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Wüste Spurensuche in Marokko

Wüste Spurensuche in Marokko

Meterhohe Dünen und endlose Steinfelder, Roadbooks und eine Marathonetappe – Tobias Moretti und Gregor Bloéb trainieren knapp zwei Monate bevor sie sich zum Rennen der legendären Rallye von Paris nach Dakar begeben zum ersten Mal am Originalschauplatz.

Im Südwesten Marokkos bekommen sie dabei nicht nur ihre Rallyebikes überreicht, sondern werden vom vielfachen Dakar-Gewinner Cyril Despres in die Kunst des Roadbook-Lesens eingeführt.

Der vergossene Schweiß, die verbrauchte Muskelkraft und das eingesetzte Gehirnschmalz haben sich definitiv gelohnt, weiß auch Teamchef Heinz Kinigadner.

Große Maschinen für große Vorhaben

Die Freude ist groß beim ersten Blick auf die neuen Motorräder.

Jene, mit denen auch die Rallye in Angriff genommen werden wird. KTM 450 Rallye – groß, stark und respekteinflößend.

„Es schaut alles grob und schwerfällig aus, aber es hat natürlich Sinn; sowohl was die Traktion betrifft, als auch die Arithmetik des Geräts ist auf Distanz ausgelegt."

"Allein schon der Lenkungsdämpfer ist ziemlich genial, denn ein Stein, dem man bei 120km/h nicht mehr ausweichen kann, wird einfach geschluckt. Dadurch ist das Vertrauen in das Motorrad natürlich sehr groß. Trotzdem muss man mit dem Gewicht umgehen," erklärt Tobias Moretti.

Tricks zum Ausgraben

200kg zu chauffieren ist eine Sache, dasselbe Gewicht aus dem Sand zu klauben eine ganz andere.

„Regel Nummer eins heißt mit der Kraft haushalten und Energie sparen. Wenn man mit dem Motorrad umfällt, dann gibt es verschiedene Tricks wie man es wieder ausbuddelt. Nie mit Kraft probieren und zwei, dreimal versuchen das Gerät irgendwie hochzuheben, das geht alles nicht. Du musst ganz genau die Technik beherrschen; Lenkrad, dann mit einem Mal aufheben und sich sofort einen Weg suchen, von dem man wieder wegfahren kann. Das sind natürlich ganz wichtige Tricks, damit mit man so einen Tagesmarsch überhaupt übersteht. Cyril Despres beherrscht sie alle,“ bedankt sich Gregor Bloéb beim vierfachen Dakar-Sieger.

Despres erklärt das Roadbook

Der Franzose hatte erst wenige Tage zuvor die Marokko Rallye für sich entschieden und die wichtige Aufgabe, den beiden Tiroler Bergziegen das Lesen und richtige Interpretieren des lebensnotwendigen Roadbooks zu lehren.

Gefahrenstellen erkennen, Richtungsänderungen und Abzweigungen finden, dabei den Blick aber nicht zu lange von der Strecke abwenden und Distanzen und Himmelsrichtungen ins Gefühl bekommen.

Mit dem Originalroadbook der finalen Etappe der Marokko Rallye ausgerüstet wurden die „Erstleser“ auf den knapp 170km langen Rundkurs geschickt.

Neue Erfahrungen für das Gehirn

„Dabei muss in alle Himmelsrichtungen gefahren werden, was die Navigation doch recht anspruchsvoll macht,“ ist Teamchef Heinz Kinigadner doch ein wenig stolz auf seine beiden Schützlinge, als sie innerhalb der vorgegebenen Zeit den Weg ins Ziel gefunden hatten.

"Zum ersten Mal die Kombination zwischen Roadbook und navigieren trotz der Geschwindigkeit, trotz der komplett neuen Streckenführung, die für genug Überraschung gesorgt hat, das war schon ziemlich heftig."

Moretti positiv überrascht

"Das Gehirn muss reflexiv funktionieren. Man hat eine Zehntelsekunde Zeit auf die Himmelsrichtung zu schauen, dann wieder auf die Straße, eine Zehntelsekunde Zeit sich zu überlegen, wo navigiert man hin. Man muss auch teilweise den Distanzzähler nachjustieren, weil es immer Abweichungen gibt. Dass es so gut funktioniert, hätte ich vorher nicht gedacht, das hat mich sehr gefreut und mich auch beruhigt," berichtet der 53-jährige Moretti von der ersten Spurensuche.

Gemäß dem tatsächlichen Rallyeleben gab es auch noch eine Marathonetappe, bei der die drei Piloten eine Nacht im Biwak von Chegaga unterm Sternenhimmel verbringen mussten, ohne dass ihre Motorräder serviciert werden durften.

Insider-Crashkurs in einer Nacht

Für Cyril Despres eine unheimlich wichtige Station: „Ohne jegliche Ablenkung konnte ich ihnen in diesen Stunden sämtliche Tricks verraten. Die beiden sind sehr unterschiedliche Fahrtypen und doch waren die individuellen Fortschritte taeglich sichtbar. Diese Trainingseinheit war mit Sicherheit eine wichtige Etappe in der Vorbereitung.“

Bei Sonnenaufgang am nächsten Morgen ging es zurück ins Basislager.

"Es ist so unbeschreiblich schön"

"Dieses Marokko-Training war für mich emotional sehr wichtig; denn wäre ich bei der Rallye zum ersten Mal in dieses wunderschöne Land gekommen, wäre das ein Zuviel an Eindrücken für mich gewesen. Es ist so unbeschreiblich schön, es ist alles so anders."

"Einerseits befinden wir uns in einem Sport, bei dem es um Zeit geht, andererseits sind wir in einem Land, in dem die Zeit vollkommen egal ist. Allein diese Tatsache arbeitet sehr viel in mir und ich musste mich wirklich eine Woche daran gewöhnen. Es ist eine große Erfahrung und enorm beeindruckend,“ erzählt der jüngere der beiden Brüder von einer fantastischen Schlittenfahrt der Gefühle.

Kinigadner vorsichtig

Heinz Kinigadner, Teamchef des KINI KTM Rally Racing Teams und selbst Dakar-Veteran, zieht noch in den Dünenfeldern vor Ort eine erste Bilan.

"Natürlich haben die beiden noch einige Mankos und die Zeit wird allmählich knapp. Trainingsrückstand rächt sich bei einem derartigen Rennen ganz gewaltig. Man sitzt jeden Tag viele Stunden auf dem Motorrad und am nächsten Tag wieder und am Tag danach auch wieder und wenn man kugelt und einen blauen Oberschenkel hat, am nächsten Tag geht’s trotzdem weiter."

"Sie spüren selbst, wo es fehlt"

"Da kann man nicht Pause machen. Allerdings sind beide motiviert, das merkt man und sie spüren auch selbst, wo es fehlt und werden zunehmend nervöser. Das gilt es jetzt noch auszumerzen und dann im Jänner trotzdem richtig fit dazustehen. Sie sind beide Schauspieler und wären keine guten, wenn sie nicht das Talent hätten, sich auf eine Sache zu konzentrieren und sich darauf fokussiert hinzuarbeiten. Ich bin ganz fest davon überzeugt, dass beide fit am Start stehen und das auch zu Ende bringen werden.“

Fahren am Sand und navigieren mit dem GPS und den Himmelsrichtungen stehen in etwa vier Wochen in Tunesien auf dem Trainingsplan.