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Das verflixte letzte Schießen - ein Biathlon-Mysterium

Das verflixte letzte Schießen - ein Biathlon-Mysterium

Der Wettkampf verläuft sensationell: Läuferisch gut drauf, am Schießstand makellos. Die WM-Medaille, möglicherweise sogar Gold, ist zum Greifen nahe.

Doch dann: Das letzte Schießen. Das verflixte letzte Schießen. Und plötzlich bringt man sich selbst um die Früchte seiner Arbeit.

Ein Phänomen

Es ist ein Phänomen im Biathlon, dass immer und immer wieder das letzte Schießen – und dabei gerne der allerletzte Schuss im Bewerb – einem Athleten zum Verhängnis wird.

Aktuellstes Beispiel ist die Weltmeisterschaft in Ruhpolding. Gleich drei deutsche Hoffnungsträger – Arnd Peiffer, Michael Greis und Andreas Birnbacher – hatten Gold vor Augen, als ihnen das letzte Schießen einen Strich durch die Rechnung machte.

„Das letzte Schießen ist eben das schwerste“, brachte es Peiffer auf den Punkt.

Bei Birnbacher war es besonders dramatisch. 19 Scheiben ließ er in Folge fallen, beim „Gold-Schuss“ versagten ihm die Nerven. So wurde aus Gold Blech. „Es ist verdammt ärgerlich“, so der Bayer.

„Im Training passiert nichts“

LAOLA1 hat sich aufgrund der aktuellen Thematik mit zahlreichen Experten über das „Mysterium letztes Schießen“ unterhalten.

„Man kann es im Training tausend Mal machen“, erklärt Daniel Mesotitsch, „da fehlt aber der Druck. Wenn du den Schuss verballerst, passiert ja nichts. Im Wettkampf ist das eine ganz andere Nummer.“

Es sei schwierig, den Fokus auf das Wesentliche zu richten, zumal das Rennen bis zu den letzten fünf Schüssen ohnedies schon an der Energie gezehrt hätte.

„Dann geht das Zittern los“

Ins selbe Horn bläst Alfred Eder, Trainer der ÖSV-Trainingsgruppe 1b um Simon Eder, Sven Grossegger und die Eberhard-Brüder Tobias und Julian.

„Es ist unbeschreiblich schwer, wenn man schon komplett ermüdet zum Schießstand kommt. Dann geht das Zittern in den Oberschenkeln los.“ Ganz oben auf der Liste der Fehler-Ursachen steht für ihn aber „der Druck. Dem muss man erst einmal standhalten“.

„Das macht Biathlon aus“

Biathlon-Legende Fritz Fischer, der gemeinsam mit Mark Kirchner das deutsche Herren-Team betreut und zu aktiven Zeiten zu Weltmeister- und Olympiasieger-Ehren kam, findet das Mysterium „verrückt“.

„Aber genau das macht Biathlon für die Öffentlichkeit aus. Drei Männer haben keinen Fehler und alle machen dann beim letzten Schießen denselben. Wir wollen nicht jammern und freuen uns über die guten Leistungen, die die Athleten geliefert haben. So etwas macht den Sport eben aus.“

Lärm als Zusatzproblem

Zu den Konzentrationsschwierigkeiten und dem riesigen Druck gesellt sich in Ruhpolding eine dritte Komponente – der Lärm der Fans.
Dieser wurde Simon Eder zum Verhängnis und brachte ihn um einen möglichen Startplatz im Massenstart.

„Ich habe bei meinem zweiten Fehler leider verrissen. Mein Schießen war zeitgleich mit jenem von Birnbacher und die Menge hat genau gegen meinen Rhythmus geschrien. Dabei habe ich mich ablenken lassen. Es war ganz allein meine Schuld.“

Erfolgsrezept schwer umsetzbar

Dominik Landertinger weiß genau, wovon sein Teamkollege spricht. „Ich habe es bei Michael Greis gemerkt. Es war unfassbar – der Lärm war extrem!“

Der Tiroler hat auch das Erfolgsrezept parat: „Man muss komplett abschalten, sich voll konzentrieren und darf sich von nichts ablenken lassen.“

Ein guter Tipp, der in der Praxis jedoch allzu häufig nicht umsetzbar ist. Peiffer, Birnbacher und Kollegen lassen grüßen.



Christoph Nister