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Legende, Mitläufer, Entertainer, Tutor: Randy Moss

Legende, Mitläufer, Entertainer, Tutor: Randy Moss

Lange Zeit war Randy Moss in dieser Saison ein stiller Held.

Still, weil kaum etwas von ihm zu hören (und sehen) war. Ein Held wegen seiner unbestrittenen Verdienste in der Vergangenheit.

Kaum ist Super-Bowl-Woche, ist es vorbei mit dieser Ruhe. Die größte aller Football-Bühnen ist genau jene, auf der sich der bald 36-Jährige am liebsten produziert, die der kruden Mischung aus Teamplayer und unglaublichen Ego am besten gerecht wird.

Teamplayer? Durchaus. Auf seine ihm eigene Art und Weise.

Auch wenn seine heurigen Statistiken (28 Catches für 434 Yards und drei Touchdowns in der Regular Season) dem eigenen Anspruch der „launischen Diva“ bei weitem nicht gerecht werden, war der Receiver durchaus kein unwesentliches Mosaiksteinchen des Erfolgslaufs der San Francisco 49ers.

Ganz der Entertainer

Selbst ein in die Jahre gekommener Moss war ein Upgrade auf der Position des Passempfängers, in der jüngeren Vergangenheit eine große Schwäche der Kalifornier. Selbst einen in die Jahre gekommenen Moss lässt man als Gegner ungern außer Augen, was Räume für Kollegen öffnet. Wie für Michael Crabtree, dem der in die Jahre gekommene Moss als Tutor dient und der sein mit Abstand bestes Karriere-Jahr hingelegt hat.

Eine Super-Bowl-Woche rückt jedoch so manche Hackordnungen wieder zurecht. Crabtree schön und gut, auch der Jungstar fand beim Media Day am Dienstag seine Zuhörer. Richtiges Gedränge herrschte jedoch vor dem Podium von Moss. Dieser enttäuschte sein Publikum nicht.

Moss unterhält die Medienvertreter

Während seines einstündigen Auftritts sagte die lebende Legende all die richtigen Sachen, die man kurz vor dem „Big Game“ so sagt, erzählte von der Rückkehr nach einem Jahr NFL-Pension, seiner geänderten Rolle bei den Niners oder der Funktion von Football-Profis als Entertainer, die unter der Woche hart arbeitenden Menschen jeden Sonntag ein Lächeln ins Gesicht zaubern.

Nur um letztlich doch – ganz Entertainer - wieder einen Sager rauszuhauen, mit dem er sich auf sämtliche Titelblätter katapultierte: „Ich bin der größte Receiver aller Zeiten!“

Kein Statistik-Jünger

Wie kann er nur? Und das im Statistik-hörigen US-Sport. Wo doch Jerry Rice, pikanterweise eine Legende seiner San Francisco 49ers, als Gottvater aller Receiver über allem schwebt. Und zwar so hoch, so klar, so deutlich wie auf kaum einer anderen Position.

Mehr hat es nicht gebraucht, um eine Debatte zu entfachen, die ob der statistischen Überlegenheit von Rice, der sich in seiner Reaktion „sehr überrascht“ zeigte, noch nie wirklich geführt worden war.

(In Klammer steht die jeweilige Position in der NFL-Bestenliste)

Moss steht jedenfalls zu seiner persönlichen Einordnung seiner Leistungen in die Football-Historie: „Ich habe gesagt, was ich fühle. Ich will mich nicht auf ein Verbalduell mit Jerry Rice oder irgendjemanden einlassen. Das ist nur meine ganz persönliche Meinung. Viele Leute glauben, nur weil er die besten Statistiken hat, ist er der Größte. Aber ich glaube nicht wirklich an Statistiken.“

„Wer ist eigentlich der größte Running Back? Statistisch ist es Emmitt Smith. Aber viele Leute sagen, es sei Barry Sanders, Gale Sayers oder Jim Brown. Deren Statistiken kommen nicht an jene von Emmitt Smith heran, aber sagen die Leute, Emmitt Smith ist der beste Running Back aller Zeiten?“, findet Moss ein gar nicht so schlechtes Argument.

Super-Bowl-Ringe? Null!

Sein Hauptargument ist jedoch: „Ich habe das Spiel verändert.“

Seine Größe, gepaart mit seiner körperlichen Stärke und vor allem seiner Schnelligkeit – der junge Randy Moss setzte einst in der Tat neue Maßstäbe in der NFL. So wie Rice in den 80ern und 90ern als gefährlichste Waffe von Quarterback-Kapazundern wie Joe Montana und Steve Young die Arbeit von Receivern neu definierte, ehe er den Staffelstab virtuell an Moss weiterreichte. Oder wie es zum Beispiel Detroits Calvin Johnson heute tut.

2008 scorte Moss in der Super Bowl den vermeintlich siegbringenden TD

Sportlich gesehen, ist seine Rolle bei den 49ers jene eines Mitläufers. Der 35-Jährige steht bei weitem nicht bei jedem Snap auf dem Spielfeld. Die Offense San Franciscos ist nicht auf seine Bedürfnisse zugeschnitten.

Aber: Moss hat auf seine alten Tage so etwas wie Mannschaftsdienlichkeit für sich entdeckt. „Ich mag meine Rolle nicht“, gibt Moss unumwunden zu, zeigt sich aber gereift und seiner Wertigkeit durchaus bewusst:

„Was ich in meiner Karriere erst langsam lernen musste, war, dass ich die Aufgabe eines Köders habe. Dennis Green, mein früherer Coach in Minnesota, hat immer zu mir gesagt: ‚Auch wenn der Ball nicht in deiner Hand ist, diktierst du die Art und Weise, wie die Defense gegen unsere Offense spielt.‘ Später in meiner Karriere begriff ich, dass ich nicht immer den Ball haben muss, um meiner Offense zu Touchdowns zu verhelfen. Das mag ich nicht, ich bin es aber gewohnt. Ich war immer ein Teamplayer, also werde ich tun, was auch immer für den Sieg notwendig ist.“

„Du wurdest gerade gemosst!“

Diese Aufgabe, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und seine jüngeren und unerfahreneren Mitspieler zu entlasten, funktioniert nicht nur auf dem Feld, wie sein charismatischer Media-Day-Auftritt zeigte.

Auch hinter den Kulissen profitieren die jüngeren Akteure der 49ers von der Moss’schen Routine. Allen voran Crabtree bekam Gratis-Anschauungsunterricht von einer Allzeitgröße.

„The one thing I can teach you: Let me teach you“, wurde Moss nach seiner Verpflichtung beim Jungstar vorstellig und bat ihn laut eigener Aussage, ihn nicht als Konkurrenten, sondern als Partner wahrzunehmen. Dass Crabtree inzwischen die Hauptverantwortung in der Riege der Passempfänger trägt, ist unumstritten.

In Minnesota avancierte Moss zum Superstar

Der 25-Jährige erzählt begeistert, dass er in seiner Kindheit beim Video-Spiel „Madden“ als Moss agiert habe: „Außerdem bin ich wie so viele andere damit aufgewachsen, einen ‚Moss‘ zu machen. Das ist ein Ball, den du direkt über einem Verteidiger fängst. Es ist lustig, wenn dir das im Training gelingt und du einen Defensive Back verspottest: ‚Du wurdest gerade gemosst‘ – und Moss ist direkt neben dir. Es ist einfach eine Ehre, mit solch einer Legende, zu der man als Kind aufgeschaut hat, zusammenzuspielen.“

Schlimmer Pensionsschock

Der interne Ruf von Moss bei den 49ers scheint generell besser zu sein als sein externer. Wer dessen extrovertierte und sicherlich nicht immer pflegeleichte Herangehensweise an seinen Job über all die Jahre verfolgt hat, war vermutlich überrascht, wie zurückhaltend er in der Bay Area trotz der für ihn persönlich unbefriedigenden sportlichen Situation auftrat.

Möglicherweise weil er merkte, dass ihm dieser starke Roster doch noch eine Titelchance ermöglichen könnte, die 49ers im Falle eines Fehlverhaltens jedoch nicht mit aller Gewalt auf ihn angewiesen sind. Auf jeden Fall kam er in einen funktionierenden Lockerroom: „Dieses Team hatte bereits seine Anführer – ob Joe Staley, Justin Smith, Patrick Willis oder natürlich Frank Gore. Ich wollte einfach nur Football spielen.“

Eine entscheidende Erkenntnis. Denn nach der völlig verkorksten Saison 2010, die ihn bei drei Teams (New England, Minnesota und Tennessee) scheitern sah, ließ es Moss ursprünglich gut sein.

Während die Diskussion über den besten Receiver aller Zeiten so gesehen eine müßige ist, trennt Rice und Moss letztlich eine nicht ganz unwesentliche Zahl: Jerrys Hände zieren drei Super-Bowl-Ringe, Randys nicht ein einziger.

Bei seinem einzigen Versuch ging er 2008 mit New England leer aus. Nach einer bis dahin unbesiegten Saison, in der Moss mit 23 Touchdowns den aktuell gültigen NFL-Rekord aufstellte, setzte es im Endspiel eine sensationelle Niederlage gegen die New York Giants.

Am Sonntag könnte seine Karriere bei einem Sieg der 49ers gegen die Baltimore Ravens doch noch ihre finale Krönung erfahren. Wiedergutmachen könne ein etwaiger Triumph die Schmach von vor fünf Jahren jedoch nicht.

„Wenn ich diesmal gewinne, hieße das, dass ich zwei Super-Bowl-Siege haben könnte“, rechnet Moss vor, „ich werde die damalige Niederlage nie vergessen. Es ist kein schönes Gefühl, wenn nach dem Spiel das Konfetti auf deiner verschwitzten Haut klebt, und du weißt, dass dieses Sieger-Konfetti nicht dir gebührt.“

Moss, der Mitläufer

Diesmal ist die persönliche Ausgangsposition von Moss eine andere. Die Zeiten als absoluter Star-Spieler, der von 1998 an sieben Jahre lang im Dress der Minnesota Vikings glänzte und nach zwei wenig zufriedenstellenden Saisonen bei den Oakland Raiders in New England neu durchstartete, sind vorbei.

Der vierfache Vater wollte sich verstärkt seiner Familie widmen, erlitt aber sehr bald einen Pensionsschock, der ihn laut eigener Aussage sogar zu Tränen rührte. „Ich liebe Football so sehr. Ich mag nicht alle Aspekte, die dieser Beruf mit sich bringt, aber draußen auf dem Feld zu stehen, ist etwas, dass ich seit dem Alter von sechs Jahren gemacht habe. Mit diesem Sport aufzuhören, obwohl ich wusste, dass ich weder körperlich noch mental bereit für einen Rücktritt war, hat mich schwer getroffen und deprimiert.“

Die Challenge der Tochter

Moss hielt sich weiter fit und schaute sich jeden Sonntag die NFL-Übertragungen an: „Ich hoffe, es kommt irgendwann der Moment, an dem ich wirklich gerne zu Hause sitzen möchte, um den Jungs, gegen die ich gespielt habe, zuzuschauen. Darauf freue ich mich. Ich habe immer gesagt, dass ich irgendwann in der Lage sein möchte, vor einem Football-Spiel ein Tailgating zu machen.“

Noch kann der Griller warten. Denn auch seine Familie stand hinter der Entscheidung, das Angebot der 49ers anzunehmen: „Ich habe meine 18-jährige Tochter um ihr Einverständnis gebeten, und sie hat nur gesagt: ‚Dad, ich habe sowieso nie verstanden, warum du aufgehört hast.‘“

Eine Challenge hatte die talentierte Basketballerin in Diensten der University of Florida für ihren Herrn Papa damals aber doch: „Sie sagte zu mir: ‚Wenn du zurückkehrst, will ich, dass du die Super Bowl gewinnst, denn ich werde bald den College-Titel im Basketball gewinnen.‘ Da musste ich lachen, so habe ich meine Tochter noch nie zuvor reden gehört. Aber gut, ich habe nun tatsächlich die Chance meine erste Super Bowl zu gewinnen. Und ich freue mich schon darauf, sie den College-Titel erobern zu sehen.“

Moss Senior ist am Zug.


Peter Altmann