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Der erfolgreiche "Ungustl"

Der erfolgreiche

Sie sind überall im Sport zu finden.

Diese mürrischen Trainer, die Grantler, denen nur selten ein Lächeln über die Lippen kommt. Die aber auf der anderen Seite auch überaus erfolgreich sind. Weil ihre Sportart ihre Leidenschaft ist.

In Österreich gab es da etwa Ernst Happel. Der Grantler schlechthin, egal ob hierzulande oder im Ausland. Und er war der erfolgreichste Fußball-Trainer, den dieses Land je gesehen hat.

Grantler, aber erfolgreich

Gregg Popovich ist so einer. Der 66-Jährige, der es wie Marshawn Lynch nicht so mit den Medien hat, konnte sich erst 2014 mit den San Antonio Spurs zum fünften Mal zum NBA-Champion krönen.

Und Bill Belichick gehört in diese Kategorie.

Der 62-Jährige gilt als aktuell bester Head Coach der National Football League. Er ist längstdienender Trainer der Liga, seit 2000 coacht er die New England Patriots und steht mit ihnen am Sonntag zum sechsten Mal in der Super Bowl. Der vierte Titel würde gleichbedeutend mit einem NFL-Rekord sein.

Pittsburgh-Legende Chuck Noll konnte in den 70ern bzw. 1980 vier Titel mit seinem Team holen. Don Shula, wie nun Belichick sechs Mal im Endspiel, konnte lediglich zwei seiner „Big Games“ gewinnen.

Der beste Coach der Gegenwart

Dafür blieb der sechsfache „Coach of the Year“ 1972 mit seinen Miami Dolphins ungeschlagen, die einzige Perfect Season inklusive Super-Bowl-Sieg (17-0). Belichick kam dieser am nähesten.

2008 waren seine Patriots haushohe Favoriten gegen die New York Giants, doch wie 2012 musste sich das Team aus Massachusetts im letzten Spiel der Saison geschlagen geben. Vor sieben Jahren fand die Partie in Glendale, Arizona, statt. Belichick kehrt am Sonntag eben dorthin zurück.

Doch wie wurde der Mann mit dem grauen Hoody, der bei Pressekonferenzen gerne dahinmurmelt, einer der erfolgreichsten seines Fachs? Der Weg des „Ungustls“, der auch anders sein kann.

Der Apfel fiel nicht weit vom Stamm

Wie so oft, fällt der Apfel nicht weit vom Stamm. Geboren in Nashville, Tennessee, verfolgte Sohn Bill alles, was sein Vater machte. Und der war Assistant Football Coach an der U.S. Naval Academy.

„Ich wusste, als er zwei Jahre alt war, dass er Football zu seinem Beruf machen würde“, lacht Jeannette Belichick, seine Mutter, in der sehenswerten Erstausgabe von „A Football Life“.

„Er liebte einfach alles, was sein Dad tat. Alles was er machte, wollte er auch tun. Und er war dort, um zu lernen“, berichtete Frau Mama im Jahr 2011. Steve Belichick, Sohn zweier Kroaten (Nachname des Vaters: Bilicic) und früherer Fullback der Detroit Lions, war über 30 Jahre für die Navy tätig und schrieb in den 60ern ein Standard-Werk („Football Scouting Methods“) . Pflichtlektüre für den Sohn.

1987. Unüblich: Als Defensive Coordinator auf Schultern getragen zu werden

„Wollte alles über das Spiel lernen“

Man könnte auch sagen, der Weg als Head Coach war einfach vorgezeichnet. Doch jeder Coach muss sich diesen Weg in der NFL bahnen. Und jeder entscheidet mit, wie erfolgreich dieser sein kann.

„Er war bereit, rund um die Uhr für nichts zu arbeiten und alles über das Spiel zu lernen“, erinnert sich Marchibroda, früherer Quarterback und langjähriger NFL-Head-Coach (u.a. Indianapolis und Ravens).

Belichick arbeitete in den ersten vier Jahren für die Colts aus Baltimore, die Detroit Lions und die Denver Broncos. Heute ein Defensiv-Guru wurde der ehrgeizige Jungcoach damals eben als WR-Coach eingesetzt, weil er sich geschickt anstellte, wenn es um das Lehren von Coverages ging.

1979 fing Belichicks erste große Ära in der NFL an. Bei den New York Giants, die ihm 2008 die schmerzlichste Niederlage seiner Karriere zufügten, reifte er endgültig zum Defensive Mind heran und übernahm schließlich 1985 die Abwehr der Giants, die 1987 und 1991 Super-Bowl-Sieger wurde.

Aufstieg in New York

Belichick führte vor dem Duell mit Division-Rivale NY Jets die Film-Crew von „A Football Life“ 2009 durch die blauen Bereiche des Giants Stadiums, das in der Folge abgerissen und zum Parkplatz des heutigen MetLife-Stadiums wurde. Dabei zeigte der sonst emotionslose Coach sein zweites Gesicht.

„Ich dachte mir nicht, dass es so ausgehen würde und ich nun so hier stehe. Ich habe nur versucht, meine Coaching-Karriere aufzubauen, ein guter Trainer zu sein und ein paar Spiele zu gewinnen – und wir haben hier viele gewonnen. Es ist eine tolle Franchise“, hielt er mit teils gebrochener Stimme fest und schilderte im Anschluss, wie viele Stunden er in diesen Räumen nicht verbracht hätte.

Es begann mit 25 Dollar die Woche

Bill verbrachte seine Kindheit in Annapolis, Maryland, schaute seinem Vater auf die Hände und nahm später selbst die Beine in die Hand, spielte auf der High School Football und auch Lacrosse. Ende der 60er waren unterschiedliche Hautfarben in den USA ein großes Thema, nicht so in Annapolis.

 „Eines der großartigen Dinge an Sport ist, dass die Rasse nichts damit zu tun hat. Unser Coach war großartig, dieses ganze Zeug hat ihn nicht interessiert, es war nie ein Faktor. Jeder war ein Mitglied des Teams, basierend auf dem, was du für dein Team gegeben hast“, erinnert sich Spieler Belichick.

(Diesen Spieler hätte der heutige Coach übrigens nie aufgestellt: „Ich war nicht ansatzweise gut.“)

Diese Prinzipien nahm er als Trainer mit. 1975 schloss Bill ein Wirtschaftsstudium ab, um kurz danach in die NFL zu gehen. Es startete mit 25 Dollar pro Woche. Heuer wird Belichick 40 Jahre dabei sein.

„Er hat eigentlich nie großes Interesse gezeigt, Football-Coach zu werden. Er hat viel Zeit mit mir verbracht und er war interessiert“, so Vater Steve, dessen Bub schon mit zwölf Spiel-Filme schnitt.

Vater verhalf Sohn zum ersten Job als Quality Control Coach unter Baltimore Colts‘ HC Ted Marchibroda. Danach nahmen die Dinge ihren Lauf. Doch der Weg an die Spitze war ein kurviger.

Und in den ersten Jahren ein kurioser. „Es war ziemlich ungewöhnlich. In den ersten vier Jahren war ich bei den Special Teams, ein Jahr bei den Wide Receivern und Tight Ends. Zwei Jahre als Quality Control Coach auf der Defense-Seite mit Fokus auf die Secondary und ein weiteres mit den Linebackers“, erzählt Belichick. „Das hat mir in vielerlei Hinsicht viel Aufschluss gegeben.“

Weil Cleveland schon damals Cleveland war

Trotzdem sollte es noch nicht so weit sein. In vier Saisonen kam Belichick nur auf eine Winning Season, sein einziger Playoff-Erfolg war jener gegen die Patriots am Neujahrstag 1995.

Nach dieser 11-4-Spielzeit folgte das Aus im Divisional-Playoff in Pittsburgh. Die Hoffnungen für die folgende Saison waren groß, der leidenden Football-Stadt Cleveland erstmals eine Super-Bowl-Teilnahme zu bescheren.

Doch schon damals war Cleveland einfach Cleveland – und verlor.

Ein 3-1-Start führte zu einer 5-11-Saison. Triftiger Hauptgrund: Eine Woche nach dem vierten Sieg verkündete Owner Art Modell, mit der Franchise nach Baltimore zu ziehen. Ein Stich ins Herz.

Weder Fans noch Mannschaft konnten dies verkraften, am Ende wurden sieben der acht letzten Spiele verloren. Nur das letzte Heimspiel nicht, trotzdem flogen die Sitzbänke auf das Feld.

Die Cleveland Browns, die 1999 als solche ihr Comeback feierten, wurden die Baltimore Ravens, Belichick blieb entgegen anders lautender Ankündigungen auf der Strecke und wurde gefeuert. Wie Cleveland erhielt aber auch er eine zweite Chance. Dies sollte allerdings noch etwas dauern.

Parcells nahm ihn zurück unter seine Fittiche, Belichick war 1996 erstmals bei den Patriots engagiert und das als Assistant Head Coach sowie Secondary Coach. Sofort ging es mit 11-5 in die Super Bowl, doch dort unterlagen die Patriots den Green Bay Packers unter Quarterback-Legende Brett Favre.

Auf die Frage nach der schönsten Erinnerung, gab er sich gar nostalgisch: „Es gibt viele, eine war sicher, als ich 1987 nach dem NFC-Championship-Game gegen Washington (17:0) auf Schultern vom Feld getragen wurde. Da konnte ich nichts machen, ich wollte aber auch nichts machen. Es war Spaß und es war auf der Titelseite der New York Times. Alle Verwandten und Freunde haben es gesehen.“

In New York coachte Belichick unter einem anderen Großen dieser Zunft, Bill Parcells, der 1983 kam.

Erste Chance in Cleveland

Der Schüler war gereift und nach dem zweiten gemeinsamen Super-Bowl-Triumph mit den Giants war die Zeit gekommen. 1991 wurde Belichick zum Head Coach der Cleveland Browns ernannt.

Aber wie so oft im Leben läuft nicht immer alles nach Plan. Vor allem in Cleveland. Obwohl Belichick für diesen Job mehr als bereit war – und als Head Coach auch neue Wege ging.

Die Browns waren etwa 1993 eines der ersten Teams, die über ausführliche Scouting-Berichte eines jeden Spielers in der Liga verfügten. Um für die Free Agency topvorbereitet zu sein.

Vorbereitung, Vorbereitung, Vorbereitung. Das war und ist Belichicks Credo. „Keinen Stein umgedreht zu lassen“, sagte sein Mitarbeiter in Cleveland, Pat Hill, über die Arbeitsweise Belichicks.

„Es ist seine Struktur, die wohl auch größtenteils von den Erfahrungen bei seinem Vater in der Navy kommt. Er ist auf jede Eventualität vorbereitet. Bei ihm ist nichts halbherzig.“

Der Rest ist Geschichte. Der Coach holte mit den Patriots drei Mal die Vince-Lombardi-Trophy, gewann seit 2000 nur drei Mal nicht die AFC East und hält den Postseason-Rekord an Siegen.

„Er schaut sich jeden Gegner an und kann seine Offense und seine Defense jederzeit verändern, sehr flexibel gestalten – abhängig von den Schwächen des Kontrahenten. Das ist wirklich, wirklich brillant! Und das macht es so schwer, gegen ihn zu spielen“, beschreibt der frühere Indianpolis-Coach Tony Dungy im LAOLA1-Interview, wieso die Patriots seit der Belichick-Ära stets an der Spitze stehen.

Am Ende lacht Belichick

An der Außendarstellung hat sich dabei wenig geändert. „Was die Medien und die anderen Trainer sehen, so ist er dann auch. Er ist sehr gewinnorientiert, sagen wir einmal so“, sagt Sebastian Vollmer, langjähriger Right Tackle in der O-Line um Star-Quarterback Tom Brady.

„Das Einzige, was wir tun können, ist unser Bestes zu geben. Uns täglich zu verbessern, die Details zu beachten und das Team an erster Stelle zu sehen“, wiederholt Belichick gerne seine Formel, die auch unpopuläre Entscheidungen im Sinne der Franchise vorsieht. Alles für den Erfolg, mit Plan und Talent.

Der Coach zieht ob seiner mürrischen Art sowie mancher Verhaltensweisen („Spygate“) automatisch Antipathien auf sich. Ob seiner monotonen Aussagen bei Pressekonferenzen wird er auch nur allzu gerne parodiert („We’re on to XY“) und die Zuseher können sich auf seine Kosten amüsieren.

Aber auch er kann lachen. Selten aber doch. In „A Football Life“ ist Belichick übrigens auf seinem Boot zu sehen. Der Name? V Rings, für insgesamt fünf Super-Bowl-Titel. Und am Ende lacht Belichick.

 

Bernhard Kastler

Die kuriose Zeit bei den New York Jets

Es folgte die kurioseste Zeit für Belichick in der NFL. Zwischen 1997 und 2000 war er gleich zwei Mal Head Coach der New York Jets – ohne jemals ein Spiel gecoacht zu haben.

Erst als Interims-Trainer, als die Patriots und Jets noch über die Ablöse verhandelten. Es klappte und Belichick war drei Saisonen Parcells Assistant Head Coach sowie der Defensive Coordinator.

Als Parcells nach der Spielzeit anno 1999 zurücktrat, hatte dieser bereits ausgehandelt, dass Belichick sein Nachfolger werden würde. Das wurde er auch. Für einen Tag. Bei der Antritts-Pressekonferenz trat er zurück. „Ich trete als HC der NYJ zurück“, hatte er auf ein Tuch geschrieben und übergeben.

Patriots-Eigentümer Robert Kraft hatte die Fühler nach seinem früheren Assistant Coach ausgestreckt und war erfolgreich, auch wenn er einen verlorenen Erstrunden-Draft-Pick in Kauf nehmen musste.

Belichick folgte ausgerechnet Carroll

„Ich merkte schon damals, dass wir auf einer Linie waren“, sagte Kraft und sollte damit Recht behalten. Pikanterweise warf der Owner zuvor Pete Carroll nach drei Saisonen als Head Coach raus. Der steht nun am Sonntag in Super Bowl XLIX gegenüber – und zeigt sich glücklich, wie es lief.

„Das Beste, was mir je passiert ist, er hat mich zu USC geschickt. Dafür bin ich ihm für immer dankbar“, sprach der 63-jährige Carroll am Freitag bei der Abschlusskonferenz und bezeichnete Krafts Entschluss, Belichick zu seinem Nachfolger zu machen, als eine der genialsten Entscheidungen der NFL-Geschichte.

Das ist Belichick Kraft sowieso: „Er hat für mich einen Erstrunden-Draft-Pick und mehr aufgegeben.“