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"Der Gesamtweltcup war nie mein Ziel"

Marcel Hirscher auf Rekordjagd.

Die Schlagzeile für die am Wochenende in Sölden beginnende Ski-Saison ist leicht gefunden. Alles dreht sich um den 26-Jährigen.

Schafft er es tatsächlich, zum fünften Mal in Folge den Gesamtweltcup für sich zu entscheiden? Viermal sind bereits eine neue Bestmarke, mit dem fünften würde der Salzburger auch mit Rekordhalter Marc Girardelli, der die große Kugel fünfmal gewinnen konnte, gleichziehen.

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Das ist Kaffeesud lesen", blockt Hirscher im Interview ab. Große Ansagen, dass der Gesamtweltcup nur über ihn führt, sind ihm nach wie vor nicht zu entlocken. Auch vor seiner achten Weltcup-Saison stapelt er lieber tief. "Anhand der letzten Jahre bin ich ein Favorit. Man kann aber ein Würfelspiel machen, weil es so weit hergeholt ist."

Generell sei der Gesamtweltcup nie sein Ziel gewesen. "So etwas Übergeordnetes kann man nicht planen. Das muss sich ergeben", begründet er.

Im Interview verrät Marcel Hirscher, wie er seine Rolle als Teamleder interpretiert, welcher "Feind" aus dem eigenen (ÖSV)-Lager ihm im Gesamtweltcup einen Strich durch die Rechnung machen könnte, wie es um seine Speed-Ambitionen steht und spricht über die brisante Wahl zum "Sportler des Jahres":


Frage: Im Sommer sind wieder einige arrivierte Läufer zurückgetreten. Nimmst du nun noch mehr die Rolle des Teamleaders ein?

Marcel Hirscher:
Das ist ein natürlicher Wandel der Zeit, es kommen wieder Junge nach. Es ist schön, dass Benni (Raich/Anm.) strahlt und glücklich ist. Er wirkt befreit, das ist unglaublich schön. Wenn man es so schafft, ist es wunderschön. Schlimmer ist es, wenn du von Verletzungen gezwungen wirst, aufzuhören. Allgemein ist es sicher anders als in meinen ersten Jahren. Herbstl (Reinfried Herbst/Anm.) ist noch aus dieser Goldenen Generation da. Dann bin ich schon einer der Älteren. 

Frage: Wie interpretierst du diese Rolle?

Hirscher: Ich fahre sowieso in jedem Training so schnell es geht. Wenn sich der eine oder andere ein Zehntel abschauen kann, ist es eine coole Geschichte. Ich habe auch von anderen Läufern wie Mario Matt, Benjamin Raich oder Reinfried Herbst richtig viel gelernt. Wenn sie so viel von mir mitnehmen können, ist das eine geile Sache. Das ist ein System, das sich bewegt.

Frage: Es wurde immer wieder behauptet, du schottest dich im Training ab und die Jungen können so nicht von dir profitieren. Wie war das in der Vorbereitung?

Hirscher: Wenn, dann kann man es eher umgekehrt sehen, dass sie zu wenig mit mir gefahren sind. Es ist immer situationsbedingt. Bei gewissen Verhältnissen kann man nicht mit 20 Leuten auf einem Kurs fahren, weil das Training dann an Qualität verliert. Für mich ist der Vergleich ja auch super. Das Beste wäre, wenn man in jedem Training einen Vergleich hat.

Frage: Kommen wir zur anstehenden Weltcup-Saison. Wie stehen die Chancen auf einen fünften Gesamtweltcup-Sieg in Folge?

Hirscher: Das ist Kaffeesud lesen. Mehr ist es nicht. Anhand der letzten Jahre bin ich ein Favorit. Man kann aber ein Würfelspiel machen, weil es so weit hergeholt ist.

Frage: Wenn man die große Kugel viermal in Folge gewonnen hat, kann der Gesamtweltcup aber nur wieder das Ziel sein, oder?

Hirscher: Das war er nie. Es war nie mein Ziel, so etwas Übergeordnetes kann man nicht planen. Man kann für den Tag X planen, sich genau dafür vorzubereiten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich mich explizit auf den Gesamtweltcup vorbereite und sage, ich will ihn heuer gewinnen. Das muss sich einfach ergeben. Wenn du ein- oder zweimal ausfällst, ist die Sache gegessen – da kannst du im Sommer so viel nachdenken und planen wie du willst. Es gibt Jahre, da ist man unter 1.000 Punkten Gesamtweltcupsieger, es gibt aber auch welche, in denen man über 1.400 braucht. Das ist auch von der Saison abhängig.

Frage: Du gehst mittlerweile in deine achte Weltcup-Saison. Geht das Sommertraining immer mehr an die Substanz?

Hirscher: Ich muss den Körper noch mehr pflegen. Es ist nichts kaputt, es handelt sich um Sportprofi-Körperpflege. Ausmassieren, behandeln, öfter in die Badewanne legen oder auch einen trainingsfreien Tag einlegen. So blöd es klingt, ich bin auch nicht mehr 18. Ich muss versuchen, schlau an die Sache heranzugehen. Mit 18 hat man noch ein bisschen mehr Power.

Frage: Und wie verändert sich der Kopf?

Hirscher: Da ist es eher umgekehrt, weil ich dazugelernt habe. Es ist um einiges leichter geworden. Ich wollte grundsätzlich Skifahrer werden, alles was dazugekommen ist, musste ich erst lernen.

Frage: Inzwischen testet jeder Athlet intensiv Material und tüftelt an den Skiern. Wird Skifahren immer mehr zur alpinen Formel 1?

Hirscher: Was ich mich erinnern kann, hat Hermann Maier einen großen Schritt gemacht. Mein Team arbeitet ebenfalls akribisch. Ich bin der Meinung, dass ein Anderer die drei, vier oder fünf Zehntel, die ich so heraushole, erst einmal herausfahren muss. Wenn das Material nicht funktioniert, kann ich drei Tore fahren und abschwingen. Es ist 50:50 – die Hälfte Athlet, die Hälfte Material. Andere sehen das anders, für mich ist es so.

Frage: Nach dem Weltcup-Auftakt steht auch die Galanacht des Sports und Verkündung des "Sportler des Jahres" an. Letztes Jahr wurde es David Alaba, wie geht es diesmal aus?

Hirscher: Wenn David es wieder wird, müssen wir uns wieder nicht verstecken. Er ist sicher mindestens unter den Top 50 der Welt. Wenn wir so einen geilen Fußballer haben, dürfen wir auch stolz darauf sein. Egal, wer es wird: Es ist eine Wahl, messen kann man die Erfolge nicht. Man darf nicht vergessen, dass es auch andere erfolgreiche Sportler gibt, wie Bernd Wiesberger. Es ist sensationell, dass wir im kleinen Österreich so viele gute Sportler haben.


Matthias Nemetz

Frage: Wer werden die größten Gegner im Kampf um die große Kugel?

Hirscher: Mothl. Er macht den Eindruck, als würde er alles zerreißen. Er trainiert Slalom und Riesentorlauf – er ist voll da. Sonst höre ich auch nur wilde Sachen. Die Norweger trainieren brutal und waren ewig lange unterwegs. Das ist der komplett konträre Weg zu meinem. Das ist sicherlich auch eine Möglichkeit, ich bin gespannt.

Frage: Komplett konträr - du hast ja sogar das Übersee-Training ausgelassen und auf Schnee-Tage verzichtet. War es dennoch die perfekte Vorbereitung?

Hirscher: Nein. Der Magen-Darm-Virus hat sich ziemlich lange gezogen, dadurch sind mir einige Schneetage abhanden gekommen. Das schmerzt, weil ich dem Körper 14 Tage lang nicht die Höhenlage eines Gletschertrainings zumuten konnte. Ich muss das Beste daraus machen, es gibt aber keinen Grund zur Beunruhigung.

Frage: Wie sah die Gewichtung zwischen Slalom und Riesentorlauf aus?

Hirscher: Ich habe seit Sommer drei Slalom-Tage in den Beinen. Bis zum ersten Slalom ist aber noch Zeit. Da brennt noch nichts an. Wenn wir nach Skandinavien gehen, müssen wir die guten Tage erwischen und nützen. Jetzt muss man es nicht erzwingen.

Frage: Und wie steht es um deine Speed-Ambitionen?

Hirscher: Auswirkungen auf die Speed-Planung haben die ersten beiden Rennen. Wenn die gut funktionieren, bin ich ziemlich relaxt und kann den einen oder anderen Trainingstag in den Speed-Bereich verschieben. Wenn es nicht funktioniert, muss ich die Kern-Kompetenzen stärken. Grundsätzlich haben wir das alles besprochen. Wenn ich mehr Speed fahre, müsste ich mich vom Slalom trennen. Das wäre momentan aber schade (lacht).