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"Die Tour ist eine schöne, aber auch sehr eigene Welt"

Mit zarten 21 Jahren gehört Dominic Thiem bereits zu den Top-30-Tennis-Spielern der Welt.

Ein Status, von dem tausende Talente Jahr für Jahr nur träumen können. 

Für den ehrzeizigen Lichtenwörther, der am Dienstag in Nottingham gegen Malek Jaziri endlich seinen ersten Sieg auf Rasen einfahren durfen (Spielbericht), soll dies aber nur ein kleiner Zwischenschritt bis zur absoluten Weltspitze sein.

Thiem sucht Heil in der Offensive

"Wichtig ist, dass ich diesen Weg fortsetze, weiter an meinem Spielplan arbeite und einen eigenen Spielstil entwickle", erklärt der Schützling von Günter Bresnik. "Wenn man mich am Platz sieht, muss man mich erkennen."

Sein Heil sucht Thiem dabei auf jeden Fall weiterhin in der Offensive. "Die Chancen, dass man ein richtig guter Spieler wird, sind mit einem offensiven Spiel einfach höher."

Warum dabei die Defensive etwas in den Hintergrund gerät, welche Rolle der Return spielt und wieso er einen Schläger- und Saitenwechsel vornahm, erzählt er im großen LAOLA1-Interview.

Außerdem spricht Thiem über das anstrengende Leben auf der Tour, das Konkurrenz-Denken zwischen den anderen Jungstars, die Entwicklung seines eigenen Spielstils und darüber, welche Vorteile die Zusammenarbeit mit Joakim Nyström hat. 

LAOLA1: Wie bist du mit deiner Saison zufrieden?

Thiem: Der Turniersieg in Nizza und das Viertelfinale in Miami haben viel kaschiert, obwohl ich zuletzt schon ganz gut gespielt habe. Auf Rasen bin ich zwar immer noch sieglos, trotzdem kann man kleine Fortschritte erkennen. Mit meinem Spiel ist es schwer, auf Rasen umzusteigen. Mein Spin wird vom Platz sozusagen aufgesaugt und dadurch entwertet. Die Niederlage gegen Kei Nishikori in Halle war aber eigentlich schon ganz gut. Da habe ich mich im Vergleich Stuttgart (Anm.: Erstrunden-Aus gegen Mischa Zverev) verbessert. Bei kniffligen Situationen war ich noch zu ungeduldig und dann wieder zu defensiv. Ich blicke aber zuversichtlich auf die nächsten Wochen in Nottingham und Wimbledon.

LAOLA1: Was hast du dir für dein Spiel vorgenommen?

Thiem: Wichtig ist, dass ich diesen Weg fortsetze, weiter an meinem Spielplan arbeite und einen eigenen Spielstil entwickle. Wenn man mich am Platz sieht, muss man mich erkennen. Das ist jetzt noch nicht der Fall.

LAOLA1: Wie sieht dein angepeilter Spielstil aus?

Thiem: Meine größten Stärken sind meine Grundschläge mit Vor- und Rückhand. Mit denen will ich die Gegner extrem unter Druck setzen. Ich will einfach immer am Drücker sein und das gelingt mir noch zu selten. Ich lasse mich noch zu oft in die Defensive treiben. Diese ist nicht meine Stärke. Ich habe sicher höhere Siegchancen, wenn ich in die Offensive gehe.

LAOLA1: Was auch eine Frage des Selbstvertrauens ist.

Thiem: Wenn man mal nicht so gut spielt, muss man auch einmal Matches gewinnen, in denen man in die Defensive gedrängt wird. Man muss auch einmal einen dreckigen Sieg feiern, um sich das nötige Selbstvertrauen zu holen, um richtig aufspielen zu können.

LAOLA1: Ein aggressiver Spielstil erhöht die Fehlerquote. Ist das eine mentale Belastung?

Thiem: Nein, das muss nicht sein. Wenn man sich die besten Spieler der Welt anschaut, dann machen die kaum Fehler, wenn sie richtig durchziehen. Da verringert sich sogar die Fehlerquote.

LAOLA1: Wie erklärst du dir deine Schwächen in der Defensive?

Thiem: Das kommt daher, dass ich im Training seit zehn Jahren das aggressive Spiel übe. Die Chancen, dass man ein richtig guter Spieler wird, sind mit einem offensiven Spiel einfach höher. Deshalb ist es auch klar, dass ich viel mehr offensives als defensives Spiel trainiere.

LAOLA1: Arbeiten wirst du auf jeden Fall noch an deinem Return. Wo setzt ihr da den Hebel an?

Thiem: Der Return ist extrem schwierig zu trainieren, weil er immer abhängig vom Gegner ist. Im Training weiß man, wo der Ball hinkommt. Das ist dann nicht so schwer. Im Vergleich zum letzten Jahr hat sich mein Return meiner Meinung nach aber eh schon verbessert, sonst hätte ich nicht Leute wie Isner oder Mayer geschlagen. Der Return ist sicher noch ein Schwachpunkt, aber ich hoffe, dass es in Zukunft noch besser wird.

LAOLA1: Du spielst seit dieser Saison einen neuen Schläger. Warum hast du gewechselt?

Thiem: Mit dem neuen Schläger bin ich einfach stabiler. Er taugt mir vor allem beim vollieren, servieren und beim Slice. Die Grundschläge haben mit beiden gut funktioniert. Der neue Schläger hat mir von Anfang an gefallen, mittlerweile haben wir ihn so optimiert, dass er mir zu 100 Prozent passt. Der Saitenwechsel war meiner Meinung nach aber noch heikler als der Schlägerwechsel. Ich bespanne jetzt längs mit Darmsaiten und quer mit Kunstsaiten.

Künftige Erzvialen? Kyrgios und Kokkinakis

Thiem: Das spielt sicherlich mit. Mit größerer Erfahrung wird der Belagwechsel besser werden. In Zukunft soll das natürlich nicht mehr passieren, dass ich ein, zwei Turniere zur Eingewöhnung brauche.

LAOLA1: In Paris haben mit Coric, Kokkinakis und Kyrgios erneut einige ganz junge Spieler aufgetrumpft. Wen schätzt du von der jungen Armada am stärksten ein, wer gefällt dir?

Thiem: Das sind alles Riesen-Spieler. Kyrgios ist auf Rasen und Hartplatz extrem gefährlich. Kokkinakis ist auch sehr gut – beide spielen sehr offensiv. Coric ist auch gut, der sucht sein Glück aber meistens in der Defensive. Er bewegt sich dafür unfassbar gut. Wenn nicht irgendetwas Schlimmes passiert, werden die in den nächsten Jahren sicherlich ganz oben mitspielen.

LAOLA1: Wie ist dein Kontakt zu diesen jungen Spielern? Suchst du eher den Kontakt zu deinen Altersgenossen oder spielt das keine Rolle?

Thiem: Ich habe eher Kontakt zu den Deutschen wie Zverev oder Struff. Die gleiche Sprache hilft natürlich. Ich verstehe mich auch gut mit einem Kokkinakis, gehe jetzt aber nicht mit ihm essen.

LAOLA1: Waren diese Umstellungen mit ein Grund für den schwachen Saisonstart?

Thiem: Der Hauptgrund war sicher die verpatzte Vorbereitung auf Teneriffa. Wegen meiner Virus-Erkrankung konnte ich nur eine Woche mit dem neuen Schläger trainieren. Ich bin dann nach Auckland mit einer komplett neuen Ausrüstung gefahren. Das soll keine Ausrede sein, es war sicherlich ein kleiner Mitgrund, warum es so schlecht gelaufen ist. Wobei man da vorsichtig sein muss: Wenn man nicht gut spielt, dann sucht man immer nach allen möglichen Gründen und findet welche, die nicht einmal da sind.

LAOLA1: Hat es einen Knackpunkt gegeben oder hast du dich in den letzten Wochen einfach stetig steigern können?

Thiem: Es hat sich schleichend verbessert. Ich habe immer wieder gute Matches gehabt. Ab München ist es laufend besser geworden. Eher sogar schon ab Miami – schließlich hatte ich auch schon im letzten Jahr bei der Umstellung von Hartplatz auf Sand Schwierigkeiten.

LAOLA1: Liegt das an deiner Unerfahrenheit, dass du bei Belagwechseln noch etwas länger brauchst als andere Spieler?

Nyström coachte schon Melzer und AHM

Thiem: Es freut mich extrem. Obwohl er jetzt im Ranking stark zurückgefallen ist, ist er immer noch ein Weltklasse-Spieler. Im Training ist das nur positiv, wenn so ein Spieler wieder im Team in der Südstadt ist.

LAOLA1: Was machst du, um auf deinen Reisen abzuschalten und auszuspannen?

Thiem: Ich versuche, viel zu lesen und ein bisschen Sightseeing zu machen. Meistens geht sich das aber eh nicht aus. Die Tour ist zwar eine sehr schöne, aber auch sehr eigene Welt.

LAOLA1: Inwiefern?

Thiem: Man ist jede Woche an einem anderen Ort auf der Welt, sieht aber immer wieder die gleichen Leute. Das ist schon ein bisschen komisch. Manchmal wird es auch recht einsam und anstrengend, wenn man sechs bis acht Wochen von zuhause weg ist.

LAOLA1: Was unternimmst du gegen Heimweh?

Thiem: So richtiges Heimweh habe ich nicht, aber man lebt halt aus dem Koffer. Wenn man einmal ein paar Tage nicht fliegen muss, sondern einfach nur zuhause sein kann, ist das schon sehr angenehm.

LAOLA1: Herrscht da schon ein gewisses Konkurrenz-Denken? Schließlich ist die Chance groß, dass ihr alle in Zukunft gegeneinander um große Titel kämpft.

Thiem: Ja, das ist schon da. Selbst jetzt, wo wir um die 30, 40 stehen, ist es schon etwas Besonderes, wenn wir gegeneinander antreten. Ich denke darüber nach, wer in Zukunft der Bessere von uns sein wird. In Miami war es gegen Sock eine richtige Reizer-Partie. Da hat es am Platz geknistert.

LAOLA1: Wie ist dein Kontakt zu den absoluten Top-Stars?

Thiem: Mit Federer habe ich erst in Paris trainiert. Da habe ich ihn ein bisschen kennengelernt. Die Stars sind genauso Spieler wie alle anderen. Die machen den gleichen Blödsinn wie wir Jungen. Vielleicht sogar ein bisschen mehr (grinst).

LAOLA1: Was kann man aus so einem Training mit Federer mitnehmen?

Thiem: Es gibt schon einige Dinge, die man von ihm lernen kann. Zum Beispiel wie aggressiv er den Volley oder den Slice spielt. Meinen Spielstil bei den Grundschlägen kann und will ich eh nicht mehr groß ändern, aber andere Kleinigkeiten – zum Beispiel wie er sich bewegt und in den Platz reingeht - sind schon sehr interessant.

LAOLA1: Joakim Nyström ist seit Kurzem bei euch im Trainer-Team. Wie gefällt dir die Zusammenarbeit mit ihm? Was sind seine Aufgaben?

Thiem: Joki hat schon mit jedem Österreicher trainiert. Er kann mich perfekt auf jeden Gegner einstellen, weil er schon so lange auf der Tour ist und jeden Spieler kennt. Er kann zudem auf seine eigene große Erfahrung als Spieler zurückgreifen und ist ein sehr angenehmer Trainer. Beim Abendessen hat er immer viele spannende Geschichten auf Lager.

LAOLA1: Wie viele Wochen im Jahr wird er dich begleiten?

Thiem: In etwa fünf bis zehn Wochen. Er wird mich auf jene Turniere begleiten, die ich im Vorjahr noch alleine bestritten habe.

LAOLA1: Mittlerweile ist Ernests Gulbis wieder bei euch im Team. Inwiefern ändert sich dadurch das Leben auf der Tour?

LAOLA1: Du beschäftigst dich seit einigen Monaten viel mit Ernährung. Warum?

Thiem: Wenn man Leistungssport ausübt und seinen Körper eh schon stark beansprucht, dann ist es nicht sinnvoll, wenn man ihn am Abend mit irgendeinem Blödsinn noch mehr beansprucht. Man sollte ihm all die Belastungen nehmen, die man ihm nehmen kann. Und dazu gehört eben auch eine gesunde Ernährung.

LAOLA1: Wie schwer fällt dir das?

Thiem: Früher ist es mir extrem schwer gefallen. Wenn man sich wirklich damit beschäftigt, wie schlecht manche Sachen für einen sind, dann fällt es einem immer leichter. Ich esse keinen zugesetzten Zucker mehr. Ansonsten esse ich alles. Am Abend versuche ich Kohlehydrate zu minimieren, damit ich mein Gewicht halte. Es ist keine große Hexerei. Man darf einfach keinen Schmarrn essen.

LAOLA1: Wie hat sich deine Ernährungs-Umstellung ausgewirkt?

Thiem: Ich fühle mich jetzt sicher besser als früher. Auch meine Anfälligkeit auf Krankheiten ist geringer geworden. Ich habe schon noch ab und zu einen Schnupfen, aber das wirkt sich nicht mehr so schlimm aus. Auch nach harten Trainings-Sessions geht es mir heute besser als früher. Der Körper hält einfach mehr aus, wenn man sich gut ernährt.

LAOLA1: Hast du nach dem Turniersieg eine Nizza eine gewisse Erleichterung verspürt? Der erste Titel ist ja doch ein wichtiger Meilenstein.

Thiem: ich war sogar extrem erleichtert, weil ich nicht ewig dem ersten Titel hinterherlaufen wollte. Am liebsten hätte ich dieses Thema schon im letzten Jahr in Kitzbühel abgehakt. Wenn man einmal zwei Finale hintereinander verliert, dann kann es schnell zu einer Negativ-Serie kommen, die immer im Hinterkopf herumschwirrt. Deshalb ist es gut, dass dieses Thema erledigt ist. Da ist mir wirklich ein Riesenstein vom Herzen gefallen.

LAOLA1: Zum Feiern blieb aber kaum eine Zeit, oder?

Thiem: Das ist nicht so schlimm. Ich bin nicht der große Party-Tiger. Ich war in Nizza noch am selben Abend mit meiner Familie essen und habe mich danach zuhause auch mit Freunden getroffen. Das Gefühl war wunderschön. Federer hat fast 90 Titel geholt und ich glaube, es gefällt ihm immer noch. Ich hoffe, dass ich noch weitere Pokale holen kann.

LAOLA1: Welchen Platz hast du für den Nizza-Pokal gefunden?

Thiem: Er steht neben der kleinen Gams – leider ist es nur die kleine – und der Orange Bowl.

Das Gespräch führte Christian Frühwald