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Das Ende des WM-Fluchs: Aufbruchstimmung in Kanada

Ganze 36 Jahre musste Kanada auf seine zweite WM-Teilnahme warten - Superstar Alphonso Davies und Co. haben den Bann gebrochen und sind 2022 in Katar vertreten.

Das Ende des WM-Fluchs: Aufbruchstimmung in Kanada Foto: © getty

Wir schreiben den 27. März 2022. Das kanadische Fußballnationalteam benötigt nur mehr einen Punkt in der WM-Qualifikation, um einen historischen Meilenstein zu erreichen – die erste WM-Teilnahme nach 36 Jahren. Zwei Spiele stehen noch aus, doch die "Canucks" wollen unbedingt zuhause vor heimischer Kulisse Geschichte schreiben.

Der Gegner: Jamaika. Unzählige Fahnen mit dem roten Ahornblatt wehen an diesem Tag im Wind. Bei eisigen Temperaturen bereiten die Heimfans ihrem Team einen warmen Empfang. Alles ist für den Geschichtsbucheintrag angerichtet.

13 Minuten vergehen bis die Dämme im BMO Field, dem Stadion des FC Toronto, brechen – Kanada führt mit 1:0! Es sollte dies aber erst der Anfang glanzvoller Spielminuten sein. Drei weitere Abschlüsse landen im Tor des Gegners – nach 90 Minuten ist es vollbracht! Kanada fährt zur WM 2022 nach Katar.

Ein historischer Moment für die kleine Fußball-Nation, der im geographisch zweitgrößten Land der Erde ungebremste Euphorie auslöste.

Kanada im Wandel

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"Die Stimmung ist sehr gut. Jedermann ist begeistert bei einer WM zu sein. In den letzten Jahrzehnten hatte man eigentlich keine großen Erwartungen zu einer Endrunde zu fahren. In den letzten vier Jahren fand jedoch ein Wandel statt. Jeder verfolgt jetzt die Nationalmannschaft. Jeder freut sich", schildert Frank Sturing die kanadische Aubruchsstimmung im Gespräch mit LAOLA1.

Der aktuelle Profi des SV Horn kann mit Stolz behaupten, seinen Beitrag für die erst zweite WM-Teilnahme seit 1986 geleistet zu haben. Bislang verbuchte der Innenverteidiger zwei Länderspiele für Kanada. Bei seinem Teamdebüt gegen die Cayman-Inseln durfte sich Sturing bereits nach fünf Minuten in die Torschützenliste eintragen. Einen besseren Einstand hätte sich der gebürtige Niederländer, der aufgrund seines in Kanada geborenen Vaters einen kanadischen Pass besitzt, nicht erträumen können.

"Es (sein Debüt, Anm.) war ein sehr spezieller Moment, auf den ich sehr stolz bin. Mein erstes Tor im ersten Spiel gemacht zu haben, war fast surreal. Auch das Gefühl, mit all den guten Spielern auf dem Platz zu stehen, war sehr besonders. Auch die kanadische Nationalhymne auf dem Feld zu hören, war wirklich besonders für mich", blickt Sturing voller Stolz zurück.

"Das Team ist wie eine Familie"

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Bei seiner erstmaligen Einberufung in das Nationalteam hatte sich der Defensivspezialist "eigentlich nicht vorgestellt, dass alles professionell abläuft". Umso mehr hat es Sturing verblüfft, mit welcher Professionalität man zu Werke geht. "Alles ist im Detail super organisiert. Ich musste ja von den Niederlanden anreisen." Die WM-Qualifikation sei "sicher auch aufgrund der Top-Bedingungen vor Ort geglückt".

Den Grundstein für den geschichtsträchtigen Erfolg der WM-Qualifikation legte insbesondere Trainer John Herdman, der aus den über Europa, den USA und Kanada verstreuten Spielern eine eingeschworene Truppe formte.

 

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"Das Team ist wie eine Familie, jeder kämpft für den anderen. Zwar sagen das viele Mannschaften, aber bei uns wird das wirklich gelebt. Das ist sicher auch ein Verdienst von Coach Herdman", lobt Sturing den englischen Übungsleiter, der seine Künste als "Motivator" zuvor mit den Frauen-Teams von Neuseeland und Kanada bei vier Weltmeisterschaften und drei Olympischen Spielen vorzeigen konnte. Bei den Sommerspielen 2012 und 2016 gewann er mit den Kanadierinnen jeweils die Bronzemedaille. 2018 übernahm Herdman dann das Männerteam und prägte den Lauf der "Canucks" entscheidend mit.

Besonders auf dem taktischen Gebiet sei der Teamcoach "super". "Jeder Spieler weiß genau, was er zu tun hat und was er verbessern kann. Ich hab im Team und unter Herdman in so kurzer Zeit sehr viel gelernt. Er hat aus mir einen besseren Spieler gemacht", streut Sturing seinem Trainer Rosen.

Die Herausforderung, die Spieler auch gegen vermeintlich leichtere Gegner richtig eizustellen, meisterte das Trainerteam mit Bravour. In den ersten vier Qualifikationsspielen gegen Suriname, Bermuda, Aruba und die Cayman-Inseln erzielte Kanada 27 Treffer und kassierte dabei nur ein Gegentor.

Zwei Youngsters als Kanadas X-Faktor

Mit 13 Toren nach insgesamt 16 Qualifikationsspielen hinterließ besonders Stürmer Cyle Larin Eindruck. Doch der Angreifer des FC Brügge ist nicht etwa der Star des Teams. Diese Rolle gebührt zwei Top-Talenten, die schon im jungen Alter auf massenhaft Erfahrung zurückgreifen können.

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Zum einen wäre da der erst 22-jährige Flügelspieler Alphonso Davies, der seit Jänner 2019 beim FC Bayern sein Geld verdient und schon in blutjungen Jahren zahlreiche nationale sowie internationale Titel einheimste. Bei den entscheidenden Quali-Spielen musste der Linksfuß aber aufgrund von Herzproblemen passen. 

 

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Zum anderen Stürmer Jonathan David (ebenfalls Jahrgang 2000), der aktuell bei der OSC Lille unter Vertrag steht und sich bei so manchem Top-Klub begehrt gemacht hat. Unter anderem werfen auch Davies' Bayern ein Auge auf den pfeilschnellen Angreifer.

 

"Sie (Davies und David, Anm.) haben die Qualität, Spiele zu entscheiden. Die beiden haben sehr gute Persönlichkeiten. Sie sind noch sehr jung, haben aber schon sehr viel Erfahrung auf Top-Niveau gesammelt. Sie sind auch wichtig für die Stimmung in der Kabine", spricht Sturing über seine Teamkollegen. Darüberhinaus gilt Davies aber auch als unbeschwerter Spaßvogel. "Er ist manchmal sehr albern, macht gerne Späße auf und neben dem Platz".

Oldie Hutchinson "reif" für die WM

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Doch neben dem jugendlichen Talent hat Kanada auch einen Spieler in den eigenen Reihen, der nicht nur das Durchschnittsalter anhebt, sondern auch über einen beeindruckenden Erfahrungsschatz verfügt: Atiba Hutchinson. Der Dauerbrenner steht mit seinen 39 Jahren immer noch im Saft, spielt derzeit in der Türkei bei Besiktas und könnte, sollte er zum Einsatz kommen, zum zweitältesten WM-Feldspieler der Geschichte werden. Als Spielmacher im zentralen Mittelfeld soll er den Ton am Platz angeben.

Ein weiterer Routinier im kanadischen Ensemble ist der 35-jährige Steven Vitória. "Für mich persönlich war Steven ein sehr guter Mentor. Wir spielen auf der gleichen Position. Wir halten immer noch Kontakt. Er hat mir sehr auf und abseits des Platzes geholfen", erzählt Sturing über den Defensivakteur mit portugiesischen Wurzeln.

Darüberhinaus gibt es mit Stephen Eustáquio (FC Porto) und Tajon Buchanan (FC Brügge) zwei weitere "Players to watch" im kanadischen Team. "Ich glaube, nach der WM könnten einige von ihnen den nächsten Schritt machen. Wir haben einen guten Mix zwischen jungen Talenten und erfahreneren Spielern", meint Sturing über seine Teamkameraden mit denen er regelmäßig im Austausch steht.

Zusammenhalt wird großgeschrieben

"Ich hab immer mit den Spielern Kontakt gehalten. Es gibt auch Whatsapp-Gruppen, da wird auch ab und zu hin und hergeschrieben. Mit einigen Spielern habe ich auch noch persönlichen Kontakt. In der vergangenen Länderspielpause hat Kanada in Wien gespielt. Da hab ich das Team besucht und mit dem Team und den Trainern gesprochen. Das war sehr schön alle wieder zu treffen", so Sturing. Der Zusammenhalt herrsche "nicht nur in den Länderspielpausen".

Sturing selbst musste den Traum, bei einer WM dabei zu sein, fürs Erste begraben - der Horn-Profi schaffte es nicht in den finalen WM-Kader der Kanadier. Seit dem Gold Cup im Juli 2021 wartet der Abwehrmann auf eine weitere Einberufung.

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Gastgeber der WM 2026

Die nächste Chance bei einer WM-Endrunde dabei zu sein, bietet sich aber schon in vier Jahren. Als einer der Gastgeber (zusammen mit den USA und Mexico) muss sich Kanada nicht durch die Qualifikation kämpfen.

Die Teilnahmeberechtigung für das WM-Spektakel in Katar verdiente sich die kanadische Truppe sogar vor den beiden Mitveranstaltern. Die entscheidende dritte Runde schlossen die "Canucks" vor den drittplatzierten USA (25 Punkte) und punktegleich mit Mexiko (28 Zähler) ab.

"Underdog" Kanada will überraschen

Bei der diesjährigen Weltmeisterschaft müssen sich die Kanadier allerdings mit der Rolle des "Underdogs" zufrieden geben. Mit Belgien, Vizeweltmeister Kroatien und Marokko erwischte man zudem nicht gerade eine einfache Gruppe.

Dass Kanada dennoch für eine Überraschung gut ist, betont auch Sturing: "Wir fahren nicht nach Katar um Urlaub zu machen. Wir wollen wirklich etwas erreichen. Es wird sicherlich schwierig aufzusteigen. Ich glaube aber, dass wir überraschen können. Wir haben sehr viel Qualität und Spieler, die Partien entscheiden können. Wir haben Stürmer, die jeder Verteidigung das Leben schwer machen können. Entscheidend ist unsere Gemeinschaft, unsere 'Brotherhood'. Ich glaube nicht, dass die anderen Nationen so einen Zusammenhalt haben wie wir".

Einen WM-Favoriten ausfindig zu machen, gestaltete sich für den Horn-Verteidiger schwierig. "Wenn man nur nach den Spielern geht, dann natürlich Frankreich oder Brasilien. Aber das ist eine WM, du brauchst nicht nur die besten Spieler, sondern auch die beste Mannschaft", macht Sturing klar.

Profi-Fußball erst seit 2019 in Kanada 

Auch wenn Kanada die Vorrunde nicht überstehen sollte, so treibt alleine die gelungene Qualifikation den kanadischen Fußball an. Zwar laufen die besten Klubs des Landes (Toronto FC, Vancouver Whitecaps, Montréal CF) nach wie vor in der nordamerikanischen Major League Soccer auf. Mit der Einführung der ersten professionellen Fußball-Liga im Jahr 2019 ist jedoch ein erster Schritt in die richtige Richtung gesetzt.

"Eishockey wird auch die nächsten Jahre Nationalsport bleiben. Durch die Qualifikation ist aber das Interesse deutlich angewachsen", ist sich Sturing sicher, der mit einem Wechsel in eine höhere Liga einer erneuten Rekrutierung näher kommen will.

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