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Kommentar: Kritische Masse ist die einzige Chance

Bei aller Empörung ist es der falsche Zeitpunkt, dem Fußball den Rücken zu kehren. In den 20ern wartet ein wichtiger "Kampf". LAOLA1-Kommentar:

Kommentar: Kritische Masse ist die einzige Chance Foto: © getty

Ich drücke es mal möglichst vornehm aus: Man kann gar nicht so viel essen, wie man angesichts dieser WM in Katar und vor allem ihrer Begleiterscheinungen speiben möchte.

Warum dieses Turnier ein einziger Problemfall ist, sollte bestens dokumentiert sein und müssen wir im einzelnen nicht mehr hier verhandeln.

Und ja, das muss man ehrlich zugeben, die Vorfreude auf das wichtigste Fußball-Event war schon mal eine Spur größer, sei es persönlich oder auch berichterstattungstechnisch – und gerade bei einer WM hat dies bekanntlich nichts damit zu tun, dass Österreich nicht qualifiziert ist, denn das ist man leider gewohnt, inzwischen muss man sich ohnehin schon im vierten Lebensjahrzehnt befinden, um sich halbwegs an ein WM-Spiel mit ÖFB-Beteiligung erinnern zu können.

Zwei Fragen, die sich stellen: Wie in der Gegenwart mit diesem Turnier umgehen? Und kann die Empörung rund um diese Weltmeisterschaft in Sachen Zukunft dieses Sports sogar helfen?

Aktuell hilft – sofern man sich nicht zum persönlichen Verzicht auf diese WM entschließt – wohl nur Augen zu und durch und sich den Sport so gut es geht nicht verderben zu lassen. Denn es sollte nicht verboten sein zu differenzieren.

Man muss dieses Turnier wirklich nicht mögen, kann sich aber dennoch mit den dort antretenden Spielern und ihren Emotionen freuen.

Für viele von ihnen geht ein Lebenstraum in Erfüllung, für manche ist es sogar Once-in-a-Lifetime. Spieler, die Kritik äußern wollen, sollten dies dringend und unbedingt tun. Ansonsten sollte man den Austragungsort nicht auf ihrem Rücken austragen.

Die meisten von ihnen waren Teenager, als sich die Entscheider der FIFA vor zwölf Jahren – möglicherweise mit ein paar Dollar-Zeichen in den Augen - etwas ganz Schlitzohriges einfallen ließen.

Diese Doppelvergabe der Weltmeisterschaften 2018 an Russland und 2022 an Katar im Dezember 2010 ist nicht nur im Nachhinein betrachtet absurder Irrsinn.

Bei allem Verständnis dafür, dass man sich neuen Märkten nicht verschließen muss: In Wahrheit wusste oder ahnte man das zumindest schon damals, wenngleich man sicher nicht prophezeien konnte, welch jenseitigen Weg der Herrscher des Veranstalters von 2018 einmal einschlagen würde.

Auch ohne diese beiden dubiosen Veranstalterländer oder eine völlig dem Zeitgeist widersprechende EURO 2020 muss man die Entwicklung des "modernen" Fußballs nicht mögen, das betrifft nicht nur die FIFA, sondern auch den Vereins-Fußball.

In den vergangenen drei Jahrzehnten hat sich das Fußball-Business irrsinnig entwickelt – in allererster Linie befeuert durch die Gründung von Champions League und Premier League Anfang der 90er.

Die damit einhergehende Professionalisierung brachte bestimmt auch viele Vorteile mit sich, vor allem in Sachen Qualität auf und neben dem Platz. Aber es möge niemand behaupten, dass das Unbehagen in den vergangenen Jahren nicht schrittweise größer wurde.

Gerade die Zehner-Jahre – also nach der Vergabe dieser beiden WMs – brachten eine zunehmende Verödung des sportlichen Wettbewerbs mit sich. Diverse Ligen litten und leiden unter Serienmeistern. Darüber, wie geil es ist, wenn bestenfalls eine Handvoll Klubs die Champions League gewinnen kann, muss man in meinen Augen nicht mal mehr streiten.

Und hey, es gibt sicher Leute, die zwielichtige und/oder desinteressierte Investoren samt ihrer nicht immer fußballfreundlichen Motive lässig finden.

Man fragt sich: Wann ist das Fass voll? Beziehungsweise wird es jemals wirklich voll sein? Und geht es dann auch verlässlich über?

Ich wünschte, darauf würde es eine einfache Antwort geben.

So nach dem Motto, ignorieren wir diese WM oder die Spiele von Scheich-Klub XY, und wenn dies genügend Leute machen, wird alles gut, weil die Einnahmen sinken und Geld die einzige Sprache ist, die die Giannis, Sepps und Nassers dieser Welt verstehen.

Das halte ich für einen eher naiven Gedanken, der spätestens daran scheitert, dass nicht genügend Leute mitmachen.

Es soll – auch in Europa – Länder geben, die sich mehr auf diese WM freuen als es etwa im deutschsprachigen Raum der Fall zu sein scheint. Dass selbst die übelsten Investoren-Vereine genügend Leute anlocken, damit sich das "Geschäftsmodell" rechnet, erleben wir im Alltag.

Und als ob es irgendeinen Investor oder seine Handlanger auch nur eine Sekunde lang kümmern würde, wenn sich die klare Minderheit nicht mehr anlocken lassen möchte.

Möglicherweise sehen sie sogar einen Vorteil darin, sich mit einem unkritischen Fan weniger auseinandersetzen zu müssen. Die Premier League hat bewiesen, dass es durchaus möglich ist, das Publikum "auszutauschen" – denn der Event-Besucher von heute hat nicht mehr zwingend mit dem Die-Hard-Fan von gestern zu tun, der sich die Eintrittspreise mitunter gar nicht mehr leisten kann.

Ich fürchte, dass auch der "Etappensieg" gegen die Installierung der Super League vorerst maximal eben das war, der Gewinn einer Etappe. Selbstverständlich werden die Reichsten der Reichen weiterhin versuchen, einen elitären Wettbewerb zu kreieren, der ihnen die Chance bietet, noch reicher zu werden.

Und trotzdem oder gerade deshalb ist es so wichtig, kritisch zu bleiben und sich als kritischer Geist vor allem nicht vom Fußball abzuwenden – auch nicht wegen einer Veranstaltung wie jener in Katar.

Ganz im Gegenteil: Diese – im wahrsten Sinne des Wortes - kritische Masse kann entscheidend sein.

"Etappensiege" wie jener gegen die Super League gelingen nur als kritische Masse.

Der Gegenwind, wie ihn die FIFA derzeit erfährt, erhöht wenigstens die Wahrscheinlichkeit, dass Machenschaften wie rund um dieses Turnier zumindest eingedämmt werden können – in diesem Sinne, ja, hilft diese Empörung, schulterzuckende Wurschtigkeit wäre fatal.

Diese kritische Masse, die den Fußball liebt, ist in Wahrheit die einzige Chance, die erbarmungslose Gelddruckmaschine Fußball doch noch irgendwie positiv zu beeinflussen und ihn nicht komplett an ausschließlich gewinnmaximierende Business-Haie und willenlose Kunden auszuliefern.

Die Ausgestaltung des "modernen" Fußballs könnte das bestimmende Thema der 20er-Jahre werden. Es schadet nicht, wenn selbige etwas intensiver diskutiert wird als in den vergangenen drei Jahrzehnten.

Für diesen "Kampf" muss besagte Masse jedoch nicht nur kritisch, sondern auch groß und relevant genug bleiben. In Wahrheit ist es der falsche Zeitpunkt, dem Fußball komplett den Rücken zuzuwenden.

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