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Stuchlik: "Ein sehr bedauerlicher Auswuchs"

ÖFB-Schiedsrichter-Manager Fritz Stuchlik über Drohungen, Fehler und Video-Schiris.

Stuchlik: Foto: © GEPA

ÖFB-Schiedsrichter-Manager Fritz Stuchlik spricht nach dem Bundesliga-Herbst von "überwiegend guten Leistungen" der heimischen Referees.

Dennoch gab es etwas, das ihn in den vergangenen Wochen geärgert hat.

Im großen Interview, dass uns unser Partner-Portal 90minuten.at zur Verfügung gestellt hat, spricht der Wiener auf über Video-Schiedsrichter, eine mögliche Teil-Professionalisierung und das internationale Niveau der österreichischen Schiedsrichter.

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Frage: Herr Stuchlik, sind Sie mit den Schiedsrichter-Leistungen im Bundesliga-Herbst zufrieden?

Fritz Stuchlik: Meiner Meinung nach haben wir überwiegend gute Leistungen gesehen. Natürlich gibt es in jeder Meisterschaft auch einmal einzelne Leistungen oder Entscheidungen, die nicht passen.

Frage: Trotz technischer Hilfsmittel passieren gefühlt immer schwerwiegendere Fehler. Woran liegt das?

Stuchlik: Ein Gefühl kann auch täuschen. Wir haben heute unheimlich viele Kameras im Einsatz, die es früher nicht gegeben hat. Die Frage ist ja auch immer, was ich unter einem schwerwiegenden Fehler verstehe.

Frage: Was ist dann ein schwerwiegender Fehler?

Stuchlik: Für uns Regelexperten sind es Entscheidungen, die Einfluss in Form eines Feldverweises oder bei der Torerzielung haben. Fans werden das anders sehen.

"Ich hatte auch keine Freude als Schiedsrichter Muckenhammer Stefan Schwab als „charakterlos“ bezeichnet hat"

Frage: Also hat es mit der Wahrnehmung der Fans zu tun?

Stuchlik: Ja natürlich. Jeder Fan hat ja nicht nur Interesse am Fußball, sondern speziell an einem Verein. Natürlich sieht man dann gehäuft Dinge, die gegen die eigene Mannschaft gepfiffen werden. Dann kann schnell das subjektive Empfinden entstehen, dass es mehr Fehlentscheidungen gibt.

Frage: Und solche subjektiven Wahrnehmungen führen zu Morddrohungen gegen Schiedsrichter?

Stuchlik: Das ist natürlich ein sehr bedauerlicher Auswuchs. Jede Fehlentscheidung, egal ob es nun wirklich eine war, ist eine Wahrnehmungsentscheidung des Schiedsrichters und keinesfalls mit einer bösen Absicht verbunden. Deshalb sind solche Dinge nicht nur deplatziert sondern auch völlig verurteilenswert. Ich hoffe, dass der Betroffene ausgeforscht werden kann.

Frage: Fehlt es am Respekt füreinander?

Stuchlik: Der Respekt hat in unserer Zeit sowieso andere Formen angenommen. Da muss man nur Lehrer oder Polizisten fragen, die werden sagen, dass es vor 20 Jahren noch ganz anders war. Das ist eine sehr bedauerliche Entwicklung, die auch den Fußball nicht unberührt gelassen hat.

Frage: Wenn aber Louis Schaub nach einem Match mehr Regelschulungen für Schiedsrichter fordert, dann kann da etwas nicht stimmen oder?

Stuchlik: Da hat der Spieler wohl den Schulungsplan der Schiedsrichter nicht ganz vor Augen gehabt. Ich denke, dass er das aus Frustration gesagt hat.

Frage: Trotzdem kann es Ihnen nicht gefallen.

Stuchlik: Nein, aber ich hatte auch keine Freude als Schiedsrichter Muckenhammer Stefan Schwab als „charakterlos“ bezeichnet hat. Damit arbeiten wir in der Vorbildwirkung gegen unsere eigenen Interessen. Wir können nicht einen besseren Umgang fordern, wenn beide Seiten solche Sachen von sich geben. Das schadet der Sache nur.

Frage: Nicht schaden sollen die Regelanpassungen der letzten Jahre. Wie viele gibt es da pro Saison durchschnittlich?

Stuchlik: Da kann man keinen durchschnittlichen Wert nennen. 2016 hat es 196 Regelanpassungen gegeben. Wobei das auch sehr viele kleine Dinge sind. Die Spielregeln sind ein bisschen vereinfacht und vom Wording abgeändert worden, damit sie leichter verständlich sind.

Frage: Hat das Ihrer Meinung nach funktioniert?

Stuchlik: Ich denke schon. Ziel der IFAB war es, das Regelwerk zu verschlanken und zu vereinfachen und das hat dieser Änderungen bedurft. Heuer hat es dann nur mehr Nachbesserungen gegeben.

Frage: Eine große Änderung ist die Einführung des Video-Schiedsrichters. Macht dieser den Fußball wirklich gerechter?

Stuchlik: Zunächst einmal ist für mich jede technische Möglichkeit, die dem Schiedsrichter nützt, um richtige Entscheidungen zu treffen, durchaus wünschenswert.

Frage: Die Einführung war bisher kein großer Erfolg.

Stuchlik: In den meisten Ländern, in denen der Video-Assistent eingeführt wurde, klappt es meines Wissens ganz gut. Mir sind weder aus Holland, noch Italien negative Meldungen bekannt. Aber natürlich, wir nehmen sehr viel aus Deutschland wahr und dort lief es wirklich etwas holprig.

Frage: Auch in Italien ist er umstritten. Gianluigi Buffon hat die Einführung beispielsweise kritisiert.

Stuchlik: Ich kann mir schon vorstellen, dass es für jemanden, der viele Jahre ohne technische Hilfsmittel Fußball gespielt hat, schwieriger ist, sich an gewisse Dinge zu gewöhnen. Aber Sie werden auch viele Leute auf der Straße treffen, die es schrecklich finden, dass wir durch die Technik so mit dem Internet konfrontiert sind. Ich denke, der Videobeweis braucht nicht die vollständige Zustimmung einer Ikone wie Buffon.

Frage: Der Videobeweis wird sich also durchsetzen?

Stuchlik: Das kann ich nicht sagen. Im Moment ist das Ganze ja nur ein Testlauf. Dazu braucht es einfach Echttests und das geht nur während einer Meisterschaft. Eines muss aber dazu noch gesagt werden.

Frage: Nämlich?

Stuchlik: Die Erwartungshaltung muss ein wenig gebremst werden. Derjenige, der dort vor den Monitoren sitzt, greift nämlich nur dann ein, wenn eine Entscheidung klar unrichtig war. Es werden also künftig auch weiterhin 70:30-Entscheidungen vorkommen.

Frage: Können Sie dafür ein konkretes Beispiel nennen?

Stuchlik: Ein einfaches Beispiel wäre wenn ein Spieler Gelb-Rot bekommt. Würde der Video-Assistent eingreifen und die Gelb-Rote Karte überprüfen, müsste er die erste Gelbe Karte genauso überprüfen wie alle Vergehen, die nicht mit Gelb geahndet wurden. Sonst gibt es ja keinen Vergleichswert. Es wird gerechter werden, ja, aber es wird keine absolute Gerechtigkeit geben.

Frage: Zuletzt wurde in der deutschen Liga ein Elfmeter erst 50 Sekunden später gepfiffen. Soll Fußball künftig so aussehen?

Stuchlik: Der Video-Schiedsrichter sitzt vor einer Vielzahl von Monitoren. Wenn er aber einen Verdacht hat, muss das Spiel natürlich weiterlaufen, während er diesen überprüft und überlegt, welche Kamera-Einstellung er dem Feld-Schiedsrichter zur Verfügung stellt.

Frage: Die Kamera-Entscheidung trifft also auch der Video-Assistent?

Stuchlik: Genau. Dann kann der Schiedsrichter unter Umständen eine zweite Einstellung fordern. Video-Assistent ist eine hochkonzentrierte Tätigkeit, und die dauert ganz einfach. Es wäre auch nicht hilfreich, wenn bei jedem Verdacht gleich etwas gemeldet werden würde.

Frage: Gibt es eine Regelung wie lange eine Entscheidung des VAR dauern darf?

Stuchlik: Nein, die gibt’s nicht.

Frage: Gar nicht?

Stuchlik: Grundsätzlich kann der Schiedsrichter seine Entscheidung solange abändern, solange das Spiel nicht anders fortgesetzt wurde.

Frage: Das bedeutet?

Stuchlik: Das bedeutet, auch wenn der Ball beispielsweise bereits über zwei Minuten noch im Spiel bleibt und ich komme darauf, dass da vorher etwas übersehen wurde, dann könnte ich noch immer unterbrechen und die Entscheidung revidieren. Auch wenn das sicherlich nicht die Wunschvorstellung der Zuschauer trifft.

"Entweder der Videobeweis wird nach der Pilotphase sowieso fallen gelassen, die IFAB schreibt ihn ins Regelwerk oder es wird den jeweiligen Ligen überlassen"

Frage: Stichwort Zuschauer: Häufig wird kritisiert, dass man sich im Stadion nicht mehr über ein Tor freuen kann. Das kann doch nicht der Sinn der Sache sein oder?

Stuchlik: Ja gut, im Moment ist es Vorgabe, dass strittigen Szenen nicht im Stadion auf der Vidiwall wiederholt werden. Aber noch einmal, die derzeitige Situation ist nicht in Stein gemeißelt. Es ist durchaus möglich, dass man nach dieser Probezeit vieles ändert.

Frage: Zurück nach Österreich. Ist die Einführung des Video-Referees bei uns ein Thema?

Stuchlik: Es ist sicherlich ein Thema dem wir uns nicht verschließen. Die Frage ist, ob es Sinn macht als Österreich in einer Probezeit schon mit auf den Zug aufzuspringen. Ich schließe momentan keine der drei Varianten aus.

Frage: Welche drei Varianten?

Stuchlik: Entweder der Videobeweis wird nach der Pilotphase sowieso fallen gelassen, die IFAB schreibt ihn ins Regelwerk oder es wird den jeweiligen Ligen überlassen. Dann müssen wir schauen, ob es Sinn macht.

Frage: Welche ist die Wahrscheinlichste?

Stuchlik: Die Testphase läuft noch bis Sommer 2018, ich denke es ist noch alles offen.

Frage: Mit welchem Aufwand wäre eine Einführung verbunden?

Stuchlik: Wir bräuchten für jedes Spiel einen Schiedsrichter und einen Assistenten, die vor den Bildschirmen sitzen. Zusätzlich bedarf es eines Operators, der die Technik bedient. Heißt also, ich brauche drei Personen. Darüber hinaus gibt es eine gewisse Anzahl an Kamerapositionen, die vorgeschrieben sind. Außerdem muss der Schiedsrichter auf dem Feld irgendwo die Möglichkeit haben, sich die Situation noch einmal anzuschauen. Dort dürfen aber keine Fans sitzen. Und natürlich benötigt es auch einen Regierraum.

Frage: Wäre denkbar, dass in Zukunft Leute als Video-Assistent tätig sind, die keine ausgebildeten Schiedsrichter sind?

Stuchlik: Nein, es gibt insgesamt drei Personengruppen die als Video-Schiedsrichter tätig sein können. Zum einen Schiedsrichter, deren Name sich auf der Liste der jeweiligen Liga befindet. Konkretes Beispiel: Wenn Harald Lechner nicht im Einsatz ist, dann könnte er als VAR agieren. Gruppe zwei wären die unmittelbar ausgeschiedenen Schiedsrichter - und auch jene, die die Video-Schiedsrichter ausbilden, könnten diese Aufgabe ebenfalls verrichten.

Frage: Spielen nicht auch die Medien für das Gelingen eine wichtige Rolle?

Stuchlik: Wichtig ist im Vorfeld, und das geht nur über die Medien, dem Konsumenten zu kommunizieren, was er zu erwarten hat. Also besteht die Arbeit der Medien darin, Aufklärung zu betreiben.

Frage: Neben dem Video-Assistenten gibt es ein weiteres Thema, das wieder aktuell wurde.

Stuchlik: Wirklich? Welches?

Frage: Die Schweiz hat die Teil-Professionalisierung der Schiedsrichter beschlossen. Für den ÖFB kein Thema?

Stuchlik: Auch dagegen verschließen wir uns nicht. Die Frage ist die Machbarkeit. Diese ist wiederum abhängig von der Finanzierung und der Bereitschaft der Schiedsrichter. Da gibt es sicher einige, die sich sehr gut mit ihrem Arbeitgeber verständigt haben oder gar selbstständig sind. Die sehen gar keine Notwendigkeit, etwas am Status quo zu ändern.

VIDEO: Das Team der Herbstsaison

(Interview wird unter dem Video fortgesetzt)


Frage: Was bringt so eine Professionalisierung dann?

Stuchlik: Ich sage Ihnen was sie nicht bringt: Es wird nicht nachhaltig dazu führen, dass keine Fehler mehr gemacht werden.

Frage: Ihre Schweizer Kollegen erwarten sich dadurch ein höheres Ansehen für die eigenen Schiedsrichter.

Stuchlik: Dass kleinere Ligen nicht im Konzert der Großen mitspielen, ist völlig normal. Natürlich, ein Schiedsrichter der wöchentlich in der Premier League pfeift, hat eine ganz andere Herausforderung als einer, der in der Schweiz oder in Österreich tätig ist. Dadurch sind die kleineren Verbände gezwungen, Maßnahmen zu setzen. Ob es wirklich etwas bringt, ist wieder etwas anders.

Frage: Und so eine Maßnahme ist die Teil-Professionalisierung?

Stuchlik: Die Schweiz hat das große Problem, dass sie in der Vergangenheit immer einen Spitzen-Schiedsrichter gehabt hat. Im Moment aber haben Sie nur einen Schiedsrichter, der in der zweithöchsten Kategorie, der „First Category“, angesiedelt ist. Wir in Österreich haben hingegen zumindest drei in dieser Kategorie. Dadurch hat die Schweiz, optisch zumindest, mehr Bedarf gehabt im Moment etwas zu ändern als wir.

Frage: Wie lässt sich dann das internationale Ansehen der österreichischen Schiedsrichter beschreiben?

Stuchlik: Da ist die Frage, wer beurteilt, wie das Ansehen aussieht.

Frage: Sie haben gesagt, dass es drei Schiedsrichter in der „First Category“ gibt.

Stuchlik: Rein nominell betrachtet, mit drei Schiedsrichtern in der „First Category“, sind wir sicherlich gut aufgestellt.

Frage: Aber nur die Elitekategorie hat Chancen auf Einsätze in der Champions League oder bei Endrunden?

Stuchlik: Also jede WM oder EM ist mit der „First Category“ ausgeschlossen. Zu einem Champions-League-Einsatz könnte es einmal kommen, aber nicht regelmäßig.

Frage: Für Sie als Verantwortlichen ist es also das Ziel wieder einen Schiedsrichter in die Elitekategorie zu bekommen?

Stuchlik: Unser Ziel ist ganz klar definiert. Wir wollen nicht nur einen Schiedsrichter in der Elite haben, sondern künftig auch wieder bei einem Großereignis dabei sein. Ob das nun kurz-, mittel- oder langfristig realisierbar sein kann, wird sich zeigen.

Frage: Dabei wären doch Schiedsrichter aus kleineren Nationen prädestiniert dafür, in der entscheidenden Phase der Champions League zu pfeifen oder?

Stuchlik: Absolut richtig. Die UEFA hat deshalb in der Vergangenheit immer wieder dezidiert Ausschau nach Schiedsrichtern gehalten, die eben nicht aus den großen Nationen kommen. Da gibt es einige Beispiele: Milorad Mazic (Serbien), Damir Skomina (Slowenien) und natürlich Victor Kasai (Ungarn).

Frage: Weil Sie zuvor den Liga-Alltag angesprochen haben. Ist die serbische oder slowenischen Liga denn höher einzuschätzen als die österreichische?

Stuchlik: Das kann ich nicht beurteilen. Da maße ich mir auch kein Urteil an. Aber ich maße mir an zu sehen, dass auch Schiedsrichter aus kleineren Verbänden in den Spitzenbereich kommen können.

Frage: Zum Abschluss: Auf welche Neuerungen müssen sich die Fans in Österreich demnächst einstellen?

Stuchlik: Ich kann die Fans beruhigen, im Frühjahr 2018 wird es keine Neuerungen geben. Und auch ab Juni ist nichts Großes zu erwarten.

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