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Olympia in Rio: Ein soziales Drama

Olympia in Rio: Ein soziales Drama

Die Hoffnungen waren groß, als Rio 2009 die ersten Olympischen Spiele Südamerikas zugesprochen bekam

Das Leben der 6,4 Millionen Menschen sollte durch das Event verbessert werden.

Letztlich scheint aber auch dieses sportliche Großereignis auf Kosten der dort lebenden Bevölkerung zu gehen. Zumindest, wenn man den zahlreichen NGOs Glauben schenkt, die in Rio gegen Menschenrechtsverletzungen kämpfen.

„In Bezug auf die ärmeren EinwohnerInnen sind die Olympischen Spiele sicherlich mehr Fluch als Segen“, sagt Ute Mayrhofer gegenüber LAOLA1. Als Bildungsreferentin der katholischen Dreikönigsaktion steht sie in regelmäßigem Kontakt mit Partnerorganisationen in Brasilien.

Eine soziale Säuberung

Vor allem Vertreibungen und Zwangsenteignungen sind negativer Begleiter der fünf Ringe. Laut Angaben der Comites Populares, ein Basiskomitee mehrerer Bürgerrechts-Organisationen, wurden im Zuge der Fußball-WM 2014 sowie der Olympischen Spiele 2016 im ganzen Land 250.000 Menschen gegen ihren Willen umgesiedelt.

„Es gibt eine soziale Säuberung“, meint Universtitäts-Professor Nelma Gusmao de Oliveira gegenüber der argentinischen Zeitung „Infobae“. „Wenn die Bewohner erst einmal ihre angestammtes Wohnviertel verlassen haben, werden sie nicht in die unmittelbare Nähe ihrer alten Heimat zurückkehren können, wie es vom Gesetz eigentlich vorgesehen ist, sondern in Stadtviertel bis zu 60 Kilometer entfernt platziert.“

Auf diese Weise verpassen die Olympischen Spiele Rio ein Facelifting. Die unteren sozialen Schichten werden in die Peripherie verdrängt. Stattdessen entstehen Luxus-Appartments, Schnellbuslinien und Sportstätten.

Eine Favela wird zum Symbol des Widerstands

„Rio wird durch die Olympischen Spielen auf den Kopf gestellt. Einige Stadtteile wurden aufgrund der baulichen Maßnahmen einfach wegrasiert“, erzählt Mayrhofer, die zuletzt im Mai der Olympiastadt einen Besuch abstattete.

Zum Symbol des Widerstands gegen diesen Bau-Wahnsinn avancierte die Favela Vila Autodromo. Das Fischerdorf im Stadtteil Barra da Tijuca wurde in den 1960er-Jahren genau dort gegründet, wo nun der große Olympiapark im entsteht.

Der Olympiapark (rechts) reicht tief in die Favela Vila Autodromo (links) hinein

Jahrelang wehrte sich die kleine Siedlung gegen die Pläne der Stadtverwaltung. Gemeinsam mit Wissenschaftlern und Aktivisten entwickelten die rund 3.000 BewohnerInnen ein alternatives Projekt, das die Koexistenz zwischen Olympiapark und Vila Autodromo vorsah.

Bulldozer fahren auf

Die Stadtregierung gab sich davon jedoch unbeeindruckt. Mittlerweile wurde ein Großteil der Favela zerstört. Bei den Umsiedlungen gehen die Behörden rücksichtslos vor. „Das Problem ist, dass es kein einheitliches Prozedere gibt. Manchen Leuten wird mehr Geld angeboten, manchen weniger. Das schürt Neid- und Konkurrenzdenken. Auch mit Drohungen wird gearbeitet“, berichtet Mayrhofer.

Im Falle der Vila Autodromo geben sich die Olympia-Bauherren wenig zimperlich. Sobald eine Familie einem Umzug zustimmt, fahren sofort die Bulldozer auf. Das führt zu zerstörten Hausmauern und zerschmetterten Straßen - manche Beobachter vergleichen die Zustände gar mit Kriegsbildern.

Immerhin konnte die Bürger-Initiative die komplette Zerstörung der Vila Autodromo verhindern. Rund 150 der 600 Familien sollen noch in der Siedlung leben.

Ein Golfplatz, den niemand braucht

Schauplatzwechsel: Unweit der Vila Autodromo liegt das Naturreservat Marapendi. Besser gesagt: Es lag einmal dort. Denn ein Großteil der Fläche samt Fauna und Flora musste für den Olympischen Golfplatz weichen.

Mit Umsiedlungen beschäftigte man sich dort erst gar nicht. „Die Tiere werden einfach erschossen“, sagt Umweltaktivist Marcello Mello gegenüber der „Süddeutschen“. Er gehört einer kleinen Gruppe an, die sich – tapfer, aber erfolglos – gegen den Bau der Luxus-Anlage stemmt.

"Aus meiner Sicht ist dieser Golfplatz gar nicht für die Olympischen Spiele gebaut worden, sondern für die Interessen einiger privater Unternehmer, die eng mit der Lokalpolitik verbandelt sind“, erzählt Mello.

Der Aktivist kann nicht verstehen, dass ein neuer Olympia-Golfplatz errichtet werden muss, obwohl nur 20 Minuten vom AthletInnen-Dorf entfernt der GC Itanhanga liegen würde. Ein Green, das laut dem Fachmagazin „Golf Digest“ zu den hundert schönsten außerhalb der USA gehört, aber scheinbar nicht gut genug für die Olympischen Spiele ist. Stattdessen zahlen nun Kaimane, Wasserschweine und Gürteltiere drauf.


Ein Verkehrschaos ist zu befürchten, zumal in etwa zwischen dem Olympia-Zentrum in Barra und jenem an der Copacabana 40 Kilometer liegen.

Zu einem weiteren Problem für die BesucherInnen der Spiele könnte die Sicherheit werden. Ein Jahr vor der Eröffnungsfeier schellen die Anzahl der Raubüberfälle in die Höhe.

Müssen sich Olympia-Besucher fürchten?

Die neueste Methode der Diebe sind Anschläge auf Radfahrer, indem diese bei hoher Geschwindigkeit vom Sattel gestoßen werden. Auch Lara Vadlau berichtet von Seglern, die abseits des Trainings bereits Opfer von Überfällen geworden sind.

Gleichzeitig liefern genau jene Geschichten den Verantwortlichen einen Vorwand, härter gegen die ärmere Bevölkerung in den Favelas vorzugehen.

„Natürlich gibt es beide Seiten, kriminelle und sichere Favelas. Aber es gibt Beispiele, wo das Zusammenleben in den Siedlungen gut funktioniert hat, bis die Polizei gekommen ist und ihre eigenen Regeln aufgestellt hat. Da wird teilweise sehr militärisch vorgegangen“, prangert Mayrhofer die Polizeigewalt an.

Der Bürgermeister unter Korruptionsverdacht

Angesichts dessen wurde auch die Staatsanwaltschaft stutzig. Sie ermittelt gegen Bürgermeister Eduardo Paes wegen Korruptionsverdacht. Das ehemalige Naturschutzgebiet soll verfassungswidrig in Bauland umgewandelt und Pasquale Mauro zum Discountpreis überschrieben worden sein. Der Unternehmer hat im Gegenzug wohl den Wahlkampf von Paes unterstützt.

Der seit 2008 regierende Bürgermeister nimmt überhaupt eine kontroversielle Rolle ein. Die Olympischen Spiele seien ein „fantastischer Vorwand“, um die Stadt zu verändern, sagte er 2012 in einem „BBC“-Interview. Genau das passiert jetzt in Rio. „Unsere Partner vor Ort sprechen von Oberflächen-Make-Up“, so Mayrhofer.

Die Expertin, die auch bei der österreichischen Initiative Nosso Jogo aktiv ist, spricht Paes einen zentralen Part bei den Zwangsumsiedlungen zu. „Mein Eindruck ist, dass sehr viel an die Mittel- und Oberschicht gedacht wird, während bei den ärmeren Menschen versucht wird, sie still zu halten.“

Keine Lösung für das Abwasser-Problem

Während Golfplätze und Multifunktions-Arenen aus dem Boden gestampft werden, geht die Stadtverwaltung jene Probleme, mit der auch die Bevölkerung selbst zu kämpfen hat, kaum an.

Bestes Beispiel dafür sind die verschmutzten Gewässer der Guanabara-Bucht. Die Segler erwartet dort - überspitzt formuliert - ein Slalom zwischen Leichenteilen und Kühlschränken (siehe LAOLA1-Interview mit Lara Vadlau).

„Rio hat ein großes Abwasser-Problem. Teilweise führen die Kanäle direkt in ein offenes Gewässer. Das müsste man langfristig lösen. Es ist nicht damit getan, den Müll in der Lagune abzufischen“, kritisiert Mayrhofer die kurzsichtige Lösung der Olympia-Organisatoren.

Busse statt U-Bahn

Auch in Sachen Verkehr wurde die Chance verpasst, mit den Spielen der Stadt ein neues Gesicht zu geben. Noch immer setzt man in Rio auf Buslinien anstatt den Ausbau des U-Bahn-Netzes, das sich in den letzten 30 Jahren kaum verändert hat (siehe Vergleich mit Shanghai).

Die vier Olympia-Zentren Rios im Überblick:

 

(Noch) kein Olympia-Fieber

Das Grundübel der hohen Kriminalität ist neben der mangelnden Perspektive der Jugend die ungleiche Einkommensverteilung, die sich durch die brasilianische Wirtschaftskrise der letzten Jahre verschärft hat. Rund 20 Prozent der EinwohnerInnen Rios leben in Favelas.

Während die Spiele insgesamt 12 Milliarden Euro kosten sollen, ist in den Nachrichten von überfüllten Spitälern und Kürzungen im Bildungsbudget die Rede. Angesichts dieser Probleme will in Rio ein Jahr vor den Spielen noch kein großes Olympia-Fieber aufkommen.

„Auf der Straße sind die Spiele noch kein Thema", berichtet Mayrhofer. „Den Mythos von Olympia gibt es aber schon. Vor allem die jungen Menschen freuen sich auf das internationale Feeling."

2014 und 2016 gehen als prägende Jahre in Rios Geschichte ein. Die Großereignisse WM und Olympia werden ihre Spuren hinterlassen. Einerseits als völkerverbindende Sport-Spektakel, andererseits aber auch als verpasste Chance auf eine sozial fair gestaltete Stadtplanung. 

 

Jakob Faber