäre."

Curry selbst findet die Kritik "nervig". Und nun wird sie wohl abnehmen. Den Rekord der Bulls zu übertreffen, ist - Ära hin oder her - eine unglaubliche Errungenschaft, der Spielmacher hat die womöglich beste individuelle Regular Season aller Zeiten hinter sich.

Nun muss aber auch der Titel folgen. Denn ohne den wäre der Rekord für immer mit einem gewaltigen Sternchen versehen.

Aber der normalste Superstar der Welt wird schon dafür sorgen, dass das nicht passiert.


Martin Schauhuber


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