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Latifi: "Kann so schnell sein, wie in F1 nötig"

Oft Schlusslicht: Warum das so ist und wie sich der Williams-Fahrer selbst einschätzt.

Latifi: Foto: © getty

Die Formel 1 ist ein hartes Business. Das zeigt sich nicht nur an der Spitze, sondern auch ganz hinten.

Dort ist Nicholas Latifi seit seinem Aufstieg zum Einsatzfahrer bei Williams Anfang 2020 häufig zu finden. Auch 2022 wartet der Kanadier als einziger der 20 Stammfahrer vorerst noch auf einen Punkt.

Mit der nahenden Sommerpause, in der sich das Fahrerkarussell immer dreht, ist auch der 27-Jährige im Fokus. Gerüchte über eine Ablöse werden laut, denn es drängen Talente in die "Königsklasse" nach.

Wie Latifi mit dem Druck umgeht, warum Williams mit den neuen Regularien den Sprung ins Mittelfeld nicht geschafft hat und was ihn von regelmäßigen Erfolgserlebnissen trennt, hat LAOLA1 im Interview nachgefragt:

LAOLA1: Deine ersten zweieinhalb Formel-1-Jahre haben dir wenige Erfolgserlebnisse beschert. Wie schätzt du dein eigenes Potenzial nach dieser Zeit ein?

Nicholas Latifi: Nach dem letzten Jahr hatte ich eine stetigere Entwicklung nach oben erhofft. Es ist von Vornherein nicht einfach, in einem wenig konkurrenzfähigen Auto zu glänzen. Auf dem Papier sieht der Unterschied zwischen null Punkten bei mir und drei Punkten bei meinem Teamkollegen (Alex Albon, Anm.) groß aus. In der Realität ist er das aber nicht. Wir sitzen in einem Auto, das im besten Falle einen neunten, zehnten Platz herausfahren kann. Wenn alles perfekt zusammenläuft. Dann musst du als Fahrer natürlich da sein und alles zusammenbringen, was für mich zuletzt schwierig war. Aber es wird besser. Die letzten Rennen haben sich für mich, unabhängig von den Resultaten, immer besser angefühlt. Das Auto ist im Vergleich zum Vorjahr einfach ein Rückschritt.

LAOLA1: In Silverstone hast du es ins Q3 geschafft. Was fehlt noch, um solche Teilerfolge öfter zu feiern?

Latifi: Die größte Errungenschaft wäre natürlich ein schnelleres Auto (lacht). In meinen zweieinhalb Jahren in der Formel 1 hatten wir noch nie ein Auto, das durchgehend in der Lage war, um vordere Plätze zu kämpfen. Letztes Jahr waren wir immerhin soweit, regelmäßig ins Q2 zu kommen. Aber auf dem Papier hatten wir über die Saison gesehen auch 2021 nur das neuntschnellste Auto im Feld. Dieses Jahr sind wir die langsamsten. Das ist einfach die Realität. Gleichzeitig hatte ich meinerseits auch Schwierigkeiten, auf die neuen Autos umzusteigen und mich mit der gleichen Selbstverständlichkeit am Limit zu bewegen, die ich mit den alten Autos schon hatte. Wenn alle Dinge zusammenpassen, können wir schon gute Ergebnisse erzielen.

LAOLA1: Speziell in einem weniger konkurrenzfähigen Auto wird ein Fahrer immer mit dem Teamkollegen verglichen. Die letzten beiden Jahre war das mit George Russell ein angehender Superstar.

Foto: © getty

Latifi: In der zweiten Hälfte 2021 waren wir im Qualifying eng zusammen. Auch in den Rennen waren wir oft mit ähnlicher Pace unterwegs. Das hat mir schon Selbstvertrauen gebracht. Hin und wieder sind auch Dinge dazwischengekommen, die nicht in meiner Macht lagen. Es ist offensichtlich, was für ein schneller Fahrer er ist. Das Feeling in den ersten Rennen dieses Jahres ist aber nicht mehr das gleiche, dieses Selbstvertrauen ist wieder ein Stück weit verloren gegangen. Ich habe nicht mehr die gleiche Performance relativ zu den Möglichkeiten aus dem Auto herausbekommen. Ich weiß: Wenn ich das Beste aus mir selbst und aus dem Auto holen kann, dann kann ich so schnell sein, wie es in der Formel 1 nötig ist. Das hat sich in Silverstone gezeigt.

LAOLA1: Die neuen Regularien sollten kleineren Teams auch die Chance geben, näher heranzurücken. Bei Haas hat das funktioniert, bei Williams nicht. Was könnten die Gründe dafür sein?

Latifi: Wir haben uns natürlich erhofft, konkurrenzfähiger zu sein. Ich denke schon, dass die Regeln auch diesen Zweck langfristig erfüllen werden. Ein erster großer Schritt ist schon passiert, über die nächsten Jahre wird der Effekt noch größer. Haas und Alfa Romeo sind wieder im Mittelfeld-Fight. Das Konzept, mit dem wir ins Jahr gegangen sind, war nicht das richtige. Nur Mercedes und wir haben auf die schmalen Sidepods gesetzt. Damit hätten wir auch einen Vorteil haben können. Die Ingenieure haben versucht, bei den neuen Regeln "outside of the box" zu denken, und wir haben nicht die richtige Richtung eingeschlagen.

LAOLA1: Wie viel kann mit den Updates aufgeholt werden, die du in Frankreich bekommst?

Latifi: Hoffentlich eine Menge. Wenn du hinten bist, hast du mehr Möglichkeiten, etwas aufzuholen. Wir sind eines der Teams, die am meisten aufzuholen haben - und müssen das auch schaffen. Wenn du dich im gleichen Tempo wie die anderen Teams entwickelst, wird der Rückstand immer gleich bleiben.

Der Spekulations-Aspekt ist auch ein Teil des Sports. Den habe ich schon bei anderen Fahrern mitbekommen, bevor ich in die Formel 1 gekommen bin. Ich bin nicht der erste Fahrer und werde nicht der letzte sein, der mit so etwas konfrontiert ist.

LAOLA1: Aus einer Fahrerperspektive: Welche neuen Herausforderungen haben die neuen Autos für dich gebracht?

Latifi: Da gibt es einige Dinge. Die Reifen verzeihen nicht mehr so viele Fehler, geben einem öfter das Gefühl, schon am Limit zu sein. Die Autos brechen dadurch auch öfter aus. Ähnliches gilt für die Aerodynamik, die weniger verzeihend ist und den Anpressdruck weniger nachvollziehbar aufbaut. Da haben zwar alle die gleichen Probleme, aber speziell mit der Philosophie unseres Autos, das scheinbar auch weniger Fehler verzeiht und unberechenbar ist, ist es schwer, das notwendige Vertrauen beim Fahren aufzubauen.

LAOLA1: Über das "Porpoising" wurde viel gesprochen. Wie hat sich die physische Ebene für dich verändert?

Latifi: Die Rennen sind physisch eine größere Herausforderung. Es ist deutlich anstrengender geworden, die Autos zu fahren. Der Körper muss mehr einstecken, du spürst mehr Unebenheiten, wirst über die Curbs schlimmer durchgeschüttelt, der Kopf wackelt auch mehr hin und her. Es gab Rennen, an deren Ende ich Kopfschmerzen hatte, das ist mir vorher noch nie passiert. Bei uns ist das "Porpoising" dabei gar nicht so das Problem, es reicht die höhere Steifigkeit des Autos. In den vergangenen Jahren waren die Geraden immer eine Möglichkeit, sich gewissermaßen auszuruhen. Jetzt sind sie fast der nervigste und anstrengendste Teil.

LAOLA1: Es gibt erste Gerüchte, dass du am Ende der Saison ersetzt werden könntest. Wie gehst du mit so einem Druck von außen um?

Latifi: Mit dem Kritik-Aspekt lernst du schon in den Nachwuchskategorien umzugehen. In der Formel 1 gewöhnst du dich auf einer anderen Ebene daran, hast mehr Aufmerksamkeit von Medien und Fans. Der Spekulations-Aspekt ist auch ein Teil des Sports. Den habe ich schon bei anderen Fahrern mitbekommen, bevor ich in die Formel 1 gekommen bin. Ich bin nicht der erste Fahrer und werde nicht der letzte sein, der mit so etwas konfrontiert ist. Es ist ein Teil des Ganzen und normal, wenn die Ergebnisse nicht da sind, wo sie sein sollten. Das Einzige, was du tun kannst, ist dich darauf zu konzentrieren, was du selbst ändern kannst. Vieles ist nur Gerede. Manche Gerüchte mögen ein wenig Wahrheitsgehalt haben, aber du weißt nie, ob es eintritt.

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