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"Auch RBS hat Tradition, braucht sie aber nicht"

Warum auch "Kommerzklub" Salzburg Tradition hat, sie aber nicht braucht:

Foto: © GEPA

Dass ein Spiel bekanntlich erst dann aus ist, wenn der Schiedsrichter abpfeift, ist traditionell bekannt. Was ansonsten unter Tradition im Fußball fällt, darüber erhitzen sich auch in der österreichischen Bundesliga die Gemüter.

Besonders seit der Getränkekonzern Red Bull 2005 bei Salzburg eingestiegen ist. Besonders bei Duellen gegen Traditionsklub Rapid, wie in der 7. Bundesliga-Runde am Sonntag (16:30 Uhr, LIVE im LAOLA1-Ticker).

Sogenannten Kommerzklubs wird vielerorts jegliche Tradition abgesprochen.

LAOLA1 geht der Frage nach: Zurecht oder nicht? Und welchen Stellenwert hat die Tradition überhaupt im heutigen Fußball?

Was ist Tradition?

Für dieses Thema muss erstmal der Begriff Tradition erklärt werden. Wohl jeder hat ihn schon einmal in den Mund genommen. Eine Definition haben aber nur wenige parat. Matthias Marschik ist einer davon.

Der Sporthistoriker bringt es auf den Punkt: „Tradition liegt für mich dann vor, wenn ich auf dem, was ich vorher geleistet habe, aufbaue.“

Der Zeitaspekt spiele dabei keine Rolle: „Die Vergangenheit kann ein Monat, fünf Jahre oder 100 Jahre zurückliegen. Jeder Fan kann sich an Szenen erinnern, in denen er zum Kumpel sagt: Schau, die Situation ist so ähnlich wie vor zwei Jahren.“

„Insofern hat jeder Verein ein bisschen Tradition, auch Red Bull Salzburg“.

Der Unterschied liege nun darin, welchen Stellenwert der jeweilige Klub diesem Aspekt gibt. „Rapid inszeniert Tradition, versucht diesen Faktor mehr in den Vordergrund zu stellen. Salzburg nicht.“

„RBS braucht keine Tradition“

Besonders deutlich wurde dieser Umstand 2005, als der Getränkekonzern Red Bull in Salzburg einstieg. Die Querelen mit dem harten Kern der Fans von Austria Salzburg zogen sich über Monate, die violette Vereinsfarbe wurde zum Konfliktherd. Die RBS-Stellungnahme „das ist ein neuer Klub. Es gibt keine Tradition, es gibt keine Geschichte, es gibt kein Archiv“ war im „Standard“ ein deutliches Signal, dass die Vereinsvergangenheit nicht mehr relevant sei.

Für Sporthistoriker Marschik war dieses Vorgehen ein zweischneidiges Schwert. „Red Bull hat die Übernahme zu schnell durchgezogen. Man hätte sicherlich ein bisschen mehr schauen müssen, wo ich die Fans abholen und einbinden kann. Ist es wirklich notwendig, das Violett vollständig zu streichen? Hätte ich es nicht noch irgendwo einbauen können?“

Letztlich sei diese Vorgehensweise aber nur konsequent gewesen: „Herr Mateschitz und seine Marketing-Abteilung sind sicher nicht blöd. Wenn ich ein neues Produkt etabliere, habe ich zwei Möglichkeiten: Ich knüpfe an alte Traditionen an oder ich breche ganz bewusst damit. Dann muss ich in Kauf nehmen, dass ein paar Tausend Fans abhandenkommen. Und Red Bull sagte: 'Wir sind neu, wir sind anders. Wir brauchen keine Tradition.'“

Dahingehend sei auch der Verzicht auf den Meisterstern ein logischer Schritt gewesen.

„Wollen Fußball von morgen sein“

Red Bull Salzburg hat also Tradition, braucht sie aber nicht.

Eine interessante These, mit der LAOLA1 auch den Klub in Wals-Siezenheim konfrontiert.


Die Bullen räumen bei der Bruno-Gala ab:
(Text geht unter dem Video weiter!)


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Wer glaubt, die Verantwortlichen widersprechen, der irrt. „Für uns ist Tradition kein außerordentlich wichtiger Wert in unserer Klubphilosophie. Wir wollen uns immer wieder neu erfinden. Das widerspricht sogar bis zu einem gewissen Grad der Tradition“, so Stephan Reiter.

Der 45-Jährige ist seit 1. Februar als kaufmännischer Geschäftsführer in Salzburg tätig. Damals noch als „Geschäftsführer Commercial“ vorgestellt, beschreibt Reiter den gesuchten Begriff so: Aufgrund unserer rasanten und innovativen Entwicklung bleibt sicherlich weniger Platz für Tradition. Es ist eine Frage der Definition, ob unser Spielsystem oder die Meistertitel des letzten Jahrzehnts schon Tradition haben.“

Im Konzept des Fußballvereins habe Tradition aber keinen (wichtigen) Platz: „Wir wollen der innovativste Klub in Österreich sein. Wenn ich eine Identifikation nennen müsste, dann jene, dass wir für den Fußball von morgen stehen wollen.“

"Sport steht im Mittelpunkt"

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Der sensationelle Triumph der U19 in der UEFA Youth League ist dafür sicherlich nicht die schlechteste Werbung. Bei den Fans kommt das Konzept aber noch nicht ganz an.

Blickt man auf die Zuschauerzahlen, hat sich der Besucherschnitt seit dem Einstieg von Red Bull in Salzburg halbiert. Fairerweise muss dazu gesagt werden, dass der Zuschauerschnitt aus den zehn Jahren zuvor bei 7.600 lag.

Saison Gesamtzuschauer Schnitt
2016/2017 148.676 8.260
2015/2016 167.429 9.302
2014/2015 197.522 10.973
2013/2014 196.015 10.890
2012/2013 152.074 8.449
2011/2012 177.300 9.850
2010/2011 176.250 9.792
2009/2010 229.028 12.724
2008/2009 267.585 14.866
2007/2008 239.503 13.306
2006/2007 274.493 15.250
2005/2006 297.218 16.512
Schnitt: 210.257 11.681

Auf der anderen Seite füllt Rapid das Stadion jedoch selbst dann, wenn die Hütteldorfer wie letzte Saison völlig überraschend gegen den Abstieg kämpfen mussten.

Das erkennt auch der Erzrivale an. „Natürlich hat Rapid eine tolle Fantribüne. Das will ich gar nicht bestreiten“, meint Reiter.

„Der einfachere Weg ist hier sicher, wenn man stärker auf die Vergangenheit setzt. Das passt aber nicht zu jedem Verein“, wirft er ein. „Wir sind stolz drauf, wenn bei uns keine Bengalen gezündet werden und sich Familien bei uns wohlfühlen. Wir stehen für Jugend, Veränderung und Dynamik“, beschreibt Reiter den unterschiedlichen Zugang zu den Fanszenen.

Gleichzeitig betont der 45-Jährige auch: „Für uns steht ganz klar der Sport, der Athlet und das Team im Mittelpunkt, niemand sonst.“

Tradition bindet Fans

Auch Marschik erkennt unterschiedliche Mechanismen. Der Sporthistoriker sieht zwei Unterschiede: „Salzburg hat ein unglaublich beschränktes Reservoir an Anhängern. Zudem gehe ich als Fan eines traditionsreichen Vereins auch dann ins Stadion, wenn er schlecht spielt. Salzburg ist mehr vom Erfolg abhängig.“

Wobei Erfolg in diesem Sinne relativ ist. Die „Bullen“ holten zuletzt ja immerhin vier Doubles in Folge, also das nationale Maximum.

Marschik hat aber mehr das große Ganze im Blick: „Beim Einstieg war Red Bull sicherlich davon überzeugt, innerhalb von drei bis fünf Jahren in die Champions League zu kommen. Sie waren auf dem Weg zu einem europäischen Mittelklasse-Verein. Dann möchte ich aber auch als Fan sehen, wie Red Bull souverän Meister wird und in der Champions League reüssiert. Wenn ich dann sehe, dass sie Soriano und den, den und den verkaufen und sich zum Meistertitel wurschteln, weil die anderen noch schlechter sind, geh' ich nicht mehr ins Stadion. Das ist natürlich die Folge des Marketing-Konzeptes, das auf Erfolg aufgebaut ist.“

Reiter sieht Klub in der Pflicht

Bereits die vergangenen Jahre kommunizierte der Verein die Königsklasse nicht mehr offensiv als oberstes Ziel.

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„Unser Konzept hat sich ein wenig verändert. Unser wesentliches Ziel ist es weiterhin, in Österreich so viele Titel wie möglich zu gewinnen und auch im Europacup mit dabei zu sein. Aber wir sehen auch einen großen Erfolg darin, junge Spieler zu entwickeln und aus deren Verkauf Transfereinnahmen zu generieren “, so Geschäftsführer Reiter.

Dass in den letzten Jahren zu viele Spieler nach Leipzig abwanderten und dies die Fans verärgere, bestreitet er: „Man muss einfach akzeptieren, wenn Spieler den nächsten Schritt gehen wollen. Unsere Fans können stolz sein, wenn etwa bei RB Leipzig sechs, sieben Ex-Salzburger in der Startelf stehen, wie das schon der Fall war.“

„Das waren marktübliche Transfers. Leipzigs Spielsystem ähnelt uns mehr als die Eigentümer-Verhältnisse.“

Während Red Bull in Leipzig Eigentümer ist, ist der Getränkekonzern in Salzburg nur noch Sponsor und darf so nur noch maximal 30 Prozent vom Umsatz beisteuern. Die UEFA-Richtlinien machten dies nötig, damit beide Klubs gleichzeitig im Europacup spielen können.

Geschäftsführer Reiter sieht aber auch den Verein in der Pflicht: „Unsere Aufgabe muss sein, unseren Fans diese Philosophie noch besser zu erklären. Bei uns sieht man neben alteingesessenen Spielern auch solche, die in zwei Jahren vielleicht Stars in der Premier League oder deutschen Bundesliga sind. Sadio Mane und Naby Keita sind zwei hervorragende Beispiele. Das gibt’s sonst nirgends in Österreich.

Red Bull muss rechnen

Sporthistoriker Matthias Marschik analysiert dies nüchterner: „Fans sind für Herrn Mateschitz nur insofern wichtig, dass sich das Produkt Red Bull natürlich nicht verkaufen lässt, wenn nur 300 Leute im Stadion sind. Ihm ist wichtig, mit dem Produkt Red Bull Salzburg seine Säfte zu verkaufen. Dieses Ziel hat ja jeder Sponsor.“

„Red Bull muss sich immer denken: Was bringt mir dieser Klub für die Marke? Die Formel 1 sicher viel. Mit Leipzigs CL-Qualifikation hat Herr Mateschitz sicherlich auch nicht gerechnet. Bei Salzburg hat er sich analog in die negative Richtung verrechnet. Der nächste sportliche Schritt hat nicht geklappt.“

Ein Schritt mit möglichen Folgen: „Wenn ich, wie die Austria damals unter Frank Stronach, von einer Person abhängig bin, besteht die Gefahr, dass diese eines Tages kein Interesse mehr am Verein hat. Oder eben nach Leipzig abhaut.“

So schließt sich der Kreis, dann könnte nämlich auch wieder in Salzburg Tradition relevant werden: „Wenn es darauf ankommt, ob der Klub eingeht oder in einer möglichen Post-Mateschitz-Ära überlebt.“

Tradition allein kein Überlebenskonzept

Als Erfolgsgarant sieht Marschik Tradition aber auch wiederum nicht: „Die Admira hat einen ganzen Rattenschwanz an Tradition, hat aber nie geschafft, auf dieser aufzubauen, sodass sie in der fußballinteressierten Bevölkerung akzeptiert worden wäre.“

„Erst wollte sie an die Tradition der Admira in Floridsdorf und von Wacker in Meidling anknüpfen. Ihnen sind dann aber die Leute weggestorben beziehungsweise nicht mehr in die Südstadt gefolgt. Der Versuch, sich als moderner Mittelklasseverein im Süden Wiens zu etablieren, hat auch nicht funktioniert. Ebenso wie das Image als 'graue Maus', die gegen die Großen kämpft. Mehrere Versuche, mit Tradition mehr Geld und mehr Zuschauer anzulocken, sind gescheitert.“

Den Kommerz ortet Marschik dabei nicht als unmittelbare Ursache: „Tradition ist eine mögliche Wurzel, um in diesem Kommerz erfolgreich zu sein, aber ich würde die beiden nicht als Gegensatz sehen. Ich würde jetzt nicht sagen, dass die Tradition dadurch verschwindet“.

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