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"Bei Loitzl konnte man einfach nichts abziehen"

Sie ist die Tochter des berühmten Ex-Skispringers Ernst Vettori und sie übt einen nicht ganz alltäglichen Beruf aus: Marion Vettori ist Sprungrichterin.

Ein Job, der vor allem auffällt, wenn einem etwas unfair vorkommt. In nur wenigen Sekunden entscheiden die Richter über die Punktzahl der Springer, was war gut, was war schlecht?

LAOLA1 blickt hinter die Kulissen und lässt sich erklären, worauf es beim Werten ankommt, wie man Sprungrichter wird und wann man im Weltcup richten darf. Dazu erzählt die 26-Jährige, wie sie sich in der Männer-Domäne behauptet, warum sie überhaupt auf die Idee dazu kam, obwohl sie selbst nie gesprungen ist, und wie oft sie auf ihren berühmten Vater angesprochen wird.

LAOLA1: Wie ist es dazu gekommen, dass du Sprungrichterin bist?

Marion Vettori: Mein Bruder ist zweieinhalb Jahre jünger als ich und selbst gesprungen. An den Wochenenden bin ich immer zu den Wettkämpfen mitgefahren. Irgendwann habe ich angefangen, ein bisschen mitzuhelfen. Ich habe Listen geschrieben oder die Karten der Sprungrichter nach unten gebracht. So hat sich das entwickelt. Dann habe ich mich entschlossen, den Kampfrichter zu machen. Das ist die Vorstufe bei uns in Österreich, da kann man auch Weitenmesser oder Zielrichter werden. Aber mich hat es immer nur zum Springen hingezogen.

LAOLA1: Bist du selbst auch gesprungen?

Vettori: Nein, selbst bin ich nie gesprungen, aber ich war von klein auf in der Materie drin. Selbst hat es mich nie gereizt, es war auch damals nicht so gängig für die Damen, wie es heute ist. Heute würde es wahrscheinlich ein wenig anders ausschauen.

LAOLA1: Apropos - auch bei den Sprungrichtern gibt es ja nicht allzu viele Frauen…

Vettori: Es gibt immer mehr mittlerweile, es ist ungefähr vergleichbar mit dem Skispringen. Jetzt, wo immer mehr Damen anfangen, gibt es auch immer mehr Sprungrichterinnen. Aber es ist immer noch eine sehr männerlastige Domäne.

LAOLA1: Fühlst du dich dennoch akzeptiert?

Vettori: Ja, das war eigentlich nie ein Problem. Obwohl ich doch um einiges jünger bin als die meisten. Ich habe relativ früh (2009, Anmerk.) angefangen und noch dazu als Frau. Es waren vorwiegend männliche Kollegen, aber es herrschte immer eine super Stimmung am Turm. Es ist nicht so, dass sie sagen, was will denn die da, das Mädel hat doch sowieso keine Ahnung oder so.

LAOLA1: Steht bei dir bald der erste Einsatz im Weltcup an?

Vettori: Ja, im Februar habe ich meinen ersten Weltcup-Einsatz bei den Damen, in Ljubno in Slowenien, das wird sicher aufregend.

LAOLA1: Wie wird man Weltcup-Sprungrichter?

Vettori: Man muss zuerst den nationalen Sprungrichter machen, damit darf man bei nationalen Bewerben werten. Dann muss man die zusätzliche Ausbildung zum FIS-Sprungrichter machen, die dauert noch einmal zwei Jahre und es gibt eine schriftliche und eine praktische Prüfung. Dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis man einen Einsatz bekommt.

LAOLA1: Bei den Herren dürftest du auch richten?

Vettori: Ja, das steht nun alles offen, es gibt keine nächste Stufe mehr, für die ich mich qualifizieren müsste. Man fängt klein an beim Alpencup, bei den Jugendspringen, geht über den Continental-Cup und dann langsam in den Weltcup. Dadurch, dass wir in Österreich relativ wenig Sprungrichter haben und viele Weltcup-Springen selbst austragen, gibt es relativ viele Plätze, auch im Ausland. Das ist Glück, dass man recht schnell einen Weltcup-Einsatz bekommt.

LAOLA1: Wie kann man sich den Job genau vorstellen?

Vettori: Als Sprungrichter hat man nur die Live-Zeit, in der der Springer hinunterspringt, keinen Bildschirm, keinen Livestream und keine Wiederholung. Dann bewertet man drei Teile des Sprungs: Den Flug, den Aufsprung und die Ausfahrt. Für jeden Teil gibt es gewisse Kriterien, wie viel man für welchen Fehler abziehen darf. Es ist nicht so, wie viele glauben, dass man einfach die Note 18 gibt, sondern man startet bei 20 und zieht zum Beispiel je bei Flug und Landung einen Punkt ab und dann steht die Gesamtnote. In das Eingabe-Terminal gibt man für die drei Phasen des Sprungs die Abzüge ein. 

LAOLA1: Wie kann man Sympathien oder Abneigungen ausblenden? Funktioniert das?

Vettori: Für mich funktioniert es gut, ich habe keine Vorurteile, dass ich jetzt sage, ach, der oder der setzt nie einen gescheiten Telemark oder so. Ich sehe auch sehr viele neue Springer, vor allem in dem Bereich, in dem ich derzeit werte. Da gibt es immer wieder neue Nachwuchstalente. Natürlich sieht man auf der Startliste, ach, jetzt kommt der und der, den hat man vielleicht schon mal gesehen. Aber im Moment des Sprungs konzentriert man sich nur auf den Sprung, den er gerade zeigt. Man bewertet nur den Sprung an sich, nicht den Namen oder die Startnummer. Ich bewerte eigentlich immer objektiv... noch (lacht).

LAOLA1: Man hat aber schon - gerade im Weltcup - oft das Gefühl, dass gewisse Springer immer gute Noten bekommen und andere wiederum immer eher schlechtere. Bestätigt sich der Eindruck bei dir auch?

Vettori: Nein, ich denke, jede Note, die der Springer bekommt, ist berechtigt. Zum Beispiel bei Wolfgang Loitzl, dem klassischen Stilisten, da konnte man einfach nichts abziehen. Er sprang einfach immer wieder schön. Ich kann es schwer sagen, wie es sein wird, wenn ich bei einem Herren-Weltcup werte, aber ich gehe mal davon aus, dass man sich da auch nicht beeinflussen lässt und von Sprung zu Sprung wertet.

LAOLA1: Musstest du dich schon mal gegenüber anderen Sprungrichtern, Eltern oder Athleten rechtfertigen oder bist du weit genug weg?

Vettori: Da bin ich weit genug weg. Das ist noch nicht vorgekommen. Vielleicht hinter meinem Rücken, aber persönlich bin ich noch nicht darauf angesprochen worden (lacht).

LAOLA1: Wirken sich die Regeländerungen bezüglich Windfaktoren etc. auf die Sprungrichter aus?

Vettori: Wie beurteilen ja nicht die Weite, sondern die Dynamik etc. des Sprunges. Natürlich kann es sein, dass verkürzt wird, aber das bekommt man mit, da wird man von der Jury informiert und man macht ganz normal weiter. Es ist nicht so, dass man denkt, oh, der springt mit zwei Luken weniger, dem muss ich jetzt bessere Noten geben. Wie bewerten einfach, wie der Sprung ist, also betrifft uns die Regeländerung nicht.

LAOLA1: Was sagst du persönlich zu den Änderungen? Sind sie gut für den Sport?

Vettori: Es ist so eine Sache. Wenn es ausgenutzt wird, dass der Anlauf zu oft gewechselt wird, ist das nicht gut für den Bewerb. Aber auf der anderen Seite, als Notlösung ist es super, dass man die Möglichkeit hat, um den Bewerb durchzubringen und am Ende des Tages ein Ergebnis zu haben. Auch, wenn es nur in einem Durchgang entschieden wird. Es ist immer besser, dass man die Möglichkeit hat, zu reagieren.

LAOLA1: Was ist toll an deinem Job?

Vettori: Ein Teil dieser tollen Sportart zu sein, die Hintergründe zu kennen. Es ist einfach etwas Besonderes, kein alltäglicher Job, den jeder macht. Das ist schon cool. 

LAOLA1: Wie viele Einsätze hast du im Jahr?

Vettori: Schon einige, oft muss ich am Freitag auch Urlaub nehmen, aber meine Firma ist da zum Glück sehr entgegen kommend. 

LAOLA1: Es ist also nicht dein Hauptjob?

Vettori: Nein, es ist nur Hobby. Man bekommt Taggelder, Spesen und Diäten, aber davon leben kann man nicht. Man muss nebenbei noch voll arbeiten gehen. 

LAOLA1: Was arbeitest du?

Vettori: Ich bin Controller bei Physiotherm. Die sponsorn Thomas Diethart, dadurch sind sie auch etwas involviert in den Sport und sehr entgegenkommend, wenn ich in der Hochsaison mal eine Woche Urlaub brauche.

LAOLA1: Wie oft bist du im Winter unterwegs?

Vettori: Nicht jedes Wochenende… aber ich mache nicht nur Sprungrichter, sondern auch andere Sachen bei Wettkämpfen. Zum Beispiel in Seefeld beim Kombinierer-Weltcup bin ich als Rennsekretärin da. Im letzten Winter ist total viel ausgefallen, weil wir so wenig Schnee hatten. Heuer ist das schon besser… Zwei Alpencups, der Weltcup, zwei Conti-Cups, die EYOF… Es wird nicht langweilig.

LAOLA1: Bei der EYOF(Europäische Olympische Jugenspiele)-Eröffnung hast du den Olympischen Eid geleistet… Was bedeutet das für dich?

Vettori: Ich habe mich total gefreut, dass ich auserwählt worden bin. Das ist etwas, was einmal im Leben passiert. Da war ich total stolz und es bestätigt einen auch darin, warum man es macht. Man denkt auch noch mal genau darüber nach, was man eigentlich sagt, und der Olympische Geist fährt irgendwie in einen ein.

LAOLA1: Wie haben dir die EYOF gefallen?

Vettori: Es war super, alles tiptop organisiert, auch von den Schulen. Die Tribünen sind jederzeit voll. Auch die Shuttlebusse, Verpflegung und so banale Dinge, wie die Anzahl der Weitenrichter - alles passt super. Es ist Wahnsinn, wie viele Volunteers und Helfer dabei sind, die das gerne machen. Das ist toll.

LAOLA1: Wirst du oft auf deinen Vater Ernst angesprochen? Wie ist es, so einen berühmten Vater zu haben?

Vettori: Ich werde oft angesprochen, vor allem in diesen Kreisen. Außerhalb vom Sport ist es eher weniger. Aber bei Skisprung-Veranstaltungen kennt man ihn doch noch. Es wird immer gefragt, bist du die Tochter, und ich sage dann, ja. Das stört nicht, ich bin da stolz drauf. So oft ist das auch nicht.


Das Interview führte Henriette Werner