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Warum im kleinen Baskenland so gut Fußball gespielt wird

Nur etwa so viele Menschen wie in Wien leben im spanischen Teil des Baskenlandes, die Erfolge sind unverhältnismäßig groß. Darum sind die Basken so gute Kicker:

Warum im kleinen Baskenland so gut Fußball gespielt wird Foto: © getty

In Relation zu Österreich wird die spanische Bevölkerung in zu etwa so großen Anteilen aus Basken und Baskinnen gebildet wie die österreichische aus Vorarlbergern und Vorarlbergerinnen.

Etwas mehr als zwei Millionen Einwohner, also ungefähr so viele wie Wien, fasst der spanische Teil des Baskenlandes. Und obwohl auch der Rest Spaniens als ziemlich fußballverrückt gilt, wird der Volkssport nirgends so intensiv und erfolgreich gelebt wie in der kleinflächigen Region im Nordosten des Landes.

Quasi seit der Gründung der Primera Division vor fast hundert Jahren ist das Baskenland, das damals vier von zehn Gründungsmitgliedern stellte, ein prägender Bestandteil des spanischen Klubfußballs. Heute nehmen mit Real Sociedad, Athletic Bilbao und Deportivo Alaves drei, wenn man Osasuna noch dazu nimmt, vier baskische Teams an La Liga teil. Mit SD Eibar und SD Amorebieta sind derzeit zwei weitere baskische Klubs zweitklassig.

Insgesamt 32 Pokalgewinne und immerhin 10 Meistertitel gingen trotz riesiger Konkurrenz aus Madrid und Barcelona seit Beginn des 19. Jahrhunderts an baskische Vereine.

Und auch international sorgen die Euskaldunak, so die Eigenbezeichnung der Basken für sich selbst, immer wieder für Furore. So mischte Athletic Bilbao in den 2010er Jahren die Europa League auf; Real Sociedad ist gerade im Begriff, dies in der Champions League zu tun, wo das bereits ins Achtelfinale aufgestiegene Team am Mittwoch (21 Uhr im LIVE-Ticker) den FC Salzburg empfängt.

LAOLA1 geht dem außergewöhnlichen Erfolgslauf der Basken im nationalen wie internationalen Fußball etwas genauer auf den Grund:

Spannung, Drama, Ekstase - Wenn Salzburg den Torero fordert


"Vielleicht kommt es mit der Muttermilch"

"Vielleicht kommt es mit der Muttermilch, aber der Ball ist ihr Freund", versucht sich Dietmar Kühbauer, einst für drei Jahre Kicker von Real Sociedad, kürzlich in einem Gespräch mit der APA darin, einen Grund für die unglaubliche technische Versiertheit des durchschnittlichen baskischen Fußballers zu finden.

"Nein, das glaube ich nicht", bezweifelt Javier Ortiz de Lazcano gegenüber LAOLA1 lachend diesen Erklärungsansatz. Der Mann muss es wissen, schreibt er doch für die größte baskische Tageszeitung "El Correo".

"Viel mehr liegt es daran, dass im Baskenland die Ausbildung junger Spieler als essentiell angesehen wird. Der Sport ist darauf angewiesen, um zu überleben. In jedem kleinen Dorf, in jedem Viertel gibt es eine Mannschaft. Dort wird sehr effektiv mit den Spielern gearbeitet, weil Athletic Bilbao und Real Sociedad sie früh beobachten und ihre Trainer ausbilden", so der baskische Sportjournalist.

Für viele jungen Basken und Baskinnen ist der Fußball der einzige Weg, der Armut zu entkommen. Deshalb "haben sie eine andere Einstellung zum Fußball als alle anderen in Spanien. Die Burschen wollen das wirklich, die wollen rauskommen. Dazu sind sie sehr bodenständig", merkt Kühbauer an, der zu seiner Zeit in San Sebastian keinen einzigen baskischen Mitspieler in einem Luxusauto zu sehen bekam.

Als Franco den Basken ihre Identität stahl

Der Fußball ist im Baskenland auch historisch belastet. Während des Franquismus in Spanien, der diktatorischen Unterdrückung des Landes von ungefähr 1939 bis 1977 durch Francisco Franco, waren baskische Sprache und Kultur verboten.

Francisco Franco regierte Spanien von 1939 bis zu seinem Tod 1975 diktatorisch
Foto: © getty

Athletic Bilbao, schon seit jeher ein bodenständiger Klub, der sich stark zu seiner baskischen Identität bekennt, soll einmal während des Franquismus mit Trauerflor aufgelaufen sein. Offiziell geschah dies, um verstorbenen Vereinsmitgliedern zu gedenken, tatsächlich dürfte dabei aber gegen Francos zahllose Todesurteile protestiert worden sein.

1976, ein Jahr nach Francos Tod, aber noch während des Franquismus, kam es zu einem besonderen Vorfall: Vor dem baskischen Derby zwischen Real Sociedad und Athletic Bilbao betraten die Kapitäne der beiden Mannschaften mit einer heimlich ins Stadion geschmuggelten Ikurriña, der damals noch verbotenen Flagge des Baskenlandes, das Feld.

Das baskische Derby als "Wiedererweckung" des baskischen Daseins

"40 Jahre durften wir unsere Sprache nicht in der Öffentlichkeit sprechen. 40 Jahre mussten wir unsere Identität verbergen, doch dann kam das baskische Derby 1976 (...) Das war eine Wiedererweckung, ein emotionaler, spektakulärer Moment", erinnert sich Jose Maria Etxebarria, damals ein im Stadion anwesender Jugendlicher, heute ein Politiker der Baskischen Nationalistischen Partei PNV, gegenüber "Deutschlandfunk Kultur".

Historisch betrachtet war dieses Fußballspiel tatsächlich eine Art Wiedererweckung. Entgegen anderweitiger Befürchtungen wurde die Partie nicht von der Polizei unterbrochen; die Ikurriña durfte erstmals wieder ungestraft in der Öffentlichkeit gezeigt werden.

Dies war der erste Schritt zur Relegalisierung der Ikurriña, die heute die offizielle Flagge des Baskenlandes ist und in der stolzen Region an jeder Ecke weht.

Die originale Ikurriña von 1976, die von einer Schwester eines Spielers per Hand genäht wurde, hängt heute übrigens im Vereinsmuseum von Real Sociedad. Das Baskenderby gilt noch heute eher als Bruderduell denn als wirkliches Derby.

Vielleicht ist der politische Bezug zum Fußball der spanischen Basken auch ein Grund dafür, warum im (deutlich kleineren) französischen Teil des Baskenlandes, welcher nicht von Francos Repressalien betroffen war, Fußball heute keine allzu große Rolle spielt, sondern Rugby sportlich im Vordergrund steht.

Fußballlegenden aus dem französischen Baskenland wie die Weltmeister Bixente Lizarazu und Didier Deschamps sowie Real Madrids "erster Superstar" Rene Petit dürfen allerdings nicht unerwähnt bleiben.

Wie gut wäre eine baskische Nationalmannschaft?

Francos Furcht vor allem Autonomen betraf freilich auch das inoffizielle baskische Nationalteam, welches erstmals 1930 zusammentraf, während des Franquismus aber nur zwei Spiele absolvieren konnte.

Seit 1978 richtet die "Euskal selekzioa", so der baskische Name, wieder regelmäßig Testspiele aus, und das zumeist rund um die Winterpause von La Liga. Das letzte solche Spiel liegt aber bereits über drei Jahre zurück.

Eine Anerkennung des Nationalteams durch FIFA und UEFA, um welche zuletzt 2020 angesucht wurde, erscheint in naher Zukunft äußerst unwahrscheinlich. "Dies ist ein lang gehegter Wunsch eines großen Teils der baskischen Gesellschaft. FIFA, UEFA und der spanische Verband haben die Anerkennung verweigert, weil das Baskenland keine eigene Liga hat und kein Staat ist. Die Chancen, diesen Weg einzuschlagen, sind gering", berichtet Ortiz de Lazcano.

Rein vom Spielermaterial würde sich allerdings eine äußerst schlagkräftige baskische Truppe bilden lassen. Für die baskische Nationalmannschaft sind nämlich auch Spieler der autonomen Gemeinschaft Navarra spielberechtigt.

Pamplona, die Hauptstadt von Navarra und zugleich die Heimat vom einzigen Klub in La Liga mit einem baskischen Namen (Osasuna bedeutet auf baskisch Gesundheit) gilt als die historische Heimat der Basken.

So könnte die baskische Nationalmannschaft momentan aussehen:


Unglaubliche Vereinstreue im Baskenland

Ein rascher Blick auf diese mögliche Elf genügt, um zu begreifen, dass sich darin quasi nur hochqualitative Spieler befinden, die sich entweder aktuell im Kader der spanischen Nationalelf befinden oder diesem früher in ihrer Karriere einmal angehörten.

Bei einem zweiten Blick lässt sich erkennen, dass ein Großteil dieser Kicker noch heute im Baskenland tätig ist. Auch das ist ein Zeichen dafür, dass für viele Basken der Fußball mehr als nur ein Sport oder ein Beruf ist.

 

"Sie sind fußballverrückt, ohne dass sie durchdrehen", sagt Didi Kühbauer, der von 1997 bis 2000 im Baskenland kickte
Foto: © GEPA

"Sie sind fußballverrückt, ohne dass sie durchdrehen", erinnert sich Kühbauer an seine alte Wahlheimat und ihre Leute zurück.

Diese Vereinstreue, die von Akteuren wie Mikel Oyarzabal (Real Sociedad) oder Inaki Williams (Bilbao), die beide das Potenzial für einen absoluten Spitzenklub hätten, ihren Ausbildungsverein aber nie verließen, eindrucksvoll vorgelebt wird, ist zwingend notwendig für die Philosophie der beiden baskischen Top-Klubs.

Denn während Real Sociedad mittlerweile darauf verzichtet, nur mit baskischen Spielern aufzulaufen, aber noch immer auf ein gewisses Maß an Regionalität im Kader achtet, verpflichtet Bilbao seit 111 Jahren rigoros nur Spieler mit baskischem Blut oder solche, die in einer baskischen Akademie ausgebildet wurden.

Dies sei die DNA von Bilbao, an der auch bei kurzzeitigem sportlichen Misserfolg, wie er in den letzten Jahren auftrat, nicht zu rütteln sei, meint Ortiz de Lazcano dazu.

Real Sociedad habe hingegen nach dem Transfersommer 1988, als "La Real" auf einen Streich die Stars Jose Mari Bakero, Txiki Begiristain und Luis Lopez Rekarte vom FC Barcelona weggekauft wurden, realisiert, dass dieser Weg ausgereizt sei.

"Das wird für Salzburg schwer"

Probleme, sich mit aktuellen Weg zu identifizieren, haben die Fans aus San Sebastian ohnehin keine - im Gegenteil. "Die Leute sind komplette Fußball-Narren. Das wird für Salzburg sehr schwer", erklärt Kühbauer.

Und erinnert sich beim Sprechen dieser Worte wohl auch an Szenen aus den ersten beiden Champions-League-Heimspielen von Real Sociedad in dieser Saison, als sich das gesamte Stadion Anoeta mitten im Spiel spontan dazu entschied, dem Rasen den Rücken zuzukehren und Arm in Arm hüpfend zu feiern.

Die spektakuläre Aktion der Real-Sociedad-Fans im VIDEO:

Auch Ortiz de Lazcano rechnet Österreichs Meister am Mittwoch (21 Uhr im LIVE-Ticker) wenige Chancen zu:

"Es ist das beste Real Sociedad in diesem Jahrhundert. Es ist eine großartige Mannschaft mit einem großartigen Spiel und einer explosiven Mischung aus einheimischen und ausländischen Talenten. Ich kann mich nur an ein besseres Real erinnern: Jenes, das in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts zwei Meistertitel gewonnen hat."

Vielleicht kommt diese Saison ja ein dritter dazu. Das gesamte Baskenland würde sich mitfreuen, so viel steht fest.


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