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Draxler als Zankapfel wider Willen

Julian Draxler ist ein netter, junger Mann. Und die Fans zweier Teams hassen ihn.

Draxler als Zankapfel wider Willen

Nach Julian Draxlers Ausbootung beim VfL Wolfsburg scheint sich die Geschichte des 23-Jährigen Jungstars zu wiederholen.

Schon im Sommer 2015 wurde er bei seinem damaligen Klub Schalke 04 unglücklich und setzte einen Transfer durch, der ihn schlussendlich zu den Niedersachsen führte. Dort wollte er bereits im vergangenen Sommer wieder weg, der VfL verwehrte ihm das in Person des mittlerweile entlassenen Klaus Allofs.

LAOLA1 erinnert an die ganze Geschichte des einstigen Wunderkinds:



Julian Draxlers Leben lässt sich an einer Geschichtestunde im Mai 2012 festmachen. Wenn normale 18-Jährige Angst vor der nächsten Frage nach Napoleon haben, verpasste der damalige Schalke-Profi einen Anruf von Jogi Löw. In der nächsten Pause hörte Draxler seine Mailbox ab. Der Bundestrainer: „Du stehst im erweiterten EM-Kader“.

Im endgültigen Kader war kein Platz, dennoch war es ein weiterer Gipfel in einer scheinbar endlosen Erfolgsgeschichte. Mit 17 Jahren und 117 Tagen war Draxler am 15. Januar 2011 der viertjüngste Bundesliga-Debütant aller Zeiten, zwei Wochen später schoss er Schalke in der 119. Minute des Pokal-Viertelfinales gegen Nürnberg zum Sieg.

Fünf Tage nach seinem 19. Geburtstag absolvierte der auf Schalke zum Fanliebling aufgestiegene Jungstar sein 50. Bundesliga-Spiel, diese Marke hatte niemand jünger erreicht. Draxler mauserte sich zum Stammgast im DFB-Kader, kam sogar bei der WM 2014 zum Einsatz. Stets begleitete den Offensivspieler der Ruf des braven jungen Mannes. Besonnen, freundlich, korrekt – trotz seines plötzlichen Aufstiegs.

Der Druck steigt

Die große Hoffnung Schalkes zu sein ist kein leichter Job: Wer im Pott geliebt wird, muss auch liefern. Draxler kamen Verletzungen und allgemeiner königsblauer Misserfolg in die Quere, auch das größte Talent der „Knappenschmiede“ seit Mesut Özil konnte die Schalker Erfolgsansprüche nicht im Alleingang erfüllen.

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Dennoch: Draxler wurde immer besser. Und schlussendlich zu gut für diese vermaledeite Schalker Wirklichkeit, die auch ihren Fans nicht genügte. Die Königsblauen verpassten in der Bundesliga-Saison 2014/2015 die CL-Qualiplätze, die ohnehin jahrelang schwelenden Transfergerüchte wurden lauter und lauter. Draxlers Wechselwunsch war ein offenes Geheimnis. Am 31. August 2015 war es schließlich soweit, nach 14 Jahren bei Schalke unterschrieb Draxler beim VfL Wolfsburg.

Der Schalker Druckkochtopf war Draxler zu intensiv geworden. „Selbst nach sechs Monaten Verletzungspause spürte ich, dass ich Spiele fast im Alleingang entscheiden sollte. Da habe ich gemerkt, dass es an der Zeit ist, andere Wege zu gehen“, sagte er dem „Kicker“. Er hätte es nicht mehr geschafft, dem Druck und der Erwartungshaltung standzuhalten.

Bei den Fans kam der Schritt vom Traditionsklub zum VW-Klub schlecht an. 2013 hatte Schalke die Vertragsverlängerung ihrer Identifikationsfigur noch ausgelassen gefeiert, acht Kleinlaster mit übergroßen Draxler-Plakaten kurvten durch Gelsenkirchen, das Sujet: „Mit Stolz und Leidenschaft bis 2018“.

Aus 2018 wurde 2015. Draxler entschied sich für Champions League und gegen Europa League. Für Dieter Hecking und gegen das Schalker Trainerkarussell, für Wölfi-Kurve und gegen S04-Fangesänge. Genau diese hatte sich der Junge aus dem Ruhrpott damit zum Feind gemacht, einfach indem er seinen Weg ging.

Erfolg bei Wolfsburg

Sei's drum. Bei seinem neuen Klub wirkte Draxler befreit und brillierte auf der großen Bühne. Mit drei Toren schoss er Wolfsburg bis ins Champions-League-Viertelfinale, wo die Niedersachsen beinahe den späteren Titelträger Real Madrid zu Fall brachten.

Es wäre „alles top“ gewesen, sagte Draxler im Mai auf seine Debütsaison zurückblickend – trotz Heimweh, trotz einer „harten Zeit“ zu Beginn. Das sind klassische Julian-Draxler-Wortmeldungen. Etwas Inhalt, aber bloß nicht zu viel, nicht angriffig, aber zu kantig, um wirklich aalglatt zu sein.

Aus „alles top“ wurde im Sommer 2016 die Neuauflage von 2015. Nach dem VW-Skandal gab es Einsparungen beim Werksklub, unter anderem wechselten André Schürrle, Max Kruse und Naldo, gleichzeitig war Draxler bei der EM positiv aufgefallen. Internationale Topvereine wie Arsenal oder Juventus Turin hatten ihn ohnehin schon seit Jahren auf dem Zettel. Die Türen waren offen, die Nummer zehn hörte wieder den Ruf der Champions League. Der VfL ließ seinen letzten verbliebenen Star jedoch nicht von der Leine.

Wechselwunsch abgelehnt

„Bei mir ist es so, dass ich mich nach der EM gegenüber Trainer Dieter Hecking klar geäußert habe, dass ich den VfL Wolfsburg verlassen möchte“, sagte ein angesäuerter Draxler der „Bild“ Anfang August. Die Verantwortlichen hätten ihm im Vorsommer zugesichert, bei einem passenden Abnehmer wechseln zu dürfen. VfL-Sportdirektor Klaus Allofs blieb hart und beharrte auf dem Vertrag bis 2020.

Also diesmal kein Wechsel, Draxler spulte brav seine Kilometer im VW-Dress ab – bis ihn Neo-Trainer Valerien Ismael beim 2:3 gegen die Hertha nach schwachen Leistungen auf die Bank verbannte und ihn die Fans bei seiner Einwechslung auspfiffen. Und da war er wieder, der Wechselwunsch. Als Konsequenz strich Ismael seinen Jungstar vor der 0:5-Niederlage gegen die Bayern aus dem Kader.

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Der kalte Krieg eskaliert, schadet allen Beteiligten. Und lädt zu Diskussionen ein: Darf Draxler das? Der nette, junge Mann, der seine Lieblingsmusik nur hört, wenn seine Freundin nicht in der Nähe ist, da sie keinen Hip-Hop mag? Der 23-Jährige, dessen Facebook-Auftritt kaum durchschnittlicher für einen Fußballprofi sein könnte: Trainingsfotos, ein UNICEF-Besuch, Danksagungen an die Fans, „Forca Chape“?

In seiner Zeit als streichelweiches Wunderkind war es schwer, Kontroversen um Draxler aufzubauen. Da ging es um Kleinigkeiten. Lokalmedien beklagten sich darüber, dass sein Geburtsort Gladbeck in einem dreiseitigen Porträt des „Spiegel“ nicht vorkam. Heile Welt. Nun führt die deutsche Fußballöffentlichkeit anhand seiner Person metaphysische Debatten über Ideen wie Loyalität und Individualität.

Und Draxler? Bleibt Draxler. Sagt kühl und unaufgeregt, was er sich denkt, wie immer in der Kondensversion, möglichst ohne Angriffsfläche – aber was gesagt werden muss, sagt er. So nach den Fan-Pfiffen gegen die Hertha: „Was das mit einem Menschen macht, brauche ich niemandem zu erzählen.“ Und so wird er sich wohl zum zum zweiten Mal in Folge im Streit von einem Verein verabschieden, ein Wechsel im Winter scheint unvermeidbar.

Auch Allofs schien nach der Ausbootung gegen die Bayern diskussionsbereit. Der Sportdirektor hätte seine "grundsätzliche Haltung" geändert. Der Klub habe damit "keine guten Erfahrungen gemacht", ein Preisschild wolle er Draxler nun aber nicht anhängen - die 2015 an Schalke bezahlten 36 Millionen Euro seien jedenfalls zu wenig. Da wusste Allofs offenbar noch nicht, dass der Klub ihn zwei Tage später selbst verabschieden würde. Ganz ohne Ablöse.

Qualität ist Qualität

Die Entlassung des Sportdirektors wird das Problem Draxler aber nicht lösen, ein Transfer bleibt wahrscheinlich. Die Abnehmer werden wieder Schlange stehen. Es gibt nicht viele derart dribbelstarke 23-Jährige auf der Welt, die das Auge für den Mitspieler haben und in großen Spielen über sich hinauswachsen. Zu Schalke-Zeiten waren Derbys oft Draxlers beste Spiele. Da übernahm er schon in jungen Jahren Verantwortung, ging an der Mittellinie selbstbewusst in die Zweikämpfe, auch so wurde er zum Liebkind der Fans.

Im Dress der Wölfe zeigte er vor allem in der Königsklasse seine Qualität. Seine Leistung soll sogar bei Real bleibenden Eindruck hinterlassen haben.

Wie bleibend, könnte man schon kommenden Winter sehen.


Martin Schauhuber

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