news

Schmid: "Vertrauen der Spieler ist zerbrechlich"

Wie nahe kann man als Cheftrainer seinen Spielern sein? Der Austria-Trainer im Interview:

Schmid: Foto: © GEPA

Sein Ruf hat hat sich gewandelt. Als Co-Trainer unter Peter Stöger genoss Manfred Schmid den Ruf, ein "Taktikfuchs" zu sein. Inzwischen wird er eher in der Kategorie "Menschenfänger" verortet.

Der 51-Jährige ist in seiner zweiten Saison als Cheftrainer des FK Austria Wien. Trotz seiner exponierteren Position ist es ihm gelungen, seinen Spielern weiterhin sehr nahe zu sein. Doch wie nahe kann man als Chefcoach einem Kicker überhaupt sein? "Es gibt Grenzen für mich", sagt er im LAOLA1-Interview.

Er ist sich sicher: "Viele Probleme entstehen, weil man nicht miteinander redet. Spieler können mit der Wahrheit umgehen."

Im Interview spricht der Wiener über die Defensivprobleme seines Teams, sein altes Wunschkennzeichen, seine Probleme, Dinge loszulassen, und das Naheverhältnis zu seinen Schützlingen.

LAOLA1: Auf Ihr Team warten in 67 Tagen 16 Spiele. Und die Teamspieler bestreiten eventuell zwei weitere Matches in diesem Zeitraum.

Manfred Schmid: Ich kann mich nicht erinnern, dass es jemals so einen Herbst gegeben hat. Aber es ist etwas Schönes, auf uns warten internationale Top-Spiele. Das ist Belohnung, nicht Belastung!

LAOLA1: Was kann man als Trainer in diesem Zeitraum mit der Mannschaft arbeiten, wenn jeden vierten Tag gespielt wird?

Schmid: Wir müssen die Trainings-Intensität brutal zurückfahren. Wichtig ist eine gute Planung. Wann wollen wir trainieren? Bleiben wir einen Tag länger, um auszuschlafen und im Hotel zu regenerieren? Fliegen wir direkt zum nächsten Gegner? Wir werden unsere Familien nicht viel sehen, aber in diesen zwei Monaten muss jeder zurückstecken. Es geht nur so, wenn man Erfolg haben will.

"Ich bin sehr unruhig und nervös, wenn ich nicht vorbereitet bin."

LAOLA1: Sind Sie grundsätzlich ein organisierter Mensch?

Schmid: Ich bin sehr unruhig und nervös, wenn ich nicht vorbereitet bin. Ich will auf alles vorbereitet sein. Es ist wichtig, in Situationen reinzukommen, in denen die Spieler merken: Der weiß, wovon er spricht! Ich will auch alles wissen, alles läuft über mich, ich will dabei sein, die Richtung vorgeben – Videoanalyse, etc. Aber natürlich gebe ich meinen Trainer-Kollegen auch Verantwortung ab.

LAOLA1: Villarreal war in der Vorsaison im Halbfinale der Champions League, Lech Posen ist polnischer Meister, Hapoel Be'er Sheva israelischer Vizemeister. Das ist doch keine Conference-League-Gruppe…

Schmid: Peter Stöger hat gesagt: Eigentlich eine beschissene Aufgabe (lacht). Fakt ist, das  sind alles richtig schwere Gegner, das sind tolle Herausforderungen, wir sind mit Sicherheit Außenseiter. Der zweite Platz wäre ohne Frage ein Riesenerfolg. Aber es geht aber auch darum, wie wir auftreten – mutig und versuchen, unser Spiel durchzuziehen und alles reinzuwerfen.

LAOLA1: Vier Siege, drei Unentschieden, vier Niederlagen – wie würden Sie den Saisonstart mit einem Wort beschreiben?

Schmid: Okay. Wenn wir das Spiel am Wochenende gewonnen hätten, wäre es ein guter Start gewesen.

LAOLA1: Wenn man in elf Spielen 25 Tore macht, gewinnt man normalerweise mehr als vier Partien. Das Problem ist also die Defensive.

Schmid: Ganz klar. Das war letztes Jahr unser Prunkstück. Offensiv haben wir sehr gut gearbeitet, aber wir machen es dem Gegner zu leicht, das müssen wir schleunigst abstellen.

LAOLA1: Haben Sie das kommen gesehen?

Schmid: Die Gegner kennen unsere Problemzonen. Wir haben keinen Linksverteidiger, warten auf Baltaxa und El Sheiwi. Martins, den wir umfunktioniert haben, hat das überragend gemacht. Aber generell beginnt die Defensive nicht in der Abwehr, wir verteidigen als Team nicht so kompakt wie in der Vorsaison.

LAOLA1: Sie sprechen praktisch in jeder Spielanalyse von "dummen" oder "unnötigen" Gegentoren.

Schmid: Das nervt brutal. Uns fehlt aber auch das Glück, jeder Angriff des Gegners ist ein Tor.

Foto: © GEPA

LAOLA1: Ist das Team noch in einer Findungsphase?

Schmid: Ja klar, alles andere wäre ja auch nicht realistisch, wenn man noch dazu bedenkt, dass wir immer weiterhin Verletzte haben. Wir haben acht Spieler abgegeben, neun Spieler geholt. Mit Suttner, Grünwald und Djuricin waren absolute Führungsspieler darunter. Im zentralen Mittelfeld haben wir Martel und Demaku verloren, mit Holland aber nur einen dazubekommen, Wustinger hat sich dann leider verletzt. Der Kader ist eigentlich nicht größer geworden. Wir haben praktisch einen Neubeginn gemacht.

LAOLA1: Wie weit hat sich schon eine neue Hierarchie herausgebildet?

Schmid: Wir sind auf einem richtig guten Weg. Mühl ist ein absoluter Führungsspieler, Fischer übernimmt auf und neben dem Platz immer Verantwortung, Braunöder ist schon relativ weit, Ranftl ist menschlich top, bringt sich immer mehr ein. Auch sonst haben wir gute Typen in der Truppe.

LAOLA1: Wird dieses Hierarchie-Thema heutzutage überwertet? Vor 20, 30 Jahren war das ja alles noch ganz anders.

Schmid: Zu meiner Zeit als Spieler warst du mit allen per Sie, als du zum ersten Mal in die Kabine gekommen bist. Die Hierarchien sind flacher geworden, trotzdem brauchst du als Trainer Führungsspieler, die Aufgaben in der Kabine übernehmen. Es gibt Dinge, die ich nicht regeln kann. Da brauche ich Führungsspieler, die das übernehmen. Die Kabine ist der Platz für die Mannschaft, deshalb habe ich auch alle anderen Leute aus der Kabine entfernt.

LAOLA1: War das davor anders?

Schmid: Es haben sich immer sehr, sehr viele Leute in der Kabine bewegt. Es darf nicht zugehen wie in einem Einkaufszentrum. Das ist der Raum der Mannschaft, da hat sonst keiner etwas verloren. Vor allem vor dem Spiel sollen sich die Spieler fokussieren, da braucht es keine Ablenkung.

"Mir haben Herbert Prohaska und Andy Ogris mitgegeben, was es bedeutet, Austrianer zu sein."

LAOLA1: Was bedeutet Ihnen die Austria?

Schmid: Als ich als kleiner Junge mit meinem Vater hinter dem Tor gestanden bin, war es mein Ziel, irgendwann mal für Austria Wien zu spielen. Egal, was passiert, das wird immer mein Verein bleiben. Mir haben Herbert Prohaska und Andy Ogris mitgegeben, was es bedeutet, Austrianer zu sein. Es bedeutet mir sehr viel, Trainer dieses Vereins zu sein. Ich lebe gerade meinen Traum. Es ist nicht immer einfach, aber mir geben die Fans sehr viel zurück.

LAOLA1: Es dürften jetzt 28 Jahre sein, die Sie bei diesem Verein gespielt und gearbeitet haben.

Schmid: Ich hoffe, es kommen noch viele dazu.

LAOLA1: Sie hatten früher ein Wunschkennzeichen: "FAK 5".

Schmid: Ich habe es inzwischen abgemeldet, aber es liegt im Keller, ich habe es aufbewahrt.

LAOLA1: Wie vermittelt man einem Billy Koumetio, was es bedeutet, für Austria Wien zu spielen? Der kommt vom FC Liverpool, das ist nochmal eine andere Hausnummer.

Schmid: Nach außen hin erscheint das schwierig, ist es aber nicht. Er ist ein total bodenständiger Junge. Die Erwartungshaltung ist für ihn schwierig – er kommt von Liverpool, ist ein Riesen-Mann, in ihm steckt aber noch ein Kind. Er tickt wie alle anderen, hat einen super Charakter.

LAOLA1: Wofür steht die Austria unter Ihnen?

Schmid: Für technisch guten Fußball, Leidenschaft, Begeisterung und Emotionen auf dem Platz. Ich will Spieler mit Charakter sehen.

Foto: © GEPA

LAOLA1: Anhand welcher Kennzahlen messen Sie, ob die Leistung der Mannschaft gut war? Abgesehen von Toren natürlich.

Schmid: In erster Linie mal mit meinen eigenen Augen, mit meiner subjektiven Wahrnehmung. Dann schauen wir uns Daten an, aber ich bin kein hundertprozentiger Daten-Fan. Man muss sich Daten im Kontext anschauen. Nehmen wir das Beispiel "gelaufene Distanz" her: Wenn der Verteidiger dauernd auf die andere Seite einwerfen geht und Eckbälle tritt, hat der gleich mal zwei, drei Kilometer mehr zurückgelegt. Aber klar, schauen wir uns Sprintwerte und Höchsttempo genau an. Mir ist aber auch die Video-Analyse wichtig. Haben wir umgesetzt, was wir uns vorgenommen haben?

LAOLA1: Als Co-Trainer von Peter Stöger hatten Sie den Ruf, ein Taktikfuchs zu sein, aktuell gelten Sie als Menschenfänger. Wie sehen Sie sich selbst?

Schmid: Als ich begonnen habe, Trainer zu sein, war es mir wichtig zu erfahren, warum andere besser sind. Als ich in Deutschland war, habe ich gefühlt jedes Spiel mitgenommen, das in der Umgebung von Köln war – Bochum, Schalke, Leverkusen, Dortmund, ich bin überall hingefahren. Manchmal bin ich zur Halbzeit gefahren, weil ich da nichts Neues gesehen habe. Ich bin davon noch immer nicht weg, aber habe ein Team, das mich voll unterstützt. In den Trainings möchte ich immer eingreifen, aber meine Assistenten machen das sowieso überragend. Mir ist wichtig, überall dabei zu sein. Mir machen richtig gute Diskussionen Spaß. Mein größtes Problem ist vielleicht loszulassen.

LAOLA1: Soweit zum Taktikfuchs. Wie sieht es mit dem Menschenfänger aus?

Schmid: Ich ticke mein ganzes Leben schon so. Mir ist es wichtig, respektvoll mit Menschen umzugehen, wenn sie mir respektvoll begegnen. Vielleicht klingt es abgedroschen, aber ich will meine Spieler menschlich entwickeln. Sie sollen sehen, dass es wichtigere Dinge gibt. Sie sollen nach links und rechts schauen, wenn sie durch die Stadt gehen, vielleicht liegt dort jemand, der Hilfe braucht. Bei all den Problemen, die ich mit einem Spieler habe, sehe ich auch die menschliche Seite, ob es da irgendwo Probleme gibt – Freundin, Manager, Eltern, Schule. Ich versuche, zu verstehen, warum der Spieler in einer gewissen Situation so auf mich reagiert.

LAOLA1: Es geht also darum, möglichst viel über den Spieler zu wissen?

Schmid: Auf jeden Fall. Ich habe schon in meiner Zeit als Akademietrainer gelernt, zu beobachten. So kann ich schlechte Phasen besser einordnen.

LAOLA1: Kann man einem Spieler als Cheftrainer zu nahe sein?

Schmid: Das hatte ich noch nie. Es gibt Grenzen für mich.

LAOLA1: Wo sind die?

Schmid: Man sieht mich nie, dass ich mit einem Spieler unterwegs bin. Selbst wenn wir einen Erfolg feiern, versuche ich, Abstand zu halten und die Spieler Spieler sein zu lassen. Ich treffe mich mit ihm auf einen Kaffee, gehe mit ihm etwas essen, das ist okay.

"Ich vermute nicht hinter jedem Eck jemanden, der gegen mich ist."

LAOLA1: Sie vermitteln das Gefühl, sehr authentisch zu sein. Haben Sie sich jemals verstellt?

Schmid: Ich bin, wie ich bin. Ich möchte mich nicht verstellen. Ich sage jedem meine ehrliche Meinung. Ich möchte kein Hintenrum, mit solchen Leuten kann ich nichts anfangen.

LAOLA1: Sie müssen teilweise Entscheidungen gegen einen Spieler treffen, obwohl Sie wissen, dass er privat vielleicht gerade Probleme hat. Ist das schwierig?

Schmid: Ich habe eines gelernt: Man muss offen und ehrlich kommunizieren. So kann man viele Dinge im Keim ersticken. Viele Probleme entstehen, weil man nicht miteinander redet. Ich verspreche keinem Spieler etwas. Ich sage nie: Du bist diese Woche nicht dabei, dafür dann nächste Woche. Es kann zu viel passieren, um so etwas versprechen zu können. Es geht darum, rechtzeitig mit dem Spieler zu sprechen, wenn etwas nicht passt. Spieler können mit der Wahrheit umgehen.

LAOLA1: Das ist zeitintensiv.

Schmid: Auf jeden Fall, aber das ist eine meiner Hauptaufgaben als Cheftrainer. Ich ermutige auch meine Co-Trainer, immer genau hinzuhören.

LAOLA1: Sie selbst waren jahrelang Co-Trainer. Da ist man in der Regel noch näher an der Mannschaft dran, erfährt sicher teilweise Dinge, die man dem Cheftrainer dann nicht weitergibt. Wie schwer ist es, diese Balance zu wahren.

Schmid: Ich wollte als Co-Trainer nicht immer nur der Haberer der Spieler sein, wollte Respekt und Vertrauen, habe Grenzen gezogen. Ich habe mal einen Spieler vor einem Spiel um eine gewisse Uhrzeit getroffen. Ich habe ihm gesagt: Von mir aus kannst du da auch bis 4 Uhr sitzen, aber ich schaue mir in drei Tagen deine Leistung an. Der Spieler hat gemerkt, dass ich das dem Cheftrainer nicht gesagt habe. So baust du Vertrauen auf. Das Vertrauen der Spieler ist sehr zerbrechlich. Ich verlange von meinen Co-Trainern nicht, dass sie mir alles erzählen. Ich will nicht alles wissen, sonst mache ich mich ja krank im Kopf. Ich vermute nicht hinter jedem Eck jemanden, der gegen mich ist.

LAOLA1: Sie haben viele Jahre bei der Austria gespielt, dementsprechend auch viele Trainer gehabt. Gab es da jemanden, an dem Sie sich orientieren?

Schmid: Zwischenmenschlich war Herbert Prohaska unglaublich. Er hat mich einiges gelehrt, was es bedeutet, mit Spielern umzugehen, auch hart zu sein. Sein Wille, seine Einstellung, sein Ehrgeiz waren phänomenal. Als Trainer hat er ab und zu im Training noch mitgespielt, er konnte einfach nicht verlieren – jeder in der Mannschaft hat es gehasst, mit ihm zusammenzuspielen. Wolfgang Frank war vom Menschlichen und vom Taktischen ein richtig guter Trainer. Er hat damals die Viererkette eingeführt.

LAOLA1: Kann man taktisch heute noch etwas neu erfinden?

Schmid: Ich beobachte viel, schaue mir viel an. Man kann immer noch etwas Neues finden, im Spielaufbau etwa. Aber komplett neu erfinden kann man den Fußball nicht mehr. Entscheidend ist, dass die Basics sitzen. Fußball ist gar nicht so schwer.

Kommentare