news

Windtners Vision: 2024 hat ÖFB einen EM-Referee

Wie das gelingen soll. Woran es fehlt. Warum bei Referees die Fetzen fliegen mussten:

Windtners Vision: 2024 hat ÖFB einen EM-Referee Foto: © GEPA

Ab März 2021 steht auch den heimischen Bundesliga-Schiedsrichtern der VAR zur Verfügung - ein "guter Tag" für die rot-weiß-roten Referees.

Man muss es leider so sagen: Über allzu viele positive Schlagzeilen durften sich die österreichischen Referees in jüngerer Vergangenheit nicht freuen. Wenn Julian Weinberger von einer "neuen Ära", die mit dem Video-Assistenten anbricht, spricht, könnte dies also ungewollt auch doppeldeutig zu verstehen sein.

Denn eines steht für alle Beteiligten fest: Auf technischer Ebene soll mit dem VAR eine Lücke geschlossen werden, darüber hinaus besteht im Schiedsrichter-Wesen im internationalen Vergleich massiver Aufholbedarf.

Schließlich ist der Status quo nicht allzu erfreulich.

Beginnen wir daher mit einer Vision, und zwar jener von ÖFB-Präsident Leo Windtner, der im Gespräch mit LAOLA1 konkret die nächste Turnier-Beteiligung eines österreichischen Schiedsrichters im Auge hat:

"Die Europameisterschaft 2024 in Deutschland wäre der nächste Meilenstein. Ich glaube, das ist eine mutige, aber auch eine schöne und vielleicht auch realistische Perspektive."

Es fehlen die "Gallionsfiguren"

Rund vier Jahre hätte Österreich Zeit, zumindest einen Elite-Referee für höhere Aufgaben zu entwickeln.

"Wir waren wirklich stolz darauf, dass wir über viele Jahrzehnte, wo wir mit dem Nationalteam nicht bei Großereignissen dabei waren, durch Top-Schiedsrichter vertreten gewesen sind. Hier haben wir es, ich würde sagen gerade nach der Jahrtausendwende, etwas übersehen, den Anschluss zu finden."

Leo Windtner

In der Spieler-Ausbildung wurde in der jüngeren Vergangenheit ein bemerkenswerter Turnaround geschafft. Auch österreichische Trainer sind inzwischen im Ausland wieder gefragter. Zuletzt zeigten im Windschatten des FC Red Bull Salzburg auch andere Bundesligisten im Europacup auf.

Dass ein österreichischer Schiedsrichter für hohe internationale Aufgaben in Frage kommt, kann man derzeit nicht behaupten. Das war nicht immer so. Für Windtner fehlen derzeit "die Gallionsfiguren", die dem heimischen Referee-Nachwuchs als Vorbild dienen.

"Wir waren wirklich stolz darauf, dass wir über viele Jahrzehnte, wo wir mit dem Nationalteam nicht bei Großereignissen dabei waren, durch Top-Schiedsrichter von Ferdinand Marschall über Erich Linemaier bishin zu Günter Benkö immer wieder vertreten gewesen sind. Hier haben wir es, ich würde sagen gerade nach der Jahrtausendwende, etwas übersehen, den Anschluss zu finden."

Endrunden? Flaute in diesem Jahrtausend

Konkret gesagt, war Österreich mit Schiedsrichtern in diesem Jahrtausend bei Großereignissen kaum vertreten. Der letzte Beitrag war Konrad Plautz bei der EURO 2008 - bei einem in Österreich ausgetragenen Turnier musste die UEFA fast auch einen Unparteiischen aus dem Veranstalterland nominieren.

Der letzte absolute Topmann war Günter Benkö, der bei der EM 2000 sogar das Halbfinale zwischen Frankreich und Portugal pfiff. Der Burgenländer war auch bei der WM 1998 im Einsatz.

Gerade bei Weltmeisterschaften war Österreich davor über Jahrzehnte sehr konstant präsent - mit den Ausnahmen 1966 und 1994. Erich Steiner (1954, 1962), Fritz Seipelt (1958), Ferdinand Marschall (1970), Erich Linemayr (1974, 1978), Franz Wöhrer (1982), Horst Brummeier (1986) und Helmut Kohl (1990) pfiffen jeweils bei WM-Endrunden.

Eine Konstanz, die wieder zur Normalität werden soll. "Das Ziel muss sein, unsere Top-Schiedsrichter dort zu platzieren, wo wir sie brauchen, nämlich im Spitzenbereich der UEFA", erklärt Robert Sedlacek, Vorsitzender der ÖFB-Schiedsrichter-Kommission.

Warum hat man den Anschluss verloren?

Weinberger ist ein Vertreter einer neuen Generation, die sich zutraut, die entstandene Lücke zu schließen: "Wir haben jetzt sicher ein paar junge Schiedsrichter, die das Potenzial haben, auch auf der internationalen Bühne etwas zu erreichen. Aktuell ist es so, dass zum Beispiel Manuel Schüttengruber sehr gut unterwegs ist. Er wurde von der UEFA in die Kategorie 1 befördert und ist auch in einem Talente-Förderprogramm. Die Hoffnung von Seiten der österreichischen Schiedsrichter ist, dass wir zukünftig wieder mal einen bei einer Endrunde dabei haben - oder vielleicht in der Champions League, das wäre schon mal ein erster Schritt."

Zuerst gilt es sich jedoch vor Augen zu führen, warum man den Anschluss verpasst hat. Hier - abseits der Qualität - einen Hauptgrund herauszuarbeiten, ist schwierig. Dass Österreichs Schiedsrichter-Wesen in der jüngeren Vergangenheit, so auch in dieser Saison, immer wieder mit internen Querelen Schlagzeilen schrieb, ist sicherlich keine Hilfe, aber aus internationaler Sicht vermutlich weniger interessant.

Für Weinberger ist es am sinnvollsten, vor der eigenen Türe zu kehren. "Es ist eine schwierige Frage, aber natürlich muss man zuerst immer auf sich selbst schauen. Ich denke, dass es vielleicht der Fall gewesen ist, dass die Leistungen der österreichischen Schiedsrichter in der Vergangenheit nicht die besten waren. Wobei ich mir da schwer tue, das zu beurteilen, weil ich nicht bei jedem Spiel dabei war", meint der 34-Jährige.

Ebenfalls eine beliebte Begründung ist, dass Österreich nicht das größte Fußball-Land sei. "Wobei man da sagen kann, dass es zum Beispiel auch Schiedsrichter aus Slowenien gibt, die Champions League pfeifen", betont Weinberger.

Paradigmenwechsel unter Collina

Für Windtner liegt ein Grund darin, dass man die Zeichen der Zeit verschlafen hat: "Unter Pierluigi Collina hat es auf UEFA-Ebene einen Paradigmenwechsel gegeben, und da haben wir als Österreicher den Anschluss verpasst. Wenn man einmal hinten nach läuft, ist es unheimlich schwer, die Lücke wieder zu schließen."

"Unter Collina sind auf einmal mehr die Autorität, die Selbstpräsentation, die Positionierung des Schiedsrichters auf dem Spielfeld entscheidend geworden. Da haben wir gesehen, dass der eine oder andere Schiedsrichter aus Österreich durchgefallen ist oder sogar aufgehört hat."

Leo Windtner

Der ÖFB-Boss konkretisiert: "Vielleicht bis zur Jahrtausendwende und etwas darüber hinaus war das Thema Athletik ein sehr beherrschendes im Schiedsrichterwesen. Unter Collina, würde ich sagen, sind auf einmal mehr die Autorität, die Selbstpräsentation, die Positionierung des Schiedsrichters auf dem Spielfeld entscheidend geworden. Da haben wir gesehen, dass der eine oder andere Schiedsrichter aus Österreich durchgefallen ist oder sogar aufgehört hat. Das gilt es zu korrigieren."

Die Schiedsrichter haben Aufnahme in das Projekt12, das Talente-Förderprogramm des ÖFB, gefunden. "Wenn wir sie an die Spitze heranführen wollen, müssen wir sie da integrieren", betont Windtner, "wir müssen nicht nur verstärkt für Nachwuchs sorgen, sondern gerade Top-Talente unter den Schiedsrichtern forcieren, wenn sie die Chance haben, in die Elite aufzusteigen."

Fehlendes Lobbying bei der UEFA

Sedlacek wiederum führt das fehlende Lobbying auf internationaler Ebene an. Früher habe man nicht nur sehr gute Schiedsrichter gehabt: "Wir hatten international auch Funktionäre an den Schalthebeln der UEFA-Schiedsrichter-Kommission. Das ist derzeit nicht so."

"Natürlich hat ein kleines Land allgemein damit zu kämpfen, dass Schiedsrichter aus großen Nationen weiter oben beginnen als die anderen, und dass sie durch die Vielzahl der wichtigen Spiele zumindest aus Sicht der verantwortlichen Funktionäre mehr gefordert sind. Das müssen wir versuchen aufzuholen."

Laut Windtner sei dies "ein sehr heikles Thema", das er jedoch ähnlich sieht: "Es ist nicht ganz unrichtig, dass ein gewisses Lobbying sicherlich notwendig ist und von vielen Nationen auch praktiziert wird. Auch da wird man schauen, ob man auf regulärem Wege da und dort für Sympathie - und da ist Österreich nie schlecht gelegen - sorgen wird können."

VAR verbessert internationale Ausgangsposition für heimische Schiedsrichter

Letztlich gilt es auch Österreichs (Schiedsrichter-)Funktionäre früher oder später an ihren Worten und Visionen zu messen. Die Einführung des VAR ist zumindest einmal ein Schritt, um die Ausgangsposition heimischer Referees auf internationaler Bühne zu verbessern.

"In der Champions League wird bereits mit dem Video-Schiedsrichter gespielt. Ab nächster Saison ist das auch in der Europa League der Fall. Die UEFA schreibt vor, dass nur Schiedsrichter zum Einsatz kommen können, die diese Ausbildung haben - sei es von der UEFA, wie es zurzeit bei Harald Lechner und Manuel Schüttengruber der Fall ist, oder dass sie eben in ihren Ligen ausgebildet werden. Aktuell könnte zum Beispiel gar kein österreichischer Schiedsrichter Champions-League-Spiele pfeifen, weil wir keinen haben, der diese Ausbildung hat", verdeutlicht Weinberger.

Der Wiener ist aktuell einer von sieben FIFA-Schiedsrichtern aus Österreich. Ihm sei es daher besonders wichtig, dass er nun die Möglichkeit bekommt, die Ausbildung im Umgang mit dem VAR zu absolvieren.

Bei allen Bemühungen wird Österreichs Stellenwert in der internationalen Schiedsrichter-Szene aber vor allem mit der Qualität der Spielleiter stehen und fallen. 

Neue Generation in der Bundesliga

"Einige junge Leute werden sicher ihren Weg gehen, denn wir wissen, dass es zu wenig ist, nur Leute mit viel Routine zu haben. Man muss die Vision und die Philosophie der Jugend mitgehen. Dann werden wir wieder dort landen, wo wir hin wollen", glaubt Sedlacek.

2019 hätten mit Stefan Ebner, Josef Spurny, Alan Kijas und Felix Ouschan vier Referees den Sprung in die Bundesliga geschafft: "Von diesem Quartett erhoffen wir uns viel. Man muss natürlich bedenken, dass so ein Aufstieg nach oben nicht von heute auf morgen geht. Aber ich bin zuversichtlich, in zwei, drei Jahren werden wir es schaffen."

Weitere Schiedsrichter gehören der Bundesliga noch nicht allzu lange an, Weinberger etwa debütierte 2015 in der höchsten Spielklasse.

Warum die Fetzen flogen

Gerade zwischen den Bundesliga-Referees und der Schiedsrichter-Kommission rund um Sedlacek flogen in den ersten Wochen und Monaten dieser Saison durchaus die Fetzen. Grund ist die Einführung eines Mechanismus, der vorsieht, dass Schiedsrichter nach klaren Fehlentscheidungen Nachdenkpausen bekommen.

"Von Seiten der Wortmeldungen ist alles ausgeräumt. Das Verhältnis zwischen Schiedsrichter und ÖFB-Schiedsrichter-Kommission ist gut. Dass natürlich in dieser Saison viele Fehler passiert sind, kann man nicht wegleugnen. Dazu sollten wir auch stehen."

Julian Weinberger

Weinberger monierte vor einigen Wochen in einem "Sky-Interview" offen den Druck, den diese Maßnahme erzeuge: "Korrekt, das habe ich angesprochen und dazu stehe ich auch. Das Gefühl zu wissen, dass man aus dem Verkehr gezogen wird, wenn man eine Fehlentscheidung trifft, ist nicht das beste. Aber wie ich damals gesagt habe: Das wurde so beschlossen, damit müssen wir umgehen. Am besten hilft dagegen, wenn man richtige Entscheidungen trifft."

Sedlacek setzte sich massiver öffentlicher Kritik aus, in dem er öffentlich monierte, dass manche Schiedsrichter lieber "angenehme" Entscheidungen treffen würden.

"Manche Dinge, die man vielleicht in der Eile kritisiert, kann man auch besser ausdrücken", ist der Boss des Wiener Landesverbands mit diesem Sager inzwischen selbst nicht mehr allzu happy.

Schiedsrichter-Welt zwar noch nicht heil, aber wieder in Ordnung

Es folgte eine Phase der Konfrontation und der Aussprachen - eine Phase, die im Rückspiegel gesehen zumindest etwas gebracht hat?

"Wenn man etwas kritisiert, muss man sich auch vergegenwärtigen, dass nicht alles so akzeptiert wird. Vielleicht war die weitergegebene Kommunikation auch nicht ganz ideal. Aber ich glaube, wir haben die Verantwortlichen, sowohl die Schiedsrichter als auch die Funktionäre, am richtigen Punkt getroffen. Wir haben einige Schulungen durchgeführt. Ich bin der Überzeugung, dass die Welt zwar noch nicht heil, aber wieder in Ordnung ist."

Eine Einschätzung, der Weinberger zustimmen kann: "Von Seiten der Wortmeldungen ist alles ausgeräumt. Das Verhältnis zwischen Schiedsrichter und ÖFB-Schiedsrichter-Kommission ist gut. Dass natürlich in dieser Saison viele Fehler passiert sind, kann man nicht wegleugnen. Dazu sollten wir auch stehen. Wir hatten vergangene Woche eine Schulung in Salzburg, bei der das auch klar und deutlich angesprochen wurde. Das Ziel ist einfach, dass die Fehlentscheidungen weniger werden. Daran sollten wir alle - und jeder für sich - arbeiten."

Und gemeinsam am großen Ziel, Österreich auch im Bereich der Schiedsrichter auf der internationalen Bühne wieder relevant zu machen.

Kommentare