Das Zauberwort im modernen Fußball heißt bekanntlich Flexibilität - sei es vom System her oder die Positionen der Spieler betreffend.
In der Endphase der Saison in der deutschen Bundesliga durfte auch Julian Baumgartlinger seine Vielseitigkeit unter Beweis stellen. Über viele Jahre lang auf eine Rolle im zentralen Mittelfeld abonniert, lief er beim 0:0 von Bayer Leverkusen bei Werder Bremen als Innenverteidiger auf.
"Es war witzigerweise ein langsamer Wechsel, denn zuerst habe ich in der Dreierkette in der Mitte gespielt, was ein bisschen anders ist als dann wirklich halblinker Innenverteidiger in einer Viererkette. Das war interessant und sogar ein bisschen spannend für mich, weil ich diese Position wirklich noch nie gespielt habe. Ich war schon Linksverteidiger, Rechtsverteidiger, im Mittelfeld fast alle Positionen, aber Innenverteidiger habe ich bis jetzt ausgespart", erläutert Baumgartlinger.
Der neuen Erfahrung kann er viel Positives abgewinnen: "Es hat gut funktioniert. Es war vom Taktischen her eher mental ein bisschen anstrengender und in der Vorbereitung intensiver. Aber selbst diese Erfahrung gemacht zu haben, war gut."
Baumgartlingers Positions-Präferenz ist eindeutig
Die Variante, Baumgartlinger in eine Dreierkette reinrücken zu lassen, ließ Teamchef Franco Foda zuletzt im LAOLA1-Interview auch als Option für das Nationalteam anklingen.
Für den ÖFB-Kapitän ist es auch denkbar, öfters zwischen Mittelfeld und Abwehrzentrale zu switchen, wobei seine Positions-Präferenz dennoch eindeutig ist: "Ich kann mir beides vorstellen, auch dass es gut funktionieren kann, aber ich selbst sehe mich definitiv mehr auf der Sechs oder im zentralen Mittelfeld."
Schmunzelnde Begründung des 30-Jährigen: "Vielleicht momentan auch noch altersbedingt, weil ich es noch leisten kann. Im Zentrum sind es doch noch mal andere Belastungen als hinten, was jetzt nicht heißen soll, dass hinten nichts zum Laufen ist, aber es ist anders. Es ist mehr eine mentale Belastung."
Ob Baumgartlinger auch im ÖFB-Dress den einen oder anderen Ausflug weg von seiner über Jahre gewohnten Position machen darf oder muss, wird sich weisen, vielleicht schon in den anstehenden Tests gegen Russland, Deutschland und Brasilien.
Ein Balanceakt
In den ersten drei Spielen seiner Amtszeit experimentierte Foda relativ viel bezüglich System und Personal. Die Frage ist, wie intensiv er dies auch in den kommenden drei Partien tun wird. Eine andere Herangehensweise wäre es, mit einer möglichst eingespielten Elf mit guten Ergebnissen gegen namhafte Gegner ein Statement zu setzen und Selbstvertrauen für die Nations League zu tanken.
"Dieses Statement würde uns in diesem Fall nichts bringen, denn wenn wir drei Mal mit derselben Formation gewinnen und dann brechen im Herbst aus Verletzungsgründen drei Spieler weg, haben wir keine Variabilität mehr. Der Trainer hat in den bisherigen Spielen bewiesen, dass er einerseits zwischen verschiedenen Systemen switcht, aber andererseits auch das Personal tauschen kann. Das sollten wir weiter beibehalten. Das ist ein wenig ein Balanceakt zwischen Flexibilität, aber dann auch beständigen Teilen, die immer wieder da sind", meint Baumgartlinger.
Und genau dieser Balanceakt ist es, auf den es in diesem Lehrgang in personeller Hinsicht wohl ankommt.
Der gebürtiger Salzburger betont, ein Freund der Herangehensweise zu sein, jedem Kadermitglied zu vertrauen. Auf der anderen Seite gelte jedoch auch: "Natürlich sind ein gewisses Korsett und eine gewisse Achse wichtig, das ist klar. Aber ich denke schon, dass es möglich ist, das eine oder andere auszuprobieren - natürlich gegen solche Gegner mit einer geringeren Fehlertoleranz, das darf man auch nicht vergessen."
Wie viel Stamm? Wie viel Konkurrenzkampf?
Baumgartlinger gehört besagter Achse als Kapitän und Leistungsträger fraglos an, seine Erfahrung von inzwischen 61 Länderspielen lässt sich auch nicht wegdiskutieren. Foda nannte als Ziel, dass dieses Korsett an Stammspielern sechs, sieben Akteure umfassen sollte.
"Wer sind die Spieler, die die meisten Spiele gemacht haben? Wer sind die Spieler, die von der Erfahrung her wichtig sind? Welche Spieler passen ins System? Welches System passt auf den Gegner? Aber ich würde schon meinen, bei mindestens der halben Mannschaft sollte man schon sagen können: Die kennen sich auf dem Platz."
Sein Spielführer tut sich zum jetzigen Zeitpunkt schwerer, dies zu beziffern. Letztlich würde sich dies bis zum Beginn der Nations League herauskristallisieren: "Dann wissen wir: Wer sind die Spieler, die die meisten Spiele gemacht haben? Wer sind die Spieler, die von der Erfahrung her wichtig sind? Welche Spieler passen ins System? Welches System passt auf den Gegner? Aber ich würde schon meinen, bei mindestens der halben Mannschaft sollte man schon sagen können: Die kennen sich auf dem Platz."
Ein Erfolgsrezept unter Marcel Koller war lange Zeit die beinahe schon bedingungslose Eingespieltheit. Dies hatte zweifelsohne viele Vorteile, die sich vor allem in der EM-Qualifikation bezahlt gemacht haben. Die Nachteile waren, dass man mit der Zeit ausrechenbarer wurde und die Spieler aus der zweiten Reihe nicht wirklich ihre Chance witterten.
Foda möchte nicht nur vom System her flexibler sein, sondern die freien Tickets für die Startelf abseits des gesuchten Gerüsts mehr nach Form, Taktik und auf den Gegner angepasstes Spielsystem verteilen. Dies ergibt natürlich auch mehr Konkurrenzkampf - mit allen Vor- und Nachteilen. Womit wir wieder beim Thema Balanceakt wären.
Elementar wichtige Gradmesser
"Ich habe auch schon Mannschaften erlebt, die mehr oder weniger eine ganze Saison lang mit kaum einen Wechsel in der Startformation erfolgreich waren. Dann gibt es Mannschaften, die rotieren jede Woche auf fünf Positionen. Bei einer Nationalmannschaft bin ich aber schon der Meinung, dass ein größeres Korsett wichtig ist, weil man sich nicht so oft sieht und man nicht so oft die Möglichkeit hat, gemeinsam zu trainieren. Da braucht es eine größere Achse, die sich kennt und aufeinander verlassen kann. Denn auf diesem Topniveau ist der Raum für Missverständnisse sehr, sehr gering, das geht gegen null. Gerade wenn es um etwas geht, kann man nicht sagen: 'Schade, wir haben uns nicht so gut gekannt, ich habe nicht gewusst, wie er vorne läuft, deswegen hat es nicht funktioniert.' Aber: Auch Konkurrenzkampf ist immer gut - um wie viele Plätze es schlussendlich geht, wird man sehen", verdeutlicht Baumgartlinger.
Die Entwicklung eines Nationalteams auf allen Ebenen, sei es personell, vom System her oder taktisch, ist ein Thema, über das sich herrlich philosophieren lässt. Letztlich sind jedoch Ergebnisse zwar nicht die einzige, aber doch die härteste Währung. Diesbezüglich in diesem Lehrgang zu bestehen, wird für die ÖFB-Elf fraglos anspruchsvoller als zuletzt im März gegen Slowenien und Luxemburg.
Gradmesser auf höchstem Niveau hält Baumgartlinger dennoch für "elementar wichtig für unsere Entwicklung. Wir haben jetzt Aufgaben vor der Brust, die uns auch in Pflichtspielen erwarten können - Gegner, die qualitativ eventuell höher anzusiedeln sind, die selbst gern dominant Fußball spielen, die vom Tempo her ans absolute Limit gehen. Gegen diese Mannschaften zu überprüfen, ob wir es schaffen, auch den eigenen Ballbesitz zu etablieren, auch einmal dominant das eigene Spiel aufzubauen, wird spannend zu beobachten. Denn ich denke, wir werden in diesen drei Spielen nicht unseren Weg verlassen und uns nur hinten reinstellen. Genau das wollen wir testen und dafür sind diese Gegner super."
Deutschland als Vorbild in Sachen Nationalteam-Herangehensweise
Speziell Deutschland - und zwar nicht nur, weil der Routinier den überwiegenden Teil seiner Karriere im Nachbarland verbracht hat oder Duelle aufgrund der Rivalität stets etwas Besonderes sind, sondern weil das DFB-Team als Vorbild für die richtige Herangehensweise auf Nationalteam-Ebene sei:
"Deutschland hat für mich in den letzten Jahren idealisiert, was Nationalmannschaften machen müssen. Selbst wenn ein Umbruch kommt und nach einer gewonnenen Weltmeisterschaft fünf oder sechs Leute zurücktreten, schaffen sie es, trotzdem dominant zu bleiben und das Niveau zu halten."
"Deutschland hat für mich in den letzten Jahren idealisiert, was Nationalmannschaften machen müssen. Selbst wenn ein Umbruch kommt und nach einer gewonnenen Weltmeisterschaft fünf oder sechs Leute zurücktreten, schaffen sie es, trotzdem dominant zu bleiben und das Niveau zu halten, und das auch mit Spielern die nicht zwingend bei Bayern, Dortmund oder Real Madrid spielen. Das kann ein Vorbild sein, auch ihr Selbstvertrauen. Dieses Selbstverständnis immer wieder aufs Spielfeld zu bringen, ist schon imposant."
Das österreichische Ntionalteam bewegt sich natürlich auf einem anderen Niveau, aber auch im ÖFB-Team gilt es derzeit einen kleinen Umbruch zu bewältigen, nachdem einige langjährige Kadermitglieder nicht mehr mit an Bord sind.
Nach der WM muss ein sichtbarer Schritt her
Von Parallelen will Baumgartlinger nicht sprechen, aber alleine schon durch den Teamchef habe man quasi deutschen Einfluss: "Franco Foda hat seinen Ursprung in Deutschland und in dieser Zeit viel gelernt, Inputs in diese Richtung bekommen. Man merkt in der Trainingsarbeit oder auch in der taktischen Arbeit, dass wir uns ein bisschen in diese Richtung orientieren, wobei sich der Fußball allgemein gerade in diese Richtung bewegt: Wir wollen alle taktisch flexibel spielen, wir wollen alle nicht greifbar sein, wir wollen alle dem Gegner einen Schritt voraus sein und im Optimalfall auch noch Ballbesitz haben. Das können nicht viele, aber man kann schon schauen, dass man da hinkommt."
Entwicklungspotenzial und Luft nach oben gibt es beim Nationalteam definitiv noch genügend. Mangels Qualifikation für die WM befindet sich Österreich noch in der Freundschaftsspiel-Phase, doch spätestens im Herbst fordert Baumgartlinger einen sichtbaren Fortschritt in Pflichtspielen ein:
"Nach der WM müssen wir unseren nächsten Schritt machen. In der WM-Quali hat es nicht ganz so funktioniert, aber aus diesen Misserfolgen müssen wir lernen und den nächsten Step finden. Der Trainer wurde gewechselt, der Kader erneuert, jetzt gilt es, dass man auf dem Platz sieht, dass wir aus diesen Dingen gelernt haben und stärker sind. Stärker heißt, dass wir auch Spiele gewinnen, die wir zuletzt nicht gewonnen haben oder bei einem Turnier etwas erreichen."