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"Novak ist als Mensch reifer als früher"

Seit über über zwei Jahren ist Gebhard Gritsch als Konditions-Trainer für die körperliche Verfassung von Novak Djokovic zuständig.

Gemeinsam mit Chefcoach Marian Vadja und dem NBA-erfahrenen Physio Milan Avanovic hat der 54-Jährige maßgeblichen Anteil an der aktuellen Dominanz des Serben auf der ATP-Tour.

30 Wochen im Jahr ist Gritsch an der Seite von Djokovic zu finden. Kein Wunder, dass der lange Zeit in Asien und Australien wohnhafte Kosmopolit beinahe schon zur Familie des Serben gehört.

Normalerweise hält sich der im 2.500 Einwohner großen Silz aufgewachsene Tiroler eher im Hintergrund.

Für LAOLA1 nahm sich der zweifache Familienvater allerdings zwei Stunden Zeit, um ausgiebig über seine Arbeit mit Djokovic ("Dieser Job wird schwer zu toppen werden."), seinen persönlichen Werdegang und das österreichische Tennis zu sprechen.

>>>>>>>>Hier geht's zum zweiten Interview-Teil, in dem Gritsch vor allem über sein ungewöhnliches Leben und das heimische Tennis erzählt.

LAOLA1: Gebhard, du bist seit 2009 Konditions-Trainer von Novak Djokovic. Wie kam die Zusammenarbeit zustande?

Gebhard Gritsch: Es war ein zufälliges Treffen mit Günther Bresnik. Wir gehen ja beide gerne auf den Flohmarkt, da haben wir uns gesehen und miteinander gesprochen. Er hat mich gefragt, was ich mache und ich habe ihm erzählt, dass ich gerne wieder mit Leuten arbeiten wollte, weniger am Computer. Er hat gemeint, Djokovic sucht jemanden und hat mich mit seinem Manager kurzgeschlossen. Dann habe ich mit ihm geredet und wenige Tage später auch schon angefangen.

LAOLA1: Wie lief das erste Treffen mit Djokovic ab?

Gritsch: Ich bin nach Belgrad geflogen, da er dort trainiert hat. Er hat mich mit seinem Team vom Flughafen abgeholt, wenig später gab es bereits die erste Trainingseinheit. Unter Sportlern weiß man, was gemacht werden muss. Alles lief relaxed ab.

LAOLA1: Vor zwei Jahren wurde immer wieder Djokovic‘ Fitness als Grund dafür angesehen, dass er seinerzeit wenig Land gegen Federer und Nadal sah. In welchem Zustand fandest du ihn vor?

Gritsch: Generell war die Fitness okay. Er hat aber nicht wirklich Tennis-spezifisch trainiert. In diesem Bereich haben wir viel gearbeitet. Beim Tennis sind alle Muskeln beteiligt. Eine gute Balance ist wichtig, man braucht einen guten Oberkörper. Selbst starke Finger sind wichtig, um den Schläger gut halten zu können. Genau das hat er gesucht, er wollte jemanden, der aus dem Tennis kommt und Fitness macht. Wir haben das Training komplett umgestellt.

LAOLA1: Er hatte auch mit Allergien zu kämpfen. Stellte das ein großes Problem dar?

Gritsch: Ja, natürlich. So etwas ist nicht einfach. Man bekommt keine Luft, die Sauerstoffzufuhr ist nicht da und du sollst tolle Leistungen erbringen. Nur irgendwann ist der Ofen aus. Zum Glück hat er rausgefunden, wo das Problem lag. Es ist bronchiales Asthma. Dazu gibt es eine Unverträglichkeit gewisser Nahrungsmittel.

LAOLA1: Wie lange hat es gedauert, bis er einen Fitnesszustand hatte, wie du ihn dir vorstellst?

Gritsch: An und für sich war er in den letzten Monaten in einem Zustand, mit dem wir sehr zufrieden sein können. Er ist ziemlich am Limit. Man kann natürlich nicht permanent alle Fitnessfaktoren ganz oben halten. Die Turnierphasen spielen auch eine Rolle. Auf Sand braucht man andere Fähigkeiten als auf Rasen. Für die Hartplatzsaison mussten wir wieder Kleinigkeiten ändern. Eine gute Schnelligkeitsausdauer war von Nöten. Auf 100 Prozent kann man einen Athleten nicht halten.

LAOLA1: Wie groß ist das Ausmaß der Zusammenarbeit mit Novak?

Gritsch: In den letzten zwei Jahren waren es ungefähr 30 Wochen im Jahr. Wir machen ja auch die Vorbereitung gemeinsam. In der Winterpause sind wir zum Beispiel immer in Monte Carlo.

LAOLA1: Wie ist das mit der Familie zu vereinbaren?

Gritsch: Bevor ich geheiratet habe, habe ich gesagt, dass ich mit einer Familie sicher nicht reisen werde. Und ich habe das dann auch nicht gemacht. Jetzt sind meine Kinder 18 und 16 und im Prinzip erwachsen. Nun stellt es für mich kein Problem mehr dar. Ich glaube, dass ich meine Aufgabe als Familienvater ganz gut erledigt habe (lacht).

LAOLA1: Bist du für Djokovic aufgrund deiner freundschaftlichen Beziehung auch in gewisser Weise Mentaltrainer?

Gritsch: Sicher. Wir diskutieren ja alles innerhalb des Teams und versuchen, das Ganze als Einheit zu sehen. Jeder kleine Teil beeinflusst das Gesamtkonzept. Wir kommunizieren auch sehr gut miteinander und können dadurch bestimmte Sachen verändern. Der Schlägerwechsel nach den French Open 2010 war zum Beispiel gemeinsam initiiert.

LAOLA1: Der mentale Aspekt ist im Tennis sehr wichtig. Hat es für Novak einen Knackpunkt gegeben, wo er gesehen hat, dass er auch die Nummer eins schlagen kann?

Gritsch: Es hat sicher einen Knackpunkt gegeben, wo er das realisiert hat. Aber es ist eigentlich graduell entstanden. In den letzten beiden Jahren haben wir an sehr vielen Kleinigkeiten gearbeitet, die ihn immer ein bisschen weitergebracht haben. Irgendwann hat er dann Bälle getroffen wie nie zuvor. Damit hat er dann auch sein Selbstvertrauen gestärkt. Im letzten Jahr war ich mit Novak in Korea bei einer Exhibition gegen Andy Roddick. Da hat er das erste Mal gespürt, dass er jeden Ball trifft und er Roddick überhaupt keine Chance lässt. Irgendwann geht dir dann selbst ein Licht auf. Er hat lange nicht geglaubt, dass er so spielen kann.

LAOLA1: Wie war Novaks Entwicklung zur Nummer eins? Was hat er im Vergleich zu früher verändert?

Gritsch: Sein Trainingseifer hat sich stark geändert. Die Viertelfinal-Niederlage bei den French Open gegen Melzer war sehr entscheidend für ihn. Danach hat er die Entscheidung getroffen, dass er seriöser arbeiten will. Davor haben wir ihn immer pushen müssen. Seither ist er derjenige, der mehr machen will. Wir müssen ihn zurückhalten. Die Leute haben keine Ahnung, was er für ein Perfektionist ist. Er analysiert alles sofort und erwartet auch von uns Perfektion. Wenn eine Kleinigkeit nicht passt, dann wird er sauer. Das muss aber auch so sein.

LAOLA1: Ist er in dieser Zeit sportlich erwachsen geworden?

Gritsch: Novak hat vor eineinhalb Jahren die Entscheidung getroffen, sein Tennis und seine Karriere in die eigene Hand zu nehmen. Das war für ihn mental ein ganz wichtiger Schritt. Davor ist er immer von seinem Vater gesteuert worden. Danach hat er selbst die Verantwortung übernommen und das hat ihn sehr viel weitergebracht. Er ist jetzt als Mensch sicherlich reifer als früher.

LAOLA1: Wie läuft die Zusammenarbeit konkret ab? Wie kann man sich die Kommunikation mit einem Weltklassespieler vorstellen?

Gritsch: Wenn man so erfolgreich ist, hat man schon mal sehr, sehr viele Flüsterer. Anfangs war es daher schwer, ihn von etwas zu überzeugen. Er muss großes Vertrauen in dich haben, da es viele gibt, die glauben, ihm sagen zu können, wie er noch besser wird. Als Außenstehender sieht man halt nur einen Teilbereich, dabei ist das ganze System sehr komplex. Die mentale Stärke spielt eine wichtige Rolle, die physische Stärke ebenso, dazu das Spielsystem. Jede Veränderung muss sehr kritisch betrachtet werden. Da sollte man vorher wissen, ob eine Veränderung eine Gefährdung des Gesamtsystems darstellt.

LAOLA1: Wird das Training anhand von messbaren Daten erstellt, wird viel nach Bauchgefühl gearbeitet oder ist die Mischung entscheidend?

Gritsch: Messbare Sachen kann man ein bisschen im Konditionsbereich machen. Wir orientieren uns aber nicht allzu sehr daran. Es wird die Gesamteinheit analysiert. Dabei ist sein Feedback entscheidend. Oft sind es Kleinigkeiten, aber diese haben große Auswirkungen. Letztes Jahr in Shanghai arbeiteten wir an der Balance und veränderten diese. Dann kam Nadal mit seinem Trainerteam und stand am Zaun. Danach hat er mich gefragt, was wir da machen. Er hat kapiert, dass die Schlagpräzision verbessert wird, wenn die Balance verbessert wird.

LAOLA1: Gehört Spionage mittlerweile zum täglichen Geschäft?

Gritsch: Es wird unglaublich viel spioniert. Es ist kaum zu fassen, wie viel kopiert wird. Wir versuchen, viel geheim zu machen. Die entscheidenden Geschichten, die den Unterschied ausmachen, werden immer geheim trainiert.

LAOLA1: Wie ist das Verhältnis unter den Coaches untereinander? Zum Beispiel zu Pagani, den Kondi-Trainer von Federer?

Gritsch: Wir grüßen uns, wir reden aber nicht über das Training. Wir sind freundlich zueinander. Auch wenn sich das in der letzten Zeit vom Nadal-Clan ausgehend ein bisschen geändert hat. Der Nadal-Clan war immer ein bisschen distanziert, zuletzt hat sich das aber noch einmal stark verändert, jetzt wo er nicht mehr ganz vorne steht. Da merkt man den kalten Gegenwind aus dieser Ecke. Das ist aber logisch. Wenn man so lange vorne ist, will man das natürlich auch bleiben.  Die Interviews vom Nadal nach seinen Matches finde ich aber super. Er spricht das beinhart an und sagt: "Ich war nicht gut genug." Jetzt macht dies auch Federer so. Eine Zeit lang waren die Interviews nach Niederlagen aber ein bisschen wischi-waschi. Dann hat er nicht so gern zugegeben, dass der andere besser gespielt hat.

>>> Hier geht's zum zweiten Interview-Teil, in dem Gritsch über sein ungewöhnliches Leben und das heimische Tennis spricht. <<<

Das Interview führten Christian Frühwald und Christoph Nster