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Ein Alien in beiden Welten

Ein Alien in beiden Welten

Tag und Nacht. Schokolade und Ketchup. Austria und Rapid.

Es gibt Dinge, die passen schwer zusammen. Manchmal, weil sie sich gegenseitig ausschließen. Manchmal, weil es uns der „gute Geschmack“ verbietet. Oder einfach nur, weil es ein Klischee so meint.

Gerade letzteres ist eine Erklärung, die auf Hilde Drexler passen könnte. Die Wienerin vereint nämlich zwei Talente, die für gewöhnlich komplementär auftreten.

Auf der einen Seite ist die 31-Jährige eine Weltklasse-Sportlerin, ist 16. der Judo-Weltrangliste, hat eine EM-Bronzene daheim und kam 2012 erstmals zu Olympischen Ehren.

Auf der anderen Seite schaffte die Germanistik-Studentin nun beim „Open Mike“, dem wichtigsten deutschsprachigem Nachwuchs-Wettbewerb für Literatur, den Sprung unter die 20 Finalisten. Anfang November wird sie im Finale in Berlin ihr Werk vor einer Jury lesen.

Wechselseitiges Naserümpfen

Da wie dort zählt sie durch ihr „Zusatz“-Talent als Exotin. Während es im Sport kaum Vertreter der schreibenden Zunft gibt, widmen sich umgekehrt kaum Spitzenathleten der gehobenen Schriftstellerei – und nein, Biographie-„Experimente“ diverser Sport-Größen zählen hier nicht dazu.

„Der einzige, der mir einfällt, ist Eishockey-Spieler Dave Schuller“, erinnert sich Drexler an den KAC-Stürmer, der 2011 den Lyrikpreis der Klagenfurter Stadtwerke gewann.

Woran die Unvereinbarkeit der beiden Talente letztlich liegt, ist selbst für das „Mischwesen“ Drexler schwer zu beantworten. „Im Endeffekt scheint es, als würden Welten dazwischen liegen, wie Nord- und Südpol“, meint sie und illustriert dies mittels der Geringschätzung eines Talents im jeweiligen anderen Bereich. „Wenn ich beispielsweise gegenüber meinen Sportler-Freunden etwas Literarisches anspreche, können die zumeist überhaupt nichts damit anfangen. Auf der anderen Seite meinte einer meiner Germanistik-Professoren unlängst, dass jemand, der Sport treibt, nur etwas kompensieren wolle.“

Parallelen sehe sie indes im Fehlen des praktischen Nutzens sowie, dass beide Sphären eine Spielwiese für Menschen mit großer und manchmal auch zu großer Persönlichkeit bieten.

„Habe mich selbst therapiert“

Da der Drang, Sport zu treiben, auf dieser Plattform nicht näher erläutert werden braucht, drängt sich vielmehr die Frage auf, wie es bei Drexler dazu gekommen ist, dass sich bei ihr „trotz“ Judo die Liebe zur Literatur entwickeln konnte. „Ich mochte es schon immer, Geschichten zu erzählen. Später habe ich dann gemerkt, dass mir das Schreiben in Zeiten, in denen es mir nicht gut geht, hilft“, spricht sie von einer Art Verarbeitung.

Durch ihre Leistungssport-Karriere, sei das aber ins Stocken geraten. Erst nach dem Krebs-Tod ihres Vaters 2009 griff sie wieder vermehrt zu Stift und Papier. „Um mich selbst zu therapieren“, gibt sie einen Einblick.

Auch andere Situationen – oftmals kleinere Krisen – haben das Bedürfnis zu schreiben verstärkt. „Dabei ist Liebeskummer wahrscheinlich sogar der beste Motor für kreatives Schaffen“, schickt sie schmunzelnd hinterher.

Andere Mechanismen

Andere Mechanismen
Hilde Drexler kämpft derzeit um einen Startplatz in Rio 2016

Gewinnen sei für sie auch gar nicht so wichtig. Viel wichtiger sei es, den metaphorischen Fuß in die Tür zu bekommen. Denn während im Sport Leistung klar definiert und messbar sind, verhält sich das in der Literatur ein wenig komplizierter und subjektiver. Sich einen Namen zu machen, ist von großer Bedeutung.

Hinzu kommt, dass alle Finalisten zu einem Workshop im Februar eingeladen werden, wo sie prominente Inputs für ihre schriftstellerische Entwicklung bekommen. Und im Gegensatz zur Judo-Matte musste die Projekt-Rio-Athletin in schreiberischer Hinsicht bislang noch ohne Mentor auskommen.

Apropos Finale

Für Drexler läuft es dieser Tage auch sportlich allererste Sahne. In Tashkent  zog die 63-kg-Athletin am vergangenen Freitag in ihr zweites Grand-Prix-Finale in dieser Saison ein. Durch den zweiten Platz klettert die Heeressportlerin in der Weltrangliste an die 16. Stelle.

Für Olympia wäre sie im Augenblick spielend qualifiziert, jedoch liegt mit Kathrin Unterwurzacher (3.) derzeit eine andere Österreicherin in der Pole-Position für das Rio-Ticket ihrer Gewichtsklasse.

Die top-gesetzte Tirolerin schied in Tashkent überraschend mit einer Auftakt-Niederlage aus. Die Vorzeichen vor dem Grand Prix waren jedoch nicht die besten. Durch einen verpassten Anschluss-Flug in Istanbul, kam die ÖJV-Mannschaft in den beiden letzten Nächten vor dem Wettkampf nur zu sehr wenig Schlaf.

Drexler: „Ich war viel zu müde, um irgendwie nervös zu sein.“ Dass es bei ihr dennoch so gut lief, überrascht nur bedingt. Schließlich gilt sie seither als zu kopflastiger Sportler, womit sie ein lebender Beweis für die Rogan’sche These ist. Der Ex-Schwimmer hatte vor Olympia 2012 medienwirksam zum Besten gegeben, dass vielen Athleten der eigene Kopf im Weg stünde.

Wie auch immer. Gelingen Drexler bei den nun anstehenden Grand-Slam-Turnieren in Paris (ab 17. Oktober) und Abu Dhabi (ab 30.) ähnliche Ergebnisse, könnte sie das Olympia-Quali-Rennen noch einmal richtig spannend machen.

 

Reinhold Pühringer

Wenn die Muse mit auf der Tribüne sitzt

Heute versucht sie die schreibende Muse von ihrem Sportler-Dasein nicht mehr allzu sehr abzugrenzen. Denn schließlich weiß man nie, wann die Inspiration zuschlägt. Was beim Hin- und Hertingeln zwischen Turnieren und Trainingslagern nicht immer ganz einfach sein kann.

„Es ist mir schon öfter passiert, dass ich gerade in der Judo-Halle sitze, während mir ein guter Gedanke in den Sinn kommt. Da ich dann nichts zum Schreiben bei mir habe, habe ich die Trainer gebeten, mir ihren Kuli und die Zettel mit den Wettkampflisten zu leihen, die ich dann meistens vollschreibe.“

Soweit so gut. „Mittlerweile überlassen sie mir ihren Stift aber nur mit etwas Widerwillen. Aus Angst, ich könnte ihn leer schreiben“, lacht sie.

Einseitiger Wettkampftyp

Dass sie nun bei einem so bedeutenden Literatur-Wettbewerb bis ins Finale eingezogen ist, damit habe sie überhaupt nicht gerechnet. Über 600 Einsendungen soll es im Vorjahr gegeben haben.

Die Anmeldung geschah eher beiläufig. „In Wahrheit habe ich den Bewerb erst recht spät entdeckt und wollte meinen Text dann auch gar nicht hinschicken, weil ich nicht zufrieden damit war.“ Dies bedurfte sanften, aber entschlossenen Drucks der Schwester.

Obwohl der Siegeswille bei der Kampfsportlerin nun geweckt ist, rechnet sie sich für das Finale nicht allzu viel aus. „Was ich bisher mitbekommen habe, stammen da viele aus deutschen Literatur-Werkstätten und haben im Vergleich zu mir schon unzählige Texte publiziert.“

Drexler habe davor erst an einem einzigen Bewerb versucht mitzumachen. „Versucht“, weil sie damals an der Formalität der maximalen Wörter-Anzahl aus Unachtsamkeit gescheitert war.