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Kommentar: Und es ist doch nicht nur das Auto!

Kommentar: Russell wird unterschätzt und "Gleichmacher" sollten andere Serie suchen.

Kommentar: Und es ist doch nicht nur das Auto!

Wie verrückt das Jahr 2020 läuft, äußert sich in vielen Facetten. Eine davon: Die Formel-1-Anhängerschaft hofft auf einen Mercedes-Sieg. Und ist ein bisschen enttäuscht, wenn ein dramatischer Rennverlauf den nächsten Doppelsieg der Dominatoren verhindert.

George Russells Aktie ist durch den Grand Prix von Sakhir enorm gestiegen. Er hat bleibenden Eindruck hinterlassen - bei dem es vorerst bleiben muss, weil Lewis Hamilton für das letzte Rennen zurück ist.

Für Mercedes, den Weltmeister und die ganze Formel 1 hat der gute "One-Off-Auftritt" jedenfalls Dillemmata aufgeworfen.

Ist Hamilton gar nicht herausragend? Kann in der Formel 1 jeder Fahrer gewinnen, wenn er im richtigen Auto sitzt? Und sollte das Weltmeister-Team Valtteri Bottas nicht lieber gleich feuern, der sich von einem Newcomer mit gleichem Material um die Ohren fahren lässt - der wegen seiner Körpergröße erst gar nicht ins Auto gepasst hatte?

Russell ist kein Niemand

Diese Ansätze haben gemeinsam: Das Talent von George Russell wird unterschätzt.

Das ist nicht weiter verwunderlich. Der Youngster musste mit Williams fast zwei ganze Saisonen lang auf seinen ersten WM-Punkt warten. Der Namen "Russell" wird dadurch unweigerlich mit den hinteren Plätzen verbunden.

Das Traditions-Team ist aber - leider, und ungeachtet eines klaren Fortschritts 2020 - dermaßen weit vom Schuss, dass diese Ergebnisse einfach kein Maßstab sind.

Dass Russell in 36 Qualifyings kein einziges Mal(!) langsamer als seine Teamkollegen Robert Kubica bzw. Nicholas Latifi war, muss aber auffallen.

 

(Text wird unterhalb fortgesetzt)

Seine Karriere vor der Königsklasse braucht sowieso kaum Beschreibungen: Die GP3 und Formel 2 gewann er jeweils auf Anhieb. Dementsprechend kurz hielt er sich in diesen Kategorien auf, ehe der Aufstieg in die Formel 1 erfolgte. Je ein Jahr.

Es mag zu so einem frühen Zeitpunkt zu gewagt sein, aber für viele Insider gilt Russell gar als der schnellste Vertreter seiner "Generation", die Fahrer wie Max Verstappen, Charles Leclerc und Lando Norris umfasst.

Der Hamilton-Vergleich ist noch lange nicht angebracht, aber verwunderlich ist es nicht, dass Russell mit entsprechendem Material performen kann.

Das ist doch alles nichts Neues

Ja, die Vorstellung des Aufsteigers beim Grand Prix von Sakhir untermauerte trotz des Talents von Russell auch, wie überlegen Mercedes gerade ist. Und wie entscheidend der fahrbare Untersatz für die Siegchancen des Piloten.

Ganz oben stand Russell schon öfter

Aber das ist keine Neuigkeit. Wer mit der Formel 1 in den späten 1990ern und frühen 2000er-Jahren aufwuchs, weiß, dass Mika Häkkinen vor seinen WM-Titeln erst einmal sieben Jahre mitfuhr, ohne besonders herauszustechen. Oder wie erdrückend Ferraris Dominanz war - zwischenzeitlich weit mehr als die aktuelle von Mercedes. 2002 stand Michael Schumacher schon im Juli(!) als neuer Weltmeister fest.

Die Formel 1 hat zwei Charakteristika inne, auf die im Kampf der Fahrer oft vergessen wird: Es ist ein Teamsport, der Fahrer nicht die einzige Variable, die es versauen kann, wie Russell schmerzhaft feststellen musste. Und es ist ein Kampf der Technologie.

Ist, war immer, wird immer Technologie-Schaukampf sein

Eine Rennserie, die sich als Speerspitze des Motorsports sieht, benötigt einen enormen Einsatz von Ressourcen - und dadurch den Wettkampf der Hersteller, um diesen Einsatz für sie überhaupt zu rechtfertigen. Einer muss besser als der Andere sein. Marken, für die die Rechnung nicht aufgeht, haben sich schon immer früher als später wieder zurückgezogen.

Das ist eine der Grundideen der Formel 1. Lediglich die präsentierten Technologien haben sich im Laufe der Jahrzehnte verändert. Ein Grund, warum schleunigst ein Ansatz gefunden werden muss, aus der eigenen Sackgasse zu finden - sonst wird der F1 die Formel E unweigerlich den Rang ablaufen, ungeachtet dessen, dass das dortige Spektakel noch weit hinterherhinkt.

Die Dominanz von Mercedes ist eine beständige, aber doch nur eine Momentaufnahme. Die Formel 1 erledigt in den kommenden Jahren ihren Teil, die Chancengleichheit zu erhöhen - Kostenbremse, neues Reglement, et cetera. Allzu gleichmacherisch darf sie im eigenen Interesse nicht werden.

Außerdem: Zum Ruf nach gleichen Voraussetzungen passt die Stiefmütterlichkeit nicht, mit der viele andere Rennserien von der Allgemeinheit bedacht werden. Einige davon bieten genau das.

Bottas ist für das Team ideal

Bei Williams gab es noch nicht viel zu jubeln

Bleibt die Frage, wie Mercedes mit dem großen Talent Russells weiter verfahren soll. Dass ein siegfähiger Fahrer nicht weiter bei einem Nachzügler "verschwendet" wird, ist eine nachvollziehbare Forderung der Fans.

Genau der Wunsch nach ebenbürtiger Konkurrenz für Lewis Hamilton steht aber völlig konträr zu den Eigeninteressen von Mercedes. Zumindest, wenn diese aus dem eigenen Team kommt.

Es mag für den Zuschauer ernüchternd sein, dass der zweite Fahrer im Feld mit weltmeister-fähigem Auto nicht ganz mithalten kann. Für Mercedes ist Bottas aber die ideale Nummer 2: Siegfähig, aber nicht gut genug, dem eigenen Star dauerhaft in die Suppe zu spucken. So braucht es keine Stallorder. Und die Fehler aus dem Scharmützel Hamilton-Rosberg von 2016 werden nicht wiederholt.

Der neue Hamilton - der alte Bottas wird noch gebraucht

Russell wird über kurz oder lang der neue Mercedes-Stern. Doch er ist zu gut für eine Nummer 2 - oder 1B. Er wird wohl der Nachfolger von Lewis Hamilton, sobald dieser die Lust verliert.

Ferner das in absehbarer Zeit passiert. Wie motiviert Hamilton ist, zeigt seine schnelle Rückkehr ins Cockpit, ohne Not und nach einer Erkrankung. Die Dauer der gegenwärtigen Vertragsverhandlungen ist aber ein Indiz, dass er schon sorgfältiger abwägt. Für Mercedes auch nicht unpraktisch, mit Russell einen Plan B bzw. ein Druckmittel in der Hand zu haben.

Bis dahin wird die Chance beim Grand Prix von Sakhir für Russell - leider - die vorerst letzte auf einen Sieg gewesen sein. Aber die weiteren werden kommen. Die Frage ist nur wann.

Und ob die Fans nicht auch davon bald genug haben werden, sollte er ein würdiger Thronfolger im Mercedes-Sitz sein. Dann ganz auf seine Körpergröße angepasst.

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