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FIFA-Insider Fisa: "Reform wichtiger als Wahl"

Ex-Blatter-Berater Fisa über mögliche Verhaftungen und Infantinos Wahl-Chancen:

FIFA-Insider Fisa:

Er ist der Mann, der Sepp Blatter bei dessen Abgang die Tür aufgehalten hat.

Bernd Fisa kennt als ehemaliger Berater des Schweizer FIFA-Präsidenten die Szene der Spitzenfunktionäre bestens. Der Österreicher weiß, worauf es bei der Präsidentschafts-Wahl des Weltverbandes am kommenden Freitag ankommt. "Es zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Scheich Salman und Gianni Infantino ab", sagt der 46-Jährige. "Wenn es tatsächlich zu einem zweiten oder dritten Wahlgang kommt, könnten Prinz Ali, der bereits am 29. Mai gegen Sepp Blatter angetreten war, damals 73 Stimmen bekommen und danach aufgegeben hat, bzw. „seine Stimmen“ zum Zünglein an der Waage werden."

Fisa wird in der nächsten Woche selbst vor Ort sein, wenn beim FIFA-Kongress in Zürich diese richtungsweisende Entscheidung für den Fußball fallt.

Daneben engagiert sich der frühere Pressesprecher von Michael Schumacher bei Ferrari im Kampf gegen die derzeit unheilbare Nervenkrankheit ALS. Er hat die Autobiografie "Attacante nato" (Der geborene Stürmer) des an ALS verstorbenen italienischen Fußballprofis Stefano Borgonovo ins Deutsche übersetzt und setzt sich im Rahmen dessen für die "Borgonovo Stiftung", die Geld für die Erforschung der Krankheit sammelt, ein.

Bei LAOLA1 spricht Fisa über die bevorstehende FIFA-Wahl und erklärt, was Präsidentschafts-Kandidat Infantino mit Rapid zu tun hat: 

LAOLA1: Am 26. Februar steht die mit Spannung erwartete Wahl des neuen FIFA-Präsidenten an. Als ehemaliger Berater von Sepp Blatter hast du einen guten Einblick in die Welt des Weltverbandes. Wer wird die Abstimmung gewinnen?

Bernd Fisa: Das ist schwierig zu sagen. Wir biegen in die Zielgerade ein, aber noch ist noch nichts entschieden. Erinnere dich an die Situation im Herbst vergangenen Jahres. Da schien klar, dass Michel Platini FIFA-Präsident und Wolfgang Niersbach UEFA-Präsident wird. Und jetzt sieht die Situation auf einmal ganz anders aus. Es ist so viel Unvorhersehbares seit dem 27. Mai, dem Tag der ersten Verhaftungen, passiert. Wir wissen nicht, was die nächsten Tage passieren wird. Wird das FBI wieder aktiv? Wird der Kreis der Präsidentschaftskandidaten wenige Tage vor dem Kongress reduziert? Kann die Wahl überhaupt stattfinden? Erlässt die Berufungskommission vor dem Kongress womöglich einen positiven Bescheid in Sachen Blatter und Platini? All das sind Dinge, die es gilt, ins Kalkül zu ziehen. Warten wir also ab. In der Politik kann eine Woche sehr lang sein. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Das letzte Wort fällt erst am Freitag, am Wahltag, meines Erachtens zwischen den einzelnen Wahlgängen. Ich schließe nicht aus, dass wir erst sehr spät am Abend wissen werden, wer der neue FIFA-Präsident ist.

Blatter-Rücktritt: Fisa hält die Tür auf

LAOLA1: Wem gibst du persönlich die besten Chancen, wenn die Wahl plangemäß stattfindet?

Fisa: Die Wahl ist geheim. Es heißt nicht, dass alle Stimmenzusagen, die vorher in der Öffentlichkeit gemacht worden sind, am Wahltag eingehalten werden. Dennoch zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Scheich Salman und Gianni Infantino ab. Dahinter reiht sich Prinz Ali ein, der laut Buchmachern und Medien in etwa auf 30 Stimmen kommt. Jerome Champagne und Tokyo Sexwale werden keine Chancen eingeräumt. Ich gehe nicht davon aus, dass einer der beiden Frontrunner bereits im ersten Wahlgang eine absolute Mehrheit von 139 Stimmen zustande bringt. Wenn es tatsächlich zu einem zweiten oder dritten Wahlgang kommt, könnten Prinz Ali, der bereits am 29. Mai gegen Sepp Blatter angetreten war, damals 73 Stimmen bekommen und danach aufgegeben hat, bzw. „seine Stimmen“ zum Zünglein an der Waage werden.

LAOLA1: In den Medien wird Scheich Salman bin Ebrahim Al Khalifa als Top-Favorit genannt. Dem Mitglied der königlichen Familie Bahrains werden Menschenrechtsverletzungen bei prodemokratischen Protesten im Jahr 2011 vorgeworfen. Kann ein Mann aus einem autokratischen Herrschaftshaus überhaupt für mehr Transparenz beim Weltverband sorgen?

"Wenn alle Reformen beim Kongress durchgehen, ist die FIFA in einem Maß reguliert wie kein anderer vergleichbarer Sportverband."

Bernd Fisa

Fisa: Es scheint, als wäre Scheich Salman qualifiziert. Näheres dazu wäre bei Domenico Scala, dem Vorsitzenden der FIFA-Ad-hoc-Wahlkommission, zu erfragen. Die Wahlkommission, die eingerichtet wurde, um den Wahlprozess für das Amt des FIFA-Präsidenten zu überwachen, hat bei Bekanntgabe der Kandidaturen alle fünf Kandidaten auf Herz und Nieren geprüft hat. Wohin Scheich Salman die FIFA im Fall seiner Wahl führt, wird sich zeigen. Klar ist nur: so umkämpft die Wahl zum FIFA-Präsidenten auch sein mag, der wichtigere Tagesordnungspunkt am FIFA-Kongress ist die Genehmigung der Reformen. 62 Seiten umfassen die neuen Statuten der FIFA, welche die Reformen abbilden. Das Reformpaket benötigt eine Dreiviertelmehrheit unter den 209 Delegierten, also mindestens 157 Stimmen. Auch wenn das in der jetzigen Situation absurd klingt: wenn alle Reformen beim Kongress durchgehen, ist die FIFA in einem Maß reguliert wie kein anderer vergleichbarer Sportverband, wahrscheinlich sogar mehr als der ein oder andere Staat. Doch der Erfolg der Reform, und das ist das Wesentliche, hängt letztlich von einer Veränderung der Kultur auf allen Ebenen der Organisation ab, insbesondere bei den Meinungsführern, die mit gutem Beispiel vorangehen müssen. Und damit meine ich nicht nur die FIFA, sondern alle 209 Mitgliederverbände der FIFA. Die Reform muss die einzelnen nationalen und regionalen Verbände erreichen und in der täglichen Arbeit auf allen Ebenen gelebt werden. Klar ist: Der Wandel kommt nicht über Nacht. Es wird Zeit brauchen.

LAOLA1: Der ÖFB und die meisten anderen europäischen Verbände unterstützen UEFA-Generalsekretär Gianni Infantino. Er gilt nach der Suspendierung Platinis als Plan B der UEFA. Würdest du dem Schweizer Glatzkopf zutrauen, die FIFA wieder auf Kurs zu bringen?

Infantino half Rapid beim Wittl-Transfer

Fisa: Ich kenne Gianni Infantino seit 1999. Damals hat er mitgeholfen, den dreifachen ghanaischen Teamspieler Charles Wittl von Xamax Neuchatel zu Rapid Wien zu transferieren. Als Wittl der Öffentlichkeit vorgestellt worden ist, haben wir uns in Wien kennengelernt. Gianni hat einen beeindruckenden Lebenslauf. Er kommt, wie übrigens auch Sepp Blatter, aus dem Wallis. Er ist gelernter Jurist. Die letzten 15 Jahre hat er bei der UEFA verbracht, sieben davon als Generalsekretär. Am nächsten Freitag steht sehr viel auf dem Spiel. Das weiß nicht nur Gianni, das wissen alle fünf Kandidaten.

LAOLA1: Denkst du, würde sich Infantino als FIFA-Boss dafür einsetzen, dass die Suspendierung seines Freundes Platinis aufgehoben wird?

Fisa: Das hängt nicht vom zukünftigen FIFA-Präsidenten ab. Diesen Entscheid fällt die FIFA-Berufungskommission. Sollte der Bescheid abermals negativ sein, hätte Michel Platini noch die Möglichkeit, Einspruch einzulegen und vor den CAS, das Sportgericht in Lausanne, zu gehen.

LAOLA1: Zuletzt wurde auch immer wieder ein Kompromiss-Vorschlag laut. Demnach soll Scheich Salman neuer Präsident werden, während Infantino als Generalsekretär an der Spitze der Verwaltung stehen könnte. Ein Machtausgleich sozusagen. Würde dir eine solche Lösung gefallen?

Fisa: Ich wäre sehr vorsichtig mit derlei Prognosen. Wenn man sich die Geschichte der FIFA-Wahlkämpfe anschaut, ist es immer wieder zu Überraschungen gekommen. Nimm nur das Beispiel 1998. Im Vorfeld der Wahl sagten vier der sechs Konföderationen, dass sie dem damaligen UEFA-Präsidenten Lennart Johansson einstimmig unterstützen würden. Das wären in etwa 150 gewesen. Am Ende hat er 80 Stimmen erhalten und Sepp Blatter hat gewonnen. Die Wahl ist geheim und es ist noch zu früh, über ungelegte Eier zu reden.

"Unter internationalen Medienvertretern hält sich hartnäckig das Gerücht, wonach es nächste Woche wieder zu Verhaftungen kommen könnte."

Bernd Fisa

LAOLA1: Welche Aufgaben muss der neue Präsident, wer auch immer gewählt wird, als erstes angehen?

Fisa: In der Außendarstellung scheint es nur um Macht und Politik zu gehen. In Wahrheit geht es aber vor allem um die inhaltliche Neuausrichtung der FIFA. Es braucht eine vertiefte Debatte um die Zukunft des Fußballs. Es geht um die neue Weltordnung im Fußball im globalisierten 21. Jahrhundert. Und da gibt es ganz viele wesentliche Fragen, die der neue FIFA-Präsident zu beantworten hat. Die Intensivierung des Kampfes gegen die bestehenden Ungleichheiten im Fußball ist nur eine zum Beispiel. Die Stärkung der Vertrauensbasis und die Wiederherstellung der Führungsrolle der FIFA ist eine andere. Der Fußball hat in den vergangenen vierzig Jahren eine gewaltige Entwicklung durchlebt. Er ist weltweit die Sportart Nummer 1. Mit 26 Milliarden kumulierten Fernsehzusehern ist die mediale Präsenz der Fußball-WM fünfmal grösser als die der Olympischen Spiele. Wenngleich die FIFA 2015 erstmals nach fünfzehn Jahren einen Verlust von rund 100 Millionen Franken schreibt, so bleibt der zu verteilende Kuchen gross. Und in Zukunft – so der Reformprozess einmal gegriffen hat – wird er noch weiter wachsen. Freilich wollen alle am Kuchen mitnaschen. Allein: die Entscheidungen müssen wieder auf dem Spielfeld und nicht außerhalb des Spielfelds fallen. Ich würde mir wünschen, dass es dem neuen FIFA-Präsidenten gelingt, das Ansehen des Weltfußballverbandes zu verbessern, in demokratischen und transparenten Bahnen eine starke Führung des Fußballs weltweit aufzubauen, um bestmögliche Rahmenbedingungen für das Spiel, den Fußball eben, zu schaffen.

LAOLA1: Kannst du dir vorstellen, dass es - wie beim letzten FIFA-Kongress - erneut zu polizeilichen Aktionen des FBI kommt?

Fisa: Ich weiß es nicht. Grundsätzlich kann man seit dem 27. Mai, jenem Tag, an dem die ersten Funktionäre im Morgengrauen aus dem Züricher Hotel Baur au Lac abgeführt worden sind, gar nichts mehr ausschließen. Unter internationalen Medienvertretern hält sich hartnäckig das Gerücht, wonach es nächste Woche wieder zu Verhaftungen kommen könnte, zumal die Kongresswoche eine ideale Plattform bietet, um derlei Aktionen weltweit medial zu inszenieren.

Das Interview führte Jakob Faber

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